Jean Raspail: »Unsere Zivilisation verschwindet«

PDF der Druckfassung aus Sezession 57 / Dezember 2013

Was fühlen Sie angesichts der aktuellen Lage?

Raspail: Wissen Sie, ich habe keine Lust, mich zu der großen Runde der Intellektuellen zu gesellen, die ihre Zeit damit verbringen, über Einwanderung zu diskutieren. Ich habe den Eindruck, daß diese Debatten zu nichts führen. Das Volk weiß im Grunde längst intuitiv Bescheid: daß das Frankreich, das unsere Ahnen in Jahrhunderten formten, im Begriff steht, zu verschwinden. Und daß wir das Publikum in der Galerie damit unterhalten, daß wir ununterbrochen über Einwanderung reden, ohne jemals die letzte Wahrheit zu sagen.

Eine Wahr­heit, die noch dazu unsag­bar ist, wie schon mein Freund Jean Cau bemerk­te, denn wer es wagt, sie aus­zu­spre­chen, wird auf der Stel­le gejagt, ver­dammt und aus­ge­schlos­sen. Richard Mil­let kam ihr nahe, und Sie sehen ja, was mit ihm pas­siert ist!

Wer­den die Fran­zo­sen also über die Schwe­re des Pro­blems getäuscht?

Ras­pail: Ja. Das fängt schon bei den ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­kern an! Offi­zi­ell »läuft alles wun­der­bar, Frau Grä­fin«. Aber hin­ter ver­schlos­se­nen Türen geben sie es zu: »Ja, Sie haben recht: es gibt ein ech­tes Pro­blem.« Ich besit­ze zu die­sem The­ma meh­re­re auf­schluß­rei­che Brie­fe von lin­ken Poli­ti­kern, auch eini­gen rech­ten, denen ich Das Heer­la­ger der Hei­li­gen zuge­schickt habe. »Aber Sie müs­sen ver­ste­hen: wir kön­nen das nicht laut sagen …« Die­se Leu­te spre­chen mit gespal­te­ner Zun­ge, haben ein gespal­te­nes Gewis­sen. Ich weiß nicht, wie sie das fer­tig­brin­gen. Ich glau­be, daß hier die Quel­le der geis­ti­gen Ver­wir­rung liegt: das Volk weiß, daß vie­le Din­ge vor ihm geheim­ge­hal­ten wer­den. Dut­zen­de Mil­lio­nen Men­schen glau­ben heu­te nicht mehr an das offi­zi­el­le Gere­de über Ein­wan­de­rung. Kein ein­zi­ger von ihnen glaubt ernst­haft, daß all dies eine »Chan­ce« für Frank­reich sei. Denn sie haben ja die all­täg­li­che Wirk­lich­keit vor Augen. Nun bro­deln all die­se Ideen in ihren Köp­fen, und sie fin­den kei­ne Ausdrucksmöglichkeit.

Sie glau­ben nicht dar­an, daß die in Frank­reich auf­ge­nom­me­nen Aus­län­der assi­mi­liert wer­den kön­nen?

Ras­pail: Nein. Das Inte­gra­ti­ons­mo­dell funk­tio­niert nicht. Selbst wenn noch mehr ille­ga­le Ein­wan­de­rer abge­scho­ben wer­den, und wir es schaf­fen soll­ten, die Aus­län­der etwas erfolg­rei­cher zu inte­grie­ren, als das jetzt der Fall ist, wird ihre Zahl nicht auf­hö­ren zu wach­sen, und damit wird sich nichts an dem grund­le­gen­den Pro­blem ändern: die fort­schrei­ten­de Inva­si­on Frank­reichs und Euro­pas durch Mas­sen aus der Drit­ten Welt. Ich bin kein Pro­phet, aber die Insta­bi­li­tät die­ser Län­der ist deut­lich zu erken­nen. Dort herrscht eine uner­träg­li­che Armut, die pau­sen­los zunimmt, und einem obs­zö­nen Reich­tum gegen­über­steht. Die­se Leu­te dort kön­nen sich nicht bei ihren Regie­run­gen beschwe­ren, sie erwar­ten nichts von ihnen. Statt­des­sen wen­den sie sich an uns, und lan­den mit immer zahl­rei­che­ren Boo­ten in Euro­pa, heu­te in Lam­pe­du­sa, mor­gen anders­wo. Es gibt nichts, das sie abschre­cken könn­te. Und dank der demo­gra­phi­schen Dyna­mik wird es in Frank­reich in den 2050er Jah­ren eben­so­vie­le jun­ge Stamm­fran­zo­sen geben wie jun­ge Ausländer.

Vie­le wer­den in Frank­reich hei­misch werden.

Ras­pail: Das bedeu­tet nicht, daß sie zu Fran­zo­sen wer­den. Ich sage nicht, daß sie schlech­te Men­schen sei­en, aber eine »Ein­bür­ge­rung auf dem Papier« bedeu­tet kei­ne Ein­bür­ge­rung im Her­zen. Ich kann in ihnen kei­ne Lands­leu­te sehen. Wir müs­sen die Geset­ze dras­tisch ver­schär­fen, aus einer Not­la­ge heraus.

Wie soll Euro­pa mit der Ein­wan­de­rung umgehen?

Ras­pail: Es gibt nur zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der wir neh­men sie auf, und Frank­reich – also sei­ne Kul­tur, sei­ne Zivi­li­sa­ti­on – wird aus­ge­löscht wer­den, ohne auch nur ein Begräb­nis zu bekom­men. Das ist es auch, was mei­ner Mei­nung nach pas­sie­ren wird. Oder wir neh­men sie über­haupt nicht mehr auf – das bedeu­tet, daß wir auf­hö­ren, den »Ande­ren« zu ver­göt­zen, son­dern wie­der ler­nen, unse­ren »Nächs­ten« wie­der­zu­ent­de­cken, also den­je­ni­gen, der uns selbst am nächs­ten steht. Das bedeu­tet auch, daß wir für eini­ge Zeit die­sen »ver­rückt gewor­de­nen christ­li­chen Ideen« abschwö­ren müs­sen, wie Ches­ter­ton es aus­drück­te, die­sen fehl­ge­lei­te­ten Men­schen­rech­ten. Wir müs­sen statt­des­sen als Kol­lek­tiv unwi­der­ruf­lich auf Distanz gehen, um die Auf­lö­sung unse­res Lan­des und die all­ge­mei­ne Ver­mi­schung auf­zu­hal­ten. Ich sehe kei­ne ande­re Lösung. Ich bin in mei­ner Jugend viel gereist. Alle Völ­ker kön­nen begeis­tern, aber wenn man sie zu sehr ver­mischt, dann ent­steht eher Feind­se­lig­keit als Sym­pa­thie. Die­se métis­sa­ge, die­se Ver­mi­schung also, ist nie­mals fried­lich, das zu glau­ben, ist eine gefähr­li­che Uto­pie. Sehen Sie sich nur Süd­afri­ka an!

Also: Was tun?

Ras­pail: Die Maß­nah­men, die in unse­rer jet­zi­gen Lage not­wen­dig wären, wären mit einer erheb­li­chen Zwangs­aus­übung ver­bun­den. Ich glau­be nicht, daß es dazu kom­men wird, und ich sehe nie­man­den, der dazu den Mut hät­te. Dazu müß­te man sei­ne eige­ne See­le in die Waag­scha­le wer­fen, und wer ist dazu bereit? Abge­se­hen davon, glau­be ich nicht eine Sekun­de dar­an, daß die Für­spre­cher der Ein­wan­de­rung barm­her­zi­ger sind, als ich es bin: Es gibt unter ihnen wohl kei­nen ein­zi­gen, der bereit wäre, die­se Unglück­li­chen in sein eige­nes Haus auf­zu­neh­men. Das ist alles nichts wei­ter als gefühls­du­se­li­ge Groß­red­ne­rei, und die­se Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit hat zu einem Maelstrom geführt, der uns alle ver­schlin­gen wird.

Gibt es kei­ne ande­re Lösung als Unter­wer­fung oder Zwangsausübung?

Ras­pail: Viel­leicht gibt es eine, aber sie hät­te nur eine ein­zi­ge Chan­ce: eine eth­ni­sche und kul­tu­rel­le Iso­la­ti­on, durch die sich Bevöl­ke­rungs­grup­pen auf kom­mu­ni­ta­ri­sche Wei­se vor der Bedro­hung durch ande­re Grup­pen schüt­zen kön­nen. Eine sol­che Ent­wick­lung ist ja neben­bei schon im Gan­ge: wir kön­nen beob­ach­ten, daß sich die Stamm­fran­zo­sen zuneh­mend aus den soge­nann­ten pro­ble­ma­ti­schen Stadt­tei­len zurück­zie­hen. Die Demons­tra­tio­nen gegen die Homo­se­xu­el­len-Ehe sind auch eine Form des Kom­mu­ni­ta­ris­mus: sie bezeu­gen, daß Mil­lio­nen von Fran­zo­sen den »Zivi­li­sa­ti­ons­wech­sel« ableh­nen, den die Lin­ken und Chris­tia­ne Tau­bi­ra ver­spro­chen haben. Heu­te wird der Kom­mu­ni­ta­ris­mus all­seits ver­dammt, aber er könn­te eine Lösung sein, zumin­dest vor­über­ge­hend. Die ent­ge­gen­ge­setz­ten Kom­mu­ni­ta­ris­men wer­den sich jedoch durch wech­sel­sei­ti­ge Ani­mo­si­tä­ten ver­stär­ken, und das wird letz­ten Endes zu äußerst schwe­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen führen.

Sie glau­ben nicht an einen plötz­li­chen Neu­an­fang, wie es ihn in der Geschich­te Frank­reichs schon oft gab?

Ras­pail: Nein. Es bräuch­te das Auf­flam­men eines epi­schen Geis­tes, einen Sinn für ein höhe­res Schick­sal, um einen sol­chen Neu­be­ginn für Frank­reich zu ermög­li­chen. Dazu bedarf es Men­schen, die immer noch an ihr Vater­land glau­ben. Ich sehe davon nicht mehr vie­le. Zum min­des­ten müß­te man das natio­na­le Bil­dungs­sys­tem und die audio-visu­el­len Medi­en von Grund auf umkrem­peln, man müß­te Leh­rern und Jour­na­lis­ten, die sich an der Des­in­for­ma­ti­on betei­li­gen, die Platt­form ent­zie­hen … Wir haben die Idee der Nati­on ent­hei­ligt, die Aus­übung von Macht, die Ver­gan­gen­heit unse­res Lan­des. Wir haben die Sta­tue Frank­reichs ris­sig wer­den las­sen, haben ihre Gestalt ent­stellt (beson­ders die Lin­ke!), bis zu einem Punkt, an dem es nichts mehr gibt, das Ehr­furcht gebie­tet. Die Macht der fal­schen Ideen, die von dem herr­schen­den Bil­dungs­sys­tem und den Medi­en ver­brei­tet wer­den, scheint gren­zen­los zu sein. Soweit es mich angeht, so lebe ich seit 1500 Jah­ren in Frank­reich, ich bin mit dem zufrie­den, was mir gehört, und ich habe kei­ner­lei Bedürf­nis, irgend­et­was dar­an zu ändern.

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