Kelle: Sie gehen also davon aus, daß ich mein eigenes Ideal bereits erreicht habe? Manchmal, nach einem langen Familientag und Schreibtischarbeit bis in die Nacht, bin ich nicht ganz sicher, ob mein Wunschbild und ich uns nicht ein bißchen entfremdet haben. Zumindest würde ich heute sagen: Ich weiß, was ich will und ich fordere es auch ein. Für diesen Satz habe ich allerdings einige Jahre gebraucht.
Sezession: Insgesamt klingt das nach jener Wahlfreiheit, von der jeder in Deutschland und in der gesamten westlichen Hemisphäre mehr als genug vorfindet. Geht es nicht vielmehr um die – meinethalben freiwillige – Rückbindung in die Festlegung als Frau, also darum zu akzeptieren, daß es noch immer die Frauen sind, die die Kinder kriegen und die über dieses Schicksal nicht frei disponieren sollten?
Kelle: Mir gefällt der Begriff der »Rückbindung« nicht. Wir kehren mit unserem Wunsch, Kinder zu bekommen, nicht zurück. Wir haben uns nie davon gelöst. Wir waren immer Frauen, wir sind Frauen und wir werden es immer bleiben. Sie bedienen sich hier der Rhetorik der Altfeministinnen, die ja immer wieder besorgt einen backlash der Frauen zurück an den Herd und in die Familie kritisieren. Auch sie ignorieren, daß die Mehrheit der Frauen die traditionelle Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter nie verlassen hat und auch nie verlassen wollte. Die Wahlfreiheit, von der Sie mehr als genug sehen, finde ich allerdings nur auf dem Papier. Wenn einer Frau gesellschaftliche Ächtung als »Heimchen am Herd«, berufliches und damit finanzielles Aus und Altersarmut drohen, weil sie sich heute noch dafür entscheidet, Kinder vor Karriere zu setzen, dann ist sie nicht frei in ihrer Entscheidung, sondern wird nahezu genötigt, sich in ein zugeteiltes Rollenmodell einzufügen.
Sezession: Sehen Sie, genau deshalb sprach ich von »Rückbindung«: Gerade weil etliche Frauen sich genötigt sehen, einem Bild jenseits ihres Kinderwunsches zu entsprechen, ist die Entscheidung gegen den Vorrang der Karriere eine nicht im Sinne der Meinungsmacher vollzogene Besinnung auf etwas, das immer galt – eine »Rückbindung« eben …
Kelle: Zurück kann ich nur, wenn ich schon mal weggegangen bin. Wer immer dort geblieben ist, wo er war, geht nicht zurück, sondern bleibt, wo er ist. Ich akzeptiere die Richtung zurück nicht, wie bereits dargelegt, denn sie erinnert mich zu sehr an die vorwurfsvollen Anfeindungen durch Frauen, die nicht begreifen wollen, dass ich nicht dieselbe Richtung einschlage, die sie mir vorgeben wollen.
Sezession: In Ihrem Buch schlagen Sie einen selbstbewußten Ton an: Meinen Sie, daß Sie eigentlich für eine Mehrheit sprechen, die nur aufgrund medialer Verzerrung als abgehängte Minderheit erscheint?
Kelle: Ja, das glaube ich in der Tat nach den mehr als 1000 Zuschriften, die mich im Laufe der Jahre erreicht haben. Und möglicherweise war genau diese Erkenntnis, dass wir die schweigende Mehrheit im Land sind, der Punkt, an dem ich aufgehört habe, darauf Rücksicht zu nehmen, was wohl andere über mich und meine Meinung denken.
Sezession: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, daß in diesem Falle eine Minderheit den öffentlichen Kampf um die Rolle der Frau prägt? Liegt dies am Zugang zum Machthaber, also: am Zugang zu den Medien?
Kelle: Nicht nur am Zugang zu den Medien, sondern auch zur Politik. In beiden Feldern dominieren Frauen, die entweder selbst kinderlos sind, oder das Lebensmodell »Kinder ja, aber Karriere geht weiter mit Hilfe von Fremdbetreuung«, favorisieren. Also der Typus von der Leyen und Co. Nun ist mir persönlich ja egal, wie andere Leute ihr Familienleben gestalten. Das Problem beginnt aber, wenn sie neben ihrem eigenen Weg keine anderen Wege zulassen. Gestern erst »twitterte« mir die Chefredakteurin eines Familienmagazins zu, mein Frauenbild verursache bei ihr »große körperliche Schmerzen«. Manchmal habe ich das Gefühl, es geht gar nicht mehr um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Hier wird die Deutungshoheit über das einzig richtige Frauenleben mit allen Mitteln verteidigt, und wer in den Medien Präsenz hat, dominiert die Debatte.
Sezession: Über welche Kanäle der Gegenöffentlichkeit verfügen Sie?
Kelle: Na, offensichtlich inzwischen über einige. Es hat zwar ein paar Jahre gedauert, aber ich kann mich derzeit nicht darüber beschweren, medial ignoriert zu werden. Das Internet ist hier übrigens ein großartiges Medium. Es bricht die Dominanz von Chefredakteuren und Ressortleitern oder gar Leserbriefredakteuren. Jeder kann sich artikulieren und es über soziale Netzwerke teilen. Wenn Sie einmal das Beispiel meiner Kolumne »Dann mach doch die Bluse zu« zur Sexismus-Debatte bei The European, Freie Welt und kath.net im Januar diesen Jahres nehmen: Dieser Artikel gegen die twitter-Offensive #aufschrei, den vermutlich kein Printmagazin zu diesem Zeitpunkt gedruckt hätte, weil sich die deutschen Medien damals gerade einig waren, daß wir Frauen doch alle Opfer und alle Männer Täter seien – dieser Artikel ist innerhalb weniger Tage über 170000 Mal im Internet in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook geteilt worden. Von solchen Leserzahlen träumt so manches Printmedium. Man kann also über das Internet die Schweigespiralen durchbrechen.
Sezession: Auch mit Ihrem Buch – das sicherlich aus PR-Gründen denselben Titel trägt wie Ihr Aufsatz vom Januar dieses Jahres – scheinen Sie die Mißachtungsmauer zu durchbrechen. Wer kauft das, wer ist der Durchschnittsleser?
Kelle: Genau kann ich das natürlich nicht sagen, der Handel meldet mir ja keine Steckbriefe. Anhand der zahlreichen Zuschriften, die ich bekomme, sind es viele Mütter und Hausfrauen. Ihre Briefe sind wie ein großes Aufatmen, daß sie endlich zur Kenntnis genommen werden. Wirklich viele enthalten den Satz: »Sie sprechen mir aus der Seele«. An zweiter Stelle sind es Familienväter oder Ehepaare, die gemeinsam schreiben und mir ihre Lebensgeschichten und Familienfotos zusenden. Sie berichten von ihrem Familienglück, von den finanziellen Entbehrungen, die sie aber jederzeit wieder für die Familie in Kauf nehmen würden. Viele ältere Frauen schreiben mir die Höhe ihrer Rente, nachdem sie drei, vier oder mehr Kinder großgezogen haben. Das ist eine Schande für unser Land! Dann schreibt noch die Gruppe der Singlefrauen, die gerne Familie hätte, sich aber einem ungeheuren Druck ausgesetzt sieht, beruflich erfolgreich zu sein, und Mühe hat, einen Mann zu finden, der eine Familie gründen will. Nicht unerheblich ist übrigens auch die Zahl der Zuschriften von Therapeuten und Erzieherinnen, die von Kinderschicksalen berichten, die sich in Krippen, Kitas und Arztpraxen abspielen. Sie alle sehen, wohin diese vermeintliche Familienpolitik hinführt, sie sehen die Probleme, berichten von Überforderung der Kinder. Der Stoff würde für ein zweites Buch reichen.
Sezession: Die Wochenzeitung Junge Freiheit bewirbt Ihr Buch intensiv, Sie selbst schreiben dort und nahmen jüngst den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten entgegen. Sehen Sie in dieser Zeitung und deren Umfeld (wozu ich als politischen Arm die AfD rechne) eine kommende Größe?
Kelle: Das sind zwei Fragen auf einmal. Die Junge Freiheit ist wichtig als Medium, das sich nicht dem medialen Mainstream unterwirft. Wir brauchen für einen ernsthaften Diskurs in Deutschland widerstreitende Positionen gerade auch in den Medien und soweit ich weiß, wird die JF dafür mit stetig steigenden Leserzahlen belohnt. Ob die AfD eine kommende Größe in unserem Land darstellen wird, muß sich noch zeigen, das kann ich nicht bewerten. Zu viele Parteien haben sich in den vergangenen Jahren neu formiert und nach kurzer Zeit wieder erledigt. Daß es die AfD aber innerhalb so kurzer Zeit fast auf Anhieb in den Bundestag geschafft hat, zeigt, daß es in der Bevölkerung doch eine große Unzufriedenheit gibt mit den etablierten Parteien, in denen viele Themen eben nur »alternativlos« gelöst werden.