Körper-Macht-Spiele

PDF der Druckfassung aus Sezession 57 / Dezember 2013

Die von Alice Schwarzer angezettelte und von zahlreichen Prominenten unterstützte Debatte für ein Prostitutionsverbot hat die politischen Lager gespalten. Wie hier politische Standpunkte von Weltanschauungsfragen überschattet (oder erhellt) wurden, das war so unterhaltsam wie lehrreich zu lesen. Schwarzers Emma wurde von links als »konservativ-feministisches Organ« gescholten, während man sich rechts einerseits auf die urmenschenmäßig angelegte, daher (und aus Gründen des »Freien Marktes«) zu konservierende Entlastungsfunktion der Institution Prostitution berief und andererseits auf die grundsätzliche Sittenwidrigkeit und Amoralität des Gewerbes rekurrierte.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Das von der rot-grü­nen Regie­rung 2002 in Kraft gesetz­te Pro­sti­tu­ti­ons­ge­setz – euro­pa­weit eins der libe­rals­ten – hat­te die »Sex­ar­beit« zu einem nor­ma­len Beruf geadelt, in des­sen Rah­men ein­klag­ba­re Ent­gelt­for­de­run­gen (von Sei­ten des Frei­ers wie der Gefrei­ten) begrün­det wer­den kön­nen, außer­dem kön­nen sich Pro­sti­tu­ier­te in den gesetz­li­chen Arbeits­lo­sen- und Rentenkassen
versichern.

Davon sehen die soge­nann­ten Sex­ar­bei­te­rin­nen wei­test­ge­hend ab. Dafür sprie­ßen die pro­fes­sio­nell gema­nag­ten Flat-rate-Ein­rich­tun­gen (»Komm so oft du kannst! Nur zu Hau­se ist es güns­ti­ger!«), der Markt­wert ist – inter­es­san­ter­wei­se par­al­lel zu dem des toten Flei­sches in den Metz­ge­rei­en – dras­tisch gesun­ken. Seit die »Ver­mitt­lungs­tä­tig­keit« nicht mehr straf­be­wehrt ist, fun­giert der Zuhäl­ter als seriö­ser Makler.

Vor­dem wur­de Pro­sti­tu­ti­on als sit­ten­wid­rig ein­ge­stuft, die­se Gel­tung hat sie in den meis­ten Län­dern bis heu­te. Das man­ches deut­sche »Job­cen­ter« Sex­ar­beits­an­ge­bo­te ver­mit­teln woll­te, ent­schul­dig­ten die Ver­ant­wort­li­chen als ver­se­hent­li­ches »Durch­rut­schen«: eine halb­sei­de­ne Inkonsequenz.

Die Debat­te sei ver­lo­gen, sagen die einen wie die ande­ren, je mit guten Grün­den. Die einen argu­men­tie­ren, kaum ein Kun­de, der sich auf einen Ver­trag zwi­schen mün­di­gen Bür­gern beruft, wür­de bei sei­ner Frau oder Toch­ter die­se »Berufs­wahl« tole­rie­ren. Die ande­ren nen­nen den Äch­tungs­auf­ruf ver­lo­gen, weil es »das« – mit roman­ti­sie­ren­dem Unter­ton: »das ältes­te Gewer­be der Welt« – schon immer gege­ben habe und geben werde.

Und sei es nicht red­lich, Din­ge, die eh statt­fin­den, aus dem Unter­grund in die geneh­mig­te Sphä­re zu erhe­ben? Zur Not des­we­gen, um den Aus­wüch­sen Herr zu werden?

Die kon­kre­te Debat­te ver­schlei­ert, um was es wirk­lich geht: Um Macht. Wer herrscht, wer dik­tiert? Wer wird beherrscht, wem wird dik­tiert? Ali­ce Schwar­zer sagt, die Huren sei­en – da
oft zwangs­re­kru­tiert, da häu­fig nur unter Dro­gen imstan­de, ihren Arbeits­all­tag zu bewerk­stel­li­gen, da zum gro­ßen Teil in der Kind­heit miß­braucht und die­ses Sche­ma nicht ver­las­send kön­nend – Opfer eines Han­dels, der nur in ober­fläch­li­cher Sicht auf Ein­ver­nehm­lich­keit beruht.

Frei­er ent­geg­nen, der Femi­nis­mus habe ursäch­lich Schuld, da man mit die­sen kom­pli­zier­ten, weil indok­tri­nier­ten Nor­mal­frau­en von heu­te nicht auf sei­ne Kos­ten käme. Über­dies sei­en die für ihre Dienst­leis­tun­gen bezahl­ten Frau­en die eigent­li­chen Her­rin­nen: über das wie und wie­weit, über den Preis und das Überhaupt.

Wir müs­sen aus­grei­fen. Die Tren­nung zwi­schen Sexua­li­tät und Fort­pflan­zung, die uns selbst in from­mer Ehe heu­te als Nor­ma­li­tät erscheint, ist eine jun­ge Erschei­nung. Womög­lich ist es ein alter Mensch­heits­traum, der vor gut einem hal­ben Jahr­hun­dert wahr wur­de: Die zuver­läs­si­ge Ent­kop­pe­lung des Aktes von sei­nen natur­ge­ge­be­nen Fol­gen. Euro­päi­sche Kin­der sind aller­meist Wunschkinder.

Der Gra­zer Phy­sio­lo­ge Lud­wig Haber­landt, der ent­schei­den­de Vor­ar­bei­ten zur Ent­wick­lung der »Pil­le« lie­fer­te, hat­te schon 1931 ange­führt, daß »die hor­mo­n­a­le Ste­ri­li­sie­rung des Wei­bes wesent­lich bei­tra­gen wird zur Errei­chung jenes idea­len Zustan­des in der mensch­li­chen Gesell­schaft, von dem schon Sig­mund Freud (1898) fol­gen­des geschrie­ben hat: ›Theoere­tisch wäre es einer der größ­ten Tri­um­phe der Mensch­heit, wenn es gelän­ge, den Akt der Kin­der­er­zeu­gung zu einer will­kür­li­chen und beab­sich­tig­ten Hand­lung zu erheben‹«.

Carl Djer­as­si, die­ses dich­ten­de und erfin­den­de Bei­na­he-Uni­ver­sal­ge­nie, der gera­de sei­ne »aller­letz­te«, ful­mi­nant zu lesen­de Auto­bio­gra­phie (Der Schat­ten­samm­ler, Innsbruck/Wien: Hay­mon 2013, 479 S., 24,90 €) ver­öf­fent­licht hat, Djer­as­si, jene mitt­ler­wei­le neun­zig­jäh­ri­ge »Mut­ter der Pil­le«, hat in sei­nem 1998 urauf­ge­führ­tem Thea­ter­stück Unbe­fleckt eine Visi­on vor­ge­legt: Nach der (heu­ti­gen) Ära des Sex ohne Fort­pflan­zungs­ab­sicht folgt das (künf­ti­ge) Zeit­al­ter der Fort­pflan­zung ohne Sex. Dem­nach legen jun­ge Män­ner und Frau­en ihr per­sön­li­ches Repro­duk­ti­ons­kon­to an, das aus gefro­re­nen (»kyro­kon­ser­vier­ten«) Eizel­len und Sper­mi­en besteht. Wenn sie ein Baby wol­len, gehen sie, längst ste­ri­li­siert, zur Bank – und heben ab.

Die­ser Plan ist men­schen­mög­lich, tech­nisch auch, und er ist markt­denk­bar. Er erscheint prag­ma­tisch. Kein Ver­ein­bar­keits­ge­döns mehr, kein Kar­rie­re­knick, statt­des­sen ein Wunsch­kind mit 45 oder 50 Jah­ren, wenn die beruf­li­che Lauf­bahn in tro­cke­nen Tüchern ist.

Was das mit Pro­sti­tu­ti­on zu tun hat? Es ist die Ent­kop­pe­lung. Zwi­schen Lie­be, ihren her­kömm­li­chen, reli­gi­ös oder wenigs­tens sitt­lich fun­dier­ten Ingre­di­en­zi­en (Aus­schließ­lich­keit, Ver­ant­wor­tung, Treue, Ewig­keit), dem situa­ti­ven Begeh­ren und dem repro­duk­ti­ven Wunsch.

Das situa­ti­ve Begeh­ren ist der Mar­ken­kern und das Waren­för­mi­ge an der Sache. Pro­sti­tu­ti­on im Zeit­al­ter des Kapi­ta­lis­mus hat vie­le Facet­ten. Der Schwar­zer geht es nicht allein um die Elendspro­sti­tu­ti­on (den noto­ri­schen »Stra­ßen­strich« und die von wuch­ti­gen Män­nern bewach­ten Eta­blis­se­ments), son­dern auch um die sich hoch­prei­sig han­deln­de Ware Frau, die nicht zehn Frei­ern die­nen muß, um am Ende des Tages abzüg­lich Mie­te und Pro­vi­si­on hun­dert Euro auf der Hand zu haben, die sie zur Hälf­te der dar­ben­den Fami­lie in Zweit- und Dritt­welt­län­dern über­weist, son­dern um jene »Escort«-Lady, die Fuß­ball­hel­den, Star­mo­de­ra­to­ren, Poli­ti­kern oder kran­ken Künst­lern als Gespie­lin für »höhe­re Ansprü­che« dient.

Die Bedeu­tung der cha­nel­ge­wand­ten, gut­fri­sier­ten Jung­hu­re als iko­no­gra­phi­sches Bild für eine Heer­schar von kon­sum­fi­xier­ten oder schlicht aner­ken­nungs­be­dürf­ti­gen Mäd­chen ist nicht zu unterschätzen.

Der geni­tale Spaß, den »die doch auch haben«, dürf­te gering­zu­schät­zen sein gegen­über der Macht, den jene gran­des hori­zon­ta­les aus­üben. »Die Pro­sti­tu­ier­te ist nicht, wie Femi­nis­ten bekla­gen, das Opfer von Män­nern, son­dern viel eher deren Erobe­rer«, sagt die furio­se liber­tä­re Anti-Femi­nis­tin Camil­le Paglia. Die typi­sche, die erfolg­rei­che Hure, so Paglia, habe das Befehls­kom­man­do inne: sowohl über ihr eige­nes Leben als auch über ihre Klienten.

Das hie­ße: die Rol­le des Man­nes als Ein­dring­ling, als Erobe­rer und Über­wäl­ti­ger hat sich gewan­delt wie die der Frau, die, einer­lei ob käuf­lich oder ange­traut, zur stren­gen Hüte­rin der Pfor­te wor­den ist. Was auf (weib­li­ches) Selbst­be­wußt­sein, Über­legt- und Über­le­gen­heit hin­wei­sen könn­te, darf genau­so­gut als simp­ler, roher Markt­me­cha­nis­mus gedeu­tet wer­den. Die Fra­ge ist nicht mehr: »wer ver­dient mei­ne Hin­ga­be?«, son­dern: »was springt für mich dabei heraus?«

Die Süd­deut­sche Zei­tung – wäh­rend man den Arti­kel im Netz abruft, ploppt eine Wer­bung von Car­tier auf, »Love has a colour and a name«, eine Rekla­me für Juwe­len­rin­ge, die sich mit eini­ger Sicher­heit kein Mann auf den Fin­ger ste­cken wür­de – berich­tet über einen ita­lie­ni­schen Pro­sti­tu­ier­ten­ring, in dem sich die betei­lig­ten Teen­ager »nicht als Opfer, son­dern als ziem­lich cool« fühlten:

»Zufäl­lig wol­len die Mäd­chen im Inter­net auf die Ver­dienst­idee gekom­men sein, Azzur­ra (16) habe im Netz die Kennt­nis­se erwor­ben und dann Auro­ra (14) ange­lernt. 300 Euro war der Preis für bei­de.« Gemäß Umfra­gen lie­ßen sich Mäd­chen häu­fig für sexu­el­le Hand­lun­gen gegen cash über­zeu­gen. Von 3000 befrag­ten Schü­lern gaben 25 Pro­zent an, an ihrer Schu­le pro­sti­tu­ier­ten sich Mäd­chen, sehr ver­brei­tet fan­den das sogar 15 Pro­zent. Ein Jugend­psych­ia­ter meint: »Sie ver­bin­den Sex nicht unbe­dingt mit Gefühl, Bezie­hung, nicht ein­mal Ver­gnü­gen. Für sie ist er etwas, das Macht verleiht.«

Über Jahr­tau­sen­de gab es zwei exis­ten­ti­el­le Bewäh­rungs­pro­ben für Frau und Mann, zwei Grenz­si­tua­tio­nen: Krieg und Geburt. Bei­des war schmerz­be­wehrt, bei­des wur­de nicht sel­ten mit dem Leben bezahlt. Der Krieg, selbst das täti­ge (nicht vir­tu­el­le) als-ob, ist unse­ren Gefil­den fern, die schmerz­haf­te Geburt kann heu­te leich­ter­hand abge­wen­det wer­den, kas­sen­ge­stützt: im ärgs­ten Fall durch Abtrei­bung, nor­ma­ler­wei­se durch Kai­ser­schnitt (1991: 15 Pro­zent, 2012: 31 Pro­zent) oder betäu­ben­de Medi­ka­ti­on. War­um hart, wenn smart eben­so­gut geht?

Zugleich ist der sexu­el­le Kit­zel aus dem Bereich des Unter­grün­di­gen und schwer zu berech­nen­den ins Ver­han­del­ba­re geflo­hen. Der Mil­lio­nen­er­folg der sado­ma­so­chis­ti­schen Shades of Grey-Saga mit sei­nem eiser­nen »con­tract sexu­el­le«, der die (weib­li­chen) Unter­wer­fungs­be­din­gun­gen para­gra­phen­ge­nau fest­schreibt, spricht Bän­de. Sex, Schmerz, oben, unten: der auf­ge­klär­te Mensch ist sei­ner Trei­be nicht ledig, aber er ver­mag sie zu »hand­len«.

»Beherrscht sein«: ein viel­deu­ti­ger Zustand.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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