nicht bloß das Präsidentenamt in den USA oder in Österreich zu erlangen, sondern einen Umbruch zu tragen als Symbolfiguren. Hofer hat die Wahl verloren, aber er ist ja nicht aus der Welt und hat etwas Entscheidendes ausgelöst.
Beiden ist voll bewußt, daß es ums Symbolsein geht, insofern agieren sie nicht allein als Parteipolitiker mit Programm, sondern als Schauspieler. Und das wählende Publikum nimmt sie als Schauspieler wahr. Peter Sloterdijk, der olle Bärbeiß, wertet das in der ZEIT Nr. 49 defätistisch als den Politikern abgeschauten “Zynismus” der Wähler, die bekommen, was sie wünschen, nämlich Schauspieler.
Meinungsumfragen erheben beharrlich, welchem Politiker oder welcher Partei das Volk “vertraue”. Dabei könnte es sein, daß sie einem vergangenen Paradigma vertrauen. Vertrauen “beruht auf Täuschung”, bemerkte Luhmann schon 1968, “eigentlich ist nicht soviel Information gegeben, wie man braucht, um erfolgssicher handeln zu können. Über die fehlende Information setzt der Handelnde sich willentlich hinweg.” Die Wähler wissen kaum etwas über die zur Wahl stehenden Politiker, und wenn, dann interessieren sie sich dafür, warum der eine einen Spitznamen hat und der andere humpelt. Das Symbolische ist den Wählern (implizit) ohnehin klar, “Vertrauen” ist kein persönliches Empfinden, sondern ein reflektiertes Nichtwissen.
Nichts ist verdrießlicher, als wenn man, mit Gründen und Auseinandersetzungen gegen einen Menschen streitend, sich alle Mühe giebt, ihn zu überzeugen, in der Meinung, es bloß mit seinem Verstande zu thun zu haben, – und nun endlich entdeckt, daß er nicht verstehen WILL; daß man es also mit seinem WILLEN zu thun hat, welcher sich der Wahrheit verschließt und muthwillig Mißverständnisse, Schikanen und Sophismen ins Feld stellt, sich hinter seinem Verstande und seinem vorgeblichen Nichteinsehen verschanzend.
(Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 262)
Wer aber stellt sich hier offenbar dumm und tut im Falle Hofer so, als wäre dieser ein ganz Gewiefter, auf den das vertrauensselige Volk bloß hereinfiele? Das kann nur jemand sein, dem das “Paradox des Schauspielers” (Diderot) unbekannt ist, oder jemand, der selber trickst. Der Schauspieler ist eben derjenige, der “über sehr viel Urteilskraft verfügt”, ein kühler und unbeteiligter Beobachter ist, der “alles abgewogen, abgestimmt, einstudiert, im Kopf zurechtgelegt” hat, und nicht der Empfindsame, der authentische Heulkrämpfe oder Liebesschauer auf der Bühne erleidet.
Diderots Schauspieler lebt vom Paradox, unecht zu sein (dafür ist er ja eben Schauspieler!) und gleichermaßen echt zu sein (eine inszeniert wirkende Inszenierung kommt nicht an beim Publikum). Seit dem 16. Jahrhundert ist aus moralistischen Überlegungen zum “schönen Schein” klar, daß Echtheit eine Kunst ist.
Moralistikrezeption hat eine lange konservative Geschichte und kommt erst ganz spät im linken Lager an, nämlich mit Bertolt Brecht. Und da ist Echtheit als nichtentfremdeter menschlicher Ausdruck noch immer utopisches Ziel, und alle notgedrungene Künstlichkeit den Verhältnissen geschuldet.
Eigentlich bedarf es heute keiner besonders schwierigen anthropologischen Begründung mehr, um zu sehen, daß Politiker Rollenspieler sind und wir alle dies wissen und den besseren Darsteller küren. Daß zur Rolle das “Menschliche” gehört (mit Hund, Katze, Familie, Lieblingsessen und Jugendsünden) liegt am Paradox des Schauspielers, der darstellen muß, keiner zu sein.
In der Süddeutschen Zeitung folgt man dem österreichischen FALTER blindlings in dessen Aufdeckerfuror hinein und vermutet gemeinsam Arges: Norbert Hofer befleißige sich des NLPs. Er sei ein Schauspieler. Beweisvideos zeigen, wie er auch noch öffentlich und unverhohlen seine Rollen spiele.
“Neurolinguistisches Programmieren” ist nichts mehr und nichts weniger als eine Psychotechnik, die Führungspersonen in Coachingseminaren beigebracht wird. Den Diskussionsgegner abzulenken, zu übertölpeln, buchstäblich beim Wort zu nehmen, Fragestellungen nicht zu akzeptieren und umzubiegen (Reframing), Kategorienfehler absichtlich zu tätigen, Schlagwörter wiederholt zu platzieren, Vergleiche und Bezüge zu insinuieren und körpersprachlich unablässig zu wissen, was man tut, ist der Sinn eines NLP-Trainings zu “menschlicher Höchstleistung”.
“NLP ist das Studium, wie wir durch unsere mentalen Modelle, unsere Gedanken und Vorstellungen unser Leben im wörtlichen Sinn “konstruieren””, heißt es auf der österreichischen Seite. Seltsam, daß NLP als höhergedrehter angewandter sozialwissenschaftlicher Konstruktivismus bei Medienleuten plötzlich komplett unterlaufen wird und sie so tun, als wäre jegliche Konstruiertheit der Kommunikation bösartige Unaufrichtigkeit.
Ja, was glauben unsere guten Menschen aus der Medienbranche denn, was Politiker so berufsmäßig tun? Übermäßig zur Schau gestellte journalistische Naivität dürfte zum Gegenteil dessen führen, was der Journalist bezweckt: die Leser sollen glauben, daß Hofer durch rhetorische Tricks und Kniffe seine politischen Gegner und mithin seine Wähler hinters Licht führt, und daß dies a.) andere Politiker nicht täten, und b.) man das in der Politik irgendwie eigentlich nicht darf.
Es gibt tatsächlich FALTER-Leser, die auf diesen Trick hereinfallen und sich darin bestätigt fühlen, daß vor Hofer nicht eindringlich genug gewarnt werden kann (aus den Kommentaren: “Hinter der Maske ist ein sehr guter Spott (sic!). Werde es weiter schicken. Schade, dass so viele Menschen in unseren Land auf Herrn Hofer reinfallen.”)
Flamboyante Naivität ist ein wirklich gefinkeltes Strategem: so zu tun, als wüßten wir nicht alle, daß Politiker Rhetoriker sind, um dem politischen Gegner den Gebrauch von Rhetorik als solcher vorzuwerfen, den eigenen Kandidaten demgegenüber als “echt” hinzustellen und auch noch mit derselben Fliegenklappe die eigene politische Strategie des Dummtuns zu verscheuchen.
Hofers Puls-4-Interview mit Corinna Milborn ist ein gutes Beispiel für die ihm zur Last gelegte NLP-Technik. Die Interviewerin beherrscht selber perfekt die Technik des Insinuierens, d.h. des latenten Unterstellens durch Anklingenlassen, inszeniert sich indes als besonders aufrichtig, indem sie “die Fragen der Zuseher” nur wie ein unschuldiges Medium wiedergibt. Besonders oft klingt bei ihr die Naziunterstellung an. Sich da nicht zu rechtfertigen ist das einzig Kluge, das er tun kann.
Hofer kann nur kontern, indem er “reframed”, d.h. das Sprachspiel des Interviewers nicht mitspielt, sondern eine andere Frage stellt oder so tut, als nähme er die Frage wörtlich, weil sie so absurd ist. Auch in vergangenen Interviews kam er bei Nazivorwürfen geduldig lächelnd mit dem Satz: “Ich bin Jahrgang 1971!” – was natürlich nicht heißt, daß die “Gnade der späten Geburt” ihn nun von jeder Beschäftigung mit dem Thema Drittes Reich entbindet, sondern es soll vor Augen führen, daß der Schnappautomatismus der Journalisten ins Leere gehen kann, denn wörtlich genommen kann ein Jahrzehnte später Geborener kein Nazi sein.
Die Interviewerin meint indigniert: “Herr Hofer, Sie wissen genau, was ich meine!” – ja eh, no na net, aber er w i l l es nicht meinen müssen! Schopenhauers Differenzierung trifft hier: “daß man es also mit seinem WILLEN zu thun hat, welcher sich der Wahrheit verschließt und muthwillig Mißverständnisse, Schikanen und Sophismen ins Feld stellt.” Daß Hofer nicht verstehen will, ist indes kein so “abscheulicher” Fall, wo “der Wille die Maske des Verstandes vornimmt”, wie Schopenhauer sagt, sondern ein Insrechtsetzen der Wahrheit durch den Verstand, der sich des Willens bedient.
Der KURIER, ich wies neulich schon einmal beiläufig darauf hin, läßt den “Kulturwissenschaftler” Walter Oetsch Hofers Rhetorik ebenfalls mit Videos analysieren. Wer ist dieser Experte, der Hofers Eristik so gekonnt analysieren und fast schwärmend als “ganz elegant” bezeichnen kann?
Ganz klar, einer vom Fach. Oetsch ist Österreichs NLP-Oberguru, so weit her kann es mit der moralischen Verwerflichkeit dieser psychologischen Methode dann wohl kaum sein, man kann sie, wie jede Methode, ganz passabel Gut/Böse-übergreifend einsetzen.
In der Süddeutschen schließt der zitierte Artikel damit, daß die NLP-Akademien Schopenhauers “Eristische Dialektik” explizit lehren, obwohl Schopenhauer sie doch selber als “abscheulich” verworfen habe. Sein Verwerfen der Gesprächstechniken der “Eristik” ist ziemlich verstrickt, so einfach ist seine Ablehnung nicht, wie Karin Janker in ihrem Artikel dort meint. In Kapitel II “Zur Logik und Dialektik” der Parerga und Paralipomena konstruiert er folgende Situation:
Früher einmal sei er Anhänger der Eristik gewesen, und habe aus Interesse an den immer wiederkehrenden “Schlichen und Kniffen” angefangen, eine rein formale Schausammlung derselben anzulegen. Diese Sammlung sei auf etwa 40 Exemplare angewachsen, und inklusive der passenden rhetorisch-dialektischen Gegenmittel zu einem ganzen Kompendium geworden, der “Eristischen Dialektik” von 1830.
Er führt in seiner fiktiven “Revision” dieser Fintensammlung sogar auf, welche philosophischen Schriften, die der Rhetorik gewidmet sind, von Aristoteles bis Kant, ihm hierbei nichts genützt hätten, so daß er sie ganz authentisch habe verfassen müssen.
Daß ihm nun, 1851, die ganze Eristik “widerlich” geworden sei, seiner “Gemüthsverfassung nicht mehr angemessen”, er sie aber trotzdem recht ausführlich zitiert (ausführlich genug jedenfalls, um daraus eine NLP-Trainingseinheit zu destillieren), verstehe ich als Kunstgriff Schopenhauers.
Ein kleines moralisches Feigenblatt, und schon darf man die fiesesten Tricks preisgeben, Machiavelli operierte ähnlich, indem er alles getreulich mitnotierte, was ein tugendhafter Fürst (dem das Lehrbüchlein vom Fürsten ja dienen soll) bloß n i c h t tun dürfe.
Schon Schopenhauers Fintensammlung von 1830 ist nicht schlicht böse (auch wenn er später so tut), sondern rechnet mit der Schauspielernatur des Menschen, der verfallenen Welt, in der es der Rabulistik bedarf, selbst um das Gute durchzusetzen.
Viel weniger irrt wer, mit zu finsterm Blicke, diese Welt als eine Art Hölle ansieht und demnach nur darauf bedacht ist, sich in derselben eine feuerfeste Stube zu verschaffen.
Norbert Hofers Wahlniederlage bedeutet nun keinesfalls den Sieg der Authentizität über die Schauspielerei, sondern legt zum Mindesten eines offen: wenn die Grünen nun triumphieren und glauben, Van der Bellen hätte mit Vertrauenswürdigkeit und ernsthafter Rede über das finten- und fallenstellende Smilemonster gesiegt, dann ist ihre flamboyante Naivität eine noch viel größere Finte und Falle. Wenn sie sie dem Wahlvolk stellen, können sie ziemlich rasch selbst hineinfallen.
Van der Bellen versprach den Jungwählern: “Sie sind die künftigen Eliten” und “Sie müssen wissen, wie wichtig offene Grenzen für Ihr späteres Leben sind.”
“Offene Grenzen” werden einen riesengroßen Impact auf die Jungen haben, da kann man sich sicher sein, wenn man Schopenhauers eristische Maxime Nr. 2, “Homonymie” beherzigt – unter gleichem Namen wird Gegenteiliges gesagt. Wir werden uns noch “wundern” (Norbert Hofer) müssen.
Sven Jacobsen
Ein anregender Text aus bewährter Feder. Mittlerweile wird jede Wahl nicht nur Europas im Zeichen des Gegensatzes zwischen dem linksliberalen Establishment einerseits bzw. einem übrigens ziemlich heterogenen Lager andererseits ausgedeutet. Da der begleitende Wahlkampf schärfer wird, nimmt es nicht wunder, dass beide Seiten ihre Munitionierung immer vielseitiger vornehmen. Die beschriebenen Videoanalysen haben z.B. den Zweck, mit gewissermaßen wissenschaftlichen Weihen aufzudecken, was wir nun wirklich schon lange wussten: dass Politiker überzeugen wollen und müssen. Schlimm finde ich eine andere Entwicklung. Aus gegebenem Anlass sei auf den umfassenden freiwilligen Verzicht auf Kritik verwiesen, mit dem jetzt Geschlossenheit demonstriert und Überzeugung im wahrsten Sinne des Wortes herbeigeklatscht werden soll. Angela Merkel bekam heute elf Minuten Ovationen sowie fast 90% beim Parteitag der CDU. Eine Farce, wenn man bedenkt, dass innerparteiliche Oppositionelle über die Medien einen „scharfen Gegenwind“ ankündigten. In Alexander Solschenizyns "Archipel GULAG" wird beschrieben, wie bei einer Bezirksparteikonferenz in der Stalin-Ära der Direktor einer Papierfabrik nach elf (!) Minuten Dauerklatscherei fix und fertig als Erster aufhören muss und deshalb verhaftet wird. Damit soll hier natürlich nicht angedeutet werden, dass wir heute in identischen Umständen leben würden (was blanker Blödsinn wäre), wohl aber, was für einen Personenkult die Menschen wider besseren Wissens betreiben und wie gering die Fähigkeit geworden ist, Konflikte auszutragen.