ist in der Vergangenheit immer wieder durch kritische Publikationen zur Politik der EZB und zur Entwicklung der Europäischen Union hervorgetreten. Nun hat Sinn den aus deutscher Sicht den schwarzen Juni thematisiert, dessen Konsequenzen, auch durch weitgehend unterbliebene kritische mediale Aufmerksamkeit, vielen Deutschen kaum bewältigt geworden sein dürfte.
Welche Ereignisse hat Sinn im Blick? Da ist zum einen der „Brexit“, sprich der Austritt Großbritanniens aus der EU. Für die EU ist dieser Austritt aus Sicht Sinns ein kaum zu quantifizierender Verlust, entspricht doch die Wirtschaftsleistung der Briten der von 20 kleineren EU-Staaten.
Deutschland werde diesen Verlust schon bald zu spüren bekommen, so Sinn, verlöre es doch mit Großbritannien einen wichtigen Partner, um per Sperrminorität zweifelhafte Entscheidungen der EU zu verhindern. Der Bundesregierung hält Sinn vor, sich nicht entschieden genug für einen Verbleib der Briten in der EU eingesetzt zu haben. So droht nun, daß der „Club Méditerranée“ der EU mit Frankreich an der Spitze in der Handels- und Industriepolitik seine Interessen zum Nachteil Deutschlands durchsetzen wird.
Mit dem „Brexit“ verknüpft Sinn auch das Thema „Flüchtlingskrise“. Am Tag des Referendums wurde unter den Austrittsbefürwortern eine Umfrage durchgeführt; das Ergebnis zeige nach Sinn, daß die Flüchtlingsproblematik der bei weitem wichtigste Grund war, um gegen einen EU-Verbleib zu stimmen.
Warum das so ist, darüber läßt Sinn keinen Zweifel aufkommen, wenn er feststellt: „Wie es stets bei humanitären Leistungen [wie der massenhaften Aufnahme sog. „Schutzsuchender“ in Deutschland] der Fall ist, nützen sie den Empfängern der Leistungen, aber nicht denjenigen, die sie erbringen.“ Wer anderes behaupte, nehme die „offenkundigen Fakten nicht zur Kenntnis“ und führe „die Menschen in die Irre“.
Vernichtend fällt die Bilanz aus, die Sinn mit Blick auf die „typischen Einwanderer“ nach Deutschland aufmacht: diese seien weit entfernt davon, „so viele Steuern und Beiträge für das Staatswesen zu zahlen, wie sie an staatlichen Leistungen zurückbekommen“. Das gelte für „Gastarbeiter, für Einwanderer aus Osteuropa und für Personen aus Drittstaaten gleichermaßen“. Für die „leistungsfähigen Teile der Arbeitsbevölkerung“ bringe Immigration deshalb höhere und nicht etwa kleinere Lasten.
Ein Novum dürfte sein – auch darauf verweist Sinn –, daß zwei ehemalige deutsche Verfassungsrichter, nämlich Udo Di Fabio und Hans-Jürgen Papier, die Regierung Merkel mit Blick auf die deutsche Grenzöffnung im Jahre 2015 für angeblich „Schutzsuchende“ aufgefordert haben, zum deutschen Recht zurückzukehren. Die Regierung habe nicht das Recht, die „Bevölkerungsstruktur des Landes zu ändern“, ohne zunächst das Volk oder wenigstens das Parlament zu befragen.
Das deutsche Asylrecht und das Grundgesetz schlössen nämlich, so Sinn, eine Flüchtlingswelle, wie sie Deutschland 2015 erlebte, „vollständig aus“.
Daß seit dem „schwarzen Juni“ auch die Kontrolle des Bundestages über das Budgetrecht gefährdet ist, dürfte ebenfalls kaum in das allgemeine Bewußtsein gedrungen sein. Obwohl im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert ist, daß ein Mitgliedstaat nicht für die Verbindlichkeiten eines anderen haften muß, stellte sich die Regierung Merkel dem sog. OMT-Programm und damit der Einführung von „Eurobonds durch die Hintertür“ nicht in den Weg.
Das OMT-Programm besagt im Kern nichts anderes, als daß nun bei Staaten der Eurozone, die eigentlich konkursreif sind, andere Mitgliedstaaten – und damit insbesondere auch Deutschland – zur Kasse gebeten werden können. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitete entsprechende Sammelklagen deutscher Kläger an den Europäischen Gerichtshof weiter, der wenig überraschend im Sinne des OMT-Programmes entschied.
Dem schloß sich das BVerfG am 21. Juni 2016 an, obwohl es ursprünglich gegenteilig optiert hatte – auch wenn es, wie Prof. Markus C. Kerber, der gegen das OMT-Programm geklagt hatte, erklärte, daß das BVerfG die Anforderungen an die Bundesbank, am OMT-Programm teilzunehmen, signifikant erhöht habe.
Unter dem Strich bleibt nach Sinn dessenungeachtet die Konsequenz, daß die EZB fortan auch über deutsches Steuergeld verfügen kann, wenn einem Eurozonen-Mitglied der Konkurs droht. Die vom BVerfG akzeptierte Entscheidung des EuGH zwinge Deutschland, das als „größtes Euro-Land auch die größte Anteilseignerin der EZB ist, endgültig in die Haftungsunion mit den überschuldeten Staaten Südeuropas“.
Es gebe jetzt, so Sinn, eine zunehmende „Vergemeinschaftung der Anlagerisiken, die private Investoren beim Kauf von Staatspapieren eigentlich selbst tragen müßten“. Die Vergemeinschaftung gehe zu Lasten Dritter, nämlich der Steuerzahler anderer Länder, und zwar insbesondere jener aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden.
Bisher wurde dieses Programm noch von keinem Staat der Eurozone in Anspruch genommen; es wird betont, daß es sich hier eher um ein „deklaratorisches Programm“ handeln würde, das voraussichtlich nicht angewendet werde und vor allem dazu diene, die Finanzmärkte zu beruhigen. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy ließ aber bereits durchblicken, daß es absurd sei, eine Anwendung des OMT-Programms für alle Zeiten auszuschließen.
Damit dürfte Rajoy richtigliegen: Einige EU-Granden, darunter wenig überraschend EZB-Chef Draghi, haben bereits erklärt, im Krisenfall alle Register zu ziehen, um den Euro als Gemeinschaftswährung zu erhalten.
Daß sich die Mitglieder der Eurozone bereits in einer Haftungsgemeinschaft befinden, ließ das EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch im Februar dieses Jahres in Karlsruhe durchblicken, als er erklärte, die Währungsunion sei ebendies, nämlich eine „Haftungsgemeinschaft“.
Damit ist die Währungsunion genau zu dem mutiert, was anfänglich mit großem Tamtam ausgeschlossen worden war. Jahre später erklärt man unverfroren, es sei, um es in den Worten von Sinn zu sagen, „das Gegenteil gemeint gewesen“.
Daß der EZB-Rat die Währungs- in eine Haftungsunion verwandeln konnte, liegt auch daran, daß Deutschland hier so gut wie keine Rolle mehr spielt; größeren Widerstand gegen diese Entmachtung gab es seitens der Bundesregierung nicht. Regeländerungen kamen deshalb oft genug gegen das Votum der Bundesbank zustande.
Über den „Vertrauensverlust“, den die „deutsche Politikerkaste“ durch Vorgänge wie diese erlitten hat, so Sinn, müsse sich deshalb niemand wundern. Mit Blick auf das Eurosystem fällt das Urteil Sinns eindeutig aus: „Die Rechtsbeugung hat mittlerweile Methode und ist zur Gewohnheit geworden.“ Und: Im Eurosystem sei nichts „absurd genug“, „als daß es nicht stattfinden könnte“.
Sinn beläßt es aber nicht einfach bei einer Kritik. Im Schlußkapitel unterbreitet er 15 konkrete Vorschläge für eine Reform der EU, über deren Erfolgsaussichten man freilich geteilter Meinung sein kann, weil es zu deren Umsetzung zunächst einmal eines entsprechenden politischen Willens bedarf.
Von der amtierenden Bundesregierung ist dieser Wille nicht zu erwarten – wie auch, sie ist in einem hohen Maße für die Fehlentwicklungen, die Sinn beschreibt, verantwortlich. Daß die Kanzlerin sich dennoch wieder zur Wahl stellt und, von einigen wenigen Kritikern einmal abgesehen, von der CDU auf deren letzten Parteitag auch noch mit knapp 90 Prozent erneut zur Parteichefin gewählt wurde, dokumentiert einmal mehr die Unfähigkeit der Union, eine grundsätzlichen Schnitt mit einer Politik zu vollziehen, die die Zukunftsperspektiven Deutschlands mit jedem Tag mehr verdunkelt.
Auch hierzu will die zum Kanzlerwahlverein heruntergekommene Union offenbar keinerlei „Alternativen“ mehr erkennen. Es liegt nun beim Wähler, diese Alternativen im September nächsten Jahres aufzuzeigen.
solitude
Es war 2012, Thema war die sog. Griechenlandkrise, die im Grunde bis heute fortdauert. Ich hatte als Student viel Zeit und schaute täglich Phönix, den Nachrichtensender von ARD und ZDF. Wohl herrschende Meinung der damals befragten Wirtschaftswissenschaftler und Juristen war, dass es mit Griechenland lieber ein "Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende" geben müsse. Stattdessen wurden erst EFSF, dann ESM und weitere Maßnahmen "zur Rettung des Euros" eingeleitet, einer Währung, die die Franzosen einst als Preis für die deutsche Einheit forderten. Wie viele aufmerksame Beobachter bekam auch ich damals Zweifel, ob die herrschenden Politiker wirklich zum Wohle Deutschlands handelten (so wurde und wird es einem in der Schule beigebracht). Die Gründung der (damals harmlosen) AfD war für mich folgerichtig; sie galt schon damals als "rechtspopulistisch".
Seitdem ist viel passiert. Mittlerweile müsste für alle offenbar geworden sein, dass die herrschenden Politiker nicht für einen Staat oder ein Volk (geschweige denn ein deutsches) Politik machen, sondern lediglich für abstrakte Ideen, Phantasiegebilde einer "besseren" Welt, die niemals realisiert werden wird. Sie aber sind von ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe derart beseelt, dass sie für die berechtigte Kritik ihrer Gegner nur Hohn und Spott übrig haben; kurz: Wir werden von Narren regiert.
Es ist lobenswert, dass diese Erkenntnis mit profunder Argumentation von Sinn und vielen anderen untermauert wird. Nur: Es interessiert keinen - oder jedenfalls nicht einen relevanten Teil des schlafwandelnden Volkes, das ursprünglich als Souverän gedacht war. Erst die Flüchtlingskrise konnte Teilen des kleinbürgerlichen Milieus die Augen öffnen, die saturierte Generation der sog. "Baby-Boomer" ist in ihrer Mehrheit jedoch zu feige, unmündig oder opportunistisch, um kurzfristig mehrheitlich umzuschwenken. Wenn ich daran denke, dass meine Generation die Suppe auslöffeln müssen wird, werde ich wütend.
Im Grunde freue ich mich daher, wenn die Zustände zunächst schlechter werden, wie Sinn es prophezeit. Anders wird eine grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse nämlich nicht möglich sein.