B: Einerseits gut, andererseits befremdet. Mir fehlt ja der Stallgeruch – die drei rechten B meiner Generation sozusagen: Bünde, Bundeswehr, Burschenschaft. Bei mir komplette Fehlanzeige. Ich vermisse auch nichts davon, ehrlich.
C: Keine Bundeswehr? Du warst also untauglich?
B: Nein, Verweigerer durch drei Instanzen.
C: Aber heute würdest du dich anders entscheiden.
B: Nein. Neben den sogenannten Gewissensgründen haben damals für mich vor allem gewisse Gründe den Ausschlag gegeben: Ich mag keine angemaßten Autoritäten – schon gar nicht in Uniform – und ich fühle mich auch nicht besser, wenn ich mich als Bestandteil eines Organismus sehe und unterordne.
Ernst Jünger habe ich trotzdem immer gern gelesen, damals schon. Ich hab ihn auch nie als Militaristen gesehen, selbst den frühen Jünger nicht.
C: Der Anarcho und der Anarch…
B: Soll vorkommen – Ernst Jünger und Erich Mühsam schätzten einander bekanntlich auch. Eine gewisse Neigung zur „Annäherung“ mit Hilfe bewußtseinserweiternder Substanzen einte Jünger und mich über die Zeiten hinweg außerdem.
C: Trotzdem bist du heute hier. Warum?
B: Die Linken und Linksliberalen haben eigentlich immer die Toleranz für sich beansprucht – man gab sich und gibt sich in diesen Kreisen überaus weltläufig und weltoffen, vielfältig interessiert, kulturell aufgeschlossen, geistig überlegen, der Aufklärung verbunden.
Das ist, solange man es nicht hinterfragt, eine durchaus angenehme, kultiviert erscheinende Atmosphäre. Aber wehe, man stellt da etwas in Frage. Moralisierende Zeigefingerheberei, hysterische Anfälle, geifernde Haßausbrüche – hab ich unter Grünlinken und Liberalen alles schon erlebt, schon vor dem Sommer 2015.
So richtig unappetitlich wurde es aber vor allem danach. Die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno sah das Scheitern der Aufklärung an sich selbst und ihren Umschlag in jenen moralisch imprägnierten Totalitarismus ja schon voraus, dessen Konturen sich heute recht deutlich abzeichnen.
Der Horkheimer/Adorno-Epigone Habermas, dessen Bedeutung für den heutigen geistig-politischen Zustand Deutschlands man keinesfalls unterschätzen sollte, war dann derjenige, der die Einsicht in das notwendige Scheitern des Aufklärungsprogramms als Pessimismus abtat und damit dem sich anbahnenden Totalitarismus den intellektuellen Segen erteilte.
Daß die Linke das nicht sehen will und sich nach wie vor – außer gegen das, was sie für rechts hält – als tolerant begreift, ist eine einzige Lebenslüge. Wenn man sich anschaut, was die Grünen künftig noch so alles verbieten wollen, bringt man das kaum noch mit Toleranz zusammen.
Man hört, daß es Internetverbote für Rechte geben soll. Dann bin ich doch lieber bei und mit denen, die zwar auch durchaus ruppig sein können, aber immerhin keine Denk- und Redeverbote erteilen.
C: Eine Stilfrage also.
B: Könnte man sagen. Aber da kommt noch mehr zusammen. Wir haben drei Kinder, inzwischen alle erwachsen, aber man sieht die Welt mit anderen Augen, wenn man Kinder hat. Der Gedanke an das Bewahren und Weitergeben wird einfach stärker.
Damit meine ich keine materiellen Erbschaften, sondern eher ein kulturell-historisches Ebene, so etwas mit Heimat. Die Sprache gehört dazu, regionale Bauweisen, die Natur, die Küche.
Wenn ich mir nun anschaue, wie mein, wie unser kulturell-historisches Erbe von Grünen und Linken in den Dreck gezogen und verächtlich gemacht wird, frage ich mich, welches Selbstbild die haben – schließlich sind sie doch selbst nichts anderes als ein Stück von diesem Dreck. Dieser Selbsthaß stößt mich ab, er ist pathologisch.
C: Liebst du dein Vaterland?
B: (zögert lange) Ja, aber auf eine ziemlich schwierige Art, fürchte ich. Schon der Begriff verursacht mir Magendrücken. Es sind mehr die unterirdischen Wurzeln, die ich liebe, als das überirdisch sichtbar Werdende.
Der deutsche Staat seit 1871 in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Formen – ich habe ihn nie gemocht. Die Reichsgründung, so notwendig sie aus verschiedenen Gründen auch gewesen sein mag, sehe ich als bösen Fluch.
Als Norddeutscher – ich bin in einer kleinen holsteinischen Hafenstadt aufgewachsen und bin, obwohl schon lange in Westfalen wohnend, vom Wesen her immer noch Holsteiner – spürte ich mentalitätsmäßig oft mehr Gemeinsamkeiten mit anderen Ostsee-Anrainern als mit Rheinländern, Franken, Thüringern, Bayern. Übertrieben könnte man sagen: Ich hätte die Hanse jederzeit dem Reich vorgezogen.
C: Also fändest du es gut, wenn Deutschland demnächst verschwindet?
B: (zögert noch länger) Wenn es hart auf hart kommt: Der deutsche Staat ist mir in der Tat nicht wichtig. Das Deutsche an sich als wesentlicher Teil meiner Identität schon.
Polen hat nach der dritten polnischen Teilung bzw. nach dem Wiener Kongreß zwar für mehr als hundert Jahre als Staat zu existieren aufgehört, aber nicht als Polentum – und kam dann sogar als Staat wieder. Auch die Juden sind seit dem Babylonischen Exil zweieinhalb Jahrtausende lang ohne jüdischen Staat ausgekommen – das nenne ich Durchsetzungskraft.
Deutsch zu sein ist vor allem eine geistige Existenzform, nicht notwendig eine politische.
C: Du hast also kein Problem mit Überfremdung, Islamisierung und der Auflösung der Nationalstaaten?
B: Der Nationalstaat ist menschheitsgeschichtlich ein ziemlich spätes Konstrukt. Warum sollte er ewig währen? Seine Existenz hat vor allem endlose Kriege ausgelöst. Die Kulturschicht darunter ist das, worauf es mir ankommt.
Die allerdings sehe ich sehr gefährdet, aber auch herausgefordert durch Globalisierung und die damit zusammenhängende Massenmigration. Die heraufbeschworene Gefahr der Islamisierung sehe ich übrigens eher als Ablenkungsmanöver von den wahren Akteuren, also Großkonzernen, Finanzindustrie und den großen überstaatlichen Stiftungen und Institutionen.
Wenn die Kulturschicht noch stark und lebendig genug ist, werden wir damit fertig werden. Es wird ein harter Überlebenskampf, das sehe ich auch so.
C: Aber wer sollte diesen Kampf führen, wenn nicht der Nationalstaat? Den es wohlgemerkt erst einmal wieder aufzurichten gilt, denn der gegenwärtige deutsche Staat ist ja leider nicht mehr als eine traurige Karikatur dessen, was einmal der deutsche Staat war.
B: Ich glaube, ich bin weitaus konservativer als du – ich gehe noch hinter den Staat zurück, sehe ihn als Krücke, die wir abwerfen müssen. Du willst die Krücke flicken, ich werfe sie ins Feuer.
C: Ohne Staat? Wie soll das gehen? Hobbes hat nicht umsonst die Notwendigkeit des Ungeheuers Staat betont, um den Kampf aller gegen alle zu beenden. Willst du zurück in das Zeitalter der Stammesfehden?
B: Ich will eigentlich gar nicht zurück. Ich gehe auch nicht historisch zurück, sondern eher im Sinne der Reduktion auf den Kern. Um was geht es uns eigentlich? Was ist die Sache, um die wir uns bemühen?
Geht es wirklich darum, einen bestimmten Status deutscher Staatlichkeit um ihrer selbst willen zu restaurieren und dann für möglichst lange Zeit zu konservieren? Oder geht es nicht eher darum, eine gemeinschaftliche Lebensform zu finden, die es uns ermöglicht, einerseits den Herausforderungen der Zeit auf sozialer, technologischer und ökologischer Ebene gerecht zu werden und dabei gleichzeitig das Eigene zu bewahren?
C: Kennst du den Roman Planet Magnon von Leif Randt? Sämtliche Ordnungsgewalt ist einer Art Supercomputer namens ActualSanity übertragen, der seine Bahnen im Sonnensystem zieht und die Dinge des Lebens mit einer gewissen Logik und nach Maßgabe einer über individuelle Interessen hinausgehenden Vernunft regelt. Siehst du die sogenannte Singularität als begrüßenswerte Utopie?
B: Ich sehe es als eine Möglichkeit unserer Zukunft, mit der wir uns konstruktiv befassen sollten – einfach, weil es sonst andere tun werden. Wenn es hilft, das Eigene zu bewahren, könnte man doch wirklich manches auslagern.
Die Frage wäre nur, ob die Singularität die Bewahrung des Eigenen als vernünftig betrachten würde. Wir dürfen die Programmierung also nicht den falschen Händen und Köpfen überlassen.
Der_Jürgen
Ich habe an Lutz Meyers Beiträgen selten etwas zu kritisieren, aber dieser löst bei mir Unbehagen aus. Wie soll das deutsche Volk denn ohne deutschen Staat gesichert existieren und sich entfalten können? Die von Meyer erwähnten historische Parallelen - die Polen, und erst recht die Juden, die sehr lange ohne eigenen Staat überlebten - sind fragwürdig.
Die Polen waren auf politisch mächtigere Nachbarstaaten verteilt, lebten aber in weitgehend geschlossenen Siedlungsgebieten, was ihr Überleben als separate Ethnie begünstigte. Die Juden haben ihre Identität aufgrund des strikten Vermischungsverbots, das ihre Religion ihnen auferlegte, bewahren können. Hingegen zeigt die historische Erfahrung in den USA und anderswo, dass sich die Deutschen von allen europäischen Völkern am schnellsten an ihre Umwelt assimilieren und schon bald als identifizierbare ethnische Minderheit verschwinden (Ausnahmen wie die Amischen oder die Mennoniten fallen nicht sonderlich ins Gewicht).
Im Gegensatz zu Meyer sehe ich keine vernünftige Alternative zu einem starken Nationalstaat. Thomas Hobbes' Klassiker "Leviathan" hat seine Aktualität bis heute nicht eingebüsst.