Den kleinen Leichenberg, vor dem wir jetzt stehen, den haben Sie immerhin mit aufgetürmt. Und die Toten, das waren doch auch Ihre Leute. Helldeutsche, wie Sie, die kurz vor X‑Mas noch einen blinkenden Santa Claus made in China abstauben wollten.
Helldeutsche, die einen unglücklichen Zusammenstoß mit einem Neudeutschen hatten, der kurz zuvor von Besserdeutschen ins Land geholt worden war. Die Sache blieb doch in der Familie, was mischen wir uns da ein? Können wir Dunkeldeutsche uns nicht in unsere sächsischen Nazidörfer verkriechen und dort machen, was Dunkeldeutsche eben so machen? Wehrsport, Hitlergruß oder Apfelkuchen zum Beispiel?
Ich könnte Ihnen sagen, daß die Toten auch dann unsere Landsleute gewesen wären, wenn sie alle die falsche Weltanschauung gehabt hätten. Ich könnte Ihnen auch sagen, daß Ihre neuangeworbene LKW-Fachkraft keine Parteien, sondern nur noch Deutsche ohne irgendwelche Attribute kannte, und zwar solche, die sich vor und dann recht schnell unter ihm befanden. Ich könnte Ihnen sagen, daß die Fahrerperspektive die einzige ist, die in solchen Angelegenheiten zählt.
Doch bleiben wir auf einem Gebiet, von dem Sie etwas verstehen: mediales Leichenfleddern. Wir benutzen also diese zwölf Toten für unsere Zwecke. Wir leiten Wasser auf die Mühlen unserer Politik, oder versuchen gar nur, Klicks und Auflage für unsere rechtspopulistischen Medien zu erzeugen, indem wir die zermatschten Kadaver durch die braune Gosse ziehen.
Ich weiß, Sie werden uns andere Motive als kalte Berechnung auf die emotionale Manipulierbarkeit der Massen nicht abnehmen.
Sie liegen damit nicht mal so weit daneben. Gewöhnung stumpft ab, und wenn man ihn zum zehnten Mal wiederholt, wird aus dem Aufschrei eine einstudierte Formel. Terror, Mord und Vergewaltigung, womit auch immer Ihre Neudeutschen uns bereichern, die passenden Dankeshymnen fließen uns inzwischen mechanisch in Tastatur.
Auf der anderen Seite entwickeln Menschen, die mit dem Tod auf regelmäßiger Basis verkehren, Notärzte, Soldaten, Bestatter, mit der Zeit einen makaberen Humor. Wenn sie nicht darüber lachen könnten, würden sie richtig durchdrehen.
Bleiben wir in diesem Sinne sachlich. Von Profi zu Profi, von Leichenfledderer zu Leichenfledderer, auch wenn Sie denken mögen, daß wir uns nicht an die Zunftregeln halten. Ich stelle auf Ihrer Seite recht rigide Ansichten darüber fest, welche Toten auf welche Weise und zu welchen Zwecken verwertet werden dürfen. Jeder Mensch trägt für Sie eine Art medialen Organspenderausweis mit sich herum.
Wir hingegen fleddern die Falschen auf die falsche Weise, und vor allem kommen die Schreckensmeldungen, die wir dem noch dampfenden Fleisch entreißen, der falschen Sache zugute. Uns gehört also das Handwerk gelegt, und Ihre Freunde im Innenministerium sind auch schon fleißig dabei. Ich kann das verstehen. Jeder Beruf hat seine Ehre und seine Handwerksregeln.
Sie glauben, daß es ihnen zustünde, diese Regeln festzulegen. Auch dafür habe ich Verständnis. Ich bin ohne weiteres bereit, Ihnen in diesem Handwerk Seniorität zuzugestehen.
Ihre Vorgänger sind damals knochenkauend in dieses Land gekommen. Sie selbst wurden in der Gruft geboren. Sie haben die Opfer – und nicht die Helden – überhaupt erst als nutzbare Ressource politischer Autorität erkannt. Ohne Sie gäbe es das alles nicht. Sie sind diesem Beruf in guten und schlechten Zeiten treu geblieben.
Erinnern Sie sich noch an die mageren Zweitausendnullerjahre? Ging 2001 zwar gut los, aber dann? London und Madrid waren wertlos, immerhin stand die westliche Wertegemeinschaft bereits in Afghanistan und im Irak. Für etwas anderes konnten Sie solche Anschläge nicht brauchen.
Ansonsten gab es nur hin und wieder einen Amoklauf. Mit solchen Opfern konnte man gerade mal die Schützenvereine piesacken und ein Schußwaffenverbot fordern. Doch dann ging es aufwärts, Breivik, NSU (ich weiß, aber die öffentliche Wahrnehmung ist hier alles), all diese wunderbaren Flüchtlingstoten, der kleine Aylan am Strand von Bodrum, die Ertrunkenen, die das Zentrum für politische Schönheit in Berlin verbuddelt hat.
Nur, liebe Kollegen, Sie waren ein bißchen zu erfolgreich. Sie haben den Markt neu definiert, jeder muß heute in Opfern machen. Viele wollten das nicht. Es schien so viel dagegen zu sprechen. Da gab es Leute mit antiquierten Vorstellungen von Totenwürde. Das war noch eine liebenswerte Verrücktheit, so wie die tattrige, vor einem Flurkreuz betende Oma. Dann gab es diejenigen, die an Vernunft oder Verhältnismäßigkeit glaubten. Ich weiß nicht, ob Sie das nachempfinden können, aber ich kann mich der Tragik dieser Leute nicht erwehren.
Die konnten, nein die wollten nicht glauben, daß die Menschen so manipulierbar sind. Sie weigerten sich, hinzunehmen, daß man sie so am besten kriegt, daß man sie nur so kriegt, wenn die Gegenseite es auch so macht. Es ging ihnen gegen die Würde gerade der besten Ideen, wenn ihnen die Dummheit zum Sieg verhilft.
Doch was sollen wir in der Vergangenheit wühlen? Diese Relikte sind heute alle bankrott. Eine Zeitlang hatten Sie dadurch einen Wettbewerbsvorteil, aber inzwischen haben auch Leute wie wir umgelernt. Manchmal erschrecken wir noch, aber das legt sich.
Ganz ehrlich: „Wir“, wir sind diejenigen, die Ihnen all die Jahre auf die Finger geschaut haben, als Sie eine Leiche nach der anderen durch die Öffentlichkeit gezerrt und selbst vor den abgenagtesten Knochen nicht haltgemacht haben. Sie und wir sind uns ähnlicher geworden. Die Zeit Ihres Opfermonopols ist vorbei. So funktionieren Innovationszyklen nun einmal. Fragen Sie die Jungs bei Apple, wie das läuft.
Es grüßt der umgelernte Leichenfledderer die alten Malocher auf dem deutschen Friedhof. Auf ein gutes neues Jahr! Wir werden noch viel Spaß miteinander haben.
Einar von Vielen
1a Start ins neue Jahr! Hervorragend. Danke.
Ergänzend: Gefühlt nehme ich wahr, wie die 'Mitte', also die, die eigentlich nur in Ruhe gelassen werden wollen und daher intutiv das Sein mit dem Sollen gleichsetzen, wie Tiere vor dem Erdbeben unsicher werden. Vor Übersprunghandlung und Panik erfolgt dabei zunächst die Rekursion aufs Eingeübte, also das nochmals gesteigerte öffentliche Ablehnungsritual gegen die, die Maßnahmen zur Erdbebenbewältigung anmahnen. Dabei dringt längst nicht mehr die sämige Selbstgefälligkeit durch, stattdessen riecht es allenthalben nach Angst, wodurch ihr Pfeifen noch schriller ertönt.
"Merkel weiß nicht, was Deutschland bedeutet" (N. Fest zur Neujahrsansprache Ms). Diese längst bekannte Charakterisierung bringt hierzu alles nochmal auf den Punkt, auch im Sinne des obigen Artikels: All die, die jahrzehnte das Grab der europäischen Völker schaufelten, egal ob sie dies bewusst oder unbewusst taten, boten innerlich nicht mehr auf, als das, was zu diesem Schaufeln erforderlich ist. Töten, Abbauen, Vernichten, Beseitigen und Verscharren ist aber kein schöpferischer Akt. Wer darin vollends aufgeht, auch weil er vielleicht nie etwas anderes vermittelt bekommen hat, weiß also nichts vom Leben und dem ihm innewohnenden Willen. Das Leben lässt sich aber nicht so einfach ins Grab stoßen. Wer nun, wie unsere große Fruchtlose, vom Lebenswillen nichts versteht, ist mit der aufkommenden Gegenwehr vor der Grube geistig überfordert. Man hält dann solche Neujahrsansprachen oder kreist in seinen Formeln der Lebensbezichtigung.