Sie befreien, wenn einem klar wird, welche Metapherntheorien hinter dem medialen Zirkus um Hate speech liegen, und wie in sozialen Medien eigentlich metaphorisch gehandelt wird, aber auch, wenn man merkt, was Metaphern überhaupt nicht vermögen.
Metaphern sind als „sprachliche Bilder“, die einen Ausgangs- und einen Zielbereich haben, von George Lakoff und Mark Johnson in ihrem Standardwerk Leben in Metaphern 2004 allgemein beschrieben worden. Menschliche Sprache ist von Metaphern durchzogen, sie sind weder bloß „schmückende Beiwerke“, wie Aristoteles annahm, noch der komplette Bestand der Sprache, wie Nietzsche gelegentlich meinte.
Metaphern drücken fundamentale körperliche und taktile Erfahrungen aus, zumeist gibt es einen sehr konkreten, körperlichen Ausgangsbereich und einen abstrakten Zielbereich. Je körperlicher und grobschlächtiger, desto stärker ist die Metapher.
„Wir bekommen die Krätze geschenkt.“ Henryk M. Broder hat diesen Satz im ganz schwachen Sinn des Wortes ironisch-metaphorisch benutzt, insofern die Krätze kein buchstäbliches Geschenk sein kann. Er fragt sich indes auf der buchstäblichen Ebene, ob das Auftreten von Skabiesfällen seit der Migrationswelle signifikant höher geworden sei, was medizinische Studien anscheinend nahelegten.
Jakob Augstein las den schmalen, lakonischen »Achse«-Beitrag und verstand eine starke, böse, große Metapher: die Flüchtlinge sind die Krätze. Prompt zitiert er in einer Liste indiskutabler rechter Aussagen zum Berliner Anschlag Broder mit diesem Satz und befindet, daß Rechte böser als Islamisten sind. Körperlicher Ausgangsbereich, abstrakter Zielbereich, was bleibt – Ekel. Wohl vor zweierlei: vor der übertragbaren Krankheit und vor den moralischen Diffamierungsmethoden Augsteins.
Metaphern können ganz schön etwas ausrichten. Dies liegt daran, daß sie im Buchstäblichen verankert bleiben, wenn sie abstrakt werden.
Donald Davidsons Metapherntheorie („Was Metaphern bedeuten“; in: ders.: Wahrheit und Interpretation) behauptet das Gegenteil: Metaphern haben keine Bedeutung. Sie funktionieren wie außersprachliche Begleitmittel der Sprache, z.B. Bilder herzeigen, Winken, Küssen, Ohrfeigen, Erröten. So eine Neudeutung kann jetzt unter Sprachphilosophen schöne lange Kontroversen nach sich ziehen, hat sie auch.
Wichtig hier ist, daß die Vorstellung, Metaphern hätten „keine Bedeutung“, von Richard Rorty begeistert hergenommen worden ist, um seine Theorie zu untermauern, daß es Wahrheit, Wirklichkeit, Substanz und eben auch Bedeutung von Begriffen gar nicht gebe und das auch gut so sei. Die Philosophen hätten sich geirrt, wenn sie angenommen hätten, es käme auf mehr an als auf die kontingente Veränderung von „Vokabularen“ der Menschen und darauf, daß diese einer „immer größeren Sensibilisierung“ für Unterdrückung, Schmerz und Demütigung von Menschen zugänglich würden.
Ahnt man schon langsam, was für Metaphernbegriffe hier zurechtgemacht werden? Wenn nicht, Metaphernbegriff Nummer zwei:
[Solche] sprachliche(n) Ausdrücke beschreiben und bewerten nicht (bzw. nicht nur). Sie erzeugen vielmehr ein Verständnis der (vorsprachlichen) physikalischen Realität und gesellschaftliche Realität(en), die als allgemeingültig verstanden werden und deshalb nicht ohne Weiteres hinterfragt werden können.
Das klingt noch wissenschaftlich-allgemein, hat aber einen gewaltigen Drall ins Unausweichlich-Totalitäre, wenn man darunterlegt, auf welchem Theoriemodell es fußt. Judith Butlers Haß spricht ist der Gewährstext für die zitierte Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung (im übrigen auch für die deutsche Wikipediaseite zu „Hassrede“). Butlers extremfeministischer Ansatz versteht die soziale Zeichenwelt als „heterosexuelle Matrix“, als Foucaultsches Gewaltdispositiv, aus dem es kein Entkommen gibt.
Entsprechend kann der in der Broschüre zu Wort kommende Sprachwissenschaftsprofessor Stefanowitsch auch die totale Haßmetaphorik ausfindig machen: egal ob intendiert, ob nichtintendiert (Mißverstehen und Humor also ausgeschlossen), ob direkt oder indirekt (z.B. nicht zu erwähnen, daß Menschen ein bestimmtes Merkmal haben), ja sogar das Nichterwähnen bestimmter Gruppen oder Personen kann Hate speech sein (haßerfülltes Schweigen über Flüchtlinge als Wirtschaftselite, darf man sich das so vorstellen?).
Rortys postmodernistisch-liberale Bekämpfung von Wahrheit und Bedeutung zugunsten von „Sensibilisierung“ und Butlers Kampf gegen die „verletzenden Verfahren der Performativität“ haben trotz Gegensätzen (der eine findet gar keine Buchstäblichkeit mehr in der Metapher, die andere nur noch Buchstäblichkeit, die allenthalben offensive wirkt!) gemeinsam etwas vollbracht. Ihre aufklärerische Absicht schlägt um in Hörigkeit.
Heiko Maas’ Vorwort zu der erwähnten Amadeu-Antonio-Stiftung-Broschüre zu Hate speech darf hier als Metapher für einen sattsam bekannten neuen Überwachungskomplex stehen.
Hate speech gibt es also nicht als soziales und mediales Phänomen (wie es etwa Internetdating oder Memes im Netz gibt), sondern ein bestimmter Sprachgebrauch muß, sieht man ihn durch die Brille der beschriebenen Metapherntheorien, Hate speech sein. Versuche, diesen Sprachgebrauch justitiabel zu machen, müssen davon ausgehen, daß sie es hier mit einem extrem voraussetzungsreichen, wenn nicht wirklich abseitigen Philosophiestrang zu tun haben.
Um es zuzuspitzen: Ich wurde einmal Zeuge einer Diskussion unter Studentinnen, die lächelnd der These zustimmten, eigentlich wäre doch der Analverkehr die wirklich revolutionäre Praxis, weil nur so die unausweichliche Reproduktion der heteronormativen Familie durchbrochen würde. Man stelle sich vor, daß dies die Basis einer Broschüre des Familienministeriums wäre.
Wie also weitertun mit dem Problem, das als Hate speech im linken Paradigma beschrieben wird? Wir könnten annehmen, daß das Phänomen eine ganz leere Zuschreibungskategorie ist, eine bewußte Diskursentgleisungsstrategie, die als Derailing pointiert aufs Korn genommen geworden ist. Wenn Argumente nicht reichen, schreie man bei Gegeneinwänden laut: „Das ist aber Hate speech!“
Metaphern sind Insider. Sie funktionieren in genau dem Sinn, in dem wir bestimmte Witze nur mit bestimmten Leuten teilen können, und wenn wir sie anderen erklären müssen, wird es mühsam und der Witz ist weg.
Im Internet gibt es Möglichkeiten zuhauf, Teil der verschiedensten In-groups zu werden, vielleicht basiert das Internet – zwischenmenschlich betrachtet – überhaupt nur darauf.
Erstaunlich viele dieser In-groups betätigen sich, z.B. während sie ihr Onlinespiel kommentieren, in deftigem, sich ständig überbietendem Trash talk. (Beispiel? Ärger über einen Mitspieler, der einem zuvorgekommen ist, mit „Ich fick deine tote Mutter“ auszudrücken.) Natürlich hassen die Mitspieler einander nicht, kein Mensch nimmt hier eine Metapher buchstäblich, und wenn einer zu expressiv oder zu dumm wird und das Spiel verdirbt, können die anderen oder der Betreiber ihn blockieren, ignorieren und notfalls die komplette IP-Adresse blockieren. Leuten, die “offenden”, explizit sagen zu müssen, daß das nicht in Ordnung sei, ist, wie einen Witz erklären zu müssen.
Was in der In-group paßt, ist nicht für außerhalb bestimmt, denn dort wird die Metaphorik höchstwahrscheinlich buchstäblich genommen und dann, da sie eben körperlich-konkret ist, als Kränkung und Schmähung körperlich-konkreter Adressaten aufgefaßt. Brutale, grobe Netzkommentare sind nur allzuoft nachher „als Scherz gemeint gewesen“, ein verzweifelter Versuch, metapherntheoretisch unbeleckt genau dieses Problem zu benennen: man bewegte sich wie in der In-group und hat nicht mit den Reaktionen der Welt gerechnet.
Ganz viele „Haßpostings“ sind Grenzfälle dieser Beschreibung. In einer sprachlich aufeinander eingeschossenen Gruppe, und sei es die der H.-C.-Strache-Facebookseiten-Kommentatoren, gibt eine grobe Metapher die andere. Nun kommentiert einer im selben Duktus nach außen (beispielsweise nicht über die Frau Wieczorek mit ihrem #aufschrei, sondern an sie), und schon ist es nimmer Einverständnis, sondern „Haß“.
„Motive sind keine Gefühle, sondern Zuschreibungen von Handlungsgründen.“ (Niklas Luhmann) Wechselnder Kontext erklärt hier viel mehr als Gefühl.
Hate speech metapherntheoretisch freizulegen, zeigt, was es nicht ist. Julius Streicher erklärte in Nürnberg 1946, die Stürmer-Karikaturen seien „doch nur Metaphern“ gewesen. Mit Metaphern kann man niemanden umbringen, man kann sie aber auch nicht kausal für Gewalttaten verantwortlich machen. („Geistige Brandstiftung“ gehört womöglich auch zum Derailing?)
Die Beschreibung von „Haß“-Metaphern als Metaphern entschuldigt nichts, sondern durch ihre latente Buchstäblichkeit wirken sie überhaupt erst. Und betonen zu müssen, daß diese Wirkung böse ist, ist, als müsse man einen Witz erklären. Da krieg ich die Krätze!
Einar von Vielen
Ich halte den ganzen Hate Speech Kokolores für ein Eigentor der Junta. Jede Repression wirft ihnen nur kurzen Gewinn ab, langfristig erhöht das nur die Wut.