Diesmal (neben selbsteingespielter) vor allem aus dem Norden und Osten (Motto: Den Völkern ihr Land!): Ukraine, Finnland, Schweden, Lettland. F. ahnt nicht, wie oft seine Scheibe dieser Tage in den Kinderzimmern rauf- und runtergespielt wurde! F. hat uns unter anderem ein Lied der Sängerin Sarah Lesch aufgespielt, das uns bisher entgangen war. Dabei hatte es anscheinend bereits im Sommer für Furore gesorgt, weil „Rechte“ es vereinnahmt hätten. Eine Zeile daraus wird hier im Hause zum Wahlspruch dieser Tage: „Wenn ihr das Welt nennt, bin ich gern weltfremd!“ Weltfremdheit war unter unseren Kindern, großen wie kleinen, ein paar Tage lang die vieldiskutierte Vokabel. Schön so!
Nun weile ich gerade bei meinen Eltern, und manche Sitten reißen ein. Schon allein, weil es hier, anders als daheim, Fernsehen gibt. Süße Droge! Auch als Erwachsene verharrt man ja nach der Tagesschau gern nochmal faul.
Heute im Zwangsgebührensender ein schnulzig-erotisches Melodram: Frau trifft Mann. Beide sind eigentlich glücklich verheiratet. Das Abenteuer lockt! Eine Affäre nimmt ihren Lauf. Die Protagonisten sind hochgeladen, man selbst als Zuschauer hat es bequem und warm und will nicht aufstehen, um das noch gar nicht müde Kind zu Bett zu bringen. Dabei quasselt es dauernd dazwischen und wälzt das neugelernte Wort „Affäre“ im Mund. Was ist eine Affäre, wann ist eine Affäre, warum ist eine Affäre?
Ach, komm, denk ich mir, das ist ja kein Porno, soll sie halt kurz mitgucken. Zum „richtigen“ Beginn der Affäre kommt es, als der fremde Mann die fremde Frau auf einem Bolzplatz hernimmt. Dann ist rascher Aufbruch aus dem Wohnzimmer angesagt mit dem weltfremden (immerhin: Schul-) Kind. Gutenachtgebet usw. Das ominöse Wort „Affäre“ bleibt. Ob dieser Mann diese Frau ums Leben gebracht hat? Und warum sie nicht weggelaufen ist? Wenigstens geschrieen hat? Alle Fragen werden beschwichtigt und halb-aufgeklärt beantwortet.
Heute, am Morgen, geht die neugierig – besorgte Fragerei gleich weiter. Das unheimliche Wort „Affäre“ als Soundboard des Tages! Gottseidank haben wir zu Hause kein Glotzophon. Gotteseidank sind unsere Kinder total weltfremd.
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30.12.2016 – Gelegentlich besuche ich mit den Kindern einen Zoo. Mittlerweile geht das sogar mit einigermaßen korrektem Gewissen: Die Tiere haben so viel Freilauf, das man oft eine Ewigkeit vor den Gehegen verharrt, ohne das auf der Infotafel beschriebene Tieres zu sehen! Das Kind zieht es gewohnheitsmäßig zu den Aquarien. Pfauenaugenstachelrochen, Piranya, Kugel- und Kofferfisch sind die Hits.
Mich interessiert stets eher das Publikum. In „unserem“ Bergzoo Halle sind die Leute 25–30, tragen Piercings und gefärbte Haare und Jeans mit Löchern, ein bis zwei Kinder dabei. In Frankfurt sind die Leute 40–50, haben allenfalls blondiertes Haupthaar, tragen ansonsten niemals Hosen mit Löchern. Im Gegenteil, sogar in den Zoo geht’s elegant. Bankmänner mit Nobelbrillen und Medienfrauen mit akkurat gezupften Augenbrauen. Die verbalen Erklärungen vor den Gehegen wirken elaboriert. Eher ein Kind als zwei Kinder, Buggy mit Hightechfunktion. Wenn ich das nächstemal altkluge Kinder im Bezahlrundfunk reden höre, weiß ich: Das sind die superaufgeklärten Gören der „Zwischen-den Jahren-Zoo-Besucher- aus Frankfurt“!
Weiß grad nicht, was mir lieber ist, die kulturlosen underdogs aus Sachsen-Anhalt oder die Randlosebrillenträger/ Superstreber aus Frankfurt. (Sehe mich selbst auf dem Rückweg in einem Schaufenster gespiegelt: Naja, ich bin so dazwischen.) Wir verlassen den Zoo zur Mittagszeit. Mittlerweile staut sich der Besucherstrom vor dem Eingang, Glück gehabt, als Frühaufsteher!
Unter den Einlaßbegehrenden: Ganz augenscheinlich sechs „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ samt zweier hellhäutiger, offenkundig hiesiger „Betreuerinnen“, etwa gleichalt wie ihre Klientel. Ein Bild (die Typen: undercut, topmodern gekleidet, vier davon aufs smartphone starrend), das auch ohne Hinweis meine Kinder irritiert. „Wollen die echt auch in den Zoo?“, fragt die jüngste. Nee, sagt der Bruder neckend, die wollen das neue Gruselwort: „Affäre!“ So ein dummer Witz. Es wird gleich tüchtig geschimpft.
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31.12.2016 – Es sind Freizeit- & Konsumferien, diesmal: Zirkus. Das kleine Kind wollte unbedingt zu den Zelten, ich ja nicht.
Aber, aha, deutscher Traditionszirkus. Der junge Chef heißt Wilhelm, der allerkleinste Alfons. Und dann dieser nette kleine Aufkleber da, ganz am Rande des Kassenhäuschens: Gottgeweiht, katholischer Zirkus. Na gut, sympathische Weltfremdheit.
Bei der Vorstellung knapp 1000 Zuschauer, mich wundert & freut es, zumal doch auf RTL II sicher aufsehenerregendere Darbietungen gezeigt werden als Katzen- und Hundedressur! Es ist nett, die Akrobatik sogar aufregend. Kind findet die Clowns „sehr peinlich“ und fragt beim Jongleur „wann hört der denn auf?“. Wir kaufen (glaube: als einzige) weder Popcorn noch Tacos noch Cola, wir lassen uns auch nicht zu 5 Euro mit den Papageien knipsen.
Kind: „Gell, die anderen hier sind einfach ziemlich reich?“ Draußen hat unterdessen ein kleiner Protest stattgefunden. Auf dem Asphalt steht in gelber Kreide und Schönschrift: Homophobie!!! Sexismus!!! Stimmt ja. Akrobatinnen in Glitzerbikinis und wirklich keine einzige Homo-Nummer.
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2.1.2017 – „Hier, guck mal, ich war in der Zeitung!“ Der Papa wurde als Ehrenamtlicher von „der Stadt“ zum Neujahresessen eingeladen. Mit allen anderen Ehrenamtlichen. Offenkundig eine sehr deutsche Veranstaltung in einer Stadt, die sehr wenig deutsch ist. Moment mal! „Ach, hier, Mitte hinten, eine lächelnde kleine ehrenamtliche Muslima!“
Hüsteln vom Papa. Das sei erstens keine Muslima, zweitens: “… naja, auch so ein Kandidat. Der hieß noch vor fünf Jahren Franz. War schon im Rentenalter, als er beschlossen hat, als Frau zu leben. Dann bekam er Haarausfall. Seither läuft er so rum, mit Kopftuch und Gewand.“
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3.1.2017 – Die Begründung, warum Kubitschek seinerzeit nicht in die AfD aufgenommen wurde, hatte bekanntlich der Herr Lucke geliefert. Es ging speziell um das schwarze Jogi-Löw-Hemd und die „faschistische“ Jacke, die Kubitschek gern trägt. Es ist übrigens grüner Wolltweed, Göteborg anno 1954, keine Ahnung, woher da die faschistische Anmutung käme. Ich habe irgendwie den Verdacht, an Kubitschek sähe auch eine Jogginghose irgendwie nach Armee aus.
Die schwedische Jacke ist nun im Innenfutter ein wenig zerschlissen. Alle Alternativen, selbst die schlanken und straffen von Boss und Etro, wirken dem Herrn irgendwie noch zu „casual“. „Wenn ich so was Schlabbriges trage, werde ich immer gleich müde.“ Also Suche im Internet. Suchbegriffe: Jacke Jackett militärisch militarylook Schneiderarmloch Militär Soldat Uniform etc. Kubitschek, irritiert: „Das ist faszinierend. Egal wo, je mehr ich die Suche auf ‘militärisch’ eingrenzen, desto mehr Frauenklamotten werden mir angezeigt. Eigentlich gibt es für den zivilen Gebrauch ausschließlich Frauensachen, die unter dem Etikett ´Uniform´ angeboten werden.“
Tja, wen wundert’s eigentlich! (Fällt mir am Rande, aber passend, ein: In mütterlicher Tradition tragen sowohl der Sohn als auch eine Tochter gelegentlich sogenannte Doc Martens mit Stahlkappe. Sohn wurde gelegentlich tadelnd darauf angesprochen – „martialisch“ – der Tochter gegenüber gingen die Daumen ausnahmslos hoch: „cool!“)
Pirmin Meier
"Wenn ihr das Welt nennt, bin ich gern weltfremd." Einer der bedeutendsten und am meisten charakteristischen Sätze des gegenwärtigen Saekulums. Das war die Haltung einiger der grössten Heiligen der katholischen Kirche, oft solchen, die sie wegen ihrer Unbequemlichkeit erst nach deren Ableben "gebrauchen" konnte.