Halten würd ich freilich auch für 60jährige Frauen, aber es stehen nie welche da. Also, fast stereotypes Procedere. Er so: „Cool von Ihnen/Dir.“ Dann: „Cooler Bus!“ Dann: „Echt, alles Deine/Ihre Kinder? Cool!“ Daraufhin gibt es ja dann doch meistens interessante oder wenigstens nette Gespräche.
Eben meinte der Sohn, vornesitzend, beflissen und leise zum gleichfalls vornesitzendürfenden Anhalter: „Entschuldigung, aber die nächsten zehn Minuten sollten Sie sich lieber nur mit mir unterhalten. Es läuft gerade noch die Sendung, die meine Mama immer gerne hört.“ Natürlich hab ich gleich das Radio ausgeschaltet.
Der Mensch guckte sich die drei transportierten Sezession-Ausgaben an, die auf dem Platz vor der Windschutzscheibe im warmem Gebläse lagen. Sohn: „Die gibt mein Papa heraus.“ Mitfahrer blättert kurz, sagt „cool“ und fragt haarscharf: „Und wie positioniert die sich so? Ich mein, intellektuelles Blatt, seh ich, aber wie genau? Ich mein, auf der politischen Landkarte?“ Ich (muß mich ja konzentrieren, ist bißchen verschneit): „Konservativ, würd ich sagen. Doch. Ja, deutlich konservativ. Nehmen Sie sich nachher gern eine mit.“ Nachher ist bald. Der Typ steigt nach 100 km aus, schenkt dem kleinsten Mädchen einen Einhorn-Anstecker und vergißt seine Sonnenbrille.
Dann der Sturm der Entrüstung von hinten. Etwas größeres Kind: „Mama!! [Gestelzte hohe Stimme ] ‘Konservativ, würd ich sagen!’ Mann, Mama! So einem würd‘ ich doch immer sagen: knallrechts, Opposition!“ – „Ach, würdest Du? Hm. Ich bin da immer harmonischer veranlagt. Grad auf der Kurzstrecke. Wozu dann große Diskussionen anzetteln?“
Tochter: „Nimm dir mal ein Beispiel an R. Der war letzte Woche auch unterwegs und hat zwei Anhalterinnen mitgenommen. So Dreadlockmädchen. Die haben ihm gleich eine Refugee-Diskussion aufs Ohr gedrückt. Da hat er ordentlich Kontra gegeben.“
Kenne Freund R. Guter Typ. Sehr höflich, zumindest uns Erwachsenen gegenüber.
„Und?“ – „Da haben die Tussis gesagt, daß sie unter diesen Umständen nicht mehr weiter mit ihm fahren wollen!“ – „ Und?“ – „Na, dann hat er angehalten und sie rausgelassen.“ – „Na, toll. Und?“ – „Auf dem Randstreifen. Sofort.“ Gut – das ist wirklich was.
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7.1.2017 – Antaios im Deutschlandradio! Immerhin, Florian Felix Weyh hat Kubitschek „besprochen“, mithin ein Radiomensch, den ich generell sehr schätze. Weyh hat Kategorien und einen gewissen Geschmack. Bei Moderatorin Maike Albath hingegen wundere ich (was heißt “ich“: sie wird familiär seit je gern persifliert) mich immer schon darüber, wie man wirklich jedes „e“ als „ä“ aussprechen kann, grade als Radiomänschin…
Ist jedenfalls schon ulkig (grad, wenn man ihn persönlich näher kennt), einerseits von Kubitschek zu lesen und andererseits über ihn zu hören. Finde den Unterschied!
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8.1.2017 – Die Zeiten, da wir uns sonntagabends (mangels eigenem Fernsehen und wg. schlechter Internetverbindung) bei unserer 83jährigen Mieterin zwecks Tatort-Gucken eingefunden haben, sind lange vorbei. War ja doch nur Zeitverschwendung. Heute habe ich mal wieder reingeschaut. Gebe zu, aus reiner Eitelkeit. Man hatte mir durchgestellt, daß eine ZEIT-Journalistin geschrieben hat, daß sie nach der Tatort-Schau träumen werde:
Von der blonden Nazifrau, sorry, von der “intellektuellen Rechten” Juliane, wie sie Vera in der Disco umarmt und dabei so aussieht wie die junge Ellen Kositza, die Ehefrau vom rechten Vordenker Götz Kubitschek, der, fällt mir gerade auf, so heißt wie sonst die Kleinkriminellen im Tatort.
Naja. So oder ähnlich hab ich nie ausgesehen. Egal. War ohnehin wieder Zeitvergeudung, und zwar nicht nur wegen des ideologischen Verblendungszusammenhangs, sondern weil die ganze Geschichte stümperhaft und mit Längen erzählt war. Regisseur: Markus Imboden. Wie ich gleich ergooglet habe, ist dieser dickliche Herr der Lebensgefährte von Martina Gedeck. Das hat mich wieder enttäuscht. Die Gedeck empfand ich immer als Dame mit Klasse & Geschmack, und als sie neulich im Deutschlandfunk irrlichternd davon redete, daß „uns“ die „Demokratie ja eigentlich übergestülpt und verordnet“ wurde, fand ich sie um so interessanter.
Aber gut, geht ja um den Krimi. Ich fasse nur einige Versatzstücke zusammen: Frankfurt (ein bißchen kenn ich mich da aus, daher mein Lächeln) hat eine beachtliche rechtsradikale Club- und Partyszene. Klar.
In Alt-Sachsenhausen werden Frauen zusammengeschlagen, genauer: eine jemenitische junge Frau, die nur deshalb nachts unterwegs ist, weil sie Polizistin werden und dem deutschen Staat behilflich sein will. Klar!
Täter: drei Deutsche mit bayrischem Dialekt. Tatmotiv: reiner Rassenhaß! Klar!!!
Und ganz gefährlich: eine mörderische Frankfurter Gruppe, bestehend aus intellektuellen rechten Frauen, die ideologisch den vom Verfassungschutz beobachteten Identitären „Kongruenten“ nahestehen. Und die sind so hochtrabend intellektuell, daß sie keine bösen Worte verwenden wie all diese offen gewaltaffinen Frankfurter Clubgänger, sondern hochakademisches Vokabular verwenden wie „ethnische Vermischung“, die es zu vermeiden gelte.
Am Tatort-Ende sind die mordlüsternen rechten Ladies natürlich fein raus. Die sind so bös-geschickt, daß man ihnen nicht auf die Schliche kommt. Stattdessen wird ein irre integrationslüsterner Afghane festgenommen. Sein einziges Vergehen: Er hat getan, als wäre er ein Syrer.
Freundin K. schrieb mir gleich: „Ist doch toll!!! Wetten, daß so ein durchgeknallter, weltfremder Krimi gleich für ein Prozent mehr Protestwähler sorgt??“ Vermutlich überschätzt sie das Publikum…
Außerdem mail von Freund M.: “Tja, die Nazis in Ffm und OF. Allerorten laufen sie herum, aber perfekt getarnt, dass man sie gar nicht erkennt. Wäre so, als würde man einen Film 1944 in Berlin spielen lassen, in dem brutale Juden-Gangs unbescholtene deutsche Omas verprügeln und die SS-Leute, die das zufällig mitbekommen, sich nicht trauen einzuschreiten.”
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9.1.2017 – Die ersten 20 Jahre meines Lebens war ich Konsument. Danach, also mit dem ersten Kind, begann die Selbstmachphase. Die ältesten beiden Töchter haben die krassesten Auswüchse noch mitmachen müssen. Da gab es als Erstnahrung nach Brustentwöhnung pürierte und selbstgepflückte Brennesseln und sowas. Und wenn in der Krabbelgruppe Weißmehlprodukte gereicht wurden , hatte ich eine gesunde Alternative in der Handtasche parat.
Heute finde ich, daß ein gewisses Ausmaß an Wohlstandsproduktion eine probate Impfung ist. Typen mit orthorexischem Gesundheitsfimmel sind mir mittlerweile eher suspekt. Vegane Gäste unseres Hauses bspw. müssen mit Lästereien rechnen. Genau wie der gute Freund D., der seine „Würstchen“ nicht mehr anrühren wollte, weil sie mit echten Würsten auf einem gemeinsamen Grill zu liegen kamen.
Einerlei, unser Brot backe ich seit 20 Jahren selbst. Der Sauerteig mußte in den vergangenen Jahrzehnten nur dreimal neu angesetzt werden. Die beste Freundin S. backt nun seit einiger Zeit konkurrierend Essener-Brot. Hat nichts mit der Stadt Essen zu tun, sondern mit der jüdischen Gruppierung. Trotz aller Vorbehalte (orthorexische Auswüchse betreffend, natürlich) mundet dieses Brot wirklich vortrefflich. (Gerade keimt hier bei uns allerlei Korn über der Badewanne.)
Nun hatte ich mit S. einen kleinen Disput über Sauerteig. S. schrieb: „Sauerteig hat schon verloren! Wenn ich mir erstmal das durchlesen muß!!!“ Nämlich die Präambel im Sauerteigforum:
Der Sauerteig – das unbekannte Wesen
Die Leser unseres Forums stammen aus allen Ländern und gesellschaftlichen
Hintergründen. Sie haben verschiedene Weltanschauungen und Religionen. Es ist
selbstverständlich für uns, dass dieses Forum völkerverbindend und mitmenschlich ist.
Radikale und menschenverachtende Ansichten werden wir deshalb nicht dulden.
Meine Güte. Und das im höchstweltlichen Sauerteigforum. Ich werde meinen nächsten Sauerteig symbolisch voller Menschenverachtung und extra radikal kneten!
Dina
Nicht nur Sauerteigforen sind bunt, auch mittels Car Sharing werden wichtige Zeichen gesetzt, grundsätzliche Botschaften verlautbart und sehr klare Statements abgegeben:
https://www.teilauto.net/carsharing/neuigkeiten/beitrag/aenderungen-von-agb-und-preisliste-bundesweiter-tarif
Es wäre ja auch zu absurd, wenn man eine Dienstleistung ohne Gesinnungsauflagen in Anspruch nehmen könnte.