Nun zeigte sie als erste prominente Politikerin Björn Höcke aufgrund seiner Dresdner Rede an. Zufall?
Wagenknecht ist das Gesicht der parteipolitischen Linken in Deutschland, sie ist gern gesehener Gast in Talkshows und wird auch von “bürgerlichen” Medien häufig als Gastbeiträgerin eingeladen. An ihrer Rolle als Aushängeschild der Linkspartei – derzeit immerhin der stärksten Bundestagsoppositionsfraktion – kann kein Zweifel bestehen. Was aber bezweifelt werden darf ist, daß dies den Wohlwollen weiter Teile der Partei findet.
Wagenknecht kritisiert NATO-Stützpunkte – der reformistische Flügel, der die NATO lediglich “neu ausrichten” will, läuft Sturm. Wagenknecht spricht vom potentiell mißbrauchbaren “Gastrecht” der Asylbewerber und Einwanderer – linker und rechter Flügel sehen gleichermaßen eine Schändung des Parteiprogramms, das offene Grenzen verheißt. Wagenknecht kritisiert Merkels Grenzöffnung als schädlich für den sozialen Frieden im Lande – fast die gesamte Partei protestiert. Wagenknecht sieht darüber hinaus auch noch einen Zusammenhang zwischen NATO-Politik im Nahen Osten, Merkels Grenzöffnung, der Flüchtlingskrise und dem Berliner Terroranschlag – erste Parteigliederungen, vor allem die eher “antideutsch” ausgerichteten Jugendverbände, fordern den Ausschluß Wagenknechts bzw. zumindest eine Absetzung als Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl im September.
Es sind dies alles Standpunkte Wagenknechts, die einer authentischen politischen Rechten gut zu Gesicht stünden, und so wundert es kaum, daß ebenjene Positionen bei einer Partei wie der Linken, die neoliberal-transatlantische Strömungen ebenso beherbergt wie ressentimentgeladene Multikulti-Apologeten, “Antideutsche” und Trotzkisten, nicht (mehr) goutiert werden. Dabei ist Wagenknecht ohne Zweifel die weitsichtigste Politikerin des Fusionsprodukts aus PDS und WASG.
Sie weiß, daß das Gros der Stammwähler der Linken nicht mehr durch Arbeiter und Prekarisierte, sondern durch die urban-akademische Mittelschicht gestellt wird. Und da dies bereits das Stammklientel von Grünen und SPD ist, will sie nicht nur dort werben, sondern die Linke wieder als dezidiert soziale Alternative für Deutschland positionieren, die sich nicht an Minderheitenfetischen aufreibt und breite Schichten erst verwirrt und danach verprellt, sondern Verteilungsgerechtigkeit, bezahlbaren Wohnraum und Altersvorsorge in den Fokus der politischen Agenda stellt.
Das trifft einen Nerv, das trifft den sozialen Flügel der AfD um Björn Höcke, Alexander Gauland oder auch André Poggenburg. Letzterer forderte gar überspitzt zum Seitenwechsel Wagenknechts auf (“Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD”). Und genau gegen den Flügel, der nicht im Denkgehäuse des Neoliberalismus feststeckt, möchte sie nun einen Schlag führen. Als Höckes Dresdner Rede skandalisiert wurde – zuallererst im übrigen durch einen Redakteur der Jungen Freiheit und einzelne linke Journalisten auf Twitter – verwehrte sich Wagenknecht nicht den typischen antifaschistischen Beißreflexen, die daraus bestehen, das Eingreifen der sonst so kritisch beäugten Staatsgewalt herbeizusehnen. Wagenknecht und Diether Dehm, ein weiterer Linkspolitiker ohne großen Rückhalt in der Partei, weil er an (radikal) linken Grundpositionen festhält, zeigten als erste Björn Höcke bei der Staatsanwaltschaft an.
Dabei kennt Wagenknecht aus eigenem Erleben wie kaum eine andere Figur des politischen Betriebs die Mechanismen, die greifen, wenn einzelne Passagen aus dem Zusammenhang gerissen und zu einem Shitstorm führen. Immer wieder werden ihre Aussagen von eigenen “Parteifreunden” entstellt, verzerrt oder ganz falsch wiedergegeben, um ihre Stellung in Partei und bewegungslinkem Umfeld zu schädigen. Lerneffekt? Nicht vorhanden.
Dieselben Kreise, die keine Gelegenheit auslassen, sie zu diffamieren, ins rotbraune Eck zu stellen oder ihr aber eine Torte frontal im Gesicht kredenzen, versucht sie nun zu bändigen, indem sie demonstrativ, mit einigem Medienecho (1, 2, 3 usw.), auf Höcke einschlägt, um sich durch den von allen Seiten goutierten “Kampf gegen Rechts” wieder ein wenig freizuschwimmen nach all den Negativberichten der letzten Wochen und Monate über ihre eigenen Aussagen.
Es gilt, dies nüchtern zu konstatieren und sich Gewißheit darüber zu verschaffen, daß Sahra Wagenknecht viel Richtiges sagt, es aber nicht nötig ist, sie “von rechts” zu umgarnen, da sie im Zweifelsfall selbst jene Abgrenzungsmechanismen verinnerlicht hat, die auch dann noch greifen, wenn sie eigentlich feststellen müßte, daß mit ihrer Partei all die realpolitischen Konsequenzen, die sich zwangsläufig aus dem ergeben, was sie selbst in Reden ankündigt oder in Büchern niederschreibt, schlicht und ergreifend undenkbar sind, beispielsweise:
Demokratie lebt nur in Räumen, die für Menschen überschaubar sind.
Nicht Bindungslosigkeit, sondern Bindung macht frei, weil nur sie Halt gewährt.
Nötig ist also keine Anbiederung an Wagenknecht und jenen minoritären Teil der Linken, in der ihre Ansichten noch reüssieren. Nötig ist eine eigene soziale Profilschärfung.
Was wir brauchen, ist eine moderne politische Rechte jenseits neoliberaler Denkstrukturen, die beispielsweise in der Lage ist,
- adäquate Antworten auf die Wohnungsnot in Großstädten zu finden,
- das stets wachsende, prekär beschäftigte Dienstleistungsproletariat der bundesdeutschen Call-Center-Gesellschaft in Überlegungen zu einer sozialen Wende einzubeziehen,
- den grassierenden Wahnsinn der Leih- und Zeitarbeit als zu überwindenden Ausbeutungsmechanismus zu entlarven,
- Konzepte für wohnortnahe Beschäftigungsmöglichkeiten zu entwickeln, um das Familien belastende Auspendeln in die Ballungsräume des Westens zu minimieren – usw. usf.
Während das Beackern dieses Felds vor allem die Aufgabe von parteinahen Personenkreisen ist, etwa im Stadtrat, im Kreis‑, Land- oder bald im Bundestag, muß das metapolitische Milieu derweil in der Lage sein,
- die größeren politökonomischen Zusammenhänge beim Großen Austausch – jenseits von voluntaristischen Annahmen wie “Multikultis machen den Großen Austausch!” – zu analysieren,
- die aktuelle Lage des Finanzmarktkapitalismus zu beobachten und mit Partnern im In- und Ausland solidarische und inter-nationale Gegenentwürfe zu entwickeln,
- inhaltlich fundiert und in der Argumentation schlüssig auf den wesensgemäßen Zusammenhang von regionaler, nationaler, europäischer und sozialer Solidarität in einer “Gemeinschaft füreinander tätiger Subjekte” (Axel Honneth) hinzuweisen – usw. usf.
Eine solche Rechte hätte es nicht nötig, auf der linken Seite nach Partnern zu suchen. Sie genügte sich selbst und verkörperte aus eigener Kraft und eigenem Ideenreichtum eine intellektuelle und politische Alternative, die dann wiederum jene vernünftige Restlinke anziehen könnte, die in ihrem Lager an der konzeptlosen Verengung des ideenpolitisch Sag- und Tragbaren leiden, die aufgrund ihrer bloßen analytischen Auffassungsgabe im eigenen Lager angefeindet und als rechtsabweichende „Querfrontler“ diffamiert werden.
Ansonsten gilt es, der Selbstzerfleischung der Linken, die Wagenknecht durch publikumswirksame Schläge gegen rechts nicht aufhalten wird können, keine Selbstzerfleischung der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Rechten folgen zu lassen. Dafür ist das Jahr 2017 zu eminent wichtig.
Hartwig aus LG8
"Freischwimmen" - das war auch mein erster Gedanke, als ich von der Wagenknecht'chen Anzeige gegen Höcke hörte; das sollte innerparteilich wirken.
Ob's der Wagenknecht hilft? Dabei muss man bedenken, dass man in der Linkspartei wohl folgende Gleichung aufmachen kann: Anti-Wagenknecht entspricht Antideutsch entspricht Antizionistisch/Antisemitisch. Der Linke-Flügel, auf den die Aktion der Wagenknecht zielt, wird mit einer plakativen Inschutznahme eines den Juden gewidmeten Denkmals kaum zu beeindrucken sein.
Ansonsten haben Sie, Herr Kaiser, durchaus recht, wenn es um die Schärfung eines sozialpolitischen Profils der AfD geht.
Es ist m.E. zwingend, sich von normalerweise sehr vernünftigen Ansichten zu lösen. Allgemein behauptet: Es ist unter den gegebenen Umständen der Euro-Währung und der EZB-Politik völlig idiotisch, eine "schwarze Null" anzustreben und im Staatshaushalt zu "sparen". Die Währung wird ohnehin (von Anderen) zur Sau gemacht und alle Überschüsse werden von Anderen abgegriffen. Jetzt heisst es stattdessen, so viele reale Werte zu schaffen und zu raffen, wie irgend möglich, und solange es noch geht. Die Auflage eines groß angelegten Sanierungsprogramms (ala Trump?) stünde der AfD-Programmatik gut zu Gesicht, auch wenn das eigentlich schon "Linke"-Politik ist.