„Malignant Narcissism“ (Bösartige Selbstverliebtheit) lautet der Befund von Professor John D. Gartner von der renommierten Johns Hopkins Universität in Baltimore (Maryland). Der Psychotherapeut sagte dem Nachrichtenmagazin „US News“: „Anders als eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist dies unheilbar!“
Der Psychotherapeut legitimierte seine Fern-Diagnose mit der Begründung, dass Trump seinen geistigen Zustand beinahe täglich in den Medien präsentiere. Daraus lässt sich demnach einiges ablesen: seine Körpersprache, seine Verherrlichung von Sadismus, seine Aggressivität, Symptome des Verfolgungswahns, anti-soziale Verhaltensmuster und sein Hang zu Alternativ-Fakten, wie die Überbetonung seines Wahlsieges. „Wir haben genug von Donald Trump in der Öffentlichkeit gesehen, um eine unumstrittene Diagnose zu stellen“, meint Gartner.
Unterstützung bekam der Professor von der Psychiaterin Carrie Barron, Assistenz-Professorin für Psychologie an der Universität von Texas. Die Medizinerin sagte über „Malignant Narcissism“: „Diese Krankheit macht die Betroffenen gefährlich und skrupellos.“
So eine Meldung von Bild online. Das ist geradezu ein Musterbeispiel für eine politische Krankschreibung. Doch auch körperliche Symptome müssen gelegentlich herhalten – man erinnert sich sicherlich, wie die Journalistin Mely Kiyak einst Thilo Sarrazin als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ verspottete und damit eine deutliche Affinität zum Sprachstil der Nationalsozialisten an den Tag legte.
Ein solches Verhalten mag vor dem Hintergrund von epidemischer Denkfaulheit oder Denkunfähigkeit als bequeme Ausrede dienen. Vielleicht verbirgt sich aber auch mehr dahinter. Dies darf man zumindest vermuten, wenn sich auch akademische Kreise an der Pathologisierung beteiligen.
Wer andere als „krank“ (irre, wahnsinnig, psychotisch etc.) bezeichnet und die Unterstellung einer Krankheit gleichsam zur Waffe macht, weckt niederste Instinkte und ruft zur Verfolgung auf. Der Verfolgungseifer, mit dem man Politiker als Irre beschimpft, lässt nicht Gutes erahnen. Dahinter steckt Methode – und zwar eine Methode, die sich anschickt, auch jenseits des groben Stils der Massenmedien salonfähig zu werden.
Im Zuge einer intensiven Beschäftigung mit Erhart Kästner (geplant ist ein Autorenporträt für die Aprilausgabe der Sezession) bin ich auf eine Neuerscheinung über den Autor gestoßen, deren Untertitel mich neugierig machte: Griechenlandsehnsucht und Zivilisationskritik im Kontext der „konservativen Revolution“. Verfasser ist Frank Schulz-Nieswandt, Professor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln. Auffällig an dieser Schrift ist der Ansatz, Kästner und andere Autoren der konservativen Revolution zu pathologisieren.
Die Störung, an der Kästner und die Autoren der konservativen Revolution gleichsam kollektiv leiden, nennt Schulz-Nieswandt BENPAHM: B wie Borderline, E wie Eskapismus, N wie Narzißmus, P wie Passivität, A wie Aggressivität, H wie Heroismus, M wie Melancholie. Borderline scheint dabei eine Art Leitmotiv zu sein, denn das Widersprüchliche, das Schwanken zwischen Extremen, die Instabilität und das Paradoxe machen bei näherer Betrachtung das gesamte BENPAHM-Phänomen aus – wie sonst wäre es möglich, Merkmale wie beispielsweise Passivität und Heroismus in so enge Nachbarschaft zueinander zu rücken?
Schulz-Nieswandt möchte seine Diagnose zwar nicht als klinische Diagnostik, sondern als „Fluchtpunkt einer habitushermeneutischen Approximation“ verstanden wissen. Eingeführt wird damit aber tatsächlich genau dies: die Pathologisierung einer Denkrichtung.
Natürlich kann man bei Autoren der Konservativen Revolution wie überhaupt bei Konservativen Melancholie oder Eskapismus und vielleicht auch einen gewissen Heroismus im Bestehen des täglichen Überlebenskampfes beobachten – wie auch nicht? Doch das ist weder sonderlich aussagefähig, noch ersetzt es die Auseinandersetzung mit den Gedanken.
Genau dem aber wird durch die Pathologisierung Vorschub geleistet – man verweigert den Austausch. Diese Ignoranz ist die eine, noch vergleichsweise menschenfreundliche Möglichkeit einer Reaktion auf politisch Unerwünschtes und spricht eher gegen den Pathologisierenden als gegen den Pathologisierten. Die andere Möglichkeit ist weitaus problematischer.
Denn was tut man, wenn jemand krank ist? Richtig – man behandelt ihn. Medikamentös, psychotherapeutisch, vielleicht auch mit Elektroschocks oder dem Skalpell. Doch wann liegt überhaupt eine behandlungsbedürftige Krankheit vor? Herrscht da nicht eine gewisse Beliebigkeit, um nicht zu sagen: Willkür? „Krank“ ist durchaus relativ – nämlich jeweils bezogen auf eine gesunde Norm. Was als gesund zu gelten hat, ändert sich mit dem medizinischen Fortschritt wie auch mit der Entwicklung gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Vielleicht gilt es bald als „gesund“ (oder zumindest als der Gesundheit zuträglicher), keine konservativen Wertvorstellungen zu haben?
Die medizinisch-anatomische korrekte Verortung des Problems ist dabei stets die Grundlage der Entwicklung möglicher Therapieansätze. 2011 erschien eine Studie über den Einfluß von Hirnstrukturen auf Persönlichkeitsmerkmale und politisches Denken. Sie kam zu der Erkenntnis, daß konservative Menschen eine vergrößerte rechte Amygdala haben. Dort aber entstehen Ängste – und diffuse Ängste sind bekanntlich das Hauptmerkmal konservativer Menschen.
Liberale hingegen haben mehr graue Hirnmasse. Diese begünstigt so sympathische menschliche Eigenschaften wie das Lernen, ein auf Harmonisierung abzielendes Sozialverhalten, die Kommunikationsfähigkeit sowie die Offenheit für neue Ideen – klingelt da was?
Leitet sich aus solchen Einsichten nicht fast zwangsläufig die Frage nach der Steuerbarkeit politischen Verhalten durch medizinische Eingriffe ab? Warum also nicht einfach Dissidenten chirurgisch oder medikamentös behandeln – etwa analog zu Kastrationsmethoden? Ansätze dazu gab es in allen totalitären Systemen der Moderne sowie in der diese reflektierenden dystopischen Literatur.
Rainer Gebhardt
Nach solchen aus der Hüfte geschossenen Erstdiagnosen wird nicht selten (und zunächst milde) die Behandlungsbedürftigkeit des missliebigen politischen Gegners festgestellt: Er verhält sich auffällig abweichend. Die nächste „präventive Vorsorgemaßnahme der Öffentlichkeit“ ist die zivilrechtliche Einweisung des Dissidenten mit der Begründung, seinem abweichenden politischen Verhalten liege ein psychischer Defekt zugrunde. Ist ja auch klar: Wenn wir in der besten aller Gesellschaften leben, mit den besten Parteien, der besten Politik – dann MUSS irre sein, wer das bezweifelt.
Der Vorgang ist nicht beispiellos in der Geschichte. Da könnte sich ein Blick in die Sowjetgeschichte der 1970er und 80er Jahren lohnen, als die Psychiatrie vom KGB zu politischen Diensten verpflichtet wurde.