Die Aurovillaner haben ein Meditationszentrum errichtet, um die unterschiedlichen Religionen und damit einhergehende Konflikte zu überwinden. „Spirituelles Wachstum“ und die Einheit aller Menschen werden besonders hervorgehoben. Im Alltag erprobt Auroville derweil eine alternative Wirtschaft: 2004 gewann damit ein Unternehmen der Stadt sogar den „grünen Oscar“. Im Umgang mit erneuerbaren Energien, bei der Wasseraufbereitung und in der Forschung um nachhaltiges Wohnen konnten zweifellos in den letzten 25 Jahren herausragende Erfolge erzielt werden.
Der deutsche Indologe Steffen Graefe lobt Auroville deshalb als „ein sehr konstruktives gelebtes Modell eines globalen Dorfes, das sich zur Stadt entwickeln will, bewohnt von Menschen wie du und ich, ob schwarz oder weiß, ob Hindu oder Christ“. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß Auroville weit weniger ein Experiment ist als Deutschland. Warum?
Seitdem die ersten Gastarbeiter in die alte Bundesrepublik kamen, hat unsere Politik im Großzügigkeitswahn Bedingungen geschaffen, die unkontrollierte Masseneinwanderung ermöglichten und dazu beitrugen, daß Ausländer Deutschland bis heute sozial ausnutzen können. Ein Beispiel aus der Anfangszeit ist das Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei von 1964. Jene Türken, die einen Verwandten in Deutschland haben, können seitdem auf Kosten unserer Krankenkassen in ihrer Heimat zum Arzt gehen. Zehn Millionen Euro dürfte uns das jährlich kosten.
In Auroville, dem Multikulti-Paradies, gibt es dagegen sehr strikte Regelungen für Einwanderung und soziale Versorgung. Zunächst einmal muß man die ideologischen Prämissen des Projekts teilen. Das heißt: Einwandern können nur diejenigen, die felsenfest von der absoluten Gleichheit aller Menschen überzeugt sind. Diese Beschränkung ist auch richtig und führt dazu, daß nur überzeugte Multikulturalisten aufgenommen werden.
Merke: Multikulti funktioniert nur, wenn ausschließlich Gleichgesinnte in dieser Gemeinschaft leben.
Darüber hinaus wird von allen Bewohnern verlangt, daß sie in der kleinen Stadt arbeiten. Dennoch gibt es keine soziale Absicherung. Auf der Internetseite von Auroville International Deutschland heißt es:
Die Gemeinschaft verfügt aktuell noch nicht über die erforderlichen Strukturen und Einrichtungen, um chronisch Kranken, Pflegebedürftigen, Invaliden oder geistig behinderten Menschen auf Dauer eine adäquate Versorgung zu bieten.
Hauptsächlich leben derzeit in Auroville Inder (42 %), Franzosen (15 %) und Deutsche (11 %). Bei den Zuwanderern von anderen Kontinenten handelt es sich also um Menschen, die erstens ideologisch davon überzeugt sind, zweitens das nötige Kleingeld für dieses Experiment besitzen und drittens jede Menge Engagement und vermutlich auch Fachwissen mitbringen.
Merke also: Multikulti funktioniert nur, wenn kluge Menschen einwandern, die das Risiko ihrer Migration selbst tragen können, sich jeden Tag in die neue Gemeinschaft einbringen und die keine soziale Absicherung brauchen.
Nach einer dreimonatigen Kennenlernzeit kann man einen Antrag stellen, Aurovillaner zu werden. Bei Genehmigung dieses Antrags folgt dann noch eine einjährige Probezeit, in der man seinen Aufenthalt selbst finanzieren muß. Zudem wird jeder potentielle Einwanderer dazu verpflichtet, eine „Rückreiseversicherung“ abzuschließen. Ein solches Modell schlägt übrigens die Juristin Anu Bradford vor, um die weltweiten Migrationsbewegungen unter Kontrolle zu bekommen. Ich habe das in einem früheren Beitrag schon einmal skizziert.
Bei den Einwanderungsbeschränkungen gehen die Aurovillaner aber noch weiter, was fast vermuten läßt, hier handle es sich in Wirklichkeit um ein verkapptes rechtes Projekt. In der Stadt gibt es nämlich einen Mangel an Unterkünften. Auf dem Höhepunkt der Asylkrise 2015/16 erlebten wir das in Deutschland auch. Gerade Großbritannien kämpft ebenfalls mit diesem Problem. MigrationWatchUK hat die Überbevölkerung der Insel und insbesondere der Städte deshalb zu einem seiner Hauptargumente gemacht.
Das gemeinschaftlich regierte Auroville fand dafür nun die einfache Lösung, daß sich die Einwanderer auf eigene Kosten ein Haus bauen müssen. 10 000 Euro sollten sie dafür einrechnen. Wenn sie mit dem Bau fertig sind, gehört ihnen aber noch nicht einmal ihr Anwesen. Vielmehr geht es in den Besitz der Stadtgemeinschaft über. Man erwirbt einzig das Recht, dort zu wohnen, solange man Aurovillaner ist.
Merke: Multikulti funktioniert nur, wenn die Einwanderungsbeschränkungen so hoch sind, daß nur die obersten zehn, maximal fünfzehn Prozent der Weltbevölkerung sie überhaupt erst einmal erfüllen können. Trotzdem darf es keine Investitionsmöglichkeiten geben. Sonst kämen schließlich die „Heuschrecken“.
Halten wir also fest: In Auroville wohnen hauptsächlich strebsame Kosmopoliten, die mit viel Idealismus, einem lobenswerten ökologischen Bewußtsein und viel Können ihre Utopie vom „globalen Dorf“ real verwirklichen wollen und dabei schon sehr weit gekommen sind. Dennoch konnte das Projekt seine ersten 50 Jahre nur mit Hilfe von Subventionen und Spenden überstehen. Unterstützung hat es bereits von der indischen Regierung, der EU, OECD, Unternehmen sowie vielen nicht-staatlichen Institutionen erhalten. Auch deutsche Entwicklungshilfe floß bereits nach Auroville.
Wir merken uns deshalb abschließend: Multikulti funktioniert nur, wenn dieses Gemeinschaftsmodell großzügig von außen subventioniert wird.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist völlig legitim, eine solche multikulturelle Gemeinschaft irgendwo auf der Welt zu gründen. Wenn die ökologischen Projekte, die in Auroville gestartet wurden, in einigen Entwicklungsländern angewandt werden können, ist dies schon viel wert.
Von mir aus dürfen sich auch alle Multikulturalisten Deutschlands in einem Dorf nach dem Vorbild von Auroville zusammenschließen. Nicht hinnehmbar ist allerdings der Versuch, dieses Experiment auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten, alle Menschen zu zwingen, hier mitzumachen, und die ökonomischen und sozialen Grundbedingungen dieses Projekts auszuhebeln.
sophia_
Sehr interessante und bestechende Betrachtungsweise. Klar und unaufgeregt. Macht den erforderlichen Rahmen für Multikulti deutlich, nützlich für Gespräche und Diskussionen.