SEZESSION: Querfront lautet der Titel deines kaplaken-Bandes. „Querfront!“ lautet ein Vorwurf, den politisch Aktive immer dann zu hören bekommen, wenn Platzhirsche von rechts oder links befürchten, daß Grenzen zwischen den Lagern verschwimmen. Weshalb also ein Buch über das „Querfront“-Phänomen?
KAISER: Es ist zuallererst hervorzuheben, daß die Einstufung als „Querfront“-Zeitschrift oder als „Querfront“-Aktivist selten eine Eigentitulierung ist. Das Etikett stammt zumeist vom politischen Gegner, um Phänomene zu klassifizieren und angreifbar zu machen, bei denen die altbewährte politische Topographie überfordert bzw. nicht anwendbar ist. Diese Phänomene scheinen auf dem Vormarsch gegenüber den klassischen politischen Lagern zu sein.
Glaubt man etwa dem neokonservativen Magazin Cicero, ist eine gefährliche „Querfront in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, die den westlich-liberalen Grundkonsens von links und rechts gleichermaßen unter Beschuß nehme. Und liest man eine aufwendige Studie der IG-Metall-nahen Otto Brenner Stiftung (OBS), sieht man den Versuch der Gewerkschafter, einen drohenden Siegeszug von antiwestlichen und antiliberalen „Querfront-Medien“ zu erfinden, die dabei seien, „ein quantitativ beachtliches und ständig wachsendes Publikum zu erreichen und zu halten“.
Man sieht also, daß „Querfront“ sowohl im linksliberalen als auch im rechtsliberalen Umfeld auf Skepsis bis offene Feindschaft stößt. Aber das sagt noch nichts darüber aus, ob es eine „Querfront“ wirklich gibt, was sie ausmacht – und ob es sich überhaupt lohnt, sich für eine solche einzusetzen.
SEZESSION: Zu den unter „Querfront“ subsumierten Akteuren zählen deiner Aufzählung nach unter anderem der Blog nachdenkseiten.de und der Nationalökonom Albrecht Müller, Compact und Jürgen Elsässer, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, Lars Mährholz und Ken Jebsen, der Finanzblogger Andreas Popp und der Verleger Jochen Kopp, „völkische“ Siedler und rechte „Bio-Bauern“, teils sogar PEGIDA oder „die Neue Rechte“…
KAISER: Genau. Und das zeigt, wie inhaltsleer dieser Begriff eigentlich ist. Wenn all diese genannten Akteure, die gänzlich unterschiedliche weltanschauliche Standpunkte vertreten, „Querfront“ sind, die es – aus links- und rechtsliberaler Sicht – zu bekämpfen gilt, ist der Begriff inhaltsleer und verkommt zur politischen Waffe, um sich mit den Inhalten der jeweils entsprechend Geschmähten nicht auseinandersetzen zu müssen.
Man kann von einem regelrechten Verfall einer Begrifflichkeit sprechen, da „Querfront“ nicht immer die inhaltslose Floskel gewesen ist, um politische Gegner als Outlaws ins Abseits zu stellen. Hierfür empfiehlt es sich, die historischen Urgründe der Theorie und Praxis von „Querfront“-Bestrebungen näher anzusehen. Sie liegen u. a. in den Trümmern der Weimarer Republik, und ich versuche aufzuzeigen, daß das Phänomen der Querfront – ob in Deutschland, Frankreich, Griechenland oder Rußland – mannigfaltige Entwicklungen kannte und zum Teil noch kennt, die mit der heutigen Floskel nichts gemein haben.
SEZESSION: Du gräbst in Sachen Weimarer Republik auch einen linken Denker aus, der heute als Parade-Antifaschist galt, aber noch im Januar 1933 ein Zusammengehen mit Ernst Jünger, Otto Strasser und anderen revolutionären Rechten anstrebte. Ein Einzelfall?
KAISER: Nein, auf keinen Fall. Es gab in der Weimarer Linken, auch in der radikalen Linken, immer auch Kräfte, die – keineswegs ausschließlich machtstrategisch orientiert wie Teile der Kommunisten 1923 und 1932 – ein Zusammengehen mit dem politischen Gegner favorisierten, um das liberale große Ganze zu stören. Das Beispiel, das du ansprichst, hat aber nochmal eine größere Bedeutung. Gemeint ist Kurt Hiller, und dieser revolutionäre Pazifist schrieb Anfang 1933, daß die Linke und die Rechte einen jeweiligen Selbstreinigungsprozeß bräuchten, an dessen Ende eine Kooperation (aka Querfront) möglich wäre.
Stießen die rechten Nationalrevolutionäre von Jünger bis Strasser, so Hiller, alten Ballast ab, stießen die linken Sozialrevolutionäre um Hiller die „Nationalblinden“ – die Antinationalen – ab, „dann wäre ein Bund möglich in Deutschland, groß, glänzend und stark, der endlich der Mittelmäßigkeit, dem Geldmachertum, allen Feinden des Lichts die Macht entreißt und den Geist verwirklicht.“ Das war der Hillersche pathetische Sound, klar, aber das war mindestens ein Gesprächsangebot. Freilich kam es zu spät.
SEZESSION: Und warum interessiert das heute noch?
KAISER: Weil das Beispiel – und viele weitere, vor allem auch aktuelle Beispiele folgen im kaplaken-Band – zeigt, daß in politischen Ausnahmesituationen Konstellationen denkbar sind, die jenseits einer fundamentalen geistigen, wirtschaftlichen und politischen Krise gar nicht denkbar wären. Aber in einem bestimmten historischen Moment kann es besondere Entwicklungen geben. Und hierfür sollte man auch inhaltlich vorbereitet sein.
Querfront ist hingegen ein taktisches, strukturelles und temporäres Modell, das in einem historischen Moment aufgrund des Drucks der Ereignisse entstehen kann; es ist jedoch kein Wert an sich, zumal es – damals wie heute – an lagerübergreifenden Projekten, ja bereits an bloßem Interesse bezüglich politischer Elemente, die „falsch“, also gegnerisch etikettiert sind, mangelt.
SEZESSION: Kein präventives Streben um Einheit mit Teilen der Linken?
KAISER: Keineswegs, zumindest nicht in Deutschland. Bei uns ist es die Linke von heute gar nicht wert, sich um sie zu bemühen. Weder weltanschaulich noch strategisch. Das schließt natürlich nicht aus, daß dort auch ehrliche Idealisten mit vernünftigen Standpunkten am Werke sind, aber diese sollten und werden dann eben den Weg zu „uns“ finden – oder sie bleiben isolierte Leuchttürme innerhalb linker Parallelwelten. Eine Querfront ist derzeit nicht möglich, nicht nötig, nicht erstrebenswert. Ich versuche aufzuzeigen, daß statt dessen etwas ganz anderes wichtiger ist: eine Neujustierung und weitgehende Profilschärfung neurechter politischer Theorie.
SEZESSION: Aha, also wieder deine soziale Frage…
KAISER: Ja, definitiv. Aber im Grunde umfaßt der Aufruf zu einer weltanschaulichen Erneuerung mehr als „nur“ die Besetzung des sozialen Feldes, das die Linke längst begonnen hat, zu räumen. Bei den Klügeren unter unseren Gegner nimmt man entsprechende Entwicklungen durchaus wahr. Man muß dort zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, daß es sich bei der sozialen Ausrichtung “keineswegs lediglich um ’soziale Demagogie’ (handelt), wie so gerne von links behauptet wird”. Wir sind also auf dem richtigen Weg.
Was wir aber darüber hinaus brauchen ist ein wahrer Neubeginn, eine „Neue Rechte“, die sich gegen konservativ-sozialdarwinistische Kapitalismusaffirmation stellt; eine Neue Rechte, die sich geopolitisch für eine „Pluralisierung der Hegemonien“ (Chantal Mouffe) positioniert; eine Neue Rechte, die europäisch denkt und mehr als nur einen populistischen Anti-Brüssel-Block formieren möchte, die die Idee des einigen Europas neu und innovativ, aber rückgebunden auch an Tradition und Herkunft betrachtet; eine Neue Rechte schließlich, die in der Lage ist, die größeren Zusammenhänge beim Großen Austausch und der aktuellen Lage des Finanzmarktkapitalismus zu analysieren und Gegenentwürfe zu entwickeln – eine solche Neue Rechte hätte es nicht nötig, auf der linken Seite nach Partnern zu suchen. Sie genügte sich selbst und verkörperte aus eigener Kraft und eigenem Ideenreichtum eine intellektuelle Alternative.
SEZESSION: Also kein pauschales Ende von rechts und links, wie es oftmals verkündet wird, sondern etwas Neues?
KAISER: Ja. Nicht Verschleierung oder Leugnung der substantiellen Bedeutung von rechts und links, sondern Überwindung von angeblichen ideologischen Gegensätzen, hin zu etwas Neuartigem, zu einer wahrhaft Neuen Rechten, die den Herausforderungen der multiplen Krisensituation Deutschlands und Europas überhaupt erst gerecht werden kann. Es ist wohl das, was diejenigen Kräfte am meisten fürchten, die den „Querfront“-Vorwurf als politische Waffe zur Stigmatisierung verwenden. Eine „Synthese der Gegensätze“, die Norberto Bobbio einmal „konservative Revolution“ nannte, ist jedenfalls heute mehr denn je vonnöten. Mein Büchlein Querfront, das gleich mehrere Irrtümer zu diesem Themenkomplex revidieren möchte, soll in diesem Sinne den Anstoß zu einer notwendigen Debatte geben.
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Benedikt Kaiser: Querfront, reihe kaplaken, Bd. 49, Schnellroda 2017. 96 S., 8,50 €.
Neben diesem Band erscheinen in dieser Woche zwei weitere kaplaken:
Martin Lichtmesz: Die Hierarchie der Opfer, Schnellroda 2017. 96 S., 8,50 €.
Rolf Peter Sieferle: Finis Germania, Schnellroda 2017. 104 S., 8,50 €.
Die Dreierstaffel gibt es für den Vorzugspreis von 20 €, Sie sparen also 5,50 € gegenüber dem Einzelkauf.
Frieda Helbig
Freu mich auf das Büchlein. Wird Zeit, daß aus Kaisers Feder was erscheint. Dürfen wir uns auch bald auf ein Wegner-Werk freuen?
Beste Grüße...