Es könnte sein, daß sie das Werkzeug der Ideologiekritik nicht mehr handhaben können, weil sie willfährige Dispositivisten geworden sind.
“Dispositivismus” setze ich zusammen aus „Dispositiv“ (im frz. Original le dispositif = Maßnahme, Vorrichtung, Handlungsplan; bei Michel Foucault: ideologische Machtstruktur, historisches Apriori) und Positivismus = neutralitätsgarantierendes Isolieren von Einzelfakten, weil ein großes Ganzes zu sehen „Metaphysik“ oder „Ideologie“ wäre.
Wer sich nun heute aufschwingt, die gegenwärtigen Dispositive der Macht zu affirmieren und so zu tun, als wäre er kritisch, betreibt einen Positivismus, der nicht mehr kritisch ist. Die Grundstruktur zu erkennen, daß es Ideologien ohne Entrinnen gibt, dann aber die herrschende nicht zu erkennen, krempelt den alten Foucault positivistisch um.
Der Dispositivist ist der Kämpfer mit dem Strom. Sein Vorgehen: sich selbst als Kämpfer gegen überkommene Strukturen zu stilisieren, wo doch das Erkämpfte schon flächendeckend durchgesetzt ist. Beispiele: Gender Mainstreaming, der Kampf gegen „konventionelle Ehevorstellungen“ oder „schwarze Pädagogik“, „Alltagsrassismus“ als unbekanntes Phänomen aufzudecken, sich mutig gegen den „rechten Haß“ zu stellen. Der Kampf mit dem Strom ist das Phänomen, daß die Linken unerschütterlich weiterbehaupten, ihre Position wäre ein mutiger Kampf gegen Unterdrückung, obwohl in Wirklichkeit die Hegemonie längst bei ihnen liegt – die Kämpfer mit dem Strom muten fast nostalgisch an.
Der Dispositivist ist der einäugige König. Er behauptet, alle seien blind, und er selbst erkenne die Lage, indem er die Lage so beschreibt, wie sie garantiert niemand sieht. Dispositivismus ist z.B., zu behaupten, Migranten seien ganz aus der öffentlichen Wahrnehmung gefallen, oder es gäbe in Deutschland keine Lobby für People of Color oder für Homosexuelle, oder zu statuieren, daß sich Deutschland als weitgehend unberührt von Europas kolonialer Vergangenheit verstehe und das eigene Gesichtsfeld frei von dieser Kollektivblindheit sei. Sein Positivismus liegt darin, die Ideologizität seiner eigenen Sicht zu neutralisieren und die „sozialen Konstruktionen“ immer bei den anderen zu finden und nach eigenem Bekunden unvoreingenommen analysieren zu können.
Der Dispositivist übt sich in eifriger Übelcompetition. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist gelegentlich Gebrechlichkeitscompetition zu beobachten: wer bekommt nun den Sitzplatz, der alte Opa, die Schwangere oder der mit dem Beinbruch? Übelcompetition bestreitet, daß etwas schlimm ist, weil es noch Schlimmeres gebe. Deutschland ist nicht in der Krise, wer eine Krise sehen will, sollte nach Syrien schauen, es gibt noch Schlimmeres als Vergewaltigungen durch muslimische Einwanderer, nämlich den Krieg in deren Herkunftsländern, unsere First world problems unterliegen argumentativ dem Übel der globalen Armut usw. In der Übelcompetition übernimmt der Dispositivist die globale Perspektive, denn dort liegen immer die übleren Übel, geriert sich dadurch kritisch und verschwindet ungewollt im globalistischen Dispositiv.
Der Dispositivist befindet sich in einer Widerstreitfessel. Soziologische Diagnosen linker „Migrationsforscher“ und Camus’ „Großer Austausch“ beispielsweise sehen beide, daß die ursprüngliche Bevölkerung der europäischen Staaten bald nur mehr eine Minderheit im eigenen Land sein wird. Die globalpolitischen Gründe erkennen sie auch gleichermaßen, nur ihre Reaktion darauf fällt diametral entgegengesetzt aus. Der Widerstreit besteht zwischen Aussagen, die der Philosoph Jean-Franςois Lyotard als „inkommensurabel“, nicht mit gleichem Maß zu messen, bezeichnet hat. Es gibt keine übergeordnete Ebene, auf der wir Peter Sutherlands Forderung, die europäischen Staaten „should undermine national sovereigneity“, und die „Verteidigung des Eigenen“ miteinander in Beziehung setzen könnten, trotz frappanter Deckungsgleichheit der Diagnosen. Diesen Widerstreit kann der Dispositivist nicht als solchen sehen, sondern wie beim Schachspiel kann er sich nur noch in einer Fessel auf der untergeordneten Ebene so bewegen, daß was er auch immer tut, fatal für ihn ist: er spielt dem Dispositiv in die Hände.
Foucaults „Dispositive der Macht“ sind historische Aprioris, Herrschaftsstrukturen, Konstruktionen von Selbstverständlichkeiten, die reglementieren, was gedacht werden kann. Eigentlich war Foucaults Ansatz ideologiekritisch gemeint, natürlich. Er hatte bloß kapiert, anders als die Kritische Theorie und die französische postmoderne Linke, daß er sich aller steuernden Fortschrittsutopien und tiefenanalytischen Projektionen entschlagen müßte, um Ideologie zu erkennen: „Wenn man an die Stelle der Suche nach den Totalitäten die Analyse der Seltenheit, an die Stelle des Themas der transzendentalen Begründung die Beschreibung der Verhältnisse der Äußerlichkeit, an die Stelle der Suche nach dem Ursprung die Analyse der Häufung stellt, ist man ein Positivist, nun gut, ich bin ein glücklicher Positivist, ich bin sofort damit einverstanden.“ (Archäologie des Wissens, S. 182) Dieser Positivismus ist aber methodologisch, nicht affirmativ.
Der Dispositivist glaubt mit Foucault, daß man Ideologie an der Oberfläche sehen könne, hält dann aber eine natürliche Wahrnehmung für die herrschende Ideologie, die längst kulturhegemoniell untergebuttert worden ist: „[…] natürlich sind Weiße deutscher als Schwarze, westliche und islamische Werte sind natürlich diametral entgegengesetzt.“ (El-Tayeb: Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft, S.40).
Hier ist der einäugige König am Werk und erkennt, daß diese „Dominanzstrukturen“ „pseudo-natürlich“ sind. Daß eine natürliche Wahrnehmung eben keine „Häufung“ (Foucault) mehr ist, ist für Dispositivisten als wackere Kämpfer im Mainstream unerkennbar.
Vielleicht kann ich so beschreiben, warum von der Linken keine fundamentalen kritischen Werkzeuge zu erwarten sind. Die allermeisten Linken sind Dispositivisten (der Rest sind Altmarxisten mit entsprechender Fortschrittsutopie oder postmodern Gebliebene). Deswegen ist auch diese auf den ersten Blick hochmerkwürdige Allianz von linken und globalistischen Denkmustern und Machteliten nicht verwunderlich.
Starhemberg
Vielleicht kann man es auch eine Spur einfacher ausdrücken: Die einen sind unabänderlich zu den Feinden der anderen geworden. Die Zeit der Kompromisse ist abgelaufen.
"Denn nur Eisen kann uns retten, und erlösen kann nur Blut, von der Sünde schweren Ketten, von des Bösen Übermuth." (Maximilian v. Schenkendorf)