Satire ist definierbar als eine
Kunstform, die politisch-gesellschaftliche und allgemeinmenschliche Mißstände und Unzulänglichkeiten verspottet und kritisiert. […] Satire parodiert, travestiert und persifliert. Sie ist einseitig, polemisch, nicht selten aggressiv. Kurzum: Es ist nicht ihre Aufgabe, ihrem Gegenstand Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Satire kann oft mißlingen. Dann ist sie entweder unlustig und verfehlt ihr Publikum, oder sie ist zu hermetisch und verfehlt ihr Publikum. Oder sie ist bloße Pöbelei, dann vefehlt sie das Spezifische ihres Gegenstandes.
Selten gelingt der Satire, was Thomas Assheuer in der aktuellen ZEIT gelungen ist. Seine Satire ist wahr. Performativ ist gute Satire immer “wahr”, in dem Sinne, daß der Leser das Typische, Aus-dem-Leben-Gegriffene, Kondensierte erfaßt, das sich in seiner Reaktion “Ist doch so!” ausdrückt. Assheuers Satire löst aber eben nicht diesen performativen Effekt der Gattung Satire aus, sondern sie ist schlicht wahr. Und damit ist sie – keine Satire.
Er breitet auf zwei ZEIT-Seiten unter lila (?) Frakturüberschriften die 26 Buchstaben aus, die zum aktuellen “Alphabet des rechten Denkens” gehören. Diese wären: Alternative, Arkanum der Macht, Dekonstruktion, Den Sumpf austrocknen, Ehre statt Würde, Entscheidung, Establishment, Evolution, Gesellschaft, Klüngelkapitalismus, Korrektheitsterror, Leben, Liberalismus, Lügenpresse, Mythos, Neue Ordnung, Nihilismus, Polarisierung, Postwestlich, Raum, Souveränität, Umvolkung, Volksgemeinschaft, Volkskultur, Volkswirtschaft, Wahre Demokratie. Die ganze Fibel findet man hier.
Raum
Rechtes Denken ist Raumdenken. Im Interesse ihrer Selbsterhaltung muss jede Kultur in einem umgrenzten Raum verwurzelt sein und darf sich niemals mit fremden Elementen vermischen. Ob ein orthodoxes Eurasien, ein islamisches Sultanat oder ein christliches Abendland: Entscheidend ist die geschlossene Einheit von Kultur und Raum. Von Anfang an war die vom Westen erfundene Globalisierung ein Angriff auf den nationalen Raum; die angelsächsischen Seemächte schwächten die Selbstbestimmung der landgebundenen Völker und unterwarfen sie den imperialistischen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Die Auflösung fester Grenzen pulversierte die alten Reiche und alten Staaten. Nach der Deterritorialisierung der Räume war die Macht nun überall und nirgends: bei der EU, der WTO, dem IWF – nur nicht beim Volk. Globalisierung ist Niemandsherrschaft, the rule of nobody. Künftig sind die Nationen wieder das, was sie von Anfang an waren: souverän.
Irgendwas dagegen? Das ist eine Essenz aus Schmitt, Huntington und einer Prise Agamben. Wer könnte das “sarkastisch” finden, wie die Diskutanten im Deutschlandradio in ihrer Feuilletonlese loben? Schrieben wir ein ähnlich kurzgehaltenes ernsthaftes Pixibüchlein rechter Kerngedanken, der Artikel “Raum” dürfte jedenfalls das Lektorat durchaus passieren.
Alternative
Die Rechte ist keine Reformbewegung, sie ist eine revolutionäre Bewegung. Sie ist keine Alternative im, sondern eine Alternative zum System: zu Liberalismus, Kosmopolitismus und Globalisierung. Legitimiert ist die rechte Revolte durch das Volk. Während die ‘Parteien von Davos’ in ihrer grenzenlosen Gier nur eigennützige Interessen verfolgen, spricht aus dem rechten Politiker die unverfälschte Stimme des Volkes. Das gilt auch für Donald Trump. Weil in ihm das reine Herz des Volkes schlägt, war er der legitime Präsident, noch bevor er vom Volk legal gewählt wurde. Das Herz des Volkes schlägt immer rechts. Aus diesem Grunde hassen wehleidige Liberale den Willen des Volkes und ertragen ihn nur in demokratisch verdünnter Emulsion. Sie verwässern ihn durch Rechtsstaat und Gewaltenteilung.
Diesem Buchstaben des rechten Alphabets merkt man wenigstens an, daß er satirisch gemeint sein soll, erkennbar ist dies an den Adjektiven “unverfälscht” und “rein” in “das reine Herz”. Das ist wichtig, denn sonst könnte ja jemand annehmen, ich hätte mich überhaupt im Genre geirrt, wenn ich Assheuers Text für Satire hielte. Aber ansonsten – what’s not to like? Der Buchstabe A wie “Alternative” ist kein Handbucheintrag, sondern stilistisch ein kleines Stückchen Manifest. Die “revolutionäre Bewegung” fängt fast an, mir tief in meinem reinen Herzen zu gefallen, und die Diagnose der liberalen Tränen ist ganz pfiffig.
Assheuer als Neue-Rechte-Versteher macht seine Arbeit gut und trägt theoriehistorische Hintergründe vor (TUMULT in den 80er Jahren postmodern, “Dekonstruktion” neu mit Bannon gegen Derrida, Lebensphilosophie 2.0 bei Putin) – nur ist das alles eines nicht: Satire. Deren Aufgabe liegt eben nicht darin, ihrem Gegenstand Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Assheuer tut es. Weitenteils jedenfalls, nur ein paar ganz kleine plumpe Stilmittel der Ironie (über Menschenrechte: “gemeingefährliche Intellektuelle wie Moses, Sokrates und Jesus haben sie in die Welt gesetzt”) verraten sein Kämpfertum mit dem Strom, er will kritisch sein. Doch wie er richtig feststellt: der “Aufstand gegen die herrschende Klasse kann nur aus einer Richtung kommen: von rechts.” (Buchstabe: Establishment).
Binden wir also sein “Alphabet rechten Denkens” als Antaios-Pixibüchlein und gehen damit mal hausieren. Die Konsensgesellschaft (der Buchstabe fehlt) wird denken, das Werk wäre authentisch rechts. Denn nur der Erscheinungsort – Feuilleton der ZEIT – garantiert Assheuer seine verständnisinnigen Satireleser. Wir könnten damit was anderes anfangen, wenn wir wollten, danke Ihnen!
Curt Sachs
»Irgendwas dagegen?«
Ja. Schon im zweiten Satz: »jede Kultur … darf sich niemals mit fremden Elementen vermischen.« Neben schlechtem Deutsch ist das auch inhaltlicher Galimathias.