Gut und Böse, nichtphilosophisch

Entscheidend ist daher sowohl für die Betrachtung der Gegenwart als auch Vergangenheit, was man unter "gut" und "böse" versteht.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Gleich vor­weg: Die Hit­ler-Äuße­run­gen von Björn Höcke waren weder gut noch böse, wie es die bun­des­deut­sche Skan­da­lok­ra­tie jetzt her­bei­schrei­ben will. Sie waren allen­falls eine poli­tisch-stra­te­gi­sche Dumm­heit, die einem Mann wie Höcke nicht unter­lau­fen darf.

Im Gegen­satz zum “Denk­mal der Schan­de” hat er in dem Inter­view mit dem Wall Street Jour­nal in aller Deut­lich­keit betont, daß es bei Hit­ler eigent­lich nichts Gutes zu fin­den gibt, aber “rein phi­lo­so­phisch gese­hen” eben jeder Mensch viel­schich­tig zu beur­tei­len sei. Unter nor­ma­len Umstän­den hät­te sich nie­mand für die­se dif­fe­ren­zier­te und zugleich bana­le Erklä­rung inter­es­siert, aber “nor­mal” ist bekannt­lich schon lan­ge so gut wie nichts mehr – auch in patrio­ti­schen Kreisen.

Aber nun end­lich zur Sache: Die­se voll­kom­men unnö­tig auf­ge­bla­se­ne Dis­kus­si­on offen­bart, daß wir kei­ne Vor­stel­lung mehr vom Guten und Bösen haben. Ich hal­te auch nichts davon, die­se Fra­ge rela­ti­vis­tisch zu indi­vi­dua­li­sie­ren oder sie als unlös­bar zu erach­ten. Wir müs­sen sie viel­mehr zuspit­zen, um damit die poli­ti­schen Geg­ner von der hyper­mo­ra­li­schen Front und die Anhän­ger der gren­zen­lo­sen Belie­big­keit stel­len zu können.

In Abgren­zung zur tech­ni­schen Güter­pro­duk­ti­on und zu denen, die das Gute “mit dem Zeit­ge­mä­ßen gleich­ge­setzt” haben, ver­steht der Phi­lo­soph Hel­mut Kuhn in sei­nem Werk Der Staat (1967) die selbst­lo­se Fokus­sie­rung auf den Gemein­sinn dar­un­ter. Drei Ele­men­te neh­men dabei eine beson­de­re Rol­le ein: die “Bereit­schaft zu öffent­li­cher Tätig­keit, und das heißt: zu frei­wil­li­gem Dienst an der Gemein­schaft”, Selbst­hin­ga­be statt “Selbst­be­haup­tungs­wut” sowie der Bezug zum prak­ti­schen Leben, womit eine “Über­ord­nung der Ethik zur Poli­tik als eine mora­li­sche Ver­ge­wal­ti­gung des Wirk­li­chen” ver­mie­den wer­den muß.

Kuhn nimmt an, daß es so etwas wie eine “Schwer­kraft der See­le” gibt, die uns dun­kel bewußt sei und uns den rech­ten Weg wei­se. Staat­lich­keit sei ein Wesens­zug des Men­schen, den die äuße­re Ord­nung jedoch zur Gel­tung brin­gen müsse.

Allein wenn wir die­ser Her­an­ge­hens­wei­se von Kuhn fol­gen, läßt sich bei Hit­ler schon etwas Gutes fin­den. Er ist frei­wil­lig in die Poli­tik gegan­gen und hat die Bereit­schaft zu einer öffent­li­chen Tätig­keit auf­ge­bracht. Die­se gute Eigen­schaft müs­sen wir uns übri­gens gera­de in der Demo­kra­tie bewah­ren, weil sie sonst zwangs­läu­fig unter­geht. Daß dies zugleich aber kata­stro­pha­le Fol­gen haben kann, ist doch voll­kom­men klar und steht über­haupt nicht zur Disposition.

Die Gegen­wart läßt sich mit die­sen iden­ti­fi­zier­ten Ele­men­ten des Guten eben­falls kla­rer sehen: Das Gute stre­ben die­je­ni­gen an, die kon­kret etwas zum Leben ihres Vol­kes bei­steu­ern, ohne dabei eine Beloh­nung sehen zu wol­len. Wer dage­gen nur an die Welt­ge­sell­schaft denkt und das Abs­trak­te dem Kon­kre­ten vor­zieht, han­delt maxi­mal mit guten Absich­ten, die sich fatal aus­wir­ken können.

Die Mög­lich­keit, sich selbst etwas Gutes zu tun – die Paro­le des indi­vi­dua­lis­ti­schen Libe­ra­lis­mus –, ist mit der Defi­ni­ti­on von Kuhn auch aus­ge­schlos­sen, obwohl er zugleich mit allen Ganz­heits­leh­ren hart ins Gericht geht und von einem guten Staat ins­be­son­de­re Selbst­be­schrän­kung erwartet.

Im Gegen­satz zum Begriff des Bösen, der auf­grund der Abkehr von der Reli­gi­on in der west­li­chen Welt völ­lig defor­miert wur­de, läuft das Gute auf Krü­cken noch wei­ter und hat ledig­lich sei­ne äuße­ren Bezü­ge (Hei­mat, Volk, Nati­on und die eige­ne Kul­tur) ver­lo­ren. Das Böse zu benen­nen, ist somit noch schwe­rer, wobei es sich im poli­ti­schen Sinn eigent­lich aus dem Guten logisch ergibt.

Es han­delt sich um die Gleich­gül­tig­keit und eben nicht um einen Teu­fel, der durch die Gegend spa­ziert, Men­schen ver­führt und sei­ne Fein­de aus­rot­tet. Für Han­nah Are­ndt, die 1965 in New York eine viel­be­ach­te­te Vor­le­sung Über das Böse hielt, war die­se Art des Teu­fels nur ein gewöhn­li­cher, alt­mo­di­scher Ver­bre­cher. In der Moder­ne ver­steckt sich das Böse aber viel bes­ser. Are­ndt erklärt dazu:

Das größ­te Böse ist nicht radi­kal, es hat kei­ne Wur­zeln, und weil es kei­ne Wur­zeln hat, hat es kei­ne Gren­zen, kann sich ins unvor­stell­bar Extre­me ent­wi­ckeln und über die gan­ze Welt ausbreiten.

Die Gleich­gül­tig­keit ist also so gefähr­lich, weil sie auf einer Ent­wur­ze­lung des Men­schen auf­baut. Wer kei­ne eige­nen Tra­di­tio­nen mehr kennt, kann sich auch an nichts mehr erin­nern und ist unfä­hig zu dem kri­ti­schen Zwie­ge­spräch vor dem Spiegel.

Die­ses ist das letz­te Mit­tel, was die Betei­li­gung an Unheil ver­hin­dern kann, wenn die staat­li­chen Vor­keh­run­gen ver­sa­gen. Eti­am si omnes, ego non.

Are­ndt geht jetzt noch einen Schritt wei­ter. Die Ent­mensch­li­chung der Opfer ist für sie nur mög­lich, weil sich vor­her die Täter frei­wil­lig selbst­ent­mensch­licht haben. “Das größ­te began­ge­ne Böse ist das Böse, das von Nie­man­dem getan wur­de, das heißt, von mensch­li­chen Wesen, die sich wei­gern, Per­so­nen zu sein”, schreibt sie deshalb.

Die Nie­mands­herr­schaft der Büro­kra­ten in Ber­lin, Brüs­sel und anders­wo kann des­halb mit Fug und Recht als “böse” bezeich­net wer­den. Die Unmög­lich­keit, die tat­säch­lich Ver­ant­wort­li­chen unse­res Hydra-Sys­tems zu iden­ti­fi­zie­ren, soll­te einen dabei genau­so nach­denk­lich stim­men wie die Gleich­gül­tig­keit der Mehr­heit unse­res Vol­kes die­ser Tat­sa­che gegenüber.

Die “Bana­li­tät des Bösen” liegt heu­te dar­in begrün­det, daß die Abschaf­fung Deutsch­lands vom nie­de­ren genau­so wie vom hohen Staats­adel betrie­ben wird. Gemeint sind damit z.B. Beam­te, die es mit der Alters­fest­stel­lung von “Flücht­lin­gen” nicht so genau neh­men, Rich­ter, die ille­ga­le Ein­wan­de­rung baga­tel­li­sie­ren, und all die­je­ni­gen, die den Migran­ten in Nord­afri­ka durch ihr Gut­men­schen­tum “den gela­de­nen Revol­ver in die Hand” drü­cken (Paul Collier).

Adolf Hit­ler dient bei all die­sen Schand­ta­ten als Ent­las­tung. Indem durch poli­tisch kor­rek­tes Urteil fest­steht, daß er – und nur er – das “abso­lut Böse” ver­kör­pert, haben all die schwa­chen Exis­ten­zen, die ledig­lich zur Anpas­sung fähig sind, den per­fek­ten Grund gefun­den, ihre eige­ne Unmün­dig­keit zu legitimieren.

Was heißt dies aber für die poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung der Gegen­wart? Wir müs­sen das tat­säch­lich Gute und Böse erken­nen und benen­nen, ohne Neben­kriegs­schau­plät­ze auf­zu­ma­chen. Wir sind die Guten, die selbst­los in die­sem Staat anpa­cken und die Gleich­gül­tig­keit gegen­über dem Schick­sal unse­res Lan­des been­den wer­den. So viel Selbst­be­wußt­sein muß auf jeden Fall sein!

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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Kommentare (10)

Tweed

9. März 2017 13:26

Ihren Ausführungen muss ich energisch widersprechen. Gut und Böse sind moralische Distinktionen. Die moralische Unterscheidung ist eine Form des Universalismus. Gerade im letzten Artikel von Martin Sellner wurde diese fundamentale Problematik bezüglich des Nationalismus thematisiert. Moralische Werte existieren (für die Universalisten und Moralisten) in einem platonischen Himmel, in einer Welt des Sollens, die von der Welt des Seins durch eine Kluft getrennt ist. Die Moralphilosophie hat sich also immer zwei Fragen gestellt: 1. gibt es eine solche Welt der reinen Werte tatsächlich? 2. wenn ja, haben wir zu diesen Wahrheiten epistemischen Zugang? Ich glaube, dass wir in dieser Frage aber nicht mehr hinter Nietzsche zurückfallen sollten. Er hat klargemacht, was es heißt, nach der Unterscheidung Gut und Böse zu leben: Es ist der Mensch des Ressentiments. Es ist eine entschiedene Verneinung des Lebens! Die Alternative ist die aristokratische Unterscheidung zwischen gut und schlecht, also genau eine Art und Weise zu leben, welche von Rangordnungen ausgeht und zwar indem sie sich selbst zuerst setzt, was einfach in der Natur der Dinge, kurz in unserer Perspektive liegt. Der entscheidende Punkt nach Nietzsches hervorragender Analyse ist: Der Moralist sagt „ich bin gut weil du böse bist“. Der Werte-Aristokrat sagt „ich bin gut“ (und hier könnte schon ein Punkt gesetzt werden), aber in der Realität ist eben die Abgrenzung wichtig: der Feind ist schlecht, aber nicht böse. ("Jenseits" im Schnelldurchgang) Am Schluß Ihres Artikels sagen Sie es selbst: Wir sind die Guten. Es geht ja nicht darum, dass wir das Wort "böse" verbieten sollten. Solche "semantischen Korrektheiten" sind Methoden des Gegners. Aber in der theoretischen Auseinandersetzung sollten wir das Bewusstsein schärfen. Diese ganze Geschichte mit Höcke finde ich deshalb so ärgerlich, dass man sich auf die geistige Niveaulosigkeit des Gegners einlässt, anstatt in den Angriff überzugehen: Dem linken und liberalen Gegner nachzuweisen, dass er dumm ist. Immer wieder und immer wieder. Man muss nicht nur partielle kulturelle Bereiche metapolitisch zurückerobern, sondern das Geistige als Ganzes. Auch die Philosophie, die Semantik und also auch die schärfste geistige Waffe, die Argumentation, also die Logik. Sonst passiert nämlich immer wieder das gleiche.

tOm~!

9. März 2017 13:27

Was, bei allem Respekt, interessiert es mich, was Hannah Arendt schrieb? Sie könnte man gut mit Geschichtsfälschung, also mit dem Bösen in Verbindung bringen, mit "renommierten" Historikern, die von demokratischen Politikern ermuntert, in ihrem Namen die Opferzahlen bei der Zerstörung Dresdens mutwillig herunter gerechnet haben. Was diese Person "Über die Revolution" schrieb, hilft uns Deutschen nicht weiter. Den Ausgangspunkt für den Kampf zwischen Gut und Böse könnte man mal bei Papst Leo VIII. und "Humanum Genus" suchen.

Caroline Sommerfeld

9. März 2017 17:57

Zuerst einmal - warum "nichtphilosophisch", was denn sonst? Dieser Frage kann man sich nicht anders nähern. Ich fürchte bloß, daß Sie mit Arendt nicht besonders weit kommen.

Das größte Böse ist nicht radikal, es hat keine Wurzeln, und weil es keine Wurzeln hat, hat es keine Grenzen, kann sich ins unvorstellbar Extreme entwickeln und über die ganze Welt ausbreiten.

Die Gleichgültigkeit ist also so gefährlich, weil sie auf einer Entwurzelung des Menschen aufbaut.

Hannah Arendt bezieht sich hier auf Kants Vorstellung vom "radikal Bösen", und nicht auf die Entwurzelung des modernen Menschen. Das radikal Böse ist bei Kant deswegen radikal, weil es ein Akt der Freiheit ist. Wer in den Kontingenzen seiner Natur (dem "krummen Holze", wie es bei Kant heißt) gefangen ist, und deswegen äußerlich böse Handlungen vollzieht, ist nicht "radikal" böse. Heute würde man sagen, die "gesellschaftlichen Verhältnisse" haben ihn bestimmt. Wer sich hingegen bei freier Entscheidungsmöglichkeit zwischen Gut/Böse für "böse" entscheidet, tut dies aus Vernunft, aber schließlich gegen sie. Denn selbsterhaltend ist nur das Gute, das Böse von seinem Gegenteil abhängig. Kants These ist systemtheoretisch wiederum nicht haltbar, das lassen wir das für den Moment.

Daß wir selber die Guten sind, ist doch sinnlich evident ;-), die Wahren, Guten und Schönen. Das Böse mit Kant zu begründen, so daß wer böse ist, seine Freiheit verwirft, führt aber m.E. zumindest soweit, daß man erkennen kann: böse ist, was weitere Entscheidungen aus Freiheit unmöglich macht.

Harald

9. März 2017 20:07

Die Systemmedien werfen das Stöckchen und fast alle springen hinterher.An Björn Höcke scheiden sich die echten Rechten von den falschen Rechten.

Findling

9. März 2017 21:53

Das Kernelement eines jeden Volkes ist die Familie, ihm folgt dicht auf die Sippe, dann der Stamm. Aber je weiter es von der Familie abgeht, desto eher ist Feindesland, desto „böser“ wird es.

Völker wie die Deutschen mit einem ehemals starken Wir-Gefühl, haben nur kleinsträumige Vernetzungen. Orientalisch geprägte Gesellschaften setzen traditionell auf Großsippen (Bin-Laden-Clan, Kurdenclans ...). Die Altbürger sind unterlegen, da atomisiert, die Neubürger stammesbewusst und in Verbänden organisiert. So können deutlich schwächere Gruppen über Massen herrschen, so sie den höheren Organisationsgrad und den Willen zur Macht haben. Der Islam ist dem Christentum politisch weit überlegen.

Selbsthingabe anstelle von Selbstbehauptung erwartet ein Bischof Overbeck [ "dass wir nicht für Abschottung und Selbstbehauptung stehen, sondern Räume der Freundschaft für Menschen auf der Suche nach Sicherheit … ( https://www.domradio.de/themen/caritas/2015-09-20/zum-caritassonntag-fordert-bischof-overbeck-bessere-fluechtlingshilfe )]. Er drückt mir eine Spitzhacke in die Hand und spricht: „Mein Sohn, wir wollen das alte deutsche Haus abbrechen und dann ein viel schöneres erbauen. Packen wir´s an! Aber nicht mir mürrischem Gesicht. Fröhlich, ein Psalm auf den Lippen: Der Herr weidet mich auf grünen Auen …“ Aber es folgt nur eine wölfische Steppe. Die Kirchen stehen für das Gaukeln, das Schlängeln und die Judasküsslein des gesamten politischen Systems. Lediglich kleine, versprengte Gruppen ohne wirkliche Aussicht auf Gestaltung unserer Zukunft wie hier auf Sezession irren gleich Erinnerungen durchs Moor. Teilnahme an öffentlicher Tätigkeit heißt doch seinen Kopf an eine Mauer zu schlagen oder aber als Entsorger des Eigenen engagiert zu sein.

Nach menschlichem Ermessen ist dem Mahlstrom nicht mehr zu entkommen, es sei denn ein Donar schleuderte seinen Hammer der Schlange aufs Haupt. Wer das Böse von Hitler beschwört, braucht nicht selten ein „haltet den Dieb“.

Kardinal Ratzinger berichtete von einer Erinnerung (Focus anno?), die in seiner oberbayrischen Heimat zirkulierte. Hitler sei fahl im Gesicht am Tisch sitzend vorgefunden worden. Angesprochen habe er gestammelt: „Er war wieder da!“ „Wer?“ „ER“. Ratzinger deutete an, Hitler habe sich dem Dämon verschrieben. Dabei wäre Hitler in ganz nobler Gesellschaft: Adam Weishaupt und Karl Marx, Lenin und Stalin, Mao und Präsident X … Aktuell: https://www.epochtimes.de/politik/welt/der-dunkle-ursprung-des-kommunismus-satanismus-illuminaten-und-ihr-hass-auf-die-welt-a2065872.html

Der Teufel als Personifizierung des Bösen wurde schon oft verabschiedet. Er ist immer noch da.

Der Feinsinnige

10. März 2017 02:32

Sehr geehrter Herr Menzel, Sie schreiben u.a.:

„Allein wenn wir dieser Herangehensweise von Kuhn folgen, läßt sich bei Hitler schon etwas Gutes finden. Er ist freiwillig in die Politik gegangen und hat die Bereitschaft zu einer öffentlichen Tätigkeit aufgebracht. Diese gute Eigenschaft müssen wir uns übrigens gerade in der Demokratie bewahren, weil sie sonst zwangsläufig untergeht. Daß dies zugleich aber katastrophale Folgen haben kann, ist doch vollkommen klar und steht überhaupt nicht zur Disposition.“

Es tut mir leid, aber dem kann und will ich nicht folgen. Ich verstehe zwar vermutlich, was Sie sagen wollen, nämlich den in einer Demokratie (die Deutschland ja zu der fraglichen Zeit in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zweifellos war) grundsätzlich positiven Impuls, in die Politik zu gehen, von den späteren Folgen dieses Impulses zu abstrahieren. Diese Abstraktion bei einer Person wie Hitler ist nicht möglich, und zwar unabhängig von allen geschichtsphilosophischen Überlegungen, die theoretisch noch so berechtigt sein mögen (natürlich gibt es nicht das „absolut Böse“ in der Geschichte, welches auch Björn Höcke laut JF-Meldung verneint haben soll, vgl. Artikel von Götz Kubitschek, „Politischer Waschzwang“ auf diesem Block). Aber das bedeutet doch nicht, daß man bei einer Person wie Hitler (oder Stalin oder Pol Pot oder meinetwegen Nero oder oder oder) eine solch banale Regung, wie diejenige, in die Politik zu gehen, als „etwas Gutes“ bezeichnen kann. Hätten Hitler oder die anderen Genannten dieser Regung doch bloß nicht nachgegeben – das wäre gut gewesen, jedenfalls besser für die Menschheit!

Mich ärgert an der ganzen Diskussion folgendes:

Erstens ist der vollständige Wortlaut der Äußerungen Björn Höckes offenbar noch nicht öffentlich. Das „Wall Streat Journal“ versteckt seinen Artikel hinter einer Bezahlschranke. Es wäre gut, das Gespräch im Zusammenhang lesen zu können, wenn es denn tatsächlich eine Aufzeichnung geben sollte. Bislang habe ich zum Beispiel in keiner Meldung über das Interview die im obigen Artikel Höcke zugeschriebene Aussage gefunden, „daß es bei Hitler eigentlich nichts Gutes zu finden gibt.“

Zweitens ist es inzwischen auch den Gutwilligsten kaum noch möglich, anderen begreiflich zu machen, was einen an Björn Höcke positiv faszinieren kann. Ich habe immer versucht, Björn Höcke zu verteidigen, auch nach der Dresdner Rede, auch hier in diesem Block (insbesondere bei Martin Lichtmesz, „Notizen zur Rede von Björn Höcke“), weil ich davon ausgehe, daß Höcke lernfähig ist und daß Deutschland und die AFD von ihm, seiner Intelligenz, seinen rhetorischen Fähigkeiten, seinem politischen Talent profitieren könnten. Ich habe auch vorgestern noch unter „Politischer Waschzwang“ die Hoffnung geäußert, daß die neuerliche Attacke gegen Höcke im Sande verlaufen möge.

Jedoch ist mein diesbezüglicher Optimismus langsam am Ende. Eine geschichtsphilosophisch gemeinte Äußerung kann noch so diskutabel sein (ob sie es in diesem Fall ist, kann ich derzeit nicht sicher beurteilen, weil ich sie nicht vollständig kenne) – einmal in der Tagespresse gelandet läßt sie sich nicht mehr kontrollieren und vor dem Herausreißen aus dem Kontext bewahren. Da nützen auch keine noch so klugen Erklärungsversuche. Der Eindruck in der Öffentlichkeit, auch wenn er noch so falsch sein sollte, ist verheerend. Denn einer veröffentlichten Meinung im Zeichen der PC stehen weit überwiegend Bürger gegenüber, die keine Ahnung von Geschichtsphilosophie haben und auch nicht haben müssen. Der Versuch, ausgerechnet am Beispiel Hitler (Stalin usw., s.o.) darzulegen, daß es in der Geschichte kein „schwarz“ und kein „weiß“ gebe, kann nur scheitern.

Inzwischen beschränkt sich mein Restoptimismus darauf, daß Höcke in der AFD verbleiben darf. Er wird aber wohl in überschaubarer Zukunft keine führende Rolle mehr in dieser Partei spielen.Auf seiner Facebook-Seite hat Björn Höcke am 9.3.2017 um 11.07 folgende Erklärung abgegeben:

„Aus aktuellem Anlass: Das nun vom Wall Street Journal veröffentlichte Interview habe ich unmittelbar im Anschluß an die Dresdener Rede geführt. Die Tatsache, daß diese Geschichte jetzt nach Wochen aufgewärmt wird, spricht für ihren Kampagnencharakter. Und der Eindruck, daß ich nicht von geschichtspolitischen Reden lassen kann, ist daher falsch. Seit der Dresdener Rede habe ich mich nicht mehr zu geschichtspolitischen Themen geäußert und werde das in Zukunft auch nicht mehr tun, weil die Probleme der Gegenwart und der Zukunft gelöst werden müssen und wir uns nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen sollten. In Zukunft werde ich Fragen von Journalisten abblocken, die mich in historische Themen verwickeln wollen, weil die Fragen nur aus Stigmatisierungsinteressen heraus erfolgen und nie aus Interesse an echtem Erkenntnisgewinn. Damit ist für die AfD nichts zu gewinnen.“

Diese Erkenntnis sechs Wochen früher – und Björn Höcke und der AFD wäre vieles erspart geblieben. Unter anderem hätten wir alle nicht so viel Zeit verloren, die sinnvoller verwendet gewesen wäre, die heutige politische Lage, die Katastrophe, vor der Deutschland und Europa stehen, die schon begonnen hat, zu bearbeiten.

Ich bitte, mir diese recht emotional aufgeladene Stellungnahme nachzusehen. Ich habe große Hoffnungen in Björn Höcke gesetzt, die sich nun wohl nicht erfüllen werden.  Ich gehe jedoch davon aus, daß Sie mich verstehen können, haben doch schließlich Sie selbst am 18.1.2017 zu der Dresdner Rede geschrieben: „...eine Bedürfnisbefriedigung an der völlig falschen Stelle zum völlig falschen Zeitpunkt.“ (https://www.blauenarzisse.de/hoecke-in-dresden-es-musste-zum-skandal-kommen/) Das gleiche gilt für das fragliche Interview.

Ich schließe mit dem Satz von @Schneekette vom 5.3.2017 aus der Diskussion zu Lutz Meyer („Der heilsame Einbruch der Realität“ vom 2.3.2017): „WEIL ES NICHT FUNKTIONIERT!!!“

Gotlandfahrer

10. März 2017 11:42

Das nervöse Vibrieren um ostentativ herausgeschälte Spitzfindigkeiten herum zeigt, dass wir Präsenz verloren haben. Es fehlen die Bilder und der Michel ist müde und froh, sein Existenzthema nicht mehr vor Augen geführt zu bekommen. Die Maschine bedient und fördert das Bedürfnis mit den bekannten Mitteln. Wir sind in die Phase der retardierenden Sedierung, der lokale Spannungsbogen ist mit Trump zunächst gebrochen. Es fehlen derzeit die Mittel, höhere Energie an die Masse zu leiten. Die Gut / Böse Diskussion ist Beschäftigungstherapie an der nächtlichen Bushaltestelle.

Dietrich Stahl

10. März 2017 12:09

@ Findling

Ihre Einschätzungen sind sehr pessimistisch. Sie kennen doch sicher die kleine Maus, die in den Krug mit Milch gefallen ist … Sie gestatten mir den Scherz. Das Folgende ist zumindest kontraproduktiv: "Die Altbürger sind unterlegen […] Nach menschlichem Ermessen ist dem Mahlstrom nicht mehr zu entkommen" Warum dann hier kommentieren? Selbst die kleine Maus entkommt – mit der richtigen Haltung – der Milch-Falle. Des Deutschen Wappentier ist der Adler. Und zwar nicht der mickrige Bundesadler.

@ Der Feinsinnige:

"Ich bitte, mir diese recht emotional aufgeladene Stellungnahme nachzusehen. Ich habe große Hoffnungen in Björn Höcke gesetzt, die sich nun wohl nicht erfüllen werden." Jeder von uns hat zu irgendeinem Zeitpunkt schon Hoffnungen in etwas oder jemanden gesetzt. Vielleicht ist Hoffnung manchmal überlebensnotwendig. Björn Höcke – ein guter Mann. Persönlich setze ich aber keinerlei Hoffnungen in ihn. Er liebt Deutschland und das deutsche Volk; und er tut sein Bestes. Das reicht vollkommen.

Eine Geschichte: Ein Sohn hatte ein wildes Pferd gefangen. Das Dorf jubelte: „Das ist gut.“ Der Großvater sagte: „Wir werden sehen.“ Der Sohn fiel beim Einreiten vom wilden Pferd und brach sich ein Bein. Alle jammerten: „Oh, das ist schlecht.“ Großvater: „Wir werden sehen.“ Ein Krieg brach aus. Die Armee holte die jungen Männer aus den Hütten und nahm sie mit. Nur den mit dem gebrochenen Bein ließen sie bei den Seinen. Das Dorf: „Was für ein Glück.“ Der Großvater sagte: „Wir werden sehen.“

Abdiel

11. März 2017 22:20

"Jenseits von Gut und Böse kann man zwar philosophieren, aber nicht leben." Dem Satz kann ich hundertprozentig zustimmen. Das ganze Elend der zeitgenössischen Geisteswissenschaften beruht darauf, dass sie unfähig sind, diese Differenz zu erkennen. Philologische Theoriebildungen werden mit lebbaren Optionen verwechselt, besonders dramatisch erkennbar an der Dekonstruktion und an den gender studies.

@tweed Das hat nichts damit zu tun, daß man hinter Nietzsche zurückfiele. Nietzsche erstellt eine Genealogie der Moral als aus dem Ressentiment entstanden. Diese Aussage über die Herkunft eines Phänomens (die nebenbei bemerkt durchaus Qualifizierung verträgt, da sie selbst einseitig ist) ist keine Aussage darüber, ob man das Phänomen (hier die Moral) zum "Leben" benötigt oder nicht. Antrhropologisch werden "gut-böse" Unterscheidungen vermutlich ohnehin spontan reproduziert, mir ist keien Gesellschaft bekannt, die ohen auskommt (aber ich lasse mich gern belehren.)

Cacatum non est pictum

12. März 2017 01:21

@Dietrich Stahl

Eine Geschichte: Ein Sohn hatte ein wildes Pferd gefangen. Das Dorf jubelte: „Das ist gut.“ Der Großvater sagte: „Wir werden sehen.“ Der Sohn fiel beim Einreiten vom wilden Pferd und brach sich ein Bein. Alle jammerten: „Oh, das ist schlecht.“ Großvater: „Wir werden sehen.“ Ein Krieg brach aus. Die Armee holte die jungen Männer aus den Hütten und nahm sie mit. Nur den mit dem gebrochenen Bein ließen sie bei den Seinen. Das Dorf: „Was für ein Glück.“ Der Großvater sagte: „Wir werden sehen.“

Diese schöne Anekdote kenne ich aus dem Film "Der Krieg des Charlie Wilson". Sie wird dort von der Figur Gust Avrakotos zum Besten gegeben. Haben Sie sie daher?

Vielen Dank übrigens für Ihre von Optimismus geprägten Einsprengsel hier. Die tun zuweilen wirklich gut.

 

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