Selbst mit dem Attribut „schön“ verhält es sich bei Tenenbom ähnlich wie mit Astrid Lindgrens Karlsson. Was TT angeht: Man muß ein pinkrosa Brillengestell schon schön finden wollen! Tuvia Tenenboms Buch Allein unter Amerikanern (2016) hatte ich meinem Buchvorstellungsvideo in den höchsten Himmel gelobt. Die Vorgänger, Allein unter Deutschen und Allein unter Juden, las ich ebenfalls gern. Man wird als Leser dieser Tenenbomschen Masche nicht müde! Der Autor selbst ist ja selbst immer irgendwie Teil seines Untersuchungsobjekts: Jude, Amerikaner (Gründer der New Yorker Jewish Theater), deutsche Wurzeln. Für sein neuestes Buch hat er sich „Allein unter Flüchtlinge“ (hier entlang zum Buch!) begeben.
Tenenbom geht hier vor wie gewohnt: Er streift durch die Lande, läßt sich treiben, hat dabei ein paar Vorstellungen im Kopf und fragt die Leute sehr einfache Sachen: Was macht ihr so? Wie denkt ihr, und warum? Was wollt ihr eigentlich? Und dann, das ist das Besondere, dreht er die Antworten eben nicht durch eine hochdiffizile wie störungsanfällige Kopfmaschine, sondern er schreibt es ungefiltert auf: was er gesehen hat und was man ihm sagte.
Für sein neues Buch besuchte er diverse deutsche Flüchtlingslager, sprach mit Syrern, Afghanen und Iranern, dann mit Befürwortern und Gegnern der „offenen Grenzen“ und der „Obergrenze“.
Die meisten Gesprächspassagen mit Volker Beck mußten leider „aufgrund rechtlicher Erwägungen“ vor Drucklegung geschwärzt werden. Warum? Zunächst hatte Tenenbom eine Podiumsdiskussion „mit und zu queeren Flüchtlingen“ besucht, veranstaltet von den Grünen (Slogan: “Du. Wir. Queer.”)
Tenenbom: „Es war schon immer ein heimlicher Traum von mir, ein paar syrische Lesben und Transgender-Afghanen kennenzulernen“. Nun waren auf jener Veranstaltung zwar Volker Beck und sehr viele Flüchtlingsfreunde, aber nur zwei „queere Geflüchtete“. Tenenbom hält es für möglich, daß die Partei die Vorstellung von zahlreichen „queeren und tuntigen Flüchtlingen als Köder“ benutzt habe: „Kein schlechter Trick.“
Ich frage mich, wieviele Muslime sich in den syrischen, Libyschen, afghanischen und irakischen Krankenhäusern gerade einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Aber wenn einem Raketen und Kugeln um die Ohren pfeifen, ist natürlich alles möglich.
Volker Beck mag diesen Laut der Spottdrossel geahnt haben, jedenfalls sind von dem späteren Gespräch mit ihm allein Tenenboms halb naive, halb kritische Fragen zu lesen. Ich will mal eine kleine Passage zitieren:
Tenenbom: „Aber kann man anderen Dinge predigen, die man selbst nicht tut?“
Volker Beck: XXXXXXXXXXXX [knapp vier Zeilen]
Ich bewundere Volker. Mir würde im Leben kein solcher Satz über die Lippen kommen, er aber bringt das fertig.
Daß der Autor mitnichten ein habitueller Ätztyp ist, sondern ein empathischer Mensch, zeigen jene Kapitel, wo er sich nicht unter Flüchtlingsfreunde begibt, sondern mittenrein geht: In die entsetzlichen Lager, wo junge Menschen zusammengepfercht sind wie Vieh, ohne Privatspäre, ohne hygienische Mindeststandards, ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Diese meist – nicht immer- elenden Zustände bedeuten nicht, daß die, die das ertragen müssen, wunderbare Menschen sind. Sind sie – glaubt man Tenenbom, und er scheint mir ein ehrlicher Typ zu sein – in großer Zahl ein bißchen verlogen; richtig gemein und voller unlauterer Absichten? Doch, auch solche trifft er.
Das gefällt mir eigentlich am besten an Tenenboms Büchern: Daß er die ganz miesen Typen (auch ein dummer deutscher Kleincomedian ist darunter) weder beim Klarnamen nennt noch ein Photo liefert. Billige Anschwärzerei hat er genausowenig nötig wie die Erzeugung von phantasierten Pappkameraden.
Nun hat Tenenbom auch mit vielen Gegnern der Bundesflüchtlingspolitik gesprochen. Nicht nur mit „Anja“ und anderen Zufallsbekanntschaften auf der Straße, sondern auch mit Frauke Petry, Lutz Bachmann, Akif Pirinçci – und mit „dem Teufel“ schlechthin, Götz Kubitschek. (Das entsprechende Kapitel lautet „Der Untote“.)
Achtung! Um nicht x weitere Seiten zu schreiben, muß ich hier breit spoilern! Wer wissen will
- warum Tenebom Frauke Petry liebt,
- weshalb Akif Pirincci ihn „berührt. Tief.“,
- warum er sich bei Lutz Bachmann an den „typischen New Yorker“ erinnert fühlt,
- wie er sich im Hause des „verrufensten Menschen von ganz Deutschland“ (also G.K.) gefühlt hat und
- was Frauke Petry eigentlich gegen den „Schurken“ Kubitschek hat,
dann bitte: Lesen Sie dieses Buch!
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Tuvia Tenenbom: Allein unter Flüchtlingen, Berlin 2017. 234 S., 13,95 € – hier einsehen und bestellen!
Neffe Mannheims
Das klingt sehr spannend. Habe bereits drei Bände der Allein-Unter-Reihe gelesen (Juden, Deutsche, Amerikaner) und war hell auf begeistert. Und was Sie hier über den Flüchtilanten-Band schreiben, klingt sehr verlockend. Schon allein weil ich ein großer Kubitschek- und Pirincci-Fan bin, macht diese Rezension mich sehr neugierig.