Er dürfte nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nachhaltig verändern und spielte im konservativen Diskurs bisher kaum eine Rolle, obwohl Schlagworte wie fahrerlose Autos, „Internet der Dinge“, 3‑D-Drucker oder „Big Data“ mittlerweile ständiger Bestandteil medialer Berichterstattung sind.
Für nicht wenige Experten, so zum für Beispiel Klaus Schwab, den Chef des Weltwirtschaftsforums, sind diese Begriffe Indikatoren einer neuen industriellen Revolution, genauer: der „Vierten Industriellen Revolution“, die durch Verschmelzung von Technologien gekennzeichnet sei, die die Grenzen der physikalischen, digitalen und der biologischen Sphäre verschwimmen lasse.
Grund für den Quantensprung des technischen Fortschritts ist das rasche Wachstum der Leistungsfähigkeit der Rechner. Der damit verbundene Leistungssprung macht sich unter anderem in der Robotik, der Nutzung und Vernetzung riesiger Datenmengen und in der Künstlichen Intelligenz (KI) bemerkbar.
Wie bisher jede industrielle Umwälzung birgt auch die gerade beginnende Ära der Digitalisierung Chancen und Risiken. Die Diskussion in Deutschland oszilliert dabei zwischen zwei Extremstandpunkten. Einer dieser Extremstandpunkte lautet, das Thema Digitalisierung sei eigentlich kein Thema; vielmehr handele es sich hier um eine Art „Medien-Hype“. Gerade im Hinblick auf seine technische Leistungsfähigkeit sei, war und bleibe Deutschland Weltspitze. Die journalistische Panikmache in bezug auf Deutschlands Zukunft bei der „digitalen Revolution“ sei völlig unbegründet.
Das zweite Extremszenario ist das der Untergangspropheten. Die laufende aktuelle industrielle Revolution werde, so ihre Überzeugung, jeden zweiten Arbeitsplatz vernichten, ohne daß hinreichend neue entstünden. Die einzigen, die profitierten, seien die Programmierer, die als „Hohepriester der Digitalisierung“ den Takt vorgäben. Alle anderen benötige man bestenfalls noch als „Hand- und Spanndienstleister“.
In dieses Szenario gehört auch das Schüren der Angst vor einer um sich greifenden „digitalen Demenz“ – namentlich durch den Psychologen Manfred Spitzer –, die angeblich insbesondere Kinder und Jugendlichen durch die exzessive Nutzung des Internets drohe.
Eine begründete Positionierung zu diesen Extremszenarien sollte bei der Frage einsetzen, warum wir es mit einer neuerlichen technischen Revolution – oder, was ich bevorzugen würde: einem neuerlichen technischen Transformationsschub – zu tun haben und was das für Deutschland bedeutet.
Nun könnte man meinen, die laufende „Vierte Industrielle Revolution“ ist mehr oder weniger eine Fortsetzung der „Dritten Industriellen Revolution“, die durch Automatisierung der Produktion durch Elektronik und Informationstechnologie gekennzeichnet war. Dem ist aber nicht so.
Die Schnelligkeit, Reichweite und systemische Wirkung, die wir heute beobachten, bedeutet nach Meinung der Experten eine Entwicklung im exponentiellen und nicht im linearen Tempo. Die Vernetzung von immer mehr Menschen durch mobile Endgeräte, vor allem aber eine noch nie dagewesene Verarbeitungs- und Speicherkapazität, ermöglichten bahnbrechende technische Durchbrüche.
Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, beide Ökonomen am Massachusetts Institute of Technology (MIT), haben in ihrem Buch The Second Machine Age. Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird die großen Linien kommender Entwicklungen gezogen. „Computer und andere digitale Errungenschaften haben auf unsere geistigen Kräfte die gleiche Wirkung wie die Dampfmaschine und ihre Ableger auf die Muskelkraft“, meinen McAfee und Brynjolfsson.
Das, so sind die beiden Amerikaner überzeugt, werde unsere Gesellschaft umkrempeln. Denn die Digitaltechnik sei eine Basistechnologie, ähnlich wie die Elektrizität. Damit treibe sie die wirtschaftliche Entwicklung in allen Sektoren, also nicht nur im Bereich Informationstechnik, voran. Und das Tempo der Innovationen werde ihrer Ansicht nach sogar noch zunehmen. Hierzu gibt es allerdings auch Stimmen, die das deutlich pessimistischer sehen.
In der sich ankündigenden neuen Ära werde gemäß dieser Ausführungen das, was derzeit unter dem Schlagwort „Internet der Dinge“ subsumiert wird, eine zentrale Rolle spielen. In der US-Innovationsschmiede Silicon Valley bewirke dieses „Internet der Dinge“ – so z. B. die beiden Journalisten Marc Beise und Ulrich Schäfer in ihrem Buch Deutschland digital. Unsere Antwort auf Silicon Valley – derzeit eine regelrechte „Metamorphose“.
Groß geworden sei das Tal mit „Handys, dem Internet, Suchmaschinen, Online-Shops und Dienstleistungen für Verbraucher“. Alles das wäre aber nur ein Anfang gewesen. Nun bastele Silicon Valley an der „nächsten, sehr viel umfassenderen Ausbaustufe, dem Internet der Dinge. Alles, wirklich alles, was unser Leben ausmacht, soll mit dem Netz verknüpft werden“.
Die meisten Geräte, die im „Internet der Dinge“ angeschlossen sein werden, werden nicht privat genutzt werden, sondern in „smarten Fabriken, smarten Bürogebäuden, smarten Systemen zur Verkehrssteuerung oder in smarten, mit modernster Medizintechnik ausgestatteten Kliniken und Arztpraxen“ stecken.
Noch sind, das zeigen Beise und Schäfer auf, viele Unternehmen aus Deutschland klare Weltmarktführer, darunter etliche Hidden champions in der schwäbischen Provinz oder im Raum München. In der Tat finden sich nirgendwo auf der Welt so viele „heimliche Gewinner“ wie in Deutschland. Die Mittelständler aus den Branchen Maschinenbau, Elektro‑, Kfz- oder Medizintechnik bilden neben Konzernen wie Daimler, Siemens oder SAP die Basis des deutschen Wirtschaftserfolges.
Weitere Weltmarktführer hat Bernd Venohr in seinem „Lexikon der deutschen Weltmarktführer“ zusammengetragen. Deutschland ist in der Kombination von klassischer Ingenieurskunst mit Software nach wie vor führend in der Welt. Zwar gibt es in Deutschland kein „Silicon Valley“, aber es gibt „Hotspots“ der Gründerkultur, so im Südwesten, in Berlin oder München, die hier pars pro toto genannt seien. Gerade auch Berlin hat sich, das belegen Medienberichte anhand etlicher Beispiele, geradezu zu einem Eldorado von Start-up-Unternehmen entwickelt, das für manche Gründer „hipper“ als Silicon Valley sein soll.
Viele Fachleute sind der Meinung, daß Deutschland beim „Internet der Dinge“ einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil gegenüber branchenfremden US-IT-Riesen hat; unter anderem deshalb, weil es hier auf absolute Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit ankomme.
Allerdings steht die Standortfrage auch unter dem Vorbehalt, daß die jungen Gründer in Deutschland an hinreichend Geld kommen, um ihre Ideen zu verwirklichen. Während über ihren Kollegen in Silicon Valley Millionen von US-Dollar abregnen, die ermöglichen, den Turbo einzuschalten, sei der Börsengang deutscher Internetfirmen in etwa „so selten wie eine Sonnenfinsternis“.
Der Politik empfehlen Fachleute deshalb das kleine Einmaleins der Wirtschaftswissenschaften: ein gutes Bildungssystem und Impulse für Start-ups sollen ebenso für die Digitalisierung rüsten wie eine moderne Infrastruktur und eine gezielte Anwerbung von qualifizierten Einwanderern.
Nur en passant: Daß sich Deutschland seit Jahrzehnten genau das Gegenteil leistet, nämlich die Migration weitgehend unqualifizierter Zuwanderer, wenn nicht gar von Analphabeten, wird sich vor dem Hintergrund der Herausforderungen der „digitalen Revolution“, die entsprechende berufliche Qualifizierungen zu einer conditio sine qua non macht, noch als massive Belastung erweisen.
Festzuhalten bleibt unter dem Strich, daß Europa und damit auch Deutschland das Rennen um Privatkunden und die private Nutzung des Internet bereits an die US-Netzgiganten Google, Apple, Yahoo oder Facebook auf unabsehbare Zeit verloren hat; laut Meinung vieler Fachleute sei der Vorsprung der Amerikaner nicht mehr aufzuholen. Wie groß der Abstand bereits ist, verdeutlicht eine Studie der deutschen Stiftung Internet Economy Foundation, die im April 2016 vorlegt wurde.
Zwar handelt es sich hier um eine Lobbyorganisation deutscher Digital-Unternehmer, nichtsdestoweniger stimmt eine von der IEF veröffentlichte Kennzahl nachdenklich: Die zehn größten Netz-Unternehmen der USA waren zu diesem Zeitpunkt mehr als 1,7 Billionen Euro wert, während es die zehn größten deutschen „Rivalen“ gerade einmal auf einen zweistelligen Milliardenbetrag brachten.
Tobias Kollmann, Beauftragter für Digitale Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen, und Focus-Chefkorrespondent Holger Schmidt bemängeln in ihrem Buch Deutschland 4.0. Wie die Digitale Transformation gelingt, daß das Verständnis „für die bevorstehenden Änderungen im digitalen Zeitalter in der deutschen Wirtschaft nicht verbreitet“ sei. Seitens der Produktions- und Fachbereichsverantwortlichen fehle nach wie vor die Einsicht darin, „in welchem Ausmaß technologische Entwicklungen die Geschäftstätigkeit ihres Betriebs verändern werden“. Das Manko der deutschen Wirtschaft sehen sie vor allem in einem falschen Ansatz, der mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“ verbunden sei:
Die Digitalisierung der Fabriken reicht aus ihrer Sicht nicht aus, Wettbewerbsvorteile auf Dauer zu sichern. Die Konzentration auf Effizienzvorteile in der Produktion verstelle den Blick auf die „nötigen Innovationen auf der Produktseite, um die Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen“.
Die größten Erfolgsaussichten habe Deutschland bei der industriellen Nutzung des Netzes; hier habe, darin sind sich viele Fachleute einig, Europa und allen voran Deutschland durchaus gute Chancen, einen Gutteil des Wachstums zu generieren, wenn die Weichen auch politisch in die richtige Richtung gestellt werden. Gefordert ist hier insbesondere auch die Politik, deren Antworten auf die digitale Herausforderung bisher eher unbefriedigend sind.
Das beginnt bereits bei dem Umstand, daß die Federführung für die Digitale Agenda auf drei verschiedene Ministerien aufgeteilt ist, nämlich in den Ministerien Wirtschaft, Inneres und Verkehr. Es braucht keine tiefschürfenden Studien, um zu erkennen, daß diese Konstellation alles andere als effizient ist, selbst bei bestem Willen aller Beteiligten.
Für eine substantielle Verbesserung werden nach Kollmann und Schmidt derzeit drei Modelle diskutiert: Das erste Modell sieht ein eigenes Ministerium für Digitales (Internet-Ministerium) mit eigenem Budget, Personal und Zuständigkeiten vor. Das zweite Modell läuft auf eine Koordinierung der Digitalpolitik im Kanzleramt hinaus.
Hier steht der Vorschlag im Mittelpunkt, daß ein zuständiger Staatsminister für Digitales oder ein Bundesbeauftragter die einzelnen Ressorts koordiniert. Für dieses Modell gibt es bereits Vorbilder, zum Beispiel im Bereich Kultur und Medien. Ein dritter Ansatz setzt auf Staatssekretäre für Digitales in den bisherigen drei Ministerien, die sich direkt miteinander austauschen können.
Welche Lösung sich hier auch immer herauskristallisiert, mit Blick auf die genannten Extremszenarien kann festgehalten werden: Der hysterische Alarmismus der Angsttrompeter, die Deutschland bereits auf dem Weg zum „Technikmuseum“ sehen, ist weitgehend unbegründet. Allerdings gibt es Nachhol- und Optimierungsbedarf; ein Zurücklehnen à la “Deutschland war schon immer ein Hochtechnologiestandort und wird es bleiben” wäre fatal.
Zielfördernd im Sinne einer Absicherung der Zukunftspotentiale Deutschlands wäre es sicherlich auch, wenn der Wissenschaftsetat beispielsweise zugunsten der anwendungsorientierten Forschung auf fehlgeleitete finanzielle Mittel hin überprüft würde. Konkret meine ich damit unter anderem die mittlerweile ca. 150 Gender-Professuren an den deutschen Universitäten und die 50 Gender-Professuren an Fachhochschulen (Stand: Oktober 2014). Das entspricht, und diese Zahl spricht für sich, nahezu der Anzahl der Pharmazieprofessuren (191).
Der wissenschaftliche Ertrag dieser Gender-Lehrstühle ist, um es vorsichtig zu sagen, mehr als fragwürdig. Überdies werden tausende junge Leute in ihrer Mehrzahl für die Arbeitslosigkeit ausgebildet, die anderswo dringend gebraucht würden. Zu Recht fragt deshalb mit Blick auf die sogenannten Gender studies die Welt: „Wer gebietet diesem Wahnsinn endlich Einhalt?“
Nemo Obligatur
Schön, dass sich die Sezessen auch einmal diesem Thema widmet. Ich muss zugeben, dass ich beim Stichwort "Digitalisierung" ein nagendes, beklemmendes Gefühl empfinde. Kurz gefasst: DIe Dinge ändern sich rasend schnell und ich werde in der Welt von morgen nicht mehr gebraucht. Abgelöst durch einen Algorithmus, den irgendein Inder oder ein Berliner Hipster programmmiert hat. Natürlich ist das ein konservatives Thema. Ich sehe die Digitalisierung ähnlich wie die Globalisierung. Es wird viele Gewinner geben, aber auch etliche Verlierer. Vor allem aber wird sich die Welt nochmals schneller ändern. Dazu gehört die weitere Auflösung aller Werte. Tut das dem Menschen gut? Jein. Es kommt eben darauf an, ob man Gewinner oder Verlierer ist. Können wir das verhindern? Definitiv nein. Ebenso wie die Globalisierung kommt die Digitalisierung wie eine Urgewalt über uns. Die Vernetzung aller Dinge. Davon machen wir uns wahrscheinlich gar keine Vorstellung. Andererseits wird das Leben seit 200 Jahren immer besser. Wir können auch erwarten: Pflegeroboter, ungeheuere medizinische Fortschritte, die Umwelt wird sauberer, die Welt sicherer, wer lernen will, kann schneller und mehr lernen als je zuvor. Viel wird von der Verteilung des Gewinns abhängen. Wer weiß, vielleicht löst der rasante Produktivitsgewinn, der mit der Digitalisierung erwartet werden darf, unser Rentenproblem. Auf das Negativszenario wird hier jeder von alleine kommen...