Napoleons Ende 1815

Der »Flug des Adlers« hat die Zeitgenossen ebenso die Fassung verlieren lassen, wie er begeisterte (viele Franzosen) respektive ergrimmte (die Sieger von 1813/14). Die Rede ist von Napoleons historisch fast einzigartiger Rückkehr an die Macht als zwischen heldisch-übermenschlicher Größe und blankem Wahnsinn stehende und zwischen Glück und Zufall sowie eisernem Willen kaum an Maßstäben wie den »Umständen« oder aber einem »Plan« zu messende Tat. Des vormaligen republikanischen Kaisers und revolutionären Diktators letzte hundert Tage an der Macht bis hin zur die Geschicke des folgenden Jahrhunderts entscheidenden Schlacht bei La Belle Alliance bzw. Waterloo (18. Juni 1815) jähren sich heuer zum zweihundertsten Male, was ein gutes Dutzend Kenner zur Beschreibung in Buchform herausgefordert hat. Aus der Fülle an Neuerscheinungen zum Jubiläum sei hiermit eine Auswahl präsentiert.

Der »Flug des Adlers« hat die Zeit­ge­nos­sen eben­so die Fas­sung ver­lie­ren las­sen, wie er begeis­ter­te (vie­le Fran­zo­sen) respek­ti­ve ergrimm­te (die Sie­ger von 1813/14). Die Rede ist von Napo­le­ons his­to­risch fast ein­zig­ar­ti­ger Rück­kehr an die Macht als zwi­schen hel­disch-über­mensch­li­cher Grö­ße und blan­kem Wahn­sinn ste­hen­de und zwi­schen Glück und Zufall sowie eiser­nem Wil­len kaum an Maß­stä­ben wie den »Umstän­den« oder aber einem »Plan« zu mes­sen­de Tat. Des vor­ma­li­gen repu­bli­ka­ni­schen Kai­sers und revo­lu­tio­nä­ren Dik­ta­tors letz­te hun­dert Tage an der Macht bis hin zur die Geschi­cke des fol­gen­den Jahr­hun­derts ent­schei­den­den Schlacht bei La Bel­le Alli­ance bzw. Water­loo (18. Juni 1815) jäh­ren sich heu­er zum zwei­hun­derts­ten Male, was ein gutes Dut­zend Ken­ner zur Beschrei­bung in Buch­form her­aus­ge­for­dert hat. Aus der Fül­le an Neu­erschei­nun­gen zum Jubi­lä­um sei hier­mit eine Aus­wahl präsentiert.

Wer sich tat­säch­lich nur in Kür­ze infor­mie­ren will, hat ein schma­les Taschen­buch zur Ver­fü­gung (Mari­an Füs­sel: Water­loo 1815, C.H. Beck 2015. 127 S., 8.95 €). Das Buch bie­tet rela­tiv vie­le Details auf klei­nem Raum und einen guten Ein­blick in das Schlacht­ge­sche­hen. Die poli­ti­schen Hin­ter­grün­de und Aus­wir­kun­gen wer­den im wesent­li­chen refe­riert, auch wenn auf­grund der Kür­ze vie­le Ein­zel­hei­ten aus­ge­las­sen wur­den. Die unsäg­li­che Sozi­al­wis­sen­schaft­ler­spra­che tritt an man­cher Stel­le her­vor (»Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­ti­on auf dem Schlacht­feld«, »Erin­ne­rungs­dis­kurs«), und ein begna­de­ter Sti­list ist der Autor nicht, dafür bie­tet das Buch im letz­ten Kapi­tel einen aus­führ­li­chen und lesens­wer­ten Über­blick über die Erin­ne­rungs­kul­tur rund um die Schlacht, den sonst kei­nes der hier bespro­che­nen Bücher vor­wei­sen kann.

Die gesam­te Geschich­te von der Ver­trei­bung Napo­le­ons aus Paris nach der Nie­der­la­ge bei Leip­zig über die Exi­lie­rung nach Elba und die Rück­kehr der 100 Tage bis hin zum End­kampf erzählt ein wei­te­res Buch (Johan­nes Will­ms: Water­loo. Napo­le­ons letz­te Schlacht, C.H. Beck 2015. 288 S., 21.95 €). Will­ms arbei­tet her­aus, war­um der an sich über­le­ge­ne Feld­herr Napo­le­on mit einer kampf­erprob­ten Armee gegen uner­fah­re­ne, haupt­säch­lich deut­sche Trup­pen, dar­un­ter die nach Mei­nung bereits zeit­ge­nös­si­scher Exper­ten schlech­tes­te Armee, die Preu­ßen in den Revo­lu­ti­ons­krie­gen auf­ge­bo­ten hat­te (so schlecht aus­ge­rüs­tet, daß manch ein schle­si­scher Land­wehr­mann bar­fuß bis nach Wal­lo­ni­en lau­fen muß­te), die Ent­schei­dungs­schlacht ver­lor. Das Werk ist mei­nungs­stark, die bri­ti­sche Licht­ge­stalt Wel­ling­ton kommt schlecht weg: Eitel­keit und Ego­is­mus des Befehls­ha­bers bis an die Gren­ze des Ver­rats am preu­ßi­schen Bun­des­ge­nos­sen wer­den dar­ge­stellt. Das Buch kann beson­ders den­je­ni­gen emp­foh­len wer­den, die über die Schlacht bereits ori­en­tiert sind und nun die grö­ße­ren Zusam­men­hän­ge begrei­fen wollen.

Wer dabei noch wei­ter gehen will, kann zu einer Gesamt­dar­stel­lung der Befrei­ungs­krie­ge und des Wie­ner Kon­gres­ses grei­fen (Adam Zamoy­ski: 1815 – Napo­le­ons Sturz und der Wie­ner Kon­greß. C.H. Beck 2015, 704 S., 29.95 €). Die­se deut­sche Über­set­zung eines bereits 2007 auf Eng­lisch erschie­ne­nen Buches soll offen­sicht­lich an den gro­ßen Erfolg von Zamoy­skis Buch 1812. Napo­le­ons Feld­zug in Ruß­land anknüp­fen. Dem wei­ten the­ma­ti­schen Hori­zont geschul­det, erscheint Water­loo im Dickicht aus Diplo­ma­tie und Poli­tik fast als Mar­gi­na­lie, aber gera­de ange­sichts vor­lie­gen­der Detail­stu­di­en ist die­se Ein­ord­nung in einen grö­ße­ren Rah­men als Kon­trast will­kom­men. Das Buch liest sich flüs­sig und kommt trotz des im anglo­ame­ri­ka­ni­schen Raum übli­chen locke­ren Ton­falls weit­ge­hend ohne roman­ar­ti­ge, (halb)fiktive Dia­lo­ge und ähn­li­ches aus. Zamoy­ski ist zurück­hal­tend in den Wer­tun­gen und argu­men­tiert sorg­fäl­tig. Lei­der fin­den sich ver­streut eini­ge unnö­tig par­tei­er­grei­fen­de Stel­lung­nah­men zuguns­ten von Napo­le­ons »Werk«, und gegen Ende des Buches läßt er sich zu eini­gen flach­sin­ni­gen Bemer­kun­gen über die ange­sichts des ein­mal erreich­ten Fort­schritts »gro­tes­ke« und »sozi­al ver­krüp­pel­te« Wie­ner Ord­nung hin­rei­ßen. Der gedul­di­ge Leser soll­te sich dadurch nicht von der Lek­tü­re abhal­ten lassen.

Wie­der­um viel kon­zen­trier­ter ist der auf Napo­le­on gerich­te­te, sei­nen Weg ver­fol­gen­de Blick eines deut­schen Eme­ri­tus (Vol­ker Hune­cke: Napo­le­ons Rück­kehr. Die letz­ten hun­dert Tage – Elba, Water­loo, St. Hele­na, Klett-Cot­ta 2015. 260 S., 21.95 €). Auch die­ser Band ist weder über­mä­ßig kom­plex noch all­zu essay­is­tisch-gefäl­lig geschrie­ben. Trotz unter 230 (groß­zü­gig bedruck­ter) Text­sei­ten wird auch hier ein wei­ter Rah­men um die Ereig­nis­se gezo­gen. Im har­ten Kon­trast zur Kon­kur­renz aller­dings haben Hune­ckes Leser nach der sehr kur­zen Schlacht­schil­de­rung noch etwa ein Drit­tel des Buches vor sich. Dem, was sonst weg­fällt, wird hier brei­ter Raum gege­ben: dem Staats­streich gegen den geschla­ge­nen Kai­ser-Feld­herrn, sei­ner Exi­lie­rung sowie vor allem den innen- und außen­po­li­ti­schen Fol­gen sei­nes end­gül­ti­gen Abtritts von der Welt­büh­ne. Gera­de die­se letz­ten Kapi­tel sind hochinteressant.

Einen beson­de­ren Akzent auf die poli­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen von Napo­le­ons Rück­kehr auf den Thron legt ein bereits im ver­gan­ge­nen Jahr erschie­ne­ner Band (Gün­ter Müch­ler: Napo­le­ons hun­dert Tage. Eine Geschich­te von Ver­su­chung und Ver­rat, Theiss 2014. 256 S., 24.95 €). Das emp­feh­lens­wer­te Buch ist in einem schö­nen Stil geschrie­ben, feh­ler­frei und durch­dacht geglie­dert. Müch­ler beschreibt die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen und die rie­si­gen Auf­ga­ben, die Napo­le­on sich zu bewäl­ti­gen vor­ge­nom­men hat­te – neben der Wie­der­auf­rich­tung sei­ner Herr­schaft muß­te er, letzt­lich nur vom eige­nen Nim­bus zeh­rend, in einem im Ver­gleich zum Frank­reich vor 1812 stark ver­än­der­ten Land den Abwehr­kampf gegen ein 800 000-Mann-Heer der Koali­ti­on orga­ni­sie­ren. Dem Leser wird nahe­ge­legt, dies für ein von vorn­her­ein ver­geb­li­ches Unter­fan­gen zu hal­ten, was der – ohne­hin von längst nicht allen Fran­zo­sen geteil­ten – Begeis­te­rung der Anhän­ger Napo­le­ons Tra­gik ver­leiht. Die abschlie­ßen­den Schlach­ten im Juni neh­men einen rela­tiv gerin­gen Raum ein, die Poli­tik steht im Vordergrund.

Genau umge­kehrt ver­hält es sich mit einer ech­ten mili­tär­his­to­ri­schen Arbeit (Hans-Wil­helm Möser: Die Schlacht bei Waterloo/La Bel­le Alli­ance am 18. Juni 1815. Ein Ereig­nis von euro­päi­scher Dimen­si­on, Heli­os 2014. 245 S., 28 €). Der Autor, ehe­ma­li­ger Gene­ral­stabs­of­fi­zier der Bun­des­wehr und 20 Jah­re lang Frem­den­füh­rer auf dem bis heu­te muse­al bewahr­ten Schlacht­feld, ist wie kaum ein zwei­ter beru­fen, ein Buch über die Schlacht zu schrei­ben. Bis ins letz­te Detail ver­folgt er Bewe­gun­gen, Ope­ra­tio­nen und Stra­te­gien der betei­lig­ten Armeen, ent­wirrt das kaum durch­schau­ba­re Knäu­el aus Pla­nun­gen, Risi­ken und Frik­tio­nen inner­halb der Schlacht­pla­nung. Auch dem mili­tär­his­to­risch wenig vor­ge­bil­de­ten Leser wird deut­lich, wor­in die Her­aus­for­de­run­gen dama­li­ger Krieg­füh­rung bestan­den, und tat­säch­lich begreif­lich, war­um Napo­le­on trotz über­le­ge­ner Fähig­kei­ten die Schlacht und damit sei­nen Thron ver­lor: ein Auf­ein­an­der­tref­fen von Fehl­ent­schei­dun­gen und einem für den größ­ten Feld­herrn sei­ner Zeit kaum begreif­li­chen Zögern in ent­schei­den­den Momen­ten besie­gel­te das Schick­sal der fran­zö­si­schen Trup­pen. Ein Meis­ter der For­mu­lie­rungs­kunst ist Möser wahr­lich nicht, auch die Buch­ge­stal­tung läßt zu wün­schen übrig. Wer mili­tär­his­to­risch inter­es­siert ist, fin­det hier den­noch eine höchst infor­ma­ti­ve und über Stre­cken gera­de­zu span­nen­de Gesamt­dar­stel­lung der Jahrhundertschlacht.

Abschlie­ßend sei noch auf eine the­ma­tisch wie qua­li­ta­tiv her­aus­ra­gen­de Detail­stu­die hin­ge­wie­sen, die vor allem, aber nicht nur, für tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne Nie­der­sach­sen von Inter­es­se ist (Brendan Simms: Der längs­te Nach­mit­tag. 400 Deut­sche, Napo­le­on und die Ent­schei­dung von Water­loo, C.H. Beck 2014. 191 S., 18.95 €). Der Autor arbei­tet her­aus, wel­che schlacht­ent­schei­den­de Bedeu­tung die Ver­tei­di­gung des direkt in der Mit­te der Wal­statt gele­ge­nen Mei­er­ho­fes La Haye Sain­te hat­te. Ver­tei­digt wur­de er von »etwa 400 [han­no­vera­ni­schen] Schüt­zen, die von einer Kom­bi­na­ti­on aus ideo­lo­gi­scher Oppo­si­ti­on zu Napo­le­ons Tyran­nei, dynas­ti­scher Loya­li­tät zum König von Eng­land, deut­schem Patrio­tis­mus, Kame­rad­schaft im Regi­ment, per­sön­li­chen Freund­schaf­ten und Berufs­ethos ange­trie­ben wur­den«. Mit völ­lig unzu­rei­chen­den Mit­teln, Wage­mut und unter gro­ßen Opfern hiel­ten die­se Män­ner, Ange­hö­ri­ge des 2. leich­ten Batail­lons der »King’s Ger­man Legi­on«, Tau­sen­de von Fran­zo­sen in Schach und ver­hin­der­ten einen Durch­bruch in die bri­tisch-deut­sche Front­li­nie so lan­ge, bis die feind­li­chen Kräf­te ermat­tet waren. Simms gelingt es, vie­le die­ser Sol­da­ten indi­vi­du­ell zu por­trä­tie­ren, ohne ins Fahr­was­ser des Kitschs zu gera­ten. Für sei­ne Stu­die hat er aus­weis­lich des Lite­ra­tur­ver­zeich­nis­ses der­ar­ti­ge Unmen­gen an Lite­ra­tur aus­ge­wer­tet, daß sie nun auf lan­ge Sicht als Stan­dard­werk der Bel­le-Alli­ance-For­schung wird gel­ten dür­fen. So ist die­ses letz­te Buch eine beson­de­re Emp­feh­lung wert.

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