Postpragmatismus oder: Im »Jungen Salon«

PDF der Druckfassung aus Sezession 66 / Juni 2015

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Es war eine eben­so selt­sa­me wie lehr­rei­che Zeit­rei­se: Wir waren zu Gast in einem »Jun­gen Salon«, der nicht zuletzt inso­fern hoch­ka­rä­tig besetzt war, als sich dort auch die bereits erwach­se­nen Kin­der zwei­er bekann­ter deut­scher Autoren tum­mel­ten. Die Ein­la­dung hat­te uns erreicht, weil wir vor einem Jahr mit einem der Orga­ni­sa­to­ren des Salons, einem jun­gen Ver­le­ger, ins Gespräch gekom­men waren, in des­sen Ver­lauf sich eine geis­ti­ge Nähe ein­stell­te, unge­fähr ent­lang der Linie Dávila – Leben in der Pro­vinz – reak­tio­när. Die­ser Ver­le­ger ent­warf den Plan, uns – die Rechts­in­tel­lek­tu­el­len – den Teil­neh­mern des »Jun­gen Salons« vor­zu­stel­len und zugleich aus­zu­set­zen. Ein Impuls­re­fe­rat soll­te in eine Dis­kus­si­on über unse­re meta­po­li­ti­sche Hal­tung und Denk­wei­se mün­den, und er warn­te uns vor: Streit­lus­tig, bis­wei­len rup­pig sei der »Jun­ge Salon«.

Das Vor­ha­ben wur­de umge­setzt und erhielt durch den jüngst ver­öf­fent­lich­ten Brief­wech­sel zwi­schen dem Sozio­lo­gen und Kurs­buch-Her­aus­ge­ber Armin Nas­sehi und mir eine zusätz­li­che Auf­la­dung: Was sind das für Leu­te, über die einer­seits im Inter­net radi­ka­le Ver­dik­te kur­sie­ren und die ande­rer­seits über einen anknüp­fungs­fä­hi­gen Intel­lekt und inter­es­san­te Gesprächs­part­ner ver­fü­gen? Könn­ten die­se Zoo­tie­re am Ende gar fas­zi­nie­ren­de, weil sel­te­ne und schil­lern­de Exem­pla­re einer Spe­zi­es sein, deren Popu­la­ti­on sich zu erho­len scheint, oder bes­ser: über deren Bestands­zah­len man so recht eigent­lich gar nichts weiß? Und wo wären die Reser­va­te die­ser rech­ten Intel­li­genz zu suchen? Doch nur und vor allem in jenen Wald­stü­cken am Ende toter Glei­se, in denen auch der Feu­er­wehr­mann Mon­tag als wan­deln­des Buch an sein Ziel gekom­men ist?

Indes: So offen und inter­es­siert wur­de nicht gefragt, so unvor­ein­ge­nom­men und auf der Suche nach dem Para­dig­ma unse­rer Zeit sind auch die Gesprä­che und Dis­kus­sio­nen des »Jun­gen Salons« nicht ange­legt. Und lei­der machen wir uns doch immer noch etwas vor und ver­mu­ten ein Ver­ste­hen oder hof­fen auf ein gutes Gespräch jen­seits des Jar­gons, jen­seits der Phra­sen der herr­schen­den Mei­nung, jen­seits des Ange­le­se­nen, aber nicht Durch­dach­ten, jen­seits des Ver­wal­tens oder Bestel­lens des ver­nutz­ba­ren Bestan­des selbst in den exis­ten­ti­ell ent­schei­den­den Fragen.

Man fand sich dann für die abend­li­che Zusam­men­kunft in einer rie­si­gen, mit hel­lem Holz nach den Wün­schen eines schwu­len Stars aus­ge­tä­fel­ten Woh­nung ein: staub­frei­er, erstaun­li­cher Reich­tum, dar­ge­bo­ten im Stil geschmack­vol­ler, welt­of­fe­ner, geräusch­lo­ser Effi­zi­enz, dies wie­der­um fest­zu­ma­chen an hohen Rega­len mit teu­ren Bild­bän­den, an afri­ka­ni­scher Klein­kunst und an vie­len weiß gerahm­ten Bil­dern, die – oft auch in drei, vier Schich­ten – an den Wän­den lehn­ten und eine Art inspi­rier­ter Unfer­tig­keit spie­gel­ten, eine bewußt gesetz­te Nicht­fest­le­gung. Dazu: zwei Mac-Rech­ner, auf denen Bör­sen­kur­se ihre Kur­ven bil­de­ten und die Ver­bin­dung nach drau­ßen sicher­stell­ten, wäh­rend sich der Gast­ge­ber zum Salon gesell­te. Dort war man auf uns vor­be­rei­tet, hat­te den Nas­sehi-Brief­wech­sel gele­sen und bereits dis­ku­tiert und sich uns inner­lich zu- oder abgewandt.

Von den gewöhn­lich rund fünf­und­zwan­zig Teil­neh­mern waren zehn nicht gekom­men, um sich geis­tig nicht zu beschmut­zen. Die ande­ren teil­ten wir auf dem Nach­hau­se­weg in drei Grup­pen ein: die ehr­lich Inter­es­sier­ten (drei Per­so­nen), die offen Aggres­si­ven (drei Per­so­nen) und die ande­ren zehn, deren Typus uns bis dahin in die­ser Plas­ti­zi­tät oder Aus­prä­gungs­schär­fe noch nicht unter­ge­kom­men war. Wir nann­ten ihn den »opti­mier­ten Typus«, den »selbst­ana­ly­ti­schen« oder auch den »pro­zes­sua­len«, aber am nächs­ten Mor­gen ver­war­fen wir die­se Bezeich­nun­gen alle­samt und leg­ten uns auf »post­prag­ma­tisch« fest.

Die Bezeich­nung »post­prag­ma­tisch« stammt aus dem Roman Pla­net Magnon, den der 1983 gebo­re­ne Schrift­stel­ler Leif Randt Anfang des Jah­res vor­ge­legt hat. Randt ist uns bereits vor eini­gen Jah­ren mit Schim­mern­der Dunst über Coby­Coun­ty auf­ge­fal­len. Er schil­dert in die­sem ers­ten Roman eine selt­sam ruhig­ge­stell­te, um nicht zu sagen sedier­te, nar­ko­ti­sier­te Gesell­schaft, eine Gesell­schaft, der bestimm­te Ansät­ze und For­de­run­gen der poli­ti­cal cor­rect­ness, des gen­der main­strea­ming oder auch diver­ser tech­no­kra­tisch-prag­ma­ti­scher Ansät­ze in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen sind.

Man hat Bezie­hun­gen, die von vorn­her­ein auf eine begrenz­te Dau­er ange­legt sind, han­delt in jeder Hin­sicht tole­rant, zurück­hal­tend, affekt­arm, kon­trol­liert. Die­se Kon­trol­le wird nicht von außen aus­ge­übt, das ist der gro­ße Unter­schied zu Roma­nen wie Bra­ve New World, 1984 oder Fah­ren­heit 451 (obwohl der letzt­ge­nann­te ja bereits sub­ti­le For­men der Selbst­for­mie­rung beschreibt). Die Kon­trol­le in Leif Randts Roman ist ins Inne­re des Ein­zel­nen ver­la­gert, und zwar nicht in Form einer ent­we­der angst­er­füll­ten Anpas­sungs­leis­tung oder einer denun­zia­to­ri­schen Selbst­zen­sur: Sie funk­tio­niert viel­mehr auf­grund einer her­un­ter­ge­dimm­ten, nicht­mis­sio­na­ri­schen Form aus­glei­chen­der Ver­nunft. Ver­nünf­tig ist das Kon­flikt­ar­me, ver­nünf­tig ist der Ver­zicht auf unkon­trol­lier­ba­re indi­vi­du­el­le Gefühls­wal­lun­gen, ver­nünf­tig ist die Selbst­nor­mie­rung ent­lang gelun­ge­ner Rol­len­bil­der, die not­wen­di­ge Ein­pas­sungs­be­reit­schaft des Ein­zel­nen in einen rei­bungs­lo­sen Ablauf. »Coby Coun­ty« ist nicht mehr tech­nik­kri­tisch, »Coby Coun­ty« glaubt an die Lös­bar­keit aller Pro­ble­me, an die Mach­bar­keit und – das ist der Sub­text – an ein Ende der Geschichte.

In die­sem Post-His­toire, die­ser gro­ßen Über­ein­kunft nach einer fina­len Aus­ein­an­der­set­zung, spielt der zwei­te Roman Leif Randts, Pla­net Magnon. Er ist – wie der Schim­mern­de Dunst – ein Zukunfts­ro­man, eine Sci­ence-Fic­tion-Geschich­te, wählt aber einen ande­ren Ansatz und geht über Coby­Coun­ty hin­aus: Wir befin­den uns in Pla­net Magnon im Jahr 48 n. AS, also knapp fünf Jahr­zehn­te nach der Ein­füh­rung von Actu­al­Sa­ni­ty. Actu­al­Sa­ni­ty ist ein auf einem Shut­tle instal­lier­tes, weit über den Him­mels­kör­pern schwe­ben­des Com­pu­ter­sys­tem, das die Orga­ni­sa­ti­ons­zen­tra­le der neu­en Gesell­schaft bil­det. Als eine Art algo­rith­mi­scher Welt­geist ver­teilt AS Finanz­mit­tel nach einem »Fair­neß-Schlüs­sel« und sorgt dafür, daß Stra­ßen repa­riert und Häu­ser gebaut wer­den. Unauf­fäl­lig lei­tet sie die Geschi­cke der Men­schen und beweist dabei Lern­fä­hig­keit. Sie paßt »ihre Geset­zes­tex­te auf Grund­la­ge sta­tis­ti­scher Aus­wer­tun­gen immer prä­zi­ser und unmit­tel­ba­rer an die sich stets erneu­ern­den Ver­hält­nis­se an.« Sie kann »kei­ne eigen­mäch­ti­gen Ent­schei­dun­gen tref­fen«, sie ist abhän­gig von den »Hand­lun­gen, Dis­kur­sen und Wün­schen« derer, die unter die­sem über den Köp­fen instal­lier­ten Kon­sens­sys­tem leben.

Herrsch­ten vor der Ein­füh­rung von Actu­al­Sa­ni­ty noch Gewalt, Cha­os und Ver­tei­lungs­kampf, ist die Welt mitt­ler­wei­le öko­no­misch und mili­tä­risch befrie­det. In der inter­stel­la­ren Gemein­schaft, die kei­ne Staats­gren­zen mehr kennt, orga­ni­sie­ren sich die meis­ten Men­schen in Kol­lek­ti­ven. Das Bedürf­nis nach Iden­ti­tät ist also in einem Sys­tem spie­le­risch kon­kur­rie­ren­der Kol­lek­ti­ve auf­ge­ho­ben, die an bri­ti­sche Clubs, an eine Rota­ry-Stim­mung, an ein lebens­lan­ges Inter­nat erinnern.

Im Zen­trum der Hand­lung steht Mar­ten Eli­ot, der zusam­men mit sei­ner Kol­le­gin Emma Glend­a­le die Dol­fins, eines der wich­tigs­ten Kol­lek­ti­ve, reprä­sen­tiert. Sie sind Anhän­ger der »Post­prag­ma­tic­Joy-Theo­rie«, einer Leh­re von Tech­ni­ken und Stra­te­gien zur »ambi­va­len­ten Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung«. Die Grund­hal­tung ist in hohem Maße empa­thisch und unter­kühlt zugleich, also: ein­füh­lend in den Zusam­men­hang, den es per­ma­nent zu ana­ly­sie­ren und zu opti­mie­ren gilt. Das Ziel: ein psy­chi­scher Zwi­schen­zu­stand, »der gemäß dem post­prag­ma­ti­schen Schwe­beide­al nie abschlie­ßend zu defi­nie­ren ist«. Man ist also unaus­ge­setzt sein eige­nes Expe­ri­ment, hat eine Art Vogel­per­spek­ti­ve auf die Ursa­che, die Äuße­rungs­form und die Fol­gen von Auf­wal­lun­gen, die das aus­ta­rier­te Mit­ein­an­der ins Ungleich­ge­wicht brin­gen könn­ten. Man ist sich selbst fremd, um sich steu­ern zu kön­nen, und ist sich erst durch die­se Kon­troll­fä­hig­keit so nahe, daß man sich selbst nicht mehr über­ra­schen kann. Einen sei­ner Höhe­punk­te erreicht die­se Hal­tung immer dann, wenn man einen »Mitch« for­mu­liert – einen klei­nen, form­schö­nen Satz, der indif­fe­rent bleibt, nie­man­dem zusetzt, »Mög­lich­keits­fel­der eröff­net« und somit die Vor­läu­fig­keit und das Ide­al der Fol­gen­lo­sig­keit auf voll­ende­te Wei­se reprä­sen­tiert. Anders aus­ge­drückt: Wenn die Spra­che das Bewußt­sein formt, gehört zur rück­sichts­vol­len Ich­be­zo­gen­heit der neu­en Gesell­schaft zwin­gend das Ide­al eines small­talks auf höchs­tem Niveau.

Es ist in die­sem pla­ne­ta­ri­schen Sys­tem nicht ver­pönt, son­dern gera­de­zu erwünscht, die eben geschil­der­ten Kon­troll- und Bewußt­seins­zu­stän­de mit­hil­fe eines phar­ma­zeu­ti­schen Arse­nals zu errei­chen. Den Dol­fins steht dabei Magnon zur Ver­fü­gung. Die­se kup­fer­far­be­ne Flüs­sig­keit erzeugt den Effekt einer »sphä­ri­schen Ver­sach­li­chung«. Leif Randt hat die Bezeich­nung ganz sicher an jenen gleich­na­mi­gen Begriff aus der Quan­ten­phy­sik ange­lehnt, wel­cher einen kol­lek­ti­ven Anre­gungs­zu­stand eines magne­ti­schen Sys­tems bezeich­net. Das Magnon der Dol­fins ruft eine »Meta­eu­pho­rie« her­vor, die zu der oben benann­ten Vogel­per­spek­ti­ve und zu einer Art hedo­nis­ti­schem Ultra­ra­tio­na­lis­mus führt. Dabei gilt: Selbst der Rausch führt immer in den Wesens­kern der Prot­ago­nis­ten – zu der Ein­sicht näm­lich, daß Frei­heit ledig­lich in der Erkennt­nis der Not­wen­dig­keit liegt. Und die­se Not­wen­dig­keit ist eben – die­se Leh­re hat man aus der »Alten Geschich­te« vor der Ein­füh­rung von Actu­al­Sa­ni­ty gelernt – das tech­no­kra­ti­sche Manage­ment der Welt­be­völ­ke­rung mit­tels Effi­zi­enz­stei­ge­rung auf jedem – auch dem see­li­schen – Feld.

Dem Roman fehl­te nun eine Dimen­si­on, wenn er auf Cha­rak­te­re ver­zich­te­te, die nicht jeden kal­ten Hauch des Schick­sals in ihr per­sön­li­ches Selbst­op­ti­mie­rungs­pro­gramm umlen­ken könn­ten. Und so tritt ein neu­es, mys­te­riö­ses Kol­lek­tiv auf den Plan: Die Hanks ver­üben Anschlä­ge mit soge­nann­tem Keta­sol­fin, einer gas­för­mi­gen Sub­stanz, die schwach dosiert Wan­kel­mut und Nost­al­gie her­vor­ru­fen kann, in höhe­rer Dosie­rung aber auch »Zustän­de der Panik sowie Ohn­machts- und Läh­mungs­er­schei­nun­gen« aus­löst. Das »Kol­lek­tiv der gebro­che­nen Her­zen«, wie die Hanks sich selbst nen­nen, will sich nicht in die Schmerz­lo­sig­keit fügen. »Die­se jun­gen Leu­te über­hö­hen ihren Schmerz«, heißt es an einer Stel­le, und sofort ist klar, daß die­sem Auf­stand die öko­no­mi­sche Begrün­dung fehlt: Es geht den Hanks dar­um, den Schmerz end­lich wie­der zuzu­las­sen und den Men­schen in sei­ner Anti­quiert­heit anzu­er­ken­nen. Wer an den »Fight Club« Tyler Dur­dens denkt, liegt nicht falsch, nur ist das alles gar nicht mehr kraß und blu­tig und kon­se­quent zu einem tota­len Auf­stand hin durch­lebt – son­dern in der Dik­ti­on sanft und auf einen Rest­raum der Schwä­che ange­legt: Es kur­sie­ren öffent­lich gemach­te, per­sön­li­che Brie­fe, in denen Men­schen über ihre Ver­let­zun­gen und Ent­täu­schun­gen spre­chen und sich damit gegen jene wen­den, »die eine neue schmerz­lo­se Welt ver­spre­chen«. In einem Mani­fest der Hanks heißt es denn auch: »Heu­te arbei­tet jeder dar­an, sich mög­lichst schmerz­frei abzu­kap­seln. Die Ent­täu­schung ist vor­pro­gram­miert. Wir höh­len uns aus.« Im Kon­trast zu die­sem emo­tio­na­len Eska­pis­mus müs­se man nun drin­gend das Bewußt­sein des eige­nen Man­gels wiederentdecken.

Es gibt unter dem Roman­per­so­nal (und den Lesern) wohl einen nicht gerin­gen Anteil, der sich durch der­lei Atta­cken aus ver­lo­re­ner Stel­lung her­aus anrüh­ren läßt. Aber weil es Rüh­rung ist (und nicht viel mehr), stellt sich gleich eine Fra­ge ein, die aus der Revo­lu­ti­on gegen das Gan­ze eine revo­lu­ti­ons­ro­man­ti­sche Auf­wal­lung im Diens­te des Gan­zen macht: War­um unter­bin­det Actu­al­Sa­ni­ty die Anschlä­ge der Hanks nicht, wo das Sys­tem doch sogar den Ort der Rebel­len kennt? Die Ant­wort ist die denk­bar ver­hee­rends­te für jeden Auf­stän­di­schen: Er ist als Dampf­ven­til längst aus­ge­macht und ein­ge­baut in die per­ma­nen­te Sys­tem­sta­bi­li­sie­rung. So gese­hen sind in Leif Randts Roman die Hanks viel­leicht nur ein Mit­tel zur tem­po­rä­ren Ener­gie­ab­fuhr. Das wird nicht expli­zit behaup­tet, aber als sehr kon­se­quen­te Erklä­rung ange­bo­ten. Authen­ti­zi­tät oder doch nur ein genia­ler Schach­zug? Im Roman bleibt alles in der Schwebe.

Raus aus dem Roman, zurück in den »Jun­gen Salon«. Der post­prag­ma­ti­sche Typus, der die­sen Kreis vor­zugs­wei­se besie­del­te, ist ein am Ende aller Aus­ein­an­der­set­zun­gen und ideo­lo­gi­schen Kämp­fe ange­lang­ter, nach­ge­schicht­li­cher Cha­rak­ter. Er hat kein Inter­es­se mehr an Aus­schließ­lich­keit, an Kon­fron­ta­ti­on oder an Lei­den­schaft: Er bewegt sich im Post-His­toire und nimmt das Leben als Sub­stanz, die es stän­dig zu ana­ly­sie­ren, anzu­pas­sen und zu ver­bes­sern gilt. Geschich­te als Schick­sal, als Kampf, als Kon­fron­ta­ti­on und Elend, als Grö­ße und Zusam­men­bruch ist für ihn etwas, das der Ver­gan­gen­heit ange­hört, und zwar so ganz und gar, daß es als schwar­ze Zeit vom nach­ge­schicht­li­chen, geschichts­lo­sen, hel­len Zeit­al­ter durch eine unhin­ter­geh­ba­re Kul­tur­schwel­le getrennt ist. Das ist wie im Roman ein Eli­ten­kon­zept, das den größ­ten Teil der Leu­te nicht berührt, aber das ist nicht so wich­tig. Denn es sind die ton­an­ge­ben­den Leu­te, die sich so ver­hal­ten, die dün­ne intel­li­gen­te­re Schicht. Für den gro­ßen Rest ist unse­rem Sys­tem sowie­so längst etwas ein­ge­fal­len, das in der Fol­ge­rich­tig­keit der Moder­ne liegt: Die Unter­schie­de sind dort bereits zur Unun­ter­scheid­bar­keit ein­ge­dampft, wo sich der Mensch als 24-Stun­den-Kon­su­ment kon­di­tio­nie­ren und ein­sor­tie­ren läßt.

Was der »Jun­ge Salon« nicht begrei­fen woll­te oder konn­te: unse­ren Drang, die Ent­frem­dung des Men­schen von sei­ner Ver­nut­zung und Opti­mie­rung zu for­cie­ren. Das war wirk­lich frap­pie­rend: die Bereit­schaft die­ser Leu­te, den voll­stän­di­gen Umbau der Völ­ker zu einer mul­ti­kul­tu­rell, eman­zi­pa­to­risch und see­lisch neu aus­ge­rich­te­ten Gesell­schaft nicht nur hin­zu­neh­men, son­dern ziem­lich lei­den­schafts­los als Inge­nieurs­auf­ga­be zu begrei­fen und zu betrei­ben. Man stand dort ein wenig rat­los und ein wenig lächelnd vor unse­rem Furor, unse­rer Sehn­sucht nach einer fun­da­men­ta­len Frei­heit. Im Roman sagt Mar­ten Eli­ot: »Viel­leicht müs­sen wir uns gar nicht befrei­en, um glück­lich zu wer­den. Viel­leicht reicht es ja, wenn wir uns die Unfrei­heit immer nur klar vor Augen führen.«

Was genau ist unser Gegen­ent­wurf? Etwa dies: Erst wenn man einer glat­ten Ver­söh­nung mit den Ver­hält­nis­sen wider­steht, eröff­net sich ein wah­rer Mög­lich­keits­raum. Die fun­da­men­ta­le Frei­heit: Das ist ein Ja zum Man­gel, zur Unglät­te, zur Last der Geschich­te, zur Lei­den­schaft, zur ech­ten Lie­be, zur ech­ten Trau­er, zum ech­ten Zorn, zum Ampli­tu­den­aus­schlag. Alles das brach­ten wir an, aber es klang vor der empa­thi­schen Küh­le der Ich-Mana­ger im Raum sehr trot­zig und sehr roman­tisch, und selbst die Ver­wei­se auf die Macht des Fak­ti­schen oder die vie­len Bei­spie­le aus der kei­nes­wegs funk­tio­na­len Wirk­lich­keit ver­fin­gen nicht: Dies alles näm­lich wür­de sich rich­ten lassen.

Ob das stimmt, bleibt in der Schwe­be. Klar wur­de, daß mit die­sem post­prag­ma­ti­schen Typus eine Ver­stän­di­gung nicht mehr mög­lich ist: Wir rede­ten per­ma­nent anein­an­der vor­bei und konn­ten die Not­wen­dig­keit, sich auf unse­ren Argu­men­ta­ti­ons- und Inter­pre­ta­ti­ons­weg der Lage der Zeit ein­zu­las­sen, nicht ver­mit­teln. Wer alle Last abzu­strei­fen ver­mag, hat kei­ne Ver­an­las­sung, über die rich­ti­ge Tra­ge­wei­se der Last zu strei­ten. Wer die Geschich­te hin­ter sich gelas­sen hat und mit­hil­fe von Jar­gon und For­meln die schwar­ze von der neu­en Zeit schei­det, hält sich nicht mehr mit Geschichts­po­li­tik auf.

Wir müs­sen mit die­sem Typus rech­nen. Viel­leicht sind wir selbst mit unse­rem Wider­stand bereits im gro­ßen Plan vor­ge­se­hen. Viel­leicht ist das Schick­sal aus­ge­he­belt. Viel­leicht sind wir Dampfventile.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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