Beim Abt oder Heideggers Glaube

PDF der Druckfassung aus Sezession 64 / Februar 2015

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Es ist ein selt­sam Ding mit Heid­eg­gers »Sein«: Es ist – in sei­ner gan­zen Kon­zep­ti­on – recht nahe am Glau­ben. Denn man darf, um in die­sen Denk­weg ein­zu­stei­gen, ein Grund­sätz­li­ches nicht in Fra­ge stel­len: daß es ein »Sein« gebe, das hin­ter jedem »Dasein« ruhe und sich dem wil­lent­li­chen und ana­ly­ti­schen Zugriff des Auf­spü­rens und Her­vor­zer­rens entziehe.

Es äußert sich im Dasein, die­ses »Sein«, und jede die­ser Äuße­run­gen ist rela­tiv, will hei­ßen: gebun­den an Raum und Zeit. Drei gro­ße Epo­chen der Seins­ge­schich­te unter­schei­det Heid­eg­ger: zunächst die dem gren­zen­lo­sen Cha­os abge­run­ge­ne Geord­ne­t­heit der Anti­ke; dann die Krea­tür­lich­keit, Geschaf­fen­heit durch einen obers­ten Schöp­fer; und zuletzt die Indienst­nah­me der Welt durch die Wil­lens­kraft des Men­schen. Hegel hat der­lei Ent­wick­lung als eine Idea­lis­ti­sche, vom Geist her bestimm­te benannt, Marx den­sel­ben Vor­gang als das mate­ria­lis­ti­sche Ergeb­nis sich ändern­der öko­no­mi­scher Rahmenbedingungen.

Und Heid­eg­ger? Er ver­wirft jede Ent­wick­lungs­lo­gik und vor allem jede Ver­wechs­lung einer bestimm­ten Seins­epo­che mit dem »Sein« an sich. Das, was zufällt, ist immer nur ein Aus­druck, kei­nes­falls das »Sein« selbst. Darf man nach die­sem »Sein« suchen? Nein, nicht eigent­lich, denn es ent­zieht sich um so gründ­li­cher, je hart­nä­cki­ger man ihm nach­stellt. »Offen« soll man, muß man für den Zuspruch des »Seins« sein, dem man mit und wie Heid­eg­ger zuge­neigt sein möch­te. Hält man sich so, «ereig­net» sich das «Sein» in Form einer (zufäl­li­gen) Gabe aus dem rei­chen Schatz sei­nes Formenwandels.

Das läßt sich so refe­rie­ren, so hin­schrei­ben, und zwar auch dann, wenn man an den Zugangs­weg Heid­eg­gers nicht glaubt, son­dern ihn nach­zeich­net wie eine Theo­rie. Man mag begrei­fen, wie Heid­eg­ger denkt und zu den­ken leh­ren möch­te, aber eines ereig­net sich in allem Begrei­fen nicht: eine echt exis­ten­ti­el­le Ver­än­de­rung der Denk-Hal­tung. Auf nichts ande­res aber kam es Heid­eg­ger zumal in sei­nem Spät­werk an. Was unter­schei­det nun die­se Leh­re, die eine Offen­ba­rung des »Seins« in eine Wahr­neh­mungs­be­reit­schaft jen­seits der Ratio hin­ein beschreibt, von einer Glau­bens­leh­re, die das­sel­be unter­nimmt? Gott. Gott, das Ziel.

Die Aus­rich­tung auf Gott, die Auf­rich­tung der »Ver­ti­ka­len«, ist die Lebens­auf­ga­be der Mönchs­ge­mein­schaft, die im Drei­fal­tig­keits­klos­ter zu Buch­ha­gen den Tra­di­ti­ons­kern eines deut­schen ortho­do­xen Chris­ten­tums bil­den. Der Abt des Klos­ters, Alt­va­ter Johan­nes, hat ihr aus frei­en Stü­cken unter­nom­me­nes und zugleich einer inne­ren Not­wen­dig­keit fol­gen­des »Gan­zop­fer« in einer Schrift von gro­ßer Dich­te beschrie­ben: Vom Mys­te­ri­um des Mönch­tums (erhält­lich unter www.orthodox.de) ist im Ver­lag des Klos­ters erschie­nen – es ist das Werk eines Mys­ti­kers, der Beschrei­bungs­ver­such leben­di­ger Got­tes­schau, über deren Annä­he­rungs­cha­rak­ter sich der Ver­fas­ser im Kla­ren ist.

Vor, in und jen­seits aller kör­per­li­chen, geis­ti­gen und kul­tu­rel­len Wer­ke geht es um ein »sich selbst ver­ges­sen«, im Höchs­ten dann um das »Ent­wer­den« in Lie­be, wo das Geheim­nis geschieht. – Dar­in besteht wohl das Schwie­rigs­te und Größ­te, was dem Men­schen auf die­sem Wege auf­ge­ge­ben ist: sich im Ver­trau­en dar­zu­bie­ten und zu öff­nen, sich ganz zu las­sen, daß Er, der Ewi­ge und Eine, in mir lebe. – Erkennt­nis Got­tes ist, jen­seits aller Sub­jekt-Objekt-Bezie­hung, ein leben­di­ger Vor­gang, so wie Ster­ben, Zeu­gung und Geburt.

Der­lei Umschrei­bun­gen einer per­sön­li­chen Erfah­rung Got­tes ste­hen in einer Linie mit den Berich­ten gro­ßer Mys­ti­ker wie Meis­ter Eck­hart, Johan­nes Tau­ler, Gott­fried Seu­se oder Jakob Böh­me. Sie sind Teil eines Gewe­bes, in dem schein­bar weit Ent­fern­tes zusam­men­ge­knüpft ist: Heid­eg­gers »Sein« und der mys­tisch erfah­re­ne Gott, Heid­eg­gers Denk-Hal­tung hin zum »Sein« und die gläu­bi­ge Hin­nei­gung eines Beten­den. Wie das?

In gro­ben Stri­chen: Der Häre­sie­ver­dacht, dem sich Meis­ter Eck­hart Zeit sei­nes Lebens aus­ge­setzt sah, führt ins Zen­trum einer kir­chen­po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung, die als eine Schei­de­li­nie zwi­schen leben­di­gem und erstarr­tem Glau­ben beschrie­ben wer­den kann. Die Scho­las­tik hat es ab dem 11. Jahr­hun­dert unter­nom­men, den Glau­ben uni­ver­sell zu regeln, in Beweis­füh­run­gen nach­voll­zieh­bar zu machen und dadurch zu rationalisieren.

Die­se Unter­wer­fung des Glau­bens unter die berech­nen­de Ratio (die etwas ganz ande­res ist als der leben­di­ge Geist) könn­te der tie­fe Grund für das Schis­ma zwi­schen öst­li­cher (mys­ti­scher) Ortho­do­xie und west­li­chem (ratio­na­lem) Katho­li­zis­mus sein. Was aber geschieht mit dem Glau­ben, des­sen mys­ti­sche Lebens­ader durch­trennt wird? In den Wor­ten Heid­eg­gers: Ein sol­cher Glau­be wird zu einem bewirt­schaft­ba­ren »Bestand«.

Auf dem Berg Athos, der auto­no­men Mönchs­re­pu­blik im Osten Grie­chen­lands, wird viel Heid­eg­ger gele­sen. Das »Wie« der Seins­an­nä­he­rung Heid­eg­gers ist dem der Got­tan­äh­ne­lung der Ortho­do­xie ver­wandt oder gar zum Ver­wech­seln nah: Gott oder das Sein ent­zie­hen sich glei­cher­ma­ßen, wo sie von Nut­zen sein sol­len, wo sich ein »um zu« zwi­schen die Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit und die Offen­ba­rung schiebt, ein Wahr­neh­mungs­wil­le gewis­ser­ma­ßen; dann: Gott oder das Sein sind des wei­te­ren nicht faß­bar in der Spra­che, die in der durch­ra­tio­na­li­sier­ten Fas­sung unse­rer Epo­che zur Ver­fü­gung steht: Eher muß über Bei­des gesun­gen wer­den, und von dort­her erklärt sich Heid­eg­gers ein­dring­li­che Beschäf­ti­gung mit der Dich­tung Fried­rich Höl­der­lins (des­sen Spra­che er als Wink des Seins begreift); und zuletzt: Gott oder dem Seins eig­net je ein Poten­ti­al der Ret­tung aus einer Gefahr, in der der Mensch unter­zu­ge­hen droht: Die­se Gefahr ist als Sün­de die Geschie­den­heit von Gott und als Seins­ver­ges­sen­heit die Ver­ab­so­lu­tie­rung der tota­len Mobil­ma­chung aller Lebens­be­rei­che durch den tech­ni­schen Zugriff.

Aber natür­lich: Das Sein ist nicht Gott. Nach Heid­eg­ger ist Gott nur Teil der Seins­ge­schich­te, und zwar ein über­wun­de­ner Teil – er ist abge­löst durch den Men­schen, der sich selbst ermäch­tigt hat und alles, was ist, nur noch als Bestand begreift und aus­beu­tet und aus die­ser blo­ßen Bewe­gung und die­sem hoh­len Schwung kei­nen Aus­weg mehr fin­den kann.

Mein Ein­druck: Heid­eg­ger hat den leben­di­gen Gott nie wider­legt und abge­streift, son­dern nur den fest­ge­rück­ten, in Beschlag genom­me­nen, in den Ein­satz gebrach­ten Gott, mit dem er sich in der ratio­na­len Schul­theo­lo­gie aus­ein­an­der­set­zen muß­te. Heid­eg­ger such­te Zeit sei­nes Lebens die orts­ge­bun­de­ne, in Fleisch und Blut über­ge­gan­ge­ne Fröm­mig­keit der ein­fa­chen Leu­te auf. Der Volks­ka­tho­li­zis­mus sei­ner Hei­mat kann­te noch den Bild­stock am Weg als jenen Flur­hei­li­gen, vor des­sen Kreuz der Gang zu sto­cken hat­te für ein Stoß­ge­bet oder eine wort­lo­se Ehr­erbie­tung. Nur ein Gott kann uns noch ret­ten: Heid­eg­ger äußer­te die­se berühmt gewor­de­ne Pro­gno­se nicht unbe­dacht, er über­ar­bei­te­te das Gespräch mit dem Spie­gel, aus dem der Satz stammt, mehr als gründ­lich. Er müß­te im Sin­ne Heid­eg­gers von einer den Gang des Ver­nut­zens hem­men­den Kraft sein, eine Gelas­sen­heit spen­den­de, eine ins Ver­ti­ka­le for­dern­de Kraft, die­ser kom­men­de Gott. Abt Johan­nes von Buch­ha­gen wür­de sagen: Fort war er nie. Und: Heid­eg­ger stand längst am Tor.

Götz Kubitschek

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