Autorenporträt Reck-Malleczewen

»Er wollte in einem Stil leben, den es nicht mehr gab. Er will ein Adelsleben leben, obwohl er nicht adelig ist, er, der kein Landwirt ist, will wie ein Gutsherr leben, er, der kein Soldat ist, weil er nicht gehorchen kann, spielt den Offizier, er, der aus Preußen geflohen ist, weil es ihm zu streng war, spielt, wenn er mit Bayern zusammenkommt, den Preußen und macht arglosen Preußen den Bayern vor, er will immer etwas anderes sein, weil er das, was er ist, nicht ehrlich ist.« Er, das ist der Schriftsteller Friedrich Percyval Reck-Malleczewen, gestorben vor 70 Jahren im KZ Dachau. Gesagt haben soll das alles Recks erste Ehefrau, was wiederum in einem Schlüsselroman aus der Feder Bruno Brehms mit dem bezeichnenden Titel Der Lügner nachzulesen ist.

Lutz Meyer

Lutz Meyer kommt aus der linksanarchistischen Szene, seine Themen findet er auf der Straße.

»Er woll­te in einem Stil leben, den es nicht mehr gab. Er will ein Adels­le­ben leben, obwohl er nicht ade­lig ist, er, der kein Land­wirt ist, will wie ein Guts­herr leben, er, der kein Sol­dat ist, weil er nicht gehor­chen kann, spielt den Offi­zier, er, der aus Preu­ßen geflo­hen ist, weil es ihm zu streng war, spielt, wenn er mit Bay­ern zusam­men­kommt, den Preu­ßen und macht arg­lo­sen Preu­ßen den Bay­ern vor, er will immer etwas ande­res sein, weil er das, was er ist, nicht ehr­lich ist.« Er, das ist der Schrift­stel­ler Fried­rich Per­cy­val Reck-Mallec­ze­wen, gestor­ben vor 70 Jah­ren im KZ Dach­au. Gesagt haben soll das alles Recks ers­te Ehe­frau, was wie­der­um in einem Schlüs­sel­ro­man aus der Feder Bru­no Brehms mit dem bezeich­nen­den Titel Der Lüg­ner nach­zu­le­sen ist.

Unbe­strit­ten ist: Reck neig­te im hohen Maße zur Selbst­sti­li­sie­rung, zu einer Lebens­hal­tung der sub­jek­ti­ven Kom­po­si­ti­on ele­men­ta­rer Fak­ten, zur Mani­pu­la­ti­on von Tat­sa­chen. In der Fach­li­te­ra­tur gilt Reck sogar als Fall von Pseu­do­lo­gia phan­ta­sti­ca. Wenn das so ist: War­um sich noch län­ger mit ihm befas­sen? Gilt uns die Wahr­heit denn nicht mehr als die Lüge? Tat­säch­lich aber könn­te in die­ser Lebens­hal­tung selbst eine Bot­schaft ver­bor­gen sein.

Fried­rich Reck wur­de 1884 als Sohn des kon­ser­va­ti­ven Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten Her­mann Reck auf Gut Mallec­ze­wen in Ost­preu­ßen gebo­ren und evan­ge­lisch getauft. Der Guts­be­sit­zer Her­mann Reck war gut situ­iert, aber nicht von Adel; der Groß­va­ter Fried­rich Recks war noch Wirt in Lyck gewe­sen. Den unge­lieb­ten Mili­tär­dienst als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger ver­kürz­te Fried­rich Reck auf ein hal­bes Jahr, indem er ein Medi­zin­stu­di­um auf­nahm. Nach sei­ner Pro­mo­ti­on zum Dr. med. 1911 in Königs­berg unter­nahm er als Schiffs­arzt eine Rei­se nach Süd­ame­ri­ka. Dem folg­ten ers­te Tätig­kei­ten als Redak­teur und Autor von Rei­se­be­rich­ten, denn die ärzt­li­che Pra­xis mit der stän­di­gen Gefahr medi­zi­ni­scher Kunst­feh­ler lock­te ihn nicht. Wegen eines Dia­be­tes­lei­dens nicht mehr zum Mili­tär­dienst ein­ge­zo­gen, erleb­te er den Ers­ten Welt­krieg fern der Fron­ten. Bereits 1914 sie­del­te er nach Pasing bei Mün­chen über, seit 1933 leb­te er auf Gut Poing bei Trucht­laching im Chiem­gau. Reck war zwei­mal ver­hei­ra­tet und Vater von sie­ben Kin­dern. 1933 kon­ver­tier­te er zum katho­li­schen Glau­ben. Sei­ne schrift­stel­le­ri­sche Lauf­bahn begann noch im Ers­ten Welt­krieg mit Aben­teu­er­ro­ma­nen für die Jugend, unter ande­rem über den See­krieg 1914/15. Dem folg­ten spä­ter Aben­teu­er­ro­ma­ne für Erwach­se­ne. Dar­un­ter Bom­ben auf Mon­te Car­lo – ein Roman, der es leicht abge­wan­delt in Gestalt einer moder­nen Film­ope­ret­te mit Hans Albers und Heinz Rüh­mann 1931 bis ins Kino brach­te und kom­mer­zi­ell erfolg­reich war. Ursäch­lich für den Kas­sen­er­folg waren wahr­schein­lich weni­ger Dreh­buch und Roman­vor­la­ge, als viel­mehr die schmis­si­gen Lied­ein­la­gen, dar­un­ter auch der Gas­sen­hau­er »Das ist die Lie­be der Matro­sen«. Reck galt als Exzen­tri­ker, der – mit Die­ner­schaft und Hang zum Luxus weit über sei­ne Ver­hält­nis­se lebend – oft in Geld­not war. Weil das erhoff­te väter­li­che Erbe nach ver­lo­re­nem Krieg und Infla­ti­on aus­ge­blie­ben war, ver­leg­te er sich bald auf die fließ­band­mä­ßig betrie­be­ne Schrift­stel­le­rei. Dar­un­ter litt er durch­aus, doch sei­ne eif­ri­ge Pro­duk­ti­on mehr oder weni­ger anspruchs­lo­ser Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur sicher­te ihm immer­hin die Exis­tenz. Das allein reich­te Reck jedoch nicht. So gab er sich getreu dem Mot­to »Mehr Schein als Sein« als Nach­kom­me alt­preu­ßi­scher Land­jun­ker, ehe­ma­li­ger Artil­le­rie­of­fi­zier und aben­teu­ern­der Wel­ten­bumm­ler aus – und war doch letz­ten Endes nichts von alle­dem. War Reck denn über­haupt ein Kon­ser­va­ti­ver, gar ein Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­tio­när, als der er gese­hen wird?

Immer­hin schrieb Fried­rich Reck mehr­fach auch für den Wider­stand, die von Ernst Nie­kisch her­aus­ge­ge­be­ne »Zeit­schrift für natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re Poli­tik«. Wie Nie­kisch setz­te Reck eini­ge Hoff­nung auf die Ent­wick­lung in Ruß­land. Zwar lehn­te Reck das Sowjet­sys­tem ab, war jedoch wie Nie­kisch von den Erneue­rungs­kräf­ten der rus­si­schen Kul­tur über­zeugt. Reck war kein Natio­na­list. Wich­ti­ger als die Nati­on war ihm alle­mal die »Volks­per­sön­lich­keit.« Dar­in stimm­te er etwa mit Edgar Juli­us Jung und Oswald Speng­ler über­ein. Reck wies auch dar­auf hin, daß das »Vive la nati­on« erst­mals im Zusam­men­hang mit dem Sep­tem­ber­mas­sa­ker 1792 zu hören war, dem zahl­rei­che Geg­ner der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on zum Opfer fie­len. »Nati­on« und »Staat« sind Grö­ßen, die einer bestimm­ten Spe­zi­es von Rech­ten und Kon­ser­va­ti­ven kei­nes­wegs als unan­greif­ba­re Grö­ßen gal­ten (und gel­ten). Sie hiel­ten (und hal­ten) es viel­mehr mit Nietz­sches Ver­dikt über den Staat aus dem Zara­thus­tra: »Der Staat ist das käl­tes­te aller kal­ten Unge­heu­er. Kalt lügt es auch; und die­se Lüge kriecht aus sei­nem Mun­de: ›Ich, der Staat, bin das Volk.‹« Die­ses Kapi­tel im Zara­thus­tra ist übri­gens über­schrie­ben mit »Vom neu­en Göt­zen« – eine loh­nens­wer­te Lek­tü­re auch für heu­ti­ge Konservative.

Recks 1936 begon­ne­nes, post­hum erschie­ne­nes Tage­buch eines Ver­zwei­fel­ten jeden­falls legt Zeug­nis ab von sei­ner Ver­ach­tung und Ableh­nung des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staa­tes – eine Ableh­nung, die sich aus dezi­diert kon­ser­va­ti­ven Moti­ven speist. Vor der Macht­er­grei­fung hat­te Reck der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Idee wie manch ande­rer Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­tio­när Sym­pa­thien ent­ge­gen­ge­bracht, spä­ter dann der »Wei­ßen Rose«. Man darf die­ses Tage­buch eines Ver­zwei­fel­ten viel­leicht als Recks ehr­lichs­tes und per­sön­lichs­tes Werk bezeich­nen und unein­ge­schränkt zur Lek­tü­re empfehlen.

Neben dem Tage­buch gibt es ein zwei­tes Buch Recks, das eine Lek­tü­re unbe­dingt lohnt und dem­nächst in einer Neu­aus­ga­be im Ver­lag Antai­os erscheint. Es ist der Bockel­son, 1937 an einer schlaf­müt­zi­gen Zen­sur vor­bei ver­öf­fent­licht, ein Jahr spä­ter dann aber doch ver­bo­ten und dadurch zu dem Wider­stands­werk geadelt, das er tat­säch­lich ist. Bockel­son schil­dert vor­der­grün­dig die Ereig­nis­se im Müns­te­ra­ner Wie­der­täu­fer­reich 1534/1535 als »Geschich­te eines Mas­sen­wahns«. Hier geht es jedoch nicht wie bei vie­len ande­ren Wer­ken Recks um die Anbie­de­rung an den Publi­kums­ge­schmack, hier geht es um eine Abrech­nung mit dem NS-Regime vor dem Hin­ter­grund einer his­to­ri­schen Erzäh­lung. Man hat Reck viel spä­ter (zu Zei­ten der Bun­des­re­pu­blik) vor­ge­wor­fen, die his­to­ri­schen Fak­ten nicht objek­tiv und his­to­risch genau dar­ge­stellt zu haben, son­dern stra­te­gisch – ein über­aus klein­mü­ti­ger Vor­wurf. Denn Reck tat hier nichts ande­res, als so zu schrei­ben, wie er selbst leb­te: als Arran­geur von Fak­ten, als Fach­mann für Insze­nie­run­gen. Und dar­in abso­lut legi­tim. In einem Essay von Chris­tia­ne Zei­le über Reck heißt es: »Die fal­sche Welt nötigt zur Umdeu­tung ihrer Fak­ti­zi­tät. So war auch das Bild, das er ande­ren von sich vor­zu­ma­chen ver­such­te, kei­ne simp­le Ange­be­rei, kei­ne Lüge, son­dern, in sei­nen Augen, die ange­mes­se­ne Ver­hül­lung einer unan­ge­mes­se­nen Wahr­heit.« Reck selbst sah sich als unerns­ten Men­schen – und damit als »den sou­ve­rä­nen Men­schen, der imstan­de ist, das Leben von oben her­ab zu betrach­ten, indem er es bald humo­ris­tisch, bald tra­gisch nimmt, aber nie­mals ernst.«

Zu Recks Zei­ten war der Hang zur über­trie­be­nen Selbst­sti­li­sie­rung und damit ein­her­ge­hen­den Hoch­sta­pe­lei durch­aus nichts Unge­wöhn­li­ches. Man den­ke an Wer­ke wie Die letz­te Locke­rung von Wal­ter Ser­ner (1920) oder auch den 1910 begon­ne­nen, unvoll­endet geblie­be­nen Roman Bekennt­nis­se des Hoch­stap­lers Felix Krull von Tho­mas Mann. Und schwebt nicht auch der Geist Karl Mays über der Sze­ne­rie? Auch er war bekannt­lich ein Meis­ter der Täu­schung, wenn es um nach­träg­li­che Kor­rek­tu­ren des eige­nen Lebens­lau­fes ging. Lesen wir ihn des­we­gen etwa weni­ger gern? Rufen wir noch ein­mal Fried­rich Nietz­sche als Zeu­gen der Ver­tei­di­gung auf und beden­ken das, was er über »Wahr­heit und Lüge im außer­mo­ra­li­schen Sinn« aus­ge­führt hat. Es geht, folgt man Nietz­sche, im Leben gar nicht um die heh­re »Wahr­heit«, es geht allein um die lebens­er­hal­ten­de Illu­si­on, um die Klug­heit der List, die den Lebens­kampf erleich­tert. Die­ser Aspekt war mit der ein­gangs ange­stell­ten Über­le­gung gemeint, daß die Lebens­hal­tung der Selbst­in­sze­nie­rung selbst eine Bot­schaft sein könn­te – und des­halb auch nicht zu einem mora­li­schen Urteil und einem Bann­spruch über Reck und sein Werk berechtigt.

Für Fried­rich Nietz­sche wäre die Über­le­gung, ob man einen der Lügen­haf­tig­keit über­führ­ten Autor über­haupt lesen sol­le, eine ganz und gar absur­de gewe­sen. Wahr­heit im Sin­ne der Über­ein­stim­mung von Aus­sa­ge und Sache ist ein meta­phy­si­sches Kon­strukt. Nicht die Wahr­heit an sich oder irgend­wel­che Wer­te zäh­len, denn: »Nur als aes­the­ti­sches Phä­no­men ist das Dasein und die Welt ewig gerecht­fer­tigt.« Das ästhe­ti­sche Phä­no­men (oder mit Schil­ler gespro­chen: der ästhe­ti­sche Schein) zählt – hier ist der Mensch der, der er sein soll und sein will: kei­nen Wahr­heits­an­sprü­chen, son­dern allein dem Nut­zen für das Leben genü­gend. Und noch etwas auf Reck Pas­sen­des sagt Nietz­sche: »Die Kunst ist mehr wert als die Wahr­heit.« Der Mensch Fried­rich Reck als künst­le­risch schaf­fen­des Sub­jekt erdich­tet sich sei­ne Welt – bas­ta. Betrach­tet man Fried­rich Reck nicht mora­lisch und nicht mit Blick auf den Wahr­heits­ge­halt sei­ner Aus­sa­gen, son­dern als eine Art sich selbst insze­nie­ren­des Gesamt­kunst­werk, ver­schiebt sich die Per­spek­ti­ve beträcht­lich: Reck wirkt als Autor hin­ter eine Mas­ke plötz­lich höchst modern, wenn nicht gar post­mo­dern: Sty­ling ist alles, alles ist Styling.

Indes: Fried­rich Reck war hin­ter der Mas­ke durch­aus ein wahr­haf­ti­ger Mensch. Dies wird sehr deut­lich, wenn man sein Tage­buch eines Ver­zwei­fel­ten liest. Reck scheint ein gewis­ses Talent dafür gehabt zu haben, anzu­ecken. Im Chiem­gau geschah ihm das mit den ört­li­chen Statt­hal­tern des NS-Regimes. Hier zeigt sich, daß der Möch­te­ger­n­ad­li­ge Reck doch eine durch und durch ehren­haf­te, gera­de­zu aris­to­kra­tisch zu nen­nen­de Gesin­nung pfleg­te. Man warf ihm unter ande­rem vor, den deut­schen Gruß zu ver­wei­gern und die deut­sche Finanz­wirt­schaft ver­höhnt zu haben. Auch der Vor­wurf der Wehr­kraft­zer­set­zung stand im Raum. Zuletzt brach­ten ihn sein Unwil­len, sich mit den Macht­ha­bern zu arran­gie­ren, sowie eine Denun­zia­ti­on in Gesta­po­haft und schließ­lich ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au, wo er im Febru­ar 1945 an den Fol­gen einer Fleck­fie­ber­er­kran­kung starb. Er zählt damit zu jenen Opfern des Natio­nal­so­zia­lis­mus, denen eine kon­ser­va­ti­ve Lebens­ein­stel­lung zum Ver­häng­nis wurde.

Kon­ser­va­tiv ist Reck vor allem in der vehe­men­ten Ableh­nung der Neu­zeit und als deren zyni­scher und bis­si­ger Kri­ti­ker. Im Zen­trum sei­ner Kri­tik steht der Mas­sen­mensch (von ihm auch als »wei­ßer Nig­ger« bezeich­net), die Ter­mi­te in Men­schen­ge­stalt. Men­schen­mas­sen sieht er kei­nes­wegs als Sym­ptom über­schweng­li­cher Gesund­heit, son­dern als Spät- und Ver­falls­sym­ptom – gebun­den »an die Abna­be­lung von der Pla­zen­ta des Magi- schen«. Der Ver­fall ist gekenn­zeich­net durch die Aus­rot­tung von Flo­ra und Fau­na, durch den Ver­lust der natür­li­chen Instink­te und der gewach­se­nen Peri­odi­zi­tät des kör­per­li­chen Lebens. Inso­fern war Reck auch ein erbit­ter­ter Feind des Natio­nal­so­zia­lis­mus, ver­herr­lich­te die­ser doch den moder­nen Fort­schritt und ließ an die Stel­le Got­tes und der Natur Maschi­nen­kräf­te und Moto­ren, Auto­bah­nen und Akkord­bän­der tre­ten – die boden­be­ton­te Hei­mat­ro­man­tik, die oft als kenn­zeich­nend für den Natio­nal­so­zia­lis­mus ange­se­hen wird, war nur ideo­lo­gi­sches Orna­ment, ein Flie­gen­fän­ger für Gut­gläu­bi­ge. Reck hat­te dem Natio­nal­so­zia­lis­mus vor der Macht­er­grei­fung durch­aus Sym­pa­thien ent­ge­gen­ge­bracht, eben weil er Orna­ment mit Essenz ver­wech­sel­te und ihn – wie vie­le ande­re auch – zunächst anti­mo­dern ver­stand. Daß Reck auch die vom Natio­nal­so­zia­lis­mus inten­siv genutz­ten moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel mit ihrer Schein­bil­dung ver­ab­scheu­te, ver­steht sich von selbst. Sei­nen per­sön­li­chen Kon­ser­va­ti­vis­mus leb­te er in sei­ner Hin­wen­dung zur Chiem­gau­er Wahl­hei­mat und des­sen noch weit­ge­hend unver­dor­be­ner, gleich­wohl bereits bedroh­ter Natur.

Die Abna­be­lung von der »Pla­zen­ta des Magi­schen« ver­or­te­te Reck his­to­risch zwi­schen Spät­mit­tel­al­ter und Renais­sance. Hier sah er die Wur­zeln des tech­ni­schen, des mecha­nis­ti­schen Zeit­al­ters, des Fort­schritt­den­kens, hier erspür­te er den Beginn der Indus­tria­li­sie­rung und des Mas­sen­men­schen – und den Abschied vom reli­giö­sen Men­schen­bild des christ­lich gepräg­ten Mit­tel­al­ters. In die­sen Zeit­raum fällt bekannt­lich auch die Refor­ma­ti­on, in deren Gefol­ge es zur Errich­tung des Wie­der­täu­fer­rei­ches von Müns­ter kam. In sei­nem Bockel­son pro­ji­ziert Reck alles von ihm am Natio­nal­so­zia­lis­mus und an der Neu­zeit über­haupt Ver­ab­scheu­te auf die­se streng pro­tes­tan­ti­sche Sek­te der Wie­der­täu­fer. Doch waren nicht gera­de die Wie­der­täu­fer zutiefst reli­gi­ös und christ­lich? Ja, aber sie waren es auf spe­zi­fisch neu­zeit­li­che Wei­se, die im katho­li­schen Mit­tel­al­ter undenk­bar gewe­sen wäre. In der im Wie­der­täu­fer­reich erfolg­ten Ideo­lo­gi­sie­rung des Glau­bens bricht sich der neu­zeit­li­che Sub­jek­ti­vis­mus, bre­chen sich die Ent­göt­te­rung und auch der auf exis­ten­zi­el­le Ver­nich­tung abzie­len­de Haß auf Anders­gläu­bi­ge Bahn. Inso­fern ist der Bockel­son tat­säch­lich ein Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis des Wer­kes des Kon­ser­va­ti­ven Reck. Vie­les wird von hier aus les- und ver­steh­bar, sogar das selt­sa­me Täu­schungs­spiel Recks erfährt eine tie­fe­re Begrün­dung: Er wen­det das Trü­ge­ri­sche, das Ver­lo­ge­ne, das in sich zutiefst Unwahr­haf­ti­ge und das sich selbst nicht mehr Erken­nen­de der Jetzt­zeit gegen die­se selbst, indem er sich ihr im tie­fen Unernst ent­zieht, sich immer wie­der anders zeigt, doch nie als er selbst – das ist die Bot­schaft des Men­schen Reck. Kann auch die­ser im Grun­de anar­chi­sche Reflex ein Modus kon­ser­va­ti­ver Exis­tenz sein? Es lohnt sich, dar­über nachzudenken.

Lutz Meyer

Lutz Meyer kommt aus der linksanarchistischen Szene, seine Themen findet er auf der Straße.

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