Der Empathie-Effekt

Fritz Breithaupt sieht alles anders. Die dunklen Seiten der Empathie (2017) kehrt sowohl den dominanten psychologisch-soziologischen, als auch den landläufigen Social-justice-warriors-Begriff von Empathie um.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Die­sem zufol­ge wäre Empa­thie Emo­ti­on sha­ring, das Sich­hin­ein­ver­set­zen in die Gefüh­le ande­rer, zumeist von Opfern und Lei­den­den, mit denen man sich „iden­ti­fi­ziert“. Mit­füh­len wird gera­de­zu als Urinstinkt gehan­delt, dem nicht nach­zu­ge­hen sozia­le Devi­anz darstellt.

„Empa­thie­lo­sig­keit“ ange­sichts von „Flücht­lin­gen“ oder „Aus­län­dern“ oder all­ge­mein Min­der­hei­ten, gehört in die­sem Para­dig­ma zur Psy­cho­pa­tho­lo­gie der Rech­ten. Lin­ke sind empa­thisch bis hin zur all­ge­mei­nen Men­schen­lie­be und wün­schen sich in Ehe, Fami­lie, Schu­le, Reli­gi­on, ja gesamt­ge­sell­schaft­lich mehr Acht­sam­keit, „eine Kul­tur des Hin­schau­ens“, Sich-Öff­nen und päd­ago­gisch ange­lei­te­tes Erler­nen von „Empa­thie­fä­hig­keit“.

Breit­haupt ist nicht von sozio­po­li­ti­schem Erkennt­nis­in­ter­es­se gesteu­ert. So wie ich ihn ken­ne, ist ihm ein­fach ein Domi­nanz­be­griff suspekt gewor­den, und die Fra­ge ent­stand (schon in sei­nem ers­ten Buch zum The­ma, Kul­tu­ren der Empa­thie, 2009): Was steckt dahin­ter? Wie funk­tio­niert Empa­thie wirk­lich? Und wie jeder auf­klä­re­risch erzo­ge­ne Wis­sen­schaft­ler will natür­lich auch er einen Com­mon sen­se infragestellen.

Sei­ne zahl­los ein­ge­streu­ten Beteue­run­gen, wie wich­tig Empa­thie im mensch­li­chen Zusam­men­le­ben sei und wie zer­stö­re­risch „fal­sche Empa­thie“ sein kann, bis hin zu den sadis­ti­schen und vam­pi­ris­ti­schen dunk­len Sei­ten (wer jeman­den lei­den machen will, muß des­sen Dau­men­schrau­ben genau ken­nen), las­sen erken­nen, daß es ihm weder dar­um zu tun ist, Empa­thie­lo­sig­keit zur neu­en Tugend zu erhe­ben, noch einen bes­se­ren Empa­thie­be­griff zur För­de­rung des All­ge­mein­wohls bereitzustellen.

Was, wenn nun Empa­thie über­haupt kein genui­nes Gefühl ist? Niklas Luh­manns Dik­tum, Moti­ve sei­en kei­ne Gefüh­le, son­dern exter­ne Zuschrei­bun­gen von Hand­lungs­grün­den, ist nicht direkt Breit­haupts Aus­gangs­punkt, ähn­lich wie die­ser geht er aber auch von einem pri­mä­ren Akt des Beob­ach­tens aus. Beob­ach­ten paßt nicht zum Gefüh­le­ha­ben – die­ses Para­dox ist für ihn zentral.

Der empa­thi­sche Beob­ach­ter habe „einen ästhe­ti­schen Vor­teil“, inso­fern man die Situa­ti­on des ande­ren ästhe­ti­sie­ren und damit klä­ren kön­ne. „Ästhe­tisch“ defi­niert er mit Alex­an­der Gott­lieb Baum­gar­ten als Klar­heit sinn­li­cher Wahrnehmung.

Er kommt zu die­sem – gemes­sen am Com­mon-sen­se-Empa­thie­ver­ständ­nis – kal­ten Blick auf den ande­ren mit nie­mand gerin­ge­rem als Fried­rich Nietz­sche. Breit­haupt ist Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler und schert sich nicht dar­um, ob in psy­cho­lo­gi­cis Nietz­sche eine aner­kann­te Quel­le ist, er nimmt ihn ein­fach her, und mit ihm einen fol­gen­schwe­ren pro­duk­ti­ven Dualismus.

Mit Nietz­sche kön­nen Men­schen ent­we­der wahr­neh­mend, objek­tiv und empa­thie­fä­hig sein, oder expres­siv, kräf­tig und charakterstark.

Der distan­zier­te und schwa­che Habi­tus der Empa­then zeich­net die­se als Beta-Tie­re aus, als eben die typi­schen nietz­sche­schen Unter­lin­ge mit ihrer „Skla­ven­mo­ral“, die weder has­sen noch lie­ben noch herr­schen kön­nen. Wer empa­thisch beob­ach­tet, hat kein eige­nes star­kes Ich, son­dern muß die­ses erst im ande­ren auf­fin­den – not­wen­dig wird dadurch der ande­re der Star­ke. So erklärt sich das extre­me Pro­jek­ti­ons­be­dürf­nis im Akt der Empa­thie: der Skla­ve erfin­det das star­ke Indi­vi­du­um, aber um es zu vernichten.

Wenn es den Skla­ven gelingt, den Her­ren das Sehen bei­zu­brin­gen, das Beob­ach­ten, so sehen die­se das Lei­den der Schwäch­lin­ge und damit ihren eige­nen Anteil an eben­die­sem. Wenn die Her­ren Mit­leid ent­wi­ckeln, wer­den sie dadurch gebun­den, unfrei, selbst­los. […] Der empa­thi­sche Mensch hat kei­ne eige­nen Gefüh­le, zumin­dest kei­ne star­ken Gefüh­le vol­ler Lei­den­schaft. Statt­des­sen lebt er die Gefüh­le ande­rer Men­schen nach.

Die­se stei­le The­se über­nimmt Fritz Breit­haupt sou­ve­rän von Nietz­sche und kommt damit zu einer wei­te­ren Neu­aus­rich­tung von Empathie:

Es ist über­haupt nicht das „Opfer“, mit dem man sich iden­ti­fi­ziert, son­dern die Pro­jek­ti­on rich­tet sich auf die Rol­le des Hel­fers. „Der Empa­thi­ker steckt in einer Bewun­de­rungs­fal­le“. Er stellt sich nicht bloß das Lei­den des Opfers vor, son­dern iden­ti­fi­ziert sich mit einer kom­plet­ten sozia­len Sze­ne: Beob­ach­ter, Hel­fer, Opfer. Dar­in ima­gi­niert er sich sel­ber als heroi­schen poten­ti­el­len Helfer.

Um über­haupt Empa­thie emp­fin­den zu kön­nen sei es mit­hin hilf­reich, eine Hel­fer­fi­gur zu erfin­den. Die Moral die­ser Empa­thie, so Breit­haupt, ist schwach und sitzt einer nar­ra­ti­ven Sze­ne auf. Der Weg zum veri­ta­blen Nar­ziß­mus ist gar nicht so weit, gibt er zu bedenken.

Empi­ri­sche Stu­di­en geben Breit­haupt (der sich in sei­nem Buch eben­falls über wei­te Stre­cken auf kogni­ti­ons­wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se bezieht) und Nietz­sche hier wohl recht: Das Gefühl mora­li­scher Empö­rung, von dem man immer glaub­te, es die­ne der sozia­len Gerech­tig­keit, also drit­ten Per­so­nen, dient in Wirk­lich­keit oft der Rück­ver­si­che­rung eige­ner Mora­li­tät. Eige­ne Schuld­ge­füh­le spie­len die viel grö­ße­re Rol­le als der objek­ti­ve Zustand des Opfers, dem die her­aus­ge­kehr­te Empö­rung gilt.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist ein zen­tra­les Kapi­tel des Buches, über­schrie­ben mit „Deutsch­land, Welt­meis­ter der Empa­thie. Ange­la Mer­kel und die Flücht­lin­ge“, nur fol­ge­rich­tig wei­ter­ge­dach­ter Nietz­sche. Die Sze­ne vom Anfang des Jah­res 2015, in der Mer­kel das Flücht­lings­mäd­chen namens Reem vor lau­fen­der Kame­ra erst zum Wei­nen bringt mit der Aus­sa­ge, Deutsch­land kön­ne eben nicht alle auf­neh­men, und sie dann müt­ter­lich dafür lobt, hier so tap­fer gespro­chen zu haben, ist als Epic fail der Empa­thie zu begreifen.

Nichts löst mehr Empa­thie der Schwa­chen aus als mar­kier­te Empa­thie­feh­ler. Mer­kels „fal­sche Empa­thie“ ist zu einem kol­lek­ti­ven Phä­no­men in Deutsch­land gewor­den, das dar­in grün­det, Empa­thie­feh­ler als Schuld zu begrei­fen und zu über­kom­pen­sie­ren. End­lich kommt mit dem Migran­ten­an­sturm die erlö­sen­de Gele­gen­heit, all unse­re Empa­thie­feh­ler (vom Holo­caust bis zur Drit­ten Welt bis zu famil­ä­ren Ver­feh­lun­gen) auf einen Streich wie­der­gut­zu­ma­chen, und Ange­la Mer­kel eilt dem reu­igen Kol­lek­tiv voran.

Daß Empa­thie für Breit­haupt ein psy­cho­hy­gie­ni­sches Funk­ti­ons­prin­zip und kein mora­li­scher Posi­tiv­wert ist, zeigt sich am Schluß des Buches dar­an, wie er Trumps Wahl­sieg inter­pre­tiert. Trump habe es wie noch nie­mand zuvor ver­stan­den, im Wahl­kampf Empa­thie aus­zu­lö­sen, selbst bei ihm, dem libe­ra­len Trumpgegner.

Wer sich in die Situa­ti­on von Donald Trump ver­setzt oder ver­setzt fin­det, steht plötz­lich unter dem Druck, reagie­ren zu müs­sen. Der Moment der Beschul­di­gung ist wie kaum ein ande­rer einer, der zur Ein­nah­me einer Per­spek­ti­ve führt. Doch was sagt man in der Situa­ti­on des Beschul­dig­ten? Wer ist dem Druck des Angriffs gewach­sen? […] Trump wird zur Figur der Empa­thie nicht als Mensch, son­dern als Abwen­der von Angrif­fen. Je stär­ker der Angriff, des­to ‘bes­ser’ wird er.

Hier zeigt sich, daß Empa­thie eben nicht Mit­leid mit dem Opfer ist, son­dern einen „Ich-Effekt“ (Breit­haupt) zei­tigt. Ich will nicht län­ger ein Unter­ling sein, der sich auf den Gegen­über hin ent­wer­fen muß, der sich ver­lie­ren muß, son­dern ich will einer sein, der stark ist, lie­ben, has­sen und herr­schen kann. Ob ich es will oder nicht (er „fin­det“ sich in ihn ver­setzt), muß ich die pas­si­vie­ren­de Hal­tung des „objek­ti­ven Men­schen“ im Akt der Empa­thie verlassen.

Daß dies nun schwer­lich als „dunk­le Sei­te“ der Empa­thie noch zu ver­ste­hen ist, ist Breit­haupts viel­leicht unge­woll­te Kon­se­quenz aus sei­nem befrei­en­den Nietz­schea­nis­mus. Wer sich aus den Fän­gen des Social-jus­ti­ce-Empa­thie­be­griffs befreit, hat die „dunk­le Sei­te“ mit­be­freit, die nun „pracht­voll nach Beu­te und Sieg lüs­tern“ umherschweift.

Auch wenn der Autor als Schluß­satz sei­nes Buches über sei­nen Trumpem­pa­thie­an­fall schreibt: „Davon bin ich nun befreit“, müß­te man sich ihn nach Durch­gang durch die­sen Ich­er­zeu­gungs­me­cha­nis­mus als einen ande­ren Men­schen vor­stel­len. Das hat er nun davon.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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Kommentare (7)

Tassilo von Baiern

22. März 2017 20:24

Der Deutsche ist in seinem Volkscharakter immer schon höchst moralisch gewesen (im Sinne der jeweils herrschenden Ideologie). Dies ist Teil der streberhaften, deutschen Hauswartsmentalität.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in Streitgesprächen mit den größen Gutmenschen und Ethnomasochisten, die beste Waffe, genau dieser Ansatz ist. Sie lassen sich nicht durch Fakten überzeugen! Ihre Triebfeder ist ein wohlig warmes Gefühl der vermeintlichen, moralischen Überlegenheit. Dagegen hat das rationalste und einleuchtendste Argument keine Chance.

Man muss viel mehr, den noch viel größeren Moralapostel geben. Ich versuche immer freundlich zu bleiben und auch Verständnis zu zeigen. Ein Standpunkt sitzt gleich nicht mehr so bombenfest, wenn das Ego gepinselt wird. Dann kann man (in moralinsaurem Ton versteht sich) darauf aufmerksam machen, dass es höchst unmoralisch ist, ein ganzes Volk auszutauschen, ja ein Verbrechen gegenüber der Zukunft unserer Kinder! Wenn ich nach diesem Muster argumentiert habe, war die Reaktion meist nachdenkliches Schweigen. Teilweise war in Ansätzen sogar unterdrückte Zustimmung erkennbar.

Und im Gegensatz zu den Linken hat unsere moralische Entrüstung ja auch eine faktische Grundlage. Wir müssen endlich von dem Gedanken wegkommen unseren Gegener überzeugen zu wollen. Es ist viel mehr eine Verführung. Dem Gutmenschen darf nicht sein moralisches Hochgefühl genommen werden. Es muss nur anders ausgerichtet -programmiert- werden.   

Ich wollte diesen Kommentar eigentlich schon unter Ihren letzten Artikel posten. War dann aber zu spät dran. Denke aber nicht, dass er jetzt völlig themenfremd ist.

RMH

23. März 2017 11:51

Ja, so ist das bei sehr vielen, man hilft, weil man unbewusst fühlt, damit sich in allererster Linie selber zu helfen und wenn es nur darum geht, ein "gutes" Gefühl deshalb zu bekommen.

Echte, selbstlose Hilfe außerhalb eines engen Kreises, wie Familie etc., gibt es selten bis nie.

Gutmenschen müssen permanent ihr Ego füttern. Man kann mithin auf vorhandene Defizite bei ihnen schließen. Dabei erfolgt dieses Verhalten zumeist nicht in der klaren Erkenntnis des Tuns, sondern eben in notwendig falschem Bewusstsein - diese Erkenntnis ist ja eigentlich gerade bei den Linken ein zentrales Erklärungsmotiv für das Handeln der Bürger innerhalb einer bourgeoisen Gesellschaft. Entsprechendes kann man aber nun auf die uns heute beherrschende, gesellschaftliche Ideologie übertragen.

Urwinkel

23. März 2017 12:06

Ihr Kommentar ist mitnichten themenfremd, Tassilo. Sie haben das schlummernde in den Gutmenschen blumig umrissen und skizziert. "Gutmenschen" reagieren oft hochemotional. Die können von 0 auf 100 hysterisch hochfahren und wie dazu programmiert ihr Maul aufreißen. Ist eigentlich keine Neuigkeit.

Was Sie als "nachdenkliches Schweigen" bezeichnen lässt sich noch treffender als "Feigheit" und "Hinterhältigkeit" bezeichnen. Die Gutis (oder auch SJWs) sind feige. Gedankenfaul, verwöhnt, verhausschweint.

Solche Existenzen nahm ich bislang nur am Rand des unbedingt-Nötigen wahr und hielt sie eher für Faschingsfiguren: Seit den dokumentierten Protesten gegen den Trumperfolg, weiß ich, daß es diese Unbalancierten wirklich gibt und sie es ernst meinen.

Gotlandfahrer

23. März 2017 13:12

@ Tassilo: Zu dieser schon mehrfach auch hier formulierten Erkenntnis, dass der Mensch in Fragen, die sich auf seine soziale Anerkennung in der Gruppe auswirken können, nicht über Argumente zu seiner Position kommt, sondern umgekehrt, er sich die intuitiv für die soziale Anerkennung geeignete Position im Nachhinein 'verargumentiert', stimme ich Ihnen voll zu (ML nannte hierzu einmal das trefflich dieses Phänomen beschreibende Buch von Jonathan Haidt 'The righteous mind: Why Good People are divided by Politics and Religion', für dieses Fundstück bin ich immer noch sehr dankbar).

Jedoch glaube ich, dass Sie mit dem Versuch, unsere Position qua Moralisierung im Ranking nach oben zu 'programmieren' kein Erfolg haben werden (außer das Gegenüber ist sich seiner Position selber längst unsicher). Der voherige Beitrag von Frau Sommerfeld 'Die Ethnomasochistin' liefert dafür ein typisches Beispiel, wenn die den Blondschopf ihres Kleinen streichelnde Mutter allen Ernstes sagt es sei doch gut, wenn die Blonden ausstürben. 

Die überwiegende Masse der Menschen besteht aus Herdentieren, die den Mächtigen folgen. Die Mächtigen verbreiten die ihre Position am besten legitimierende Erzählung, die somit den moralischen Standard setzt. Die meisten Menschen haben nicht den Anspruch, ihre Energie für einen (und sei es nur inneren) Widerspruch zu dieser Erzählung zu verwenden. Wozu auch? Spieltheoretisch gehen sie mit dem Widerspruch als Einzelner das größere Risiko ein ohne etwas gewinnen zu können, denn als Einzelner ändern sie nicht die Entscheidung der Masse, werden bei Widerspruch als Einzelner aber gestraft, erleiden also einen Schaden. Hingegen ist das Risiko sachlich falsch zu liegen dies aber gemeinschaftlich mit der Masse, geringer, denn den Schaden teilen sie mit der Masse, relativ zu anderen kann es ihnen also nicht schlechter ergehen. 

Folglich wählen sie selbst in geheimen Wahlen kein intellektuelles Konzept, und sei es noch so redlich und sachlich richtig. Sie wählen - jedenfalls die Masse - Personen, die von der Machterzählung am überzeugensten gestützt werden.

Selbst ein Trump lässt sich so erklären, denn anders als oben von Breithaupt dargelegt, glaube ich nicht, dass es Empathie aufgrund der Unfairness der Angriffe war, die ihm seine Wähler bescherte, sondern die Macht, die ihm diejenigen ungewollt zukommen liessen, die in einer nie dagewesenen Gemeinsamkeit ihm als einzelnen Menschen den totalen Krieg erklärt hatten. Gleichzeitig hatte Trump eine entschlossene Truppe um sich herum, die überzeugt genug wirkte, Trump und seine Erzählung durchzusetzen. 

Was uns in Deutschland daher fehlt, ist nicht so sehr die Möglichkeit, unsere Sache als die moralischere darzustellen. Das ist sie ohnehin. Was fehlt ist eine Person, die einen entschlossenen und für die Ausübung der Macht geeignet erscheinenden Unterstützerkreis der zweiten Reihe in Stellung bringt. Das Problem der AfD ist, dass sich die Top-Vertreter immer als Individuen auseinander dividieren lassen und so noch nicht einmal als stark genug erscheinen, um die eigenen Partei zu führen. Gleichzeitig sind diese oft beflissen bemüht, die gegen sie gerichteten Anklagepunkte auf keinen Fall zu bestätigen, womit die Herrschaftserzählung anerkannt wird. Wer aus der Masse der 'Follower' soll so eine Truppe wählen? 

Utz

23. März 2017 16:19

@ Tassilo

Es erscheint mir plausibel, daß man Gutmenschen und Ethnomasochisten am besten mit Moral begegnen kann. Aber das Argument "der Austausch der eigenen Bevölkerung sei unmoralisch, ein Verbrechen gegen die Zukunft der eigenen Kinder" habe ich schon öfter ausprobiert, er wirkt nicht. Es kommt dann als Antwort: Es gibt keine Rassen, nur Menschen. Das blonde Kind kann ohne weiteres zwischen gelben, schwarzen, roten spielen. Es soll sich freuen, daß seine Welt so bunt ist. Keiner tut ihm was, wir sind alle tolerant.

Wenn Sie eine Idee haben, wie ich da noch die (moralische) Kurve kriegen kann, verraten Sie es mir!

Urwinkel

23. März 2017 18:11

Utz, auf Ihren Vorbehalt habe ich eine einfache und effektive Antwort parat: Sie lautet "Na, menschelts schon wieder?" Das funktioniert aber nur bei engeren Vertrauten bzw. psychotischen Verwandten. Alle weiteren zücken daraufhin die Faust aus der Tasche und halten darauf hin ihr Drecksmaul und verpissen sich im Idealfall. Idioten sind sie alle.

Tassilo von Baiern

23. März 2017 21:29

@ Utz, Gotlandfahrer

Danke für die sehr informativen Ausführungen!

Ich glaube nicht, hier ein Patentrezept gefunden zu haben (oder dass es ein Patentrezept in der Diskussion mit Irrationalen überhaupt gibt).

Worauf ich hinaus will, ist dass es vielmehr darum geht die Diskussion unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten. Nicht das sachliche Argument ist es, welches als Primat gesehen werden sollte, sondern vorrangig die Gefühlslage des Gegenübers. Weg von der rationalen auf eine emotionale Ebene. Wie ist die Grundstimmung in dem Gespräch? Fühlt sich der Gegener als Gesprächspartner ernst genommen und respektiert? Ist da vllt. sogar ein wenig gegenseitige Sympathie? Signalisiert man von Anfang an eine konträr-feindliche Haltung, wird man auch nicht durchdringen und braucht auch gar nicht weiter reden. Die Zugbrücke muss aber unten bleiben! Wenn sich der Linke als Mensch "verstanden" fühlt, fällt es ihm auch schwerer seine Argumentation aufrecht zu halten und sie beginnt scheibchenweise zu bröckeln. Dann kann man beginnen Zweifel zu schüren.

"Ja, bist du dir denn wirklich so hundert protzentig sicher, dass es eine friedliche Welt sein wird, wenn wir in der Minderheit sind? Mal unter uns: Würdest du darauf eine Wette abschließen? Und könntest du deinen kleinen blonden Jungen wirklich einer solchen, möglichen Gefahr aussetzen? Nein, ich glaube dafür bist du eine viel zu gute Mutter, als das du das könntest........."    

Ich weiss nicht, ob diese Methode insgsamt erfolgreich ist. Aber für die Saat des Zweifels und der Zwietracht hatten unsere Altvorderen immerhin einen eigenen Gott.

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