Jeder halbwegs unabhängige Beobachter weiß, daß Deutschland das Land ist, in dem die Neurosen gedeihen. Sie heißen Selbsthaß und Schuldstolz. Ein manischer Blick auf das Dritte Reich läßt deutsche Geschichte zur NS-Geschichte verkümmern, wobei diese Zeitspanne aus dem damaligen historischen Kontext herausgelöst wird. Das Bild, das so entsteht, zeigt den häßlichen Deutschen, der sich mordgierig auf eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Freundschaft stürzte. Ein Resultat dieses Propagandakonstruktes ist der Wunsch, nie mehr deutsch sein zu wollen, um dafür in irgendeiner »Weltläufigkeit« aufzugehen. Auf die Spitze getrieben hat die neurotische Selbstverneinung die Antifa mit ihren Parolen »Nie wieder Deutschland«, »Deutschland verrecke« oder »Bomber Harris, do it again«.
Aber auch die Engländer pflegen ihre Neurosen. Wer ihre Wurzeln aufdecken will, muß sich dem Jahrhunderte währenden Erfolgsrezept englischer Politik zuwenden, der »Balance of Power«. Nach der Entdeckung Amerikas rückten die lange Zeit abseits gelegenen britischen Inseln zum Vorposten der Neuen Welt auf. Erst diese veränderte geostrategische Lage bot den Engländern die Möglichkeit, zur Weltmacht aufzusteigen. Dabei erwies es sich als günstig, das übrige Europa, den »Kontinent«, zu schwächen. In Politik umgesetzt, bedeutete das eine grundsätzliche Gegnerschaft zur stärksten Kontinentalmacht. Die nicht eben »feine englische Art«, die europäischen Mächte zum eigenen Vorteil gegeneinander auszuspielen, führte zum geflügelten Wort vom »perfiden Albion«. Als zuletzt Napoleon geschlagen war, wurde England die Nr. 1 in Europa und beherrschte – »Britannia rules the waves« – uneingeschränkt die Weltmeere. Das englische Imperium stieg zum größten der Weltgeschichte auf. Doch mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 kristallisierte sich ein neuer Konkurrent auf dem Kontinent heraus.
1887 gruppierte der Prinz of Wales, der spätere König Eduard VII., einen Kreis einflußreicher Persönlichkeiten um sich. Ziel war es, einen »neuen Kurs« in der britischen Außenpolitik durchzusetzen. Angestrebt wurde eine enge Verbindung mit Frankreich und Rußland, um gemeinsam mit diesen Mächten gegen das aufstrebende Deutschland vorzugehen. Hans Grimm, der in den Jahren um 1900 in London und Südafrika als Kaufmann tätig war, und in dessen schriftstellerischem und publizistischem Werk die verhängnisvolle Beziehung zwischen England und Deutschland eine zentrale Rolle spielt, registrierte sehr aufmerksam, wie die englische Presse fortlaufend einen feindlicheren Ton gegenüber Deutschland anschlug. 1896 wartete die Saturday Review mit der Schlagzeile »Germania est delenda« auf. Während Wilhelm II. 1901, im Todesjahr seiner Großmutter, Queen Victoria, noch davon träumte, »daß die beiden germanischen Nationen einander helfen werden, den Weltfrieden zu bewahren«, schloß sich langsam der Kreis um Deutschland. 1907 kam es zur Gründung der Triple-Entente, bestehend aus Rußland, England und Frankreich. Am 28. Juli 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges (als England nach außen hin noch als Friedensbemüher agierte), ließ der damalige Marineminister, Winston Churchill, die englische Flotte in Gefechtsbereitschaft versetzen. Am 4. August 1914 erklärte England dem Deutschen Reich schließlich den Krieg.
Mit dem Aufstieg außereuropäischer Mächte hatte sich das Erfolgsrezept englischer Politik überlebt, zumindest, wenn man es weiterhin nur auf den Kontinent anwandte und nicht globalisierte. Die tatsächlichen Gewinner des Ersten Weltkrieges waren die USA, gefolgt von Japan und – den kommunistischen Revolutionsbewegungen. England hingegen war wirtschaftlich erschüttert und rutschte gegenüber den USA von einer Gläubiger- zu einer Schuldnernation herab. Im Flottenvertrag von 1922 zogen die USA zum gleichberechtigten Partner auf – ein Status, den England dem Deutschen Reich niemals gewährt hätte. Ausgerechnet das »perfide Albion« hatte ungewollt für fremde Interessen Krieg geführt und sich dadurch selbst geschwächt.
Daß dies nach dem Ersten Weltkrieg noch nicht so offensichtlich war, beruhte weniger auf der Stärke Englands als vielmehr auf der Schwäche der Anderen: Rußland lag aufgrund von Revolution und Bürgerkrieg wirtschaftlich danieder, Deutschland war durch den Versailler »Friedensvertrag« geknebelt, Frankreich war gleichfalls von den Folgen des Krieges erschüttert, Japan noch nicht so stark, um England ernsthaft Konkurrenz bieten zu können, und die USA zogen sich noch einmal in die Politik des Isolationismus zurück. Gleichwohl zeigte das Empire erste Risse.
Kluge Köpfe hätten bereits 1914 erkennen können, daß sich ein allein auf den Kontinent fixiertes Gleichgewichtsdenken überlebt hatte. 1939 hätte das eigentlich allen vorausschauenden Politikern klar sein müssen. Vollkommen unberührt von derlei Einsichten blieb aber Englands Kriegspremier Winston Churchill.
Bis zum Kriegsausbruch galt Churchill bei seinen Landsleuten als gescheitert, ja als Versager. Seine mit großem Elan, blendender Rhetorik und nicht zuletzt viel Propaganda für sich selbst durchgeführten Unternehmungen endeten häufig katastrophal: Sein Versuch, 1914 Antwerpen mit britischen Marinesoldaten zu besetzen und so den Vormarsch der deutschen Truppen aufzuhalten, scheiterte kläglich. Ein Jahr später war er der Initiator des nach langem blutigen Ringen fehlgeschlagenen Dardanellen-Unternehmens, durch das Konstantinopel für die verbündeten Russen erobert werden sollte. Kaum war der Erste Weltkrieg vorbei, schickte er ein britisches Expeditionskorps in das kommunistisch gewordene Rußland, um, nach eigenen Worten, »den Bolschewismus in der Wiege zu erdrosseln.« Doch wieder scheiterte er. Als Finanzminister führte er sein Land in eine Wirtschaftskrise. Von 1929 bis 1939 bekleidete Churchill kein Ministeramt mehr. Die Engländer hatten die Nase voll von seinen Unternehmungen. Doch dann kam es, infolge des Einmarsches deutscher Truppen in Polen, zur Kriegserklärung Englands an das Dritte Reich, und der als Falke geltende Churchill wurde erneut Marineminister. Als solcher leitete er das britische Norwegen-Unternehmen im April 1940, das ebenfalls in einem Desaster endete. Doch die Zeit war dem Scharfmacher Churchill günstig: Er stolperte nach oben und wurde nach der Absetzung Chamberlains neuer Premierminister.
Daß Churchill gegen die Tyrannei Hitlers Krieg führte, wie er selbst gerne in öffentlichen Reden verkündete, sollte man nicht zu hoch hängen, nicht nur, weil er jahrelang mit dem anderen großen Tyrannen, Stalin, Kumpanei betrieb. Churchills wirklicher Feind hieß nicht Hitler, sondern Deutschland. Und so zeichnet er verantwortlich die Flächenbombardements, denen etwa eine halbe Million Zivilisten zum Opfer fielen und die zugleich die umfassendste Zerstörung von Kulturgut in der menschlichen Geschichte darstellen. Auch die Westverschiebung Polens auf Kosten Deutschlands, in deren Folge Millionen Unschuldiger starben, ging auf einen Vorschlag Churchills zurück. Gleichzeitig blockierte der Kriegspremier alle Kontakte zum deutschen Widerstand. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 gab die BBC die Namen von Mitverschwörern, die Verbindung zu den Briten gesucht hatten, preis und lieferte sie damit einer Verfolgung in Deutschland aus.
Bei Churchills Antritt als Kriegspremier 1940 war England noch Weltmacht. Bereits ein Jahr später hatte es sich gegenüber Amerika erneut verschuldet und mußte wichtige Militärstützpunkte aus seinem überseeischen Weltreich an die aufstrebende Supermacht abtreten. Das »perfide Albion« war zum »nützlichen Idioten« Amerikas mutiert. 1944 ersetzte der Dollar das Pfund Sterling als Leitwährung. 1945, nach Englands »Sieg«, stand das Land vor dem Staatsbankrott. Nachdem seine Politik die Sowjetarmeen in das Herz Europas geführt hatte, begann es Churchill zu dämmern, daß dies einem Gebilde wie dem Empire unmöglich förderlich sein konnte. Er plante jetzt einen neuen Krieg, diesmal gegen einen Verbündeten, den er zuvor noch öffentlich gelobt hatte. Mit Hilfe deutscher Truppen sollte die Sowjetunion erobert werden. Doch die Amerikaner lehnten dankend ab. Das Gewicht des britischen Löwen wog bereits zu gering, um noch Weltpolitik fortsetzen zu können.
Der Niedergang der eigenen Weltgeltung wurde von den Engländern erst einmal ausgeblendet, oder vielmehr hinter der von Churchill im Zweiten Weltkrieg ins Spiel gebrachten »special relationship« versteckt, die angeblich zwischen den USA und England besteht: Dieser Begriff soll die partnerschaftliche Führungsrolle beider Länder in der westlichen Welt unterstreichen. Doch für die Engländer reichte es bald nicht einmal mehr für eine Juniorpartnerschaft aus. Spöttisch bemerkte Helmut Schmidt, die »besonderen Beziehungen« der zwei Länder seien derart »special«, daß nur eine Seite – nämlich die britische – überhaupt davon wisse.
Die Engländer haben ihr Weltreich verspielt, indem sie in zwei Weltkriegen unter Aufbietung all ihrer Kraft und der Überdehnung ihrer Ressourcen, einen Vernichtungskrieg gegen Deutschland führten. Die Deutschen hingegen haben ihre Position als souveräne Macht verloren, indem sie nur mit »halber Kraft« in den Krieg gegen England zogen. Im Gegensatz zur schuldversessenen BRD ist die Trauer um die verlorene Größe in England fest verankert. Doch seltsam: Den Hauptverursacher des eigenen Niederganges, Churchill, halten die Engländer für ihren größten Landsmann. Diese Irrationalität läßt sich nur aufrechterhalten, wenn man recht freizügig mit der Geschichte verfährt.
Aber nicht allein Englands Freiheit – die Freiheit der ganzen Welt soll durch Churchills Taten erhalten geblieben sein. Tatsächlich aber senkte sich der Eiserne Vorhang in Europa nieder. Als China, nicht zuletzt dank sowjetischer Unterstützung, kommunistisch wurde, lebten über eine Milliarde Menschen in gänzlicher Unfreiheit. Im kommunistischen Machtbereich starben nach 1945 mindestens ebenso viele Menschen wie zuvor im Zweiten Weltkrieg. Als Verursacher dieses Krieges wird heute allein Hitler betrachtet. Doch de facto war Hitler immer nur an einem lokal begrenzten Krieg interessiert. Churchill hingegen arbeitete an der Entfachung eines Weltkrieges, um Deutschland niederringen zu können.
Um die Churchill-Verklärung aufrechterhalten zu können, werden mit Vorliebe drei – durchaus nicht deckungsgleiche – Theorien bemüht. Die erste lautet: Allein Churchills Standfestigkeit hat England 1940, nach der Niederlage Frankreichs, vor der Vernichtung gerettet. Die beiden anderen Theorien versuchen zu erklären, warum Churchill eine überragende Gestalt bleibt, trotz des Tatbestandes, daß unter seiner Herrschaft Englands rapider Machtverfall einsetzte. Die erste dieser beiden kunstvollen Erklärungen lautet: Selbstmord aus Edelmut, die zweite: Das Zeitalter des Empires war ohnehin vorbei.
Auffassung eins wird unter anderem von Niall Ferguson vertreten, der behauptet: »Letzten Endes opferten die Briten ihr Reich, um die Deutschen, Japaner und Italiener daran zu hindern, ihre eigenen Reiche zu behalten«, und dieser unvermeidliche Pyrrhussieg habe die Opferung seines Empires »so wundervoll, so wahrhaft edel« gemacht. Allerdings widerspricht ein derartiges Märtyrertum nicht nur der traditionellen Politik des »perfiden Albion«, sondern man stößt weder bei Churchill noch bei seinen Mitarbeitern auf Äußerungen, die erlauben würden, auf einen derartigen Edelmut zu schließen.
Die These, daß die Zeit des Empires ohnehin vorbei gewesen wäre, vertritt z.B. Richard J. Evans. So schreibt Evans in seiner Rezension über die Churchill-Biographie (1993) von John Charmley, der es als einer der wenigen Engländer gewagt hatte, an Churchills Sockel zu kratzen: »Es spricht nur wenig dafür, daß das britische Empire zu retten gewesen wäre. Charmleys Kritiker haben sogar darauf verwiesen, daß es schon 1939 dem Untergang geweiht war und daß der Sieg von 1945 seine Lebensdauer vermutlich künstlich verlängerte und Großbritannien einen Großmachtstatus sicherte, den es andernfalls nicht mehr hätte beanspruchen dürfen.« – Merkwürdig nur, daß in den dreißiger Jahren noch niemand gewußt hatte, daß die Tage des Empire so schnell gezählt sein würden. Als haarsträubend darf man die Behauptung bezeichnen, Englands »Sieg« habe die Lebensdauer des Empire noch künstlich verlängert. Bereits 1947, nur zwei Jahre nach Kriegsende, ging das Juwel des englischen Weltreiches, Britisch-Indien, verloren. Viel schneller hätte es nun wirklich nicht bergab gehen können!
Doch nicht Churchill trifft der Zorn seiner Landsleute, sondern erneut die Deutschen. Er traf diese umso mehr, je schneller sich das Empire auflöste, je schneller es mit der englischen Wirtschaft bergab ging und umgekehrt der bundesdeutsche Rumpfstaat ein ungeahntes Wirtschaftswunder erlebte. Es war nicht mehr das kalte Kalkül gegenüber potentiellen Konkurrenten früherer Tage, sondern oftmals blanker Haß. Im Bild der Engländer mutierten die Deutschen dabei zu Pickelhauben- und Lederhosen-tragenden Karikaturen, die sich am liebsten im Stechschritt fortbewegen, wenn sie nicht gerade Panzer fahren. Nach der Wende tauchte sofort das Gespenst vom Vierten Reich auf. Helmut Kohl wurde zum neuen Führer, selbst der Wiedervereinigungsgegner Oskar Lafontaine geriet in der englischen Presse zum Gauleiter, und Angela Merkel geistert dort als Terminator herum. Nicht einmal der deutsche Papst blieb von Pöbeleien verschont und wurde als »Gottes Rottweiler« beschimpft. Mitunter geben sich diese die Wirklichkeit ignorierenden Darstellungen als »Humor« aus, schließlich glauben die Engländer, sie besäßen – im Gegensatz zu den Deutschen – überproportional viel davon. Schaut man sich diesen »Humor« etwas genauer an, so ist sein Markenzeichen weniger ein besonders fein geschliffener Esprit, noch eine harmlos schunkelnde Bierseligkeit. Stattdessen trägt er einen oftmals ausgeprägt aggressiven Charakter.
Der sudetendeutsche Schriftsteller Wilhelm Pleyer hatte 1963 einen bemerkenswerten Aufsatz über den »Deutschenhaß in England« veröffentlicht. Er schreibt dort: »Wir haben die Gründe dieses Hasses nicht im logischen, sondern im psychologischen zu suchen« und vermerkt, daß der »Neidhaß gegen Deutschland« im Kern ein uneingestandener Selbsthaß ist. Die Engländer hatten sich – so kann man resümieren – den falschen Feind – und die falschen Freunde! – ausgesucht und dabei fast alles verloren. Es war ein fataler Irrtum, der aber entschlossen verdrängt wird, vielleicht auch, weil er sich ohnehin nicht mehr korrigieren läßt!