»Gesetzlose Willkür herrschte nie, / dem schlimmsten Demagogen, / ward niemals ohne Urteilsspruch, / die Staatskokarde entzogen.« Mit diesen zynischen Versen versuchte Heinrich Heine in seinem Wintermärchen die tief empfundene Ungerechtigkeit der bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein andauernden Praxis der »Demagogenverfolgung« in seiner gewohnt subtil-ironischen Manier bloßzulegen. Der Ausspruch birgt zwei Interpretationsansätze und kann dabei auf zwei verschiedene Defizite aufmerksam machen: entweder auf das Versagen der staatlichen Verfassung an sich oder auf das Versagen der juristischen Organe, die Verfassung adäquat auszulegen und anzuwenden. Die erste Deutung würde in einer Kritik des Rechtspositivismus münden und aufzeigen, daß das als wahr angenommene Recht, welches metaphysisch oder anthropologisch begründet wird, nicht notwendigerweise mit staatlichen Gesetzen übereinstimmen muß. Somit wäre die Identifizierung eines Verfassungsstaates mit einem Rechtsstaat nicht zwingend. Im obigen Zitat könnte man so – und Heine will es wohl auch so verstanden wissen – den Rechtsbegriff des »Demagogen« für unvereinbar mit einem als normativ deklarierten aufklärerisch-liberalen Menschenbild ansehen und ihn deshalb als mit einer selbst vertretenen Rechtsaufassung unvereinbar erklären.
Die zweite Interpretation würde darauf hinauslaufen, daß die rechtliche Konstitution eines Staates durchaus der eigenen Rechtsaufassung genügen kann, aber die juristischen Organe in ihren Urteilssprüchen dieser Verfassung durch eine eigenwillige Auslegung nur in sehr fragwürdiger Weise entsprechen. Eine derart zweifelhafte Rechtsauslegung seitens der Gerichte kann man auch noch heutzutage beobachten. Daß (über ein Jahrhundert nach Beendigung der Demagogenverfolgung und Jahrzehnte nach der formellen Aufhebung der Radikalenerlässe) politisch motivierte Berufsverbote im öffentlichen Dienst noch immer vorkommen, zeigte jüngst der Fall einer Studentin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl.
Das über ein Jahr andauernde Martyrium aus Diffamierung und Ausgrenzung, gefolgt von der beruflichen und finanziellen Vernichtung, begann im Juni 2013, als die Zugehörigkeit der damals 23jährigen zu den »Jungen Nationaldemokraten«, der Jugendorganisation der NPD, durch ein »Outing« der Antifa öffentlich bekannt und durch die lokalen Medien verbreitet wurde. Die Direktion der Hochschule reagierte prompt affin auf diese moderne Variante des mittelalterlichen Schandpfahls und lud die angehende Beamtin zu verschiedenen Gesprächen ein, in dessen Verläufen die Studentin unter anderem ihr Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekräftigte und sich von verschiedenen Einzeläußerungen aus den Reihen ihrer Partei, die als verfassungswidrig interpretiert werden können, distanzierte. Es folgte ein einjähriger Spießrutenlauf, die Praktikumsphase des Studiums wurde zur Odyssee: die Stadt Lauffen am Neckar beendete ihr Praktikum aus politischen Gründen, die Stadt Magdeburg lehnte ein Gesuch, nach bereits erfolgter Zusage, zwei Tage vor Antritt als Reaktion auf einen Anruf des Bundesinnenministeriums wieder ab.
Am 3. November 2014, zwei Monate vor ihrem Abschluß und bereits nach erfolgreichem Verfertigen ihrer Bachelorarbeit, folgte das endgültige Aus: Die Studentin erhielt die Exmatrikulationsbescheinigung, die »Rücknahme der Ernennung als Beamtin auf Widerruf mit sofortiger Vollziehung«. Die Begründung lautete, daß ihre Mitgliedschaft in der nicht verbotenen Partei und die damit zusammenhängenden Aktivitäten wie die Teilnahme an durchweg genehmigten Demonstrationen oder die Beteiligung an Wahlkampfveranstaltungen ausreichend seien, ihr die Treue zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung absprechen zu können. Der Eilantrag auf vorläufigen Rechtschutz, den die angehende Beamtin stellte, wurde nach siebenwöchiger (!) Wartezeit durch das Verwaltungsgericht in Freiburg abgelehnt und somit die Kündigung erstmal rechtskräftig. Im Klartext heißt dieser Beschluß: kein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis für Angehörige einer Partei, die nicht verboten ist.
Dabei ist an dieser Stelle überhaupt nicht das Leitbild einer »wehrhaften Demokratie«, das nach staatlichem Selbstverständnis Grundlage dieses Urteils sein soll, an sich zu skandalisieren. Wie schon der marxistische Soziologe Reinhard Opitz richtig darlegte, verlangt die selbstverständliche Prämisse für die Verfassungskonformität des juristischen Grundsatzes der »wehrhaften Demokratie« – nämlich, daß das allgemeine Diskriminierungsverbot (Artikel 3, Absatz 1, Grundgesetz) gegenüber Verfassungsfeinden überhaupt nicht oder nur eingeschränkt gelte – zwingend nach einem seinerseits verfassungsgerechten Begriff des Verfassungsfeindes oder aber einer verfassungskonformen Auslegung der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«.
Das Zweifelhafte des juristischen Vorgehens in dem geschilderten Fall ist um so evidenter, als die Partei, welcher die junge Studentin angehörte, von der höchsten dafür zuständigen juristischen Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, nicht als verfassungsfeindlich eingestuft wird. Der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit ist also in diesem Falle nicht rechtlich fundiert und kann somit als willkürlich – da die höchste rechtliche Instanz bewußt umgangen wird – bezeichnet werden. Daß im Zuge des »Kampfes gegen Rechts« diese oben problematisierte Parteimeinung, welche glaubt, ein Monopol auf die Interpretation der Verfassungskonformität zu besitzen, ganz klar auf einen staatlich verordneten und exerzierten antifaschistischen Konsens hinauslaufen wird, kann bedenkenlos prognostiziert werden. Daß sich im Zuge dieser Entwicklung der Begriff des »Faschisten« auf immer weitere Personenkreise erstreckt, sollte den geschilderten Fall auch für Personen interessant machen, die noch der Meinung sind, sich in einer Art konservativen Sicherheitszone zu befinden, wenn man sich nur selbst möglichst jenseits der Stiefkinder der politischen Rechten positioniert. Wird die Verfassungskonformität nicht mehr nach klar nachvollziehbaren juristischen Urteilen bemessen, verschwinden die Grenzen. Dann muß man auch als Konservativer befürchten, in naher Zukunft mit scharfer Munition beschossen zu werden. Und es sei wiederholt: Der Studentin konnten zu keinem Zeitpunkt verfassungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten zur Last gelegt werden.
Aber auch außerhalb des öffentlichen Dienstes wird das berufliche Leben von Rechtsabweichlern durch den Verfassungsschutz und die Antifa – zwar getrennt voneinander agierend, in ihrem Ziele aber einmütig – zunehmend erschwert. So gibt beispielsweise der Fall einer jungen Bäckereifachverkäuferin aus Mecklenburg hierzu unerfreuliche Einblicke.
Im Dezember 2014 wurde die Frau kurz vor Ende ihrer Probezeit von ihrem Arbeitgeber plötzlich mit der lapidaren Begründung: »Menschen wie Sie können wir in der Öffentlichkeit nicht gebrauchen«, gekündigt. Im Zuge der Nachfragen offenbarte sich, daß den Grund für die Kündigung unmittelbar zuvor der Verfassungsschutz lieferte, dessen Vertreter den Arbeitgeber aufsuchten und ihm Fotos der Angestellten zeigten, auf welchen diese auf genehmigten Demonstrationen und Infoständen nationalistischer Organisationen zu sehen war. Bereits ein Jahr zuvor, als sie noch als Köchin in einem Restaurant gearbeitet hatte, besuchten Angehörige des Verfassungsschutzes ihren Arbeitgeber und wiesen diesen ebenfalls auf die politischen Aktivitäten seiner Arbeitnehmerin hin. Dieser zeigte wahre Zivilcourage und ließ dem Besuch keine Konsequenzen für seine Angestellte folgen. Eine solche Zivilcourage ist heute jedoch nur noch selten anzutreffen. Der Fall eines ebenfalls niemals in Folge seiner politischen Aktivitäten straffällig gewordenen jungen Mannes verdeutlicht dies: Da sein Name und Fotos von ihm auf Internetseiten der Antifa an prominenter Stelle bei Google erscheinen – trotz mehrfacher, aber nicht beachteter Anträge auf Löschung entsprechender Suchergebnisse –, verlor er innerhalb von drei Jahren drei Ausbildungsplätze.
Bei den geschilderten Fällen handelt es nicht um tragisch-komische Randnotizen wie etwa dem Hotelverbot für den ehemaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt oder der Wirt-Initiative »Kein Bier für Nazis«, die man zwar freilich als seismische Wellen ernst nehmen sollte; aber welchen doch einerseits angesichts der sich daraus ergebenden noch als harmlos zu bezeichnenden Konsequenzen für die Betroffenen und andererseits aufgrund des fehlenden staatlich-institutionellen Einflusses das dystopische Potential fehlt. Wenn die berufliche und finanzielle Vernichtung nicht nur als Kollateralschaden hingenommen, sondern bewußt bezweckt wird, so ist eine neue Qualität erreicht. Diese bietet dann auch berechtigten Anlaß, bei dem Gedanken an Deutschland in der Nacht um den Schlaf gebracht zu werden.