Der Maler Norbert Bisky

Das Gutsverwalterehepaar kommt mir auf dem Kiesweg entgegen. Ich werde im Namen des Eigentümers empfangen, »der Alte« lasse herzlich grüßen.

Wir gehen rein, der Kies quietscht unter den Gummisohlen. Die Uckermark: Preußischer kann ich berglandbewohnender Sachse mir Land und Leute nicht denken. Das Gut ist von Feldern umgeben, die von Baum- oder Buschreihen getrennt werden, etwas weiter draußen: viele Seen. Der Verwalter ist eine sympathische, respekteinflößende Gestalt. Er, der DDR-Agrarökonom, erklärt, diese Trennstreifen seien gegen die Erosion. »Alles braucht seine Grenzen, junger Mann, selbst die Felder da draußen. Zu LPG-Zeiten hatten wir es damit nicht einfach. Damals konnten die Felder gar nicht groß genug sein. Schauen sie mal nach Sachsen-Anhalt: Da sieht man, was die Grenzenlosigkeit mit einer Landschaft macht.«

Seine Frau ist eine stille Natur. Sie sagt wenige, betont leise Worte, läßt uns bald allein, um, wie mir scheint, Vorwürfe zu schmieden in ihrer Klause. Wir haben das Obergeschoß erreicht, der Verwalter doziert die Hofgeschichte, zeigt hie und da auf an der Wand angebrachte Stiche. Jahreszahlen ackern auf und verglimmen. Mein Hirn ist darauf heute nicht eingestellt, ich bin zu anderem gekommen. Endlich: Das gesamte Dachgeschoß ist zu einer Galerie mit großen Fenstern ausgebaut. Die Zwischenböden unter der steilen Dachhaut wurden entfernt. Die mindestens 200 Quadratmeter große Grundfläche ist mit massiven Stellwänden in vier annähernd gleichgroße Räume geteilt, die nach oben offen und mit Durchgängen verbunden sind. »So, junger Mann«, hebt der Verwalter feierlich an, »da sind wir, die umfangreichste Privatsammlung mit Werken von Norbert Bisky. Sonst ist sie nicht zugänglich, der Alte hat für Sie eine große Ausnahme gemacht. Ich soll Ihnen ein bißchen was dazu erklären. Beim Wert der Bilder ist Ihnen klar, daß ich Sie hier nicht allein lassen darf. Sie nehmen das bitte nicht persönlich.«

Die dicken Teppiche auf denen wir laufen, der Verwalter trägt hohe, nicht eben saubere Stiefel, geben diesem Ort eine sakrale Stille. Im ersten Raum befinden sich frühe Werke. »Schauen Sie hier, mit den Sachen ist Bisky berühmt geworden.« Mein Blick schweift über all die Gemälde hin, für die in den Werkkatalogen Biskys als Aufenthaltsort »Private collection, Germany« vermerkt ist. Das Sujet ist das Vertraute: Junge, gebräunte Männer mit freiem Oberkörper, teils auch fast nackt, turnen zu Wasser oder zu Lande ihre unschuldigen Spiele durch, gekonnte Neuzeit-Variationen der Badenden quer durch alle Jahrhunderte der Kunstgeschichte. Die zwanzig Gemälde in diesem Raum sind nach ihrem Entstehungsdatum geordnet. In den frühesten dominiert eine erdfarbene Ton-in-Ton-Malerei, je jünger die Werke werden, desto mehr drängt das Motiv der Gewaltverherrlichung mit scharfen Kontrasten heran. »In den neueren Werken kommt die Gewalt mit dem Fetisch zusammen, das greift ineinander. Sehen Sie die bunten Turnschuhe?«, der Verwalter winkt mich heran. »Am Anfang tauchen die einfach so auf, relativ bezuglos, in den späteren Werken stecken da nicht selten ganze ausgerissene Beine drin.« Das Blut nimmt zu, die Angriffe der Protagonisten aufeinander auch und gleichzeitig werden die Kompositionen härter, die Farben greller.

»Wissen Sie, der Alte hat angefangen, das hier zu sammeln, da war von Bisky in den Medien noch gar keine Rede.« – »Das klingt, als wollten Sie sich rechtfertigen?«, frage ich zurück. Der Verwalter sucht einen längeren Moment nach Worten, jetzt sind wir an einem Punkt, der nicht sein Thema ist. »Na sehen Sie, nun, Sie wissen ja, der Alte ist verheiratet, man muß sich da bei ihm keine Gedanken machen.« Er weist über die Schulter auf ein »Save our Souls« betiteltes Gemälde von 2007, das zwei junge männliche Paare beim Sex zeigt. »Der Bisky hat begriffen, wie man in den Medien Thema bleibt. Da bringt er einfach alles, was heute gern gehört und gesehen wird. Die Presse feiert sowas, jeder klatscht, wenn er in Talkshows ungefragt sagt, daß er gegen Nazis ist und daß er ›damals‹ einer der ersten gewesen wäre, die man aufgehängt hätte. So will er sich von diesen NS-Kunst-Vorwürfen freikaufen.« – »Ich denke, da muß man anders rangehen. Ich habe ja die Angriffe auf ihn auch mitbekommen, wo ihm weinerliche Presseleute seinen martialischen Stil vorgeworfen haben. Das würde alles nach SS aussehen, nach Kampf und Riefenstahl und so. Dann kam Bisky und hat sich verteidigt, das sei eine Feier des ›Sozialistischen Realismus‹ und keine NS-Kunst. Er hat das laut und sehr häufig gesagt und damit erreicht, daß in Beiträgen über ihn nur noch vom Sozialistischen Realismus die Rede ist, obwohl von diesem Begriff sonst nur abfällig gesprochen wird, zu Recht, das war ja auch ganz schlimm kopflastige Staatskunst. Was viele nicht verstanden haben ist doch, daß es zwischen NS- und Sowjet-Kunst habituell fast keinen Unterschied gibt. Kennen Sie Lutz Dammbecks Film über Arno Breker?«

Der Verwalter nickt: »... Zeit der Götter ..., hatten wir hier mal einen Filmabend«. – »Da gibt es eine Szene, wo ein russischer Offizier erzählt, daß Breker-Statuen noch zu Sowjetzeiten lange sehr beliebt waren, weil sie sich eben nahtlos in das aktuelle Kunstverständnis einfügten. Und warum? Weil sie zeitlose Schönheit zeigen, den ideologischen Kram ringsum kann man vernachlässigen. Und genau das macht Bisky auch. Was in den Medien passiert, daran wird sich in hundert Jahren niemand mehr erinnern, das pusht nur die Preise. Überhaupt ist es völlig egal, was ein Künstler selbst über sein Werk sagt. Vieles hier knüpft an uralte Sujets an, bei denen Michelangelos David schon ein jüngeres Zitat ist.«

Der Verwalter ist froh, daß wir uns verstehen. Wir gehen weiter. »Das ist das Colaba-Zimmer. Es steht für den größten Bruch in Biskys Werk. Ab dem Jahr 2000 hat er sich in den Köpfen als der Maler festgesetzt, der solche bunten Bilder mit Knaben malt. Die Leute wußten, Guido Westerwelle kauft das und Wolfgang Joop auch. Dann sollte er in Mumbai ausstellen, Ende November 2008 war die Schau im Stadtteil Colaba fertig. Vom 26. bis 29. November kam es dann zu diesen Anschlägen islamischer Terroristen, 174 Menschen starben, hauptsächlich Ausländer. Diese jungen Kerle haben da eine Bombe nach der anderen hochgehen lassen und mit Maschinengewehren an mehreren Orten der Stadt wahllos in die Menschenmengen gefeuert. Das Hotel und die Bar unmittelbar hinter Biskys Galerie waren auch Orte der Angriffe. Bisky hat das alles mitgemacht. Ein Wunder, daß er da lebend rausgekommen ist!«

Der Verwalter geht zu einem Bildschirm, ein kurzes Interview mit Bisky läuft. Er berichtet von den Eindrücken am Tag der Anschläge, vom Schock im Nachgang, davon, wie diese Tage sein Leben für immer veränderten. Die Einschußlöcher werden sein Thema, die blutigen Matratzen, die im Kugelhagel zerteilten Möbel und Menschen, die zusammengeknoteten Vorhänge, mit denen sich Hotelgäste retten wollten. »Die meinen uns, [...] die Einschläge kommen näher«, sagt Bisky. Da hat einer seine Insel verlassen und sich ein bißchen in der Realität umgesehen. Diese Realität wird auf den nun deutlich kleineren Leinwänden abgebildet: viel rot, viel schwarz, zunehmende Abstraktion. In gedrückter Stimmung betreten wir in vollkommener Stille den vorletzten Raum. Das Handy des Verwalters brummt und piepst, wir zucken zeitgleich zusammen. Irgendwie ein Düngerlieferant, ich schaue mich solange allein um. Hier hängen die aktuellsten Arbeiten Biskys. Da diese Phase nicht abgeschlossen ist, bleibt eine ganze Wand frei. Zentral gehängt findet sich das 280 × 500 cm große Werk »Alles wird gut« von 2011. An diesem Altar der Postmoderne ist ablesbar, wie sich Biskys bonbonfarbene Pubertät und die Schockstarre von Mumbai mischen. Die Formate sind größer denn je, Farben und Themen beider Phasen greifen ineinander: nackte Jünglinge, Turnschuhe, Wasser, Wirbel, Einschüsse, Explosionen, ein abgerissener Kopf. Die Bonbonfarben tanzen auf schwarzem Grund.

Douglas Crimp schrieb 1981, Malerei in der Postmoderne sei nur noch möglich als Zitat von Malerei. Genau das macht Bisky heute: Er zitiert den jungen Bisky, der auch nur zitierte. Ich bin überwältigt. Ein weiterer, Biskys Bedeutung unterstreichender Aspekt drängt sich auf: Die Gabe zu freien Assoziation, die immer gegenständlich bleibt, gepaart mit einem ungeheuren technischen Geschick, einer schlafwandlerischen Sicherheit der Komposition, einem Beherrschen selbst der größten Fläche. Der Verwalter kommt hastig zurück, wir müssen uns beeilen, gleich kommt eine Lieferung. Er sagt nicht, ob Dünger oder Bilder. Zehn Schritte weiter, der letzte Raum. Hier erwarten mich nur zwei Bilder, die nebeneinander an einer niedrigen Längswand hängen: »Michelsdorf« und »Alba«, beide von 2007. »Das sind die Fachwerkbilder«, hebt der Verwalter wieder an. Beide sind nach demselben Muster komponiert: Im weit entfernten Hintergrund sind Fachwerkhäuser zu sehen, im Vordergrund junge Männer. Ersteres zeigt die typischen sonnengebräunten Jünglinge, jetzt aber self-reeducated in Beduinenkleidern. Einer uriniert mit beschnittenem Penis an einen Grenzstein seiner Heimat, des Dorfes, wo die Michels wohnen. »Alba« zeigt eine ähnliche Szene, nur stehen vorn zwei schwarze gangmember. Einer legt sich eine Kette mit einem Kreuz um, bloßer Modeschmuck, ein anderer telefoniert vielleicht, schaut angriffslustig jedenfalls. Im Zentrum taucht ein kleiner Querflötenspieler auf. Ein Rattenfänger von Hameln, der die Bewohner der Fachwerkhäuser zu den neuen Freunden lockt?

»Das sind total überfrachtete Symbolbilder, das können wir heute leider nicht alles auseinandernehmen. Ein andermal!«, der Verwalter geht, steht schon auf der halben Treppe. Schon quietscht der Kies wieder unter den Gummisohlen, schon stehe ich wieder am Tor. »Machen Sie’s gut! Und falls Sie Lust haben, in der Kunsthalle Rostock gibt es noch bis 15. Februar eine große Bisky-Schau. Da sind auch Leihgaben von uns.« Auf dem Weg zur Bahn steigt nochmals ein Satz aus Biskys Mumbai-Interview in mir auf: »Die meinen uns, [...] die Einschläge kommen näher.« War nicht auf »Alba« eine von beiden Seiten nach den Fachwerkhäusern greifende schwarze Welle zu sehen? Aber bestimmt habe ich da in der Hektik des Aufbruchs etwas falsch verstanden.

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