Selbstverständlichkeiten als Minimalprogramm (I)

Es ist wie in der Geschichte von der Katze und der Taube: Der Vogel ist zu groß für den Jäger,...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

aber weil er sich den Flü­gel gebro­chen hat, kann er nicht ent­kom­men. Nun wird er die Trep­pe hinuntergezerrt.

Er flat­tert nicht mehr, er wehrt sich nicht mehr, sein Kopf knallt gegen jede Stu­fe, und wir sind noch lan­ge nicht im Keller.

Die poli­ti­sche Klas­se hat unse­ren Staat und unser Volk am Wickel und schleift die Beu­te Stu­fe für Stu­fe hin­ab. Wir selbst, recht wehr­los, bis­wei­len mut­los, aufs Gan­ze gese­hen sprach­los, wis­sen drei­er­lei: daß wir einen gebro­che­nen Flü­gel haben, daß wir noch längst nicht ganz unten sind und daß wir – soll­ten wir uns berap­peln – Stu­fe für Stu­fe wie­der hin­auf­stei­gen müssen.

Die­ses Hin­auf­stei­gen wäre nichts ande­res als die Wie­der­her­stel­lung von Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten. Das müs­sen wir uns klar­ma­chen: Es geht in unse­rer Lage und an der poli­ti­schen Ober­flä­che nicht mehr um gro­ße Ent­wür­fe, nicht mehr um ein poli­ti­sches Aus­grei­fen, son­dern um Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, um Grund­sät­ze, bana­le For­de­run­gen. Das bedeu­tet nicht, daß wir kei­nen Begriff mehr davon hät­ten, wie es eigent­lich sein soll­te, und natür­lich bedürf­te es mehr als nur einer Ten­denz­wen­de – aber der­lei ist nicht an der Rei­he, derzeit.

Es geht ums Auf­hal­ten, um die Wie­der­ge­win­nung der Hand­lungs­fä­hig­keit, und wer der AfD und ihrem meta­po­li­ti­schen Umfeld vor­wirft, man lese »von rechts« nichts über die Details der Umset­zung inner­halb einer kom­ple­xen, moder­nen Gesell­schaft, hat nicht begrif­fen, daß es nie um Details geht, wenn der Kopf auf die Trep­pen­stu­fen knallt, son­dern dar­um, sich los­zu­stram­peln, auf­zu­raf­fen und auf den Weg zurück nach oben zu machen, und das heißt – noch ein­mal: Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten zu for­dern und durchzusetzen.

Zu die­sen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, um die es jeder alter­na­ti­ven Poli­tik gehen muß, gehö­ren die Befrei­ung des Staa­tes, die Bän­di­gung der Par­tei­en, die Durch­set­zung von Recht und Ord­nung, der Eli­ten­wech­sel, der Vor­rang des Eige­nen und die Besei­ti­gung des Selbsthasses.

 

Die Befrei­ung des Staates

Der Staat ist der Orga­ni­sa­ti­ons­rah­men einer Nati­on, also eines Staats­vol­kes, das dem Wil­len zur Gestal­tung sei­nes Lebens eine Form gab und gibt. Der Staat ist nie­mals nur Instru­ment eines Teils, nie­mals nur Spiel­wie­se für einen Pars, son­dern jenes neu­tra­le Gebil­de, das ober­halb der ein­zel­nen Ent­wick­lungs­vor­stel­lun­gen im Volk den allen gemein­sa­men Wil­len ver­kör­pert: sich als Nati­on, als iden­ti­tä­res Volk gegen alle äuße­ren und inne­ren Infra­ge­stel­lun­gen durch­zu­set­zen und für die Bewäl­ti­gung der anste­hen­den Auf­ga­ben in Form zu bleiben.

Der deut­sche Staat nun hat nach den ver­lo­re­nen Krie­gen Sou­ve­rä­ni­täts­rech­te in gro­ßem Umfang aus der Hand geben müs­sen, sie in zäher Auf­bau­ar­beit wenigs­tens zum Teil wie­der­erlangt – um sie wenig spä­ter aus frei­en Stü­cken erneut abzu­tre­ten: zum einen an supra­na­tio­na­le Gebil­de und Orga­ni­sa­tio­nen, die den ein­zel­nen Staat und die Eigen­tüm­lich­keit sei­nes Staats­vol­kes als etwas begrei­fen, das über­wun­den wer­den müs­se; zum ande­ren an Par­tei­en und ande­re ideo­lo­gi­sche oder öko­no­mi­sche Lob­by­grup­pen, die ihren Vor­teil ver­fol­gen und den Staat als Beu­te begrei­fen. Carl Schmitt sprach von einem »Beu­te­wert des Staa­tes«, und man darf sich das ruhig plas­tisch vor­stel­len: als geöff­ne­te Scha­tul­le, aus der ganz unver­fro­ren die­je­ni­gen sich bedie­nen, die sich und ihrer Kli­en­tel den Zutritt ver­schaf­fen konn­ten. Thor v. Wald­stein hat dar­über ein exzel­len­tes Buch geschrie­ben, und Hans Her­bert v. Arnim hat eine Stu­die unter dem Titel Der Staat als Beu­te vorgelegt.

Der deut­sche Staat ist als Beu­te auf­ge­teilt – es zerrt nicht nur eine Kat­ze den Vogel in den Kel­ler. Was tun? Die poli­ti­sche Linie zur Befrei­ung des Staa­tes ver­läuft ent­lang der Begrif­fe Ver­staat­li­chung und Kon­kur­renz­lo­sig­keit. Das bedeu­tet, daß der deut­sche Staat die Grund­ver­sor­gung in den Berei­chen Ver­kehr, Bank­we­sen, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Bil­dung, Gesund­heit, Ener­gie, Wohn­raum, Kul­tur und Sicher­heit als Staat sicher­zu­stel­len hat, nicht nur als Ord­nungs­rah­men rund um pri­va­te Anbie­ter, denen es vor allem um die Filet­stück­chen geht. Die Auf­ga­be lau­tet: Ver­staat­li­chung bei gleich­zei­ti­ger Ver­schlan­kung der Büro­kra­tie. Es geht dar­um, staat­li­che Kern­auf­ga­ben dem Ren­ta­bi­li­täts­den­ken zu ent­win­den und Räu­me zu erhal­ten, in denen er, weil er für sich ein Mono­pol bean­sprucht, nicht kon­kur­rie­ren muß.

Die Bän­di­gung der Parteien

Par­tei­en haben die Auf­ga­be, das poli­ti­sche Enga­ge­ment und Inter­es­se der Bür­ger zu bün­deln, zu struk­tu­rie­ren und pro­fes­sio­nell zu ver­tre­ten. Sie tun das, aber auf eine mitt­ler­wei­le unge­bän­dig­te und zyni­sche Art und Wei­se: Ver­mut­lich gibt es in Deutsch­land kei­ne Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on, in der mit ähn­li­cher Ver­ach­tung auf das Fuß­volk geblickt wird wie in Par­tei­en. Und schlim­mer noch: Ver­mut­lich wird von kaum einer Orga­ni­sa­ti­on die auf Infor­miert­heit und poli­ti­scher Rei­fe basie­ren­de Mün­dig­keit des Wäh­lers so zynisch belä­chelt und ver­lo­gen beklatscht wie von Par­tei­en. Die­se Gebil­de sind Orga­ni­sa­tio­nen, in denen sich gegen die Idea­lis­ten – je län­ger, je mehr – die macht­ver­ses­se­nen Ich-Typen, Kar­rie­ris­ten, Mund­werks­bur­schen und Intri­gan­ten durch­set­zen, und zwar vor allem dadurch, daß sie sich gegen die par­tei­in­ter­ne Kon­kur­renz behaup­ten und nicht gegen den poli­ti­schen Geg­ner. Die­se Zwangs­läu­fig­keit pro­du­ziert in aus­nahms­los jeder Par­tei mit dem »Berufs­po­li­ti­ker« einen Typ Mensch, der sich wan­deln kann wie ein Cha­mä­le­on und die Nei­gung hat, auf alles sei­ne par­tei­ische Hand zu legen, also auch auf den Staat und sei­ne Struk­tu­ren. Dies nun ist mit dem staat­li­chen Neu­tra­li­täts­ge­bot nicht zu ver­ein­ba­ren, und kaum begreif­lich ist etwa jener Umstand, daß die obers­ten Rich­ter am Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in Karls­ru­he nach Par­tei­en­pro­porz ernannt wer­den oder hohe Poli­zei­be­am­te je nach Par­tei­buch in einer Stadt das eine dul­den und das ande­re ver­bie­ten kön­nen, kurz: par­tei­po­li­ti­schen Hand­lungs­spiel­raum in Berei­che tra­gen, in denen es um Recht und Ord­nung geht.

Dem wäre abzu­hel­fen: Kein Ver­wal­tungs­be­am­ter, kein Sol­dat, kein Leh­rer, über­haupt nie­mand also, der dem Staat als sei­nem Dienst­herrn und damit auch des­sen Ethos ver­pflich­tet ist, soll­te Mit­glied einer Par­tei sein dür­fen. Er mag wäh­len, demons­trie­ren, sei­nen Dienst quit­tie­ren; er mag aus­wan­dern, den Tyran­nen ermor­den oder steif wie ein Stock­fisch ohne jede Wär­me des Her­zens stem­peln, hef­ten und able­gen – aber er darf nicht Mit­glied einer Par­tei sein. Er darf ja auch nicht strei­ken. Er hat das Maß an mate­ri­el­ler und struk­tu­rel­ler Sicher­heit, das kein Selb­stän­di­ger und kein Arbeit­neh­mer kennt, mit Ver­zicht zu bezah­len. Er hat neu­tral zu sein in sei­nem Amt.

Außer­dem wäre die Par­tei­en­fi­nan­zie­rung auf ein Min­dest­maß zu beschrän­ken: 160.519.363 € setz­ten die Par­tei­en selbst als Ober­gren­ze des­sen fest, was sie sich im ver­gan­ge­nen Jahr vom Staat für die Finan­zie­rung ihrer Arbeit gön­nen konn­ten. Bis­her wur­de die­se Ober­gren­ze immer voll aus­ge­schöpft. Hin­zu kommt die »ver­deck­te« Par­tei­en­fi­nan­zie­rung, ein Sumpf, der tro­cken­ge­legt wer­den müß­te: Wir spre­chen über min­des­tens eine Mil­li­ar­de Euro.

Bei­des, Neu­tra­li­tät der Beam­ten und Beschrän­kung der Finan­zie­rung, bän­dig­te die Kra­ke und dräng­te auf Dau­er die Par­tei­en­men­ta­li­tät zurück, einen Ungeist, der kein Gan­zes kennt und Fak­ten bis zur Lüge für den eige­nen Vor­teil umbiegt.

Vor­ab­ver­öf­fent­li­chung aus Sezes­si­on 77 / April 2017, Fort­set­zung hier.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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