aber weil er sich den Flügel gebrochen hat, kann er nicht entkommen. Nun wird er die Treppe hinuntergezerrt.
Er flattert nicht mehr, er wehrt sich nicht mehr, sein Kopf knallt gegen jede Stufe, und wir sind noch lange nicht im Keller.
Die politische Klasse hat unseren Staat und unser Volk am Wickel und schleift die Beute Stufe für Stufe hinab. Wir selbst, recht wehrlos, bisweilen mutlos, aufs Ganze gesehen sprachlos, wissen dreierlei: daß wir einen gebrochenen Flügel haben, daß wir noch längst nicht ganz unten sind und daß wir – sollten wir uns berappeln – Stufe für Stufe wieder hinaufsteigen müssen.
Dieses Hinaufsteigen wäre nichts anderes als die Wiederherstellung von Selbstverständlichkeiten. Das müssen wir uns klarmachen: Es geht in unserer Lage und an der politischen Oberfläche nicht mehr um große Entwürfe, nicht mehr um ein politisches Ausgreifen, sondern um Selbstverständlichkeiten, um Grundsätze, banale Forderungen. Das bedeutet nicht, daß wir keinen Begriff mehr davon hätten, wie es eigentlich sein sollte, und natürlich bedürfte es mehr als nur einer Tendenzwende – aber derlei ist nicht an der Reihe, derzeit.
Es geht ums Aufhalten, um die Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit, und wer der AfD und ihrem metapolitischen Umfeld vorwirft, man lese »von rechts« nichts über die Details der Umsetzung innerhalb einer komplexen, modernen Gesellschaft, hat nicht begriffen, daß es nie um Details geht, wenn der Kopf auf die Treppenstufen knallt, sondern darum, sich loszustrampeln, aufzuraffen und auf den Weg zurück nach oben zu machen, und das heißt – noch einmal: Selbstverständlichkeiten zu fordern und durchzusetzen.
Zu diesen Selbstverständlichkeiten, um die es jeder alternativen Politik gehen muß, gehören die Befreiung des Staates, die Bändigung der Parteien, die Durchsetzung von Recht und Ordnung, der Elitenwechsel, der Vorrang des Eigenen und die Beseitigung des Selbsthasses.
Die Befreiung des Staates
Der Staat ist der Organisationsrahmen einer Nation, also eines Staatsvolkes, das dem Willen zur Gestaltung seines Lebens eine Form gab und gibt. Der Staat ist niemals nur Instrument eines Teils, niemals nur Spielwiese für einen Pars, sondern jenes neutrale Gebilde, das oberhalb der einzelnen Entwicklungsvorstellungen im Volk den allen gemeinsamen Willen verkörpert: sich als Nation, als identitäres Volk gegen alle äußeren und inneren Infragestellungen durchzusetzen und für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben in Form zu bleiben.
Der deutsche Staat nun hat nach den verlorenen Kriegen Souveränitätsrechte in großem Umfang aus der Hand geben müssen, sie in zäher Aufbauarbeit wenigstens zum Teil wiedererlangt – um sie wenig später aus freien Stücken erneut abzutreten: zum einen an supranationale Gebilde und Organisationen, die den einzelnen Staat und die Eigentümlichkeit seines Staatsvolkes als etwas begreifen, das überwunden werden müsse; zum anderen an Parteien und andere ideologische oder ökonomische Lobbygruppen, die ihren Vorteil verfolgen und den Staat als Beute begreifen. Carl Schmitt sprach von einem »Beutewert des Staates«, und man darf sich das ruhig plastisch vorstellen: als geöffnete Schatulle, aus der ganz unverfroren diejenigen sich bedienen, die sich und ihrer Klientel den Zutritt verschaffen konnten. Thor v. Waldstein hat darüber ein exzellentes Buch geschrieben, und Hans Herbert v. Arnim hat eine Studie unter dem Titel Der Staat als Beute vorgelegt.
Der deutsche Staat ist als Beute aufgeteilt – es zerrt nicht nur eine Katze den Vogel in den Keller. Was tun? Die politische Linie zur Befreiung des Staates verläuft entlang der Begriffe Verstaatlichung und Konkurrenzlosigkeit. Das bedeutet, daß der deutsche Staat die Grundversorgung in den Bereichen Verkehr, Bankwesen, Kommunikation, Bildung, Gesundheit, Energie, Wohnraum, Kultur und Sicherheit als Staat sicherzustellen hat, nicht nur als Ordnungsrahmen rund um private Anbieter, denen es vor allem um die Filetstückchen geht. Die Aufgabe lautet: Verstaatlichung bei gleichzeitiger Verschlankung der Bürokratie. Es geht darum, staatliche Kernaufgaben dem Rentabilitätsdenken zu entwinden und Räume zu erhalten, in denen er, weil er für sich ein Monopol beansprucht, nicht konkurrieren muß.
Die Bändigung der Parteien
Parteien haben die Aufgabe, das politische Engagement und Interesse der Bürger zu bündeln, zu strukturieren und professionell zu vertreten. Sie tun das, aber auf eine mittlerweile ungebändigte und zynische Art und Weise: Vermutlich gibt es in Deutschland keine Massenorganisation, in der mit ähnlicher Verachtung auf das Fußvolk geblickt wird wie in Parteien. Und schlimmer noch: Vermutlich wird von kaum einer Organisation die auf Informiertheit und politischer Reife basierende Mündigkeit des Wählers so zynisch belächelt und verlogen beklatscht wie von Parteien. Diese Gebilde sind Organisationen, in denen sich gegen die Idealisten – je länger, je mehr – die machtversessenen Ich-Typen, Karrieristen, Mundwerksburschen und Intriganten durchsetzen, und zwar vor allem dadurch, daß sie sich gegen die parteiinterne Konkurrenz behaupten und nicht gegen den politischen Gegner. Diese Zwangsläufigkeit produziert in ausnahmslos jeder Partei mit dem »Berufspolitiker« einen Typ Mensch, der sich wandeln kann wie ein Chamäleon und die Neigung hat, auf alles seine parteiische Hand zu legen, also auch auf den Staat und seine Strukturen. Dies nun ist mit dem staatlichen Neutralitätsgebot nicht zu vereinbaren, und kaum begreiflich ist etwa jener Umstand, daß die obersten Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nach Parteienproporz ernannt werden oder hohe Polizeibeamte je nach Parteibuch in einer Stadt das eine dulden und das andere verbieten können, kurz: parteipolitischen Handlungsspielraum in Bereiche tragen, in denen es um Recht und Ordnung geht.
Dem wäre abzuhelfen: Kein Verwaltungsbeamter, kein Soldat, kein Lehrer, überhaupt niemand also, der dem Staat als seinem Dienstherrn und damit auch dessen Ethos verpflichtet ist, sollte Mitglied einer Partei sein dürfen. Er mag wählen, demonstrieren, seinen Dienst quittieren; er mag auswandern, den Tyrannen ermorden oder steif wie ein Stockfisch ohne jede Wärme des Herzens stempeln, heften und ablegen – aber er darf nicht Mitglied einer Partei sein. Er darf ja auch nicht streiken. Er hat das Maß an materieller und struktureller Sicherheit, das kein Selbständiger und kein Arbeitnehmer kennt, mit Verzicht zu bezahlen. Er hat neutral zu sein in seinem Amt.
Außerdem wäre die Parteienfinanzierung auf ein Mindestmaß zu beschränken: 160.519.363 € setzten die Parteien selbst als Obergrenze dessen fest, was sie sich im vergangenen Jahr vom Staat für die Finanzierung ihrer Arbeit gönnen konnten. Bisher wurde diese Obergrenze immer voll ausgeschöpft. Hinzu kommt die »verdeckte« Parteienfinanzierung, ein Sumpf, der trockengelegt werden müßte: Wir sprechen über mindestens eine Milliarde Euro.
Beides, Neutralität der Beamten und Beschränkung der Finanzierung, bändigte die Krake und drängte auf Dauer die Parteienmentalität zurück, einen Ungeist, der kein Ganzes kennt und Fakten bis zur Lüge für den eigenen Vorteil umbiegt.
Vorabveröffentlichung aus Sezession 77 / April 2017, Fortsetzung hier.