Der häßliche Deutsche

Selbstverständlich war Yeovil auf vieles gefaßt, die Plakate in deutscher und englischer Sprache am Bahnhof,... 

den unsym­pa­thi­schen Teu­to­nen, der ihn als Taxi­fah­rer angeb­lich nicht zur »No 28 Berkshire Street« brin­gen konn­te, son­dern nur zur »Berkshire­stra­ße 28«, und auch auf »ande­re wider­wär­ti­ge und stö­ren­de Din­ge … – die Ver­än­de­run­gen auf Brief­mar­ken und Mün­zen, das auf­dring­li­che ger­ma­ni­sche Wesen, die frem­den Uni­for­men«, aber das gan­ze Aus­maß der Kata­stro­phe wur­de ihm erst bewußt, als er, der Bri­te, in einem Hotel auf bri­ti­schem Boden gezwun­gen wur­de, ein »Mel­de­for­mu­lar« aus­zu­fül­len. In die­sem Augen­blick begriff Yeo­vil schlag­ar­tig: Bri­tan­ni­ens Flot­te ver­nich­tet, die Insel besetzt, ein Hohen­zol­lern­prinz als Statt­hal­ter in Lon­don, das gan­ze Land unter­wor­fen, die Eli­te geflo­hen oder zur Kol­la­bo­ra­ti­on bereit, das ein­fa­che Volk ent­mu­tigt, sei­ner ange­stamm­ten Frei­heit beraubt durch Kai­ser Bills Regime, das zwar jovi­al auf­trat, aber tat­säch­lich alles mit Kaser­nen­hof­ton und Büro­kra­tie regelte.

Das geschil­der­te Sze­na­rio ent­stammt dem Roman When Wil­liam Came von Hec­tor Hugh Mun­ro, der unter dem Pseud­onym »Saki« schrieb. Man hat sein Buch glei­cher­ma­ßen als Sati­re wie als natio­na­lis­ti­sches Pam­phlet zuguns­ten von vor­mi­li­tä­ri­scher Erzie­hung und Wehr­pflicht oder als frü­he Sci­ence-Fic­tion gele­sen. Vor allem aber muß man When Wil­liam Came als her­vor­ra­gen­des Bei­spiel der soge­nann­ten Inva­si­ons­li­te­ra­tur betrach­ten. Bei Erschei­nen im Jahr 1913 war die­ses Gen­re bereits fest eta­bliert. Etwa vier­hun­dert Titel kann man der Gat­tung zurech­nen. Oft han­del­te es sich um Seri­en, die popu­lä­re Zeit­schrif­ten abdruck­ten, und die dann zu Buch­aus­ga­ben ver­ar­bei­tet wur­den und Best­sel­ler­aufla­gen erreich­ten. Dabei mal­ten sich die Autoren im Regel­fall einen Angriff Frank­reichs aus, des tra­di­tio­nel­len Erz­fein­des. Aber es ist doch bezeich­nend, daß schon der ers­te Roman die­ser Art – The Batt­le of Dor­king von Geor­ge Tom­kyns Ches­ney – die Vor­stel­lung von einer deut­schen Lan­dung in Eng­land ent­wi­ckelt hatte.

The Batt­le of Dor­king kam 1871 auf den Markt; ein auf­schluß­rei­ches Datum. Denn es stand ganz im Zei­chen des deut­schen Sie­ges über Frank­reich. Der bri­ti­sche Pre­mier Ben­ja­min Dis­rae­li hat­te beim Tri­umph Preu­ßens und sei­ner Ver­bün­de­ten von einer »deut­schen Revo­lu­ti­on« gespro­chen, die die Welt ver­än­dern wer­de, und tat­säch­lich ent­fal­te­te das neue Reich in den kom­men­den Jahr­zehn­ten sein indus­tri­el­les, öko­no­mi­sches und mili­tä­ri­sches Poten­ti­al. Die­ser Vor­gang wür­de allein genü­gen, die wach­sen­de Beun­ru­hi­gung eines Vol­kes zu erklä­ren, das bis dahin geglaubt hat­te, die sple­ndid iso­la­ti­on sei unan­tast­bar. Und so tra­ten die Fran­zo­sen, Ame­ri­ka­ner oder »Gel­ben« als denk­ba­re Inva­so­ren in den Hin­ter­grund, die Deut­schen in den Vor­der­grund. Roma­ne wie Wil­liam Le Queuxs The Gre­at War in Eng­land in 1897 von 1894, Erski­ne Chil­ders The Ridd­le oft the Sands von 1903 und eben Sakis When Wil­liam Came von 1913 bedien­ten jeden­falls einen brei­ten Publi­kums­ge­schmack. Den Erfolg erklär­te auch eine wach­sen­de anti­deut­sche Stimmung.

Die fand ihren sicht­ba­ren Nie­der­schlag nicht nur in der Mar­kie­rung deut­scher Waren mit »Made in Ger­ma­ny« und diver­sen »Buy-British«-Kampagnen, son­dern auch in der »Germania-est-delenda«-Hetze der Satur­day Review und einer gan­zen Rei­he von Ver­öf­fent­li­chun­gen aus der Feder mehr oder weni­ger bedeu­ten­der Den­ker. 1913 schrieb der His­to­ri­ker John Adam Cramb: »Und wenn das schreck­li­che Ereig­nis eines Krie­ges mit Deutsch­land – wäre es wirk­lich schreck­lich? – jemals ein­tre­ten soll­te, dann wird auf die­ser Erde ein Kampf zu sehen sein, der mehr als jeder ande­re die Beschrei­bung der gro­ßen grie­chi­schen Krie­ge wahr­ma­chen wird: ›Hel­den im Kamp­fe mit Hel­den, / zür­nen­de Göt­ter dar­über.‹ Und man kann sich aus­ma­len, wie der alte, mäch­ti­ge Gott aller teu­to­ni­schen Völ­ker, über den Wol­ken thro­nend, hei­ter auf den Kampf her­ab­schaut, auf sei­ne Lieb­lings­kin­der, die Eng­län­der und die Deut­schen, die in töd­li­chem Kampf ver­strickt sind, und wie ihm dann das Herz lacht bei dem Hel­den­tum die­ses Streits, dem Hel­den­tum der Kin­der Odins, des Kriegsgottes«.

Mit der­lei poe­ti­schen Vor­stel­lun­gen hielt sich die bri­ti­sche Basis nicht auf. Hier arbei­te­te man mit klar umris­se­nen Feind­bil­dern, zu denen vor allem die Behaup­tung gehör­te, daß die in Groß­bri­tan­ni­en leben­den Deut­schen die kom­men­de Atta­cke als Spio­ne vor­be­rei­te­ten. Man mut­maß­te nicht nur das Aus­spä­hen und Wei­ter­ge­ben gehei­mer Infor­ma­tio­nen, son­dern auch die Samm­lung von Waf­fen, die Vor­be­rei­tung von Sabo­ta­ge­ak­ten und Maß­nah­men zur Schwä­chung der bri­ti­schen Wehr­kraft und fall­wei­se das Bestehen einer deutsch-jüdi­schen Ver­schwö­rung zur Kon­trol­le des inter­na­tio­na­len Finanzwesens.

Der­ar­ti­ge Phan­ta­sien wur­den von der bri­ti­schen Regie­rung durch­aus ernst­ge­nom­men, ob tat­säch­lich die Grün­dung von MI 5 und MI 6 im Jahr 1909 dar­auf zurück­zu­füh­ren waren, ist umstrit­ten. Unum­strit­ten sind aller­dings die psy­cho­lo­gi­schen Fol­gen. 1910 schrieb der Jour­na­list Charles Lowe: »Unter allen Ursa­chen, die anhal­tend dazu bei­tra­gen, daß zwi­schen Eng­land und Deutsch­land böses Blut herrscht, ist wahr­schein­lich die mäch­tigs­te die ver­derb­li­che Indus­trie die­ser skru­pel­lo­sen Schrei­ber, die immer ver­si­chern, daß die Deut­schen nur auf eine geeig­ne­te Gele­gen­heit war­ten, um uns auf unse­rer Insel anzu­grei­fen und auszulöschen«.

Trotz die­ses Befun­des muß man fest­stel­len, daß die Stim­mung in Groß­bri­tan­ni­en bei Kriegs­aus­bruch eher ver­hal­ten wirk­te. Die öffent­li­che Mei­nung neig­te zur Zurück­hal­tung. Das änder­te sich schlag­ar­tig mit dem deut­schen Bruch der bel­gi­schen Neu­tra­li­tät. Die­ses »Got­tes­ge­schenk« (Arthur Pon­son­by) erlaub­te es der bri­ti­schen Regie­rung, in den Krieg ein­zu­tre­ten, wohl­wis­send, daß  Frank­reich ohne Skru­pel in Bel­gi­en ein­mar­schiert wäre, wenn es das als mili­tä­risch not­wen­dig betrach­tet hät­te. So ergab sich aber die will­kom­me­ne Mög­lich­keit, den Ein­druck zu erwe­cken, als ob man nicht für die eige­nen Inter­es­sen, son­dern für ein über­le­ge­nes mora­li­sches Prin­zip kämp­fen wer­de. Das erklärt auch, war­um sich das Bild des Deut­schen jetzt in kur­zer Zeit und dras­tisch verdunkelte.

Zwar gab es nach wie vor die alten Invek­ti­ven und ver­gleichs­wei­se harm­lo­se Aktio­nen, zum Bei­spiel das öffent­li­che Aus­schüt­ten von Rhein­wein in die Gos­se, die Dis­kri­mi­nie­rung von Dackel­hal­tern und die Nöti­gung zur Auf­ga­be deut­scher Adels­ti­tel, aber es ent­stan­den außer­dem chau­vi­nis­ti­sche Ver­bän­de wie die Anti-Ger­man Uni­on, die den Mob auf­hetz­ten, und Pogro­me gegen in Eng­land ansäs­si­ge Deut­sche, die man der Illoya­li­tät ver­däch­tig­te. Vor allem aber stell­te eine all­ge­gen­wär­ti­ge Pro­pa­gan­da der Mas­sen­pres­se ein Feind­bild von bis dahin unbe­kann­ter Dras­tik ins Zen­trum: der Deut­sche als blut­saufen­der »Hun­ne«, als kal­ter Zyni­ker und als »Anti­christ«.

Bereits im August 1914 wur­den ers­te Greu­el­ge­schich­ten in Umlauf gebracht: etwa über die Ver­ge­wal­ti­gung, Ver­stüm­me­lung und Ermor­dung einer bri­ti­schen Kran­ken­schwes­ter in Bel­gi­en, über die Kreu­zi­gung eines kana­di­schen Off­ziers, die bös­wil­li­ge Zer­stö­rung der flan­dri­schen Stadt Löwen, vor allem aber über das Abschnei­den von bel­gi­schen Kin­der­hän­den. Wenn ent­spre­chen­de Vor­wür­fe im ver­bün­de­ten Frank­reich sofort auf­ge­grif­fen wur­den, so hat­te das auch damit zu tun, daß vie­le von ihnen aus der nach 1871 ent­stan­de­nen Bewäl­ti­gungs­li­te­ra­tur bekannt waren, die von »Van­da­len«, ver­ge­wal­ti­gen­den »Goten« und mör­de­ri­schen »Preu­ßen« nur so wim­mel­te. Es ging den Ver­fas­sern dabei nie nur um die übli­che Aver­si­on gegen einen sieg­rei­chen Geg­ner, son­dern auch um die Auf­fas­sung, daß ein Rache­krieg gegen Deutsch­land vor­be­rei­tet wer­den müsse.

Ein brei­ter Kon­sens trug die­sen »Revan­chis­mus«, der von den Preu­ßen­fres­sern des Herz-Jesu-Katho­li­zis­mus über den Mas­sen­an­hang des »Géné­ral Revan­che« Bou­lan­ger bis zu natio­na­lis­ti­schen Jako­bi­nern wie Geor­ges Cle­men­ceau reich­te. Es ist mehr als bezeich­nend, daß Cle­men­ceau, ein über­zeug­ter Anti­kle­ri­ka­ler, schon im August 1914 die apo­ka­lyp­ti­sche Meta­pher von den »bei­den Fah­nen« – der des Guten und der des Bösen – in bezug auf den Kampf gegen Deutsch­land ver­wen­de­te, und von ihm stamm­te auch eine ande­re qua­si-reli­giö­se For­mel: »Jeder Mensch hat zwei Vater­län­der: das sei­ni­ge und Frankreich«.

Die­se im Kern sehr alte Iden­ti­f­zie­rung der Mensch­heit über­haupt und Frank­reichs führ­te not­wen­dig dahin, daß Cle­men­ceau wäh­rend des Krie­ges nur ein Ziel kann­te: den Ver­blen­de­ten die Augen dafür zu öff­nen, daß die »Ger­ma­nen« seit fünf­zig Jah­ren nichts ande­res taten, als einen Welt­krieg vor­zu­be­rei­ten, um die Welt­herr­schaft zu errin­gen. Die Auf­fas­sun­gen Cle­men­ce­aus erin­nern in vie­lem an die des Geo­gra­phen Oné­si­me Reclus, der sich 1915 in einer Bro­schü­re nicht nur die manich­äi­sche Deu­tung des Krie­ges zu eigen mach­te, son­dern eine umfas­sen­de – und in man­cher Hin­sicht pro­phe­tisch wir­ken­de – Pla­nung für die Zukunft Deutsch­lands nach dem Sieg der Entente ent­warf. Unter dem Titel L’ Alle­ma­gne en morceau»Deutsch­land in Stü­cken« schlug er vor, Frank­reich soll­te nicht nur Elsaß-Loth­rin­gen, son­dern auch das Saar­ge­biet und Luxem­burg erhal­ten; die deut­sche Bevöl­ke­rung des lin­ken Rhein­ufers kön­ne sich Frank­reich anschlie­ßen oder in Selb­stän­dig­keit leben; Ruß­land erhal­te für sein pol­ni­sches Pro­tek­to­rat West- und Ost­preu­ßen, außer­dem Posen und Schle­si­en; Öster­reich-Ungarn ver­schwin­de und wer­de in sei­ne Natio­na­li­tä­ten auf­ge­löst; der deut­sche Rest möge sich mit dem süd­li­chen Deutsch­land ver­ei­ni­gen, das vom nörd­li­chen abge­trennt wer­de. Ent­schei­dend sei, so Reclus, die »Hin­rich­tung Preu­ßens«, damit ver­bun­den die voll­stän­di­ge Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung samt Abschaf­fung der Flot­te; nur eine »Poli­zei­trup­pe« sol­le Deutsch­land behal­ten dür­fen. Schließ­lich for­der­te der Ver­fas­ser eine »Über­bu­ße« von 101 Mil­li­ar­den Gold­mark, zahl­bar in 101 Jah­ren und schloß mit der For­de­rung, die Deut­schen »… wür­den es wirk­lich ver­die­nen, auf dem Skla­ven­markt ver­kauft zu wer­den, nach­dem man sie, den Strick um den Hals, dort­hin getrie­ben hat. Nicht die gro­ße Mas­se, die auch gute Eigen­schaf­ten hat. Töl­pel­haft, grob, gefrä­ßig, dem Trun­ke erge­ben, hat sie doch Fami­li­en­sinn, ist flei­ßig, gedul­dig, geleh­rig, aber auch etwas unter­würfg. Man befehlt, sie gehorcht. Aber sie, die ihr befeh­len, die sie füh­ren und antrei­ben, ver­die­nen die Ket­te und das Hals­ei­sen. Sie alle«.

Reclus ver­trat ohne Zwei­fel eine radi­ka­le Posi­ti­on. Aber er war kei­nes­wegs iso­liert, son­dern durf­te auf ein erheb­li­ches Maß an Zustim­mung in der fran­zö­si­schen Öffent­lich­keit rech­nen. Die erklärt sich aus einer schon wäh­rend der Vor­kriegs­zeit wach­sen­den Mili­ta­ri­sie­rung der Publi­zis­tik und der För­de­rung des Deut­schen­has­ses durch einfluß­rei­che fran­zö­si­sche Autoren. Man fndet in ihren Rei­hen vie­le klang­vol­le Namen: von Charles Péguy auf der Lin­ken bis zu Mau­rice Bar­rès auf der Rech­ten, und wäh­rend des Krie­ges wur­den auch Män­ner wie Léon Bloy und Pierre Loti von die­sem Furor erfaßt. Loti schrieb in sei­nem Buch La hyè­ne enra­gée»Die wild­ge­wor­de­ne Hyä­ne« – über die »deut­schen Bes­ti­en«: »Die Welt wird nur auf­at­men nach ihrer voll­stän­di­gen Vernichtung«.

Die Ent­ge­gen­set­zung von race humaine – »mensch­li­che Ras­se« und race alle­man­de – »deut­sche Ras­se« war in Groß­bri­tan­ni­en nicht ganz so geläu­fig wie in Frank­reich, aber auch hier gab es Ver­fech­ter ent­spre­chen­der Vor­stel­lun­gen, etwa den Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger Rudyard Kipling, der äußer­te, er kön­ne zwei Arten sehr genau unter­schei­den: »mensch­li­che Wesen« und »Deut­sche«. Das paß­te selbst­ver­ständ­lich genau zu der Idee, daß die Entente für Zivi­li­sa­ti­on und Demo­kra­tie und Huma­ni­tät kämp­fe, wäh­rend Deutsch­land Bar­ba­rei, Auto­kra­tie und eine per­ver­se Form von »Kul­tur« ver­tre­te. Dabei ist zu beto­nen, daß die Hef­tig­keit, mit der die Deut­schen aus der Gat­tung aus­ge­sto­ßen, als Unter­men­schen, Unge­heu­er oder Untie­re bestimmt wur­den, eine Gren­ze über­schritt, die bis dahin selbst in der Kriegs­pro­pa­gan­da ein­ge­hal­ten wor­den war. Die­se Grenz­über­schrei­tung ist weder aus der kol­lek­ti­ven Erre­gung begreif­bar, noch als irgend­wie ver­ständ­li­che Reak­ti­on auf deut­sche Verbrechen.

Ent­schei­dend ist des­halb die Fest­stel­lung, daß der »häß­li­che Deut­sche« schon vor dem Krieg sei­ne Umris­se erhal­ten hat­te, und daß man wäh­rend des Krie­ges nichts ande­res tun muß­te, als das Feind­bild in Umlauf zu brin­gen. Fak­tisch ging es dabei um eine in die­ser Form noch nie dage­we­se­ne Mas­sen­ver­het­zung. Deren Effi­zi­enz erklärt sich nicht nur aus der Moder­ni­tät des Pres­se­we­sens in Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich, son­dern auch aus der Tat­sa­che, daß man in Lon­don sehr früh erkann­te, wie unklug es war, die Ver­ant­wor­tung für die Pro­pa­gan­da Beam­ten zu über­tra­gen. Das unmit­tel­bar nach Kriegs­be­ginn gegrün­de­te »War Pro­pa­gan­da Bureau« arbei­te­te im Gehei­men, zog es vor, bekann­te Schrift­stel­ler wie Arthur Conan Doyle oder H.G. Wells für anti­deut­sche Pam­phle­te zu bezah­len, anstatt sie direkt zu rekru­tie­ren, und Mate­ri­al der Pres­se zur Ver­fü­gung zu stel­len und ein­zel­ne Jour­na­lis­ten zu kau­fen, anstatt regie­rungs­amt­li­che Ver­laut­ba­run­gen in Umlauf zu bringen.

Der ent­schei­den­de Coup war aller­dings, bei der Reor­ga­ni­sa­ti­on »des Bure­aus« als »Depart­ment of Infor­ma­ti­on« im Febru­ar 1917 für die ent­schei­den­den Posi­tio­nen Lord North­clif­fe und Lord Bea­ver­brook zu gewin­nen. Die­se »Pres­se­za­ren« beherrsch­ten ihr Metier und taten im Grun­de nichts ande­res, als die erfolg­rei­chen Metho­den der popu­lä­ren Pres­se auf die Kriegs­pro­pa­gan­da zu über­tra­gen. Die­se Art von Public-Pri­va­te-Part­ner­ship erwies sich als so erfolg­reich, daß die fran­zö­si­sche Pro­pa­gan­da fak­tisch an die bri­ti­sche ange­schlos­sen wur­de und die USA das Modell nach ihrem Kriegs­ein­tritt über­nah­men. Mit einer ihrer ers­ten Maß­nah­men schuf die Regie­rung das »US Com­mit­tee on Public Infor­ma­ti­on« (CPI), das nicht nur die Auf­ga­be hat­te, Spe­zia­lis­ten aus der Wer­be­bran­che zu rekru­tie­ren, son­dern auch die Zusam­men­ar­beit mit der hoch ent­wik­kel­ten ame­ri­ka­ni­schen Rekla­m­e­indus­trie und den Medi­en sicherzustellen.

Daß das CPI inhalt­lich wenig Neu­es bot, spiel­te dabei kei­ne Rol­le. Die­se Insti­tu­ti­on, die am ehes­ten den Cha­rak­ter eines Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­ums besaß, inter­es­sier­te sich nicht für Ori­gi­na­li­tät, son­dern für Wirk­sam­keit. Und aus die­sem Grund för­der­te man auch ein Medi­um, des­sen pro­pa­gan­dis­ti­sche Bedeu­tung zwar in allen am Krieg betei­lig­ten Län­dern erkannt wor­den war, das aber nir­gends so wir­kungs­voll ein­ge­setzt wur­de wie in den USA: den Film. In ers­ter Linie ging es um die Wochen­schau­en und um den neu­en, abend­fül­len­den Spiel­flm. Die Zahl die­ser Fil­me war schon auf­grund der Kür­ze der ame­ri­ka­ni­schen Kriegs­teil­nah­me begrenzt, aber ihre Wir­kung auf das Publi­kum darf trotz­dem nicht unter­schätzt wer­den, da es hier auf eine zukunft­wei­sen­de Art gelang, das Haupt­ziel des CPI zu errei­chen, näm­lich »die Deut­schen nicht ein­fach nur in den schwär­zes­ten Far­ben, son­dern als die Inkar­na­ti­on des Teu­fels über­haupt« (David Crunch) darzustellen.

Den Deut­schen als »Inkar­na­ti­on des Teu­fels« hat der ame­ri­ka­ni­sche Sozio­lo­ge Wal­ter Lipp­mann schon 1922 in sei­nem Klas­si­ker Public Opi­ni­on als Ergeb­nis einer »Fik­ti­on« bezeich­net. Lipp­mann mein­te damit kei­ne Lüge im ein­fa­chen Sinn, son­dern die Nut­zung eines »Mecha­nis­mus« in der mensch­li­chen See­le, der das Bedürf­nis nach Hel­den­ver­eh­rung eben­so her­vor­brin­ge wie das Bedürf­nis nach »Exor­zis­mus des Teufels«.

Die alli­ier­te Pro­pa­gan­da habe sich die­ses Mecha­nis­mus bemäch­tigt und sei des­halb so außer­or­dent­lich erfolg­reich gewe­sen. Aller­dings habe man gleich­zei­tig ein »Bild« tief in der See­le der Mas­sen ver­an­kert. Ein Vor­gang, der sich prak­tisch nicht mehr rück­gän­gig machen lasse.

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