In wenigen Wochen wird im Verlag Antaios ein Roman mit dem Titel Hirnhunde erscheinen. Dieses seltsame Wort stammt aus dem Gedicht »Untergrundbahn«, das Gottfried Benn 1913 verfaßte. Es wird dort im Singular verwendet und beschreibt den überreflexiven Typus, der den banalen Zugriff scheut.
Der Autor des Romans nun, in dessen Zentrum der Reporter einer konservativen Wochenzeitung steht, nennt sich Raoul Thalheim, ist in Wirklichkeit aber ein ziemlich bekannter Schriftsteller. Er will aus nachvollziehbaren, hinlänglich bekannten, zugleich bezeichnenden Gründen seinen wirklichen Namen nicht auf dem Einband eines Buches stehen sehen, das bei Antaios erscheint.
(Ich muß nicht immer wieder darauf hinweisen, daß derlei Vorgänge mehr über das geistige Klima in unserem Land aussagen, als jene frommen Wünsche, die sich im Grundgesetz ausformuliert finden.)
Vor ein paar Tagen gab »Thalheim« die Druckfreigabe für seinen Roman. Wir trafen uns in einem kleinen Weinlokal in Naumburg und besprachen dabei auch die Höhe der Startauflage. Sie könnte sich steigern lassen, wenn ich seine wahre Identität bekanntgeben dürfte, sagte ich: Nicht jetzt, aber am Ende jenes Rätselratens vielleicht, das im Internet längst eingesetzt habe.
Thalheim sagte, er wisse, daß ich diesen Vorschlag nicht ernst meinte und daß ich ihn damit nur ein bißchen provozieren wollte. Immer so halb und halb, sagte ich. Es müßte doch endlich einmal jemand den Beweis führen, daß es deutlich schlimmere Handlungen gebe, als die, einen Roman bei Antaios oder einen Artikel in der Sezession zu veröffentlichen.
Mir seien die Kriterien klar: entweder so populär und materiell interessant wie Sarrazin oder als Wahldeutscher, als »Stimme von außen« per se unangreifbar.
Ich spielte wohl auf diesen Katzenkrimi-Türken an, diesen sexuell frustrierten Akif Pirinçci? Er, Thalheim, habe auf der Zugfahrt nach Naumburg in dessen Erbrochenem gestochert, die Schüssel, also: das Buch aber bereits kurz hinter Erfurt aus dem Fenster geworfen.
In einem ICE könne man kein Fenster öffnen, sagte ich. Thalheim, der ein klein wenig cholerisch ist, zog das Buch aus der Tasche. Das stimme allerdings, aber er hätte es gern aus dem Fenster geworfen, und weil er sich diese spontane Geste gut habe vorstellen können, sei es doch schon halb geschehen gewesen.
Er sei nun einmal Geschichtenerzähler, und das Buch eines türkischstämmigen Schriftstellers, der für Deutschland streite, aber mit seinem ekelhaften Vokabular und seinem ständig ins Altersgeile abrutschenden Egotrip beweise, daß er unser (Thalheim sagte »unser«) Deutschland gar nicht kenne, gehöre nun einmal nicht ins Bücherregal. Hier sei es – Thalheim zog den Pirinçci aus seiner Aktentasche –, wohin nun damit?
Ich griff nach dem Buch. Dies sei doch ein Phänomen, sagte ich. Der Verleger habe mir erzählt, man sei sich mit Bild am Sonntag einig über den Abdruck einiger Passagen. Ich ginge deshalb jede Wette ein, daß es nach Sarrazin auch Pirinçci auf Platz eins der Bestseller-Listen schaffte – eine Position, die sonst nur von Klamauk-Titeln, Körper-Beratern oder Kochbüchern eingenommen würde.
Wann je in den letzten drei Jahren sei ein vergleichbar linkes Sachbuch unter den Top zehn gelistet gewesen? Sei es nicht vielleicht doch so, daß dies die immer wieder beschriebene metapolitische Artillerievorbereitung für den parteipolitischen Infanterieangriff sei?
Thalheim nickte. Vielleicht, sagte er, hätte ich recht, auch er mache bei jedem zweiten Gespräch in seinem weiß Gott eher linken Bekanntenkreis eine verhalten konservative Grundstimmung aus, sähe sich sogar manchmal einem geplatzten Kragen gegenüber. Er bleibe jedoch bei seiner Einschätzung:
Das, was ein Pirinçci verbreite, habe mit dem, was wir unter Deutschland verstünden, herzlich wenig zu tun, und glücklicherweise seien wir schon rein strukturell gar nicht anfällig für derlei Tiraden, und aus demselben Grund nicht angriffsfähig. Warum? Thalheim lachte: Weil wir überreflexiv seien, Hirnhunde eben.