Polizeiliche Kriminalstatistik (I)

»Ausländer raus ...« – Für einen kurzen Augenblick muß sich in dem dichtbesetzten Seminarraum eisiges Schweigen ausgebreitet haben.

Man­che glaub­ten ihren Ohren nicht trau­en zu kön­nen. Ande­re (so rich­tig nie zu Über­ra­schen­de) bemerk­ten zu sich selbst oder zu ihrem Nach­barn lako­nisch, nun grei­fe der »lin­ke Rea­lis­mus« also auf das wie­der­ver­ei­nig­te Deutsch­land über. Man wis­se ja bereits, daß die­ser nicht nur anti­se­mi­ti­sche, son­dern auch gene­rell (meist ver­steck­te) xeno­pho­be Züge habe. Die Mas­sen­ein­wan­de­rung wer­de als Mach­werk der Bour­geoi­sie gese­hen, um den Preis der Ware Arbeits­kraft zu drü­cken. Dage­gen kom­me die Sozia­lis­ti­sche Deut­sche Arbei­ter­ju­gend mit ihren nai­ven Wand­sprü­chen wie »Aus­län­der sind mei­ne Freun­de!« nicht mehr an. Bevor nun ech­te Unru­he oder über­flüs­si­ge poli­tik­wis­sen­schaft­li­che Spe­ku­la­tio­nen ent­ste­hen konn­ten, lös­te der als Jurist in einem Fach­be­reich für Sozia­le Arbeit täti­ge Refe­rent, an sich dadurch schon über alle Unter­stel­lun­gen erha­ben, die kogni­ti­ve Dis­so­nanz und füg­te fei­xend hin­zu: »… aus der Kriminalstatistik!«

So oder ähn­lich moch­te sich die klei­ne Sze­ne, der wir lei­der nicht per­sön­lich bei­woh­nen konn­ten, Mit­te der neun­zi­ger Jah­re in einem Semi­nar der Frank­fur­ter Fach­hoch­schu­le abge­spielt haben. Der Aus­ruf fin­det sich am Ende des ver­öf­fent­lich­ten Vor­trags­tex­tes. Anfangs stimmt der enga­gier­te Fach­hoch­schul­leh­rer sei­ne Zuhö­rer mit der bedroh­li­chen Bemer­kung ein, das Wort Aus­län­der sei bereits »eine vor­ur­teils­schwan­ge­re Dis­kri­mi­nie­rung«! Aber bis heu­te ist es im wesent­li­chen nicht gelun­gen, Aus­län­der aus der Poli­zei­li­chen Kri­mi­nal­sta­tis­tik (PKS) zu ent­fer­nen. Immer­hin hat in den letz­ten Jah­ren ein gewis­ser Rück­gang in der­sel­ben für poli­tisch moti­vier­te Erleich­te­rung gesorgt. Auch wird in den Jahr­bü­chern des Bun­des­kri­mi­nal­am­tes durch lan­ge abge­wo­ge­ne For­mu­lie­run­gen fest­ge­legt, daß die wie­der­ge­ge­be­nen Zah­len an sich nicht brauch­bar sei­en, ins­be­son­de­re dann nicht, wenn man sie even­tu­ell zu Ver­glei­chen nut­zen wollte.

Echt­tä­ter­zäh­lung

Nun ist zu beden­ken, daß bis zum Jah­re 1984 alle soge­nann­ten Tat­ver­däch­ti­gen­zah­len in der PKS, ob Aus­län­der oder nicht, über­höht waren und inso­fern Deut­sche und Nicht­deut­sche glei­cher­ma­ßen »dis­kri­mi­nier­ten«. Nach alter Tra­di­ti­on wur­de bis dahin für jeden nach einer ange­zeig­ten Straf­tat poli­zei­lich ermit­tel­ten Täter ein Sta­tis­tik­strich gesetzt. Wenn der im Berichts­jahr bereits »auf­fäl­lig« gewor­de­ne Fritz sich durch eine poli­zei­li­che Hand­lung in sei­nem straf­ba­ren Tun und Las­sen nicht stö­ren ließ, tauch­te er womög­lich ein zwei­tes, drit­tes, vier­tes Mal in einem PKS- Jahr­gang auf. Wäh­rend der gefaß­te und »aus dem Ver­kehr gezo­ge­ne« Seri­en­tä­ter im wesent­li­chen die Zahl der Straf­ta­ten ver­grö­ßer­te, konn­te der mehr­fach oder inten­siv kri­mi­nell Täti­ge die Zahl der Tat­ver­däch­ti­gen erhö­hen. Mehr­fach- oder Inten­siv­tä­ter wie Meh­met und Co. waren nach der alten Zäh­lung durch jeweils vier oder fünf Gewalt­de­lik­te im Prin­zip in der Lage, die sta­tis­ti­sche Grö­ße bei­spiels­wei­se tür­ki­scher Straf­tä­ter in einer Groß­stadt in die­sem Kri­mi­na­li­täts­feld emp­find­lich anwach­sen zu las­sen. Die damit ver­bun­de­ne Ungleich­be­hand­lung im Ver­hält­nis zu Eth­ni­en mit gerin­ge­rer kri­mi­nel­ler Ener­gie wur­de durch die 1984 wirk­sam wer­den­de »Echt­tä­ter­zäh­lung« auf Bun­des­ebe­ne weit­ge­hend besei­tigt. Völ­lig »echt« war auch die­se Zäh­lung noch nicht, da das BKA bis 2009 kei­ne Ein­zel­da­ten, son­dern nur die kumu­lier­ten Zah­len der Lan­des­kri­mi­nal­äm­ter ver­rech­nen konn­te. Gleich­wohl sank die Zahl der regis­trier­ten Per­so­nen 1984 schlag­ar­tig etwa um ein Viertel.

Stei­gen­de Ausländerzahlen

Die Erleich­te­rung über die kräf­tig redu­zier­ten Täter­zah­len währ­te nicht lan­ge. Die »Straf­ta­ten-Epi­de­mie« in der west­li­chen Welt, wie es in einem nie­der­län­di­schen Kri­mi­no­lo­gie-Lehr­buch meta­pho­risch heißt, gras­sier­te wei­ter. In den Län­dern der alten Bun­des­re­pu­blik hat­ten die »Echt­tä­ter­zah­len« schon weni­ge Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung das damals viel­fach als uner­träg­lich emp­fun­de­ne Niveau von 1980 erreicht. In den acht­zi­ger Jah­ren und erst recht nach 1990 ström­ten Mil­lio­nen Aus­län­der nach Deutsch­land. Die hohe Zahl eth­nisch Deut­scher und ihrer Ange­hö­ri­gen aus dem Osten (Spät­aus­sied­ler), von denen ins­be­son­de­re die Jun­gen in den Straf­an­stal­ten durch ver­stärk­te Prä­senz impo­nier­ten, konn­te das auf den ers­ten Blick ungüns­tig erschei­nen­de Ver­hält­nis zwi­schen deut­schen und aus­län­di­schen Straf­tä­tern kaum beein­flus­sen. Vor allem Flücht­lin­ge aus dem vom Bür­ger­krieg betrof­fe­nen Jugo­sla­wi­en, dar­über hin­aus aber eine bis­lang nicht erreich­te Zahl von Asyl­be­wer­bern aus aller Welt, die sich um eine Blei­be in Deutsch­land bemüh­ten, ver­mehr­ten die Ein­trä­ge in der PKS. »Asyl­be­wer­ber­kri­mi­na­li­tät« wur­de ein eige­nes Schlag­wort in der Debat­te. Glück­li­cher­wei­se – und hier war die PKS auch ein­mal von kri­ti­scher Sei­te zu loben – dif­fe­ren­ziert die Kri­mi­nal­sta­tis­tik seit 1983 sehr sorg­fäl­tig zwi­schen Asyl­be­wer­bern, Ange­hö­ri­gen der Sta­tio­nie­rungs­streit­kräf­te, Tou­ris­ten, Stu­den­ten und so wei­ter, so daß vie­le Straf­ta­ten nicht fälsch­lich der hier längst ansäs­si­gen aus­län­di­schen Wohn­be­völ­ke­rung zuge­ord­net wurden.

Dif­fe­ren­zie­run­gen haben Vor­tei­le, aber auch Nach­tei­le, ins­be­son­de­re wenn ein kla­res Erkennt­nis­in­ter­es­se fehlt, das – nach heu­ti­gem, gefes­tig­tem Cre­do – in der Bekämp­fung von Vor­ur­tei­len eine zen­tra­le Auf­ga­be nicht nur des Poli­ti­kers, son­dern auch des Wis­sen­schaft­lers sieht. So ver­stimm­te nicht allein die beträcht­li­che Zahl sta­tis­tisch erfaß­ter Fäl­le schwe­rer Kri­mi­na­li­tät bei Asy­lan­ten, son­dern auch die eini­ger Natio­na­li­tä­ten und eth­ni­scher Grup­pen, bei letz­te­ren frei­lich erkenn­bar nur die häu­fig ban­den­mä­ßig und mas­siv agie­ren­den Koso­vo-Alba­ner (heu­te offi­zi­ell als Natio­na­li­tät, und zwar als »Koso­va­ren«, in der PKS ent­hal­ten). Zigeu­ner oder Sinti/ Roma betraf dies nicht. Das dar­auf abzie­len­de poli­zei­li­che Erhe­bungs­merk­mal »Land­fah­rer«, dem bereits in der Früh­ge­schich­te der Bun­des­re­pu­blik ein Bedürf­nis nach Echt­tä­ter­zäh­lung zugrun­de lag, wur­de 1981 auf Ver­an­las­sung von Innen­mi­nis­ter Baum (FDP) auf Bun­des­ebe­ne ver­bo­ten. Eine Kri­mi­nal­be­richt­erstat­tung ist nach den Regeln des Deut­schen Pres­se­ra­tes schon lan­ge nicht mehr zuläs­sig. Seit 1971 darf die Haut­far­be ame­ri­ka­ni­scher Tat­ver­däch­ti­ger kei­ne Erwäh­nung mehr in der (bun­des­deut­schen) Pres­se fin­den. Man fügt sich in den Redak­ti­ons­stu­ben dem Dienst der guten Sache. Falls nicht, muß der Jour­na­list zumin­dest mit Rügen rech­nen, die zu beruf­li­chen Nach­tei­len füh­ren. Beson­ders sen­si­bel pflegt der Zen­tral­rat deut­scher Sin­ti und Roma zu reagie­ren, auf den mehr als die Hälf­te aller Beschwer­den beim Pres­se­rat zurück­ge­hen. Mög­li­cher­wei­se hat die Richt­li­nie 12.1 des Pres­se­ko­dex Vor­ur­tei­le beim deut­schen »Durch­schnitts­bür­ger« noch ver­stärkt, da man nicht sel­ten dem Tat­ver­däch­ti­gen ganz ohne kon­kre­ten Hin­weis (und dadurch hin und wie­der fälsch­lich), allein durch die Tat­um­stän­de, einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund zuzu­ord­nen pflegt.

Rech­nen und Herausrechnen

Immer wie­der Anlaß zur Besorg­nis auf­grund von Fehl­deu­tun­gen, die die Lite­ra­tur zur Aus­län­der­kri­mi­na­li­tät beherrscht, bot eine Kenn­zif­fer der poli­zei­li­chen Kri­mi­nal­sta­tis­tik: die Tat­ver­däch­ti­gen­be­las­tungs­zahl (TVBZ), ein­ge­führt (und mög­lich gewor­den) mit der Echt­tä­ter­zäh­lung vor 30 Jah­ren. Sie gibt die Anzahl der ermit­tel­ten Tat­ver­däch­ti­gen pro 100 000 der Wohn­be­völ­ke­rung (oder einer Alters­grup­pe der Wohn­be­völ­ke­rung) wie­der und ermög­licht unter ande­rem, Regio­nen und Bun­des­län­der mit­ein­an­der zu ver­glei­chen. Jeder Kri­mi­na­list weiß, daß die­se Grö­ße durch das Tat­ort­prin­zip einer Ver­zer­rung unter­liegt, die gera­de bei der Betrach­tung von Groß­städ­ten erheb­lich sein kann. So haben mehr als 40 Pro­zent der­je­ni­gen, die in Frank­furt am Main Straf­ta­ten bege­hen, ihren Wohn­sitz im Um- oder Aus­land. Ein Teil die­ser Täter trägt zur TVBZ der Frank­fur­ter Bevöl­ke­rung bei. Dar­über könn­te man hin­weg­ge­hen. Doch wiegt die Sache bei der Aus­län­der-TVBZ noch schwe­rer. Tou­ris­ten, Stu­den­ten, Durch­rei­sen­de, Mili­tär­an­ge­hö­ri­ge – ja, sogar Asyl­be­wer­ber oder »Sons­ti­ge« (zumeist abge­lehn­te Asyl­be­wer­ber, die am Ort zwar einen Wohn­sitz haben, aber doch nicht der Wohn­be­völ­ke­rung zuge­ord­net wer­den soll­ten) – belas­ten die­se TVBZ im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes. Zwar kann man Per­so­nen mit (ers­tem) Wohn­sitz im Aus­land her­aus­rech­nen. Doch blie­be, ins­be­son­de­re im Bereich jung und männ­lich, ein unschö­ner Rest.

Mit dem Her­aus­rech­nen, also einem ursta­tis­ti­schen Vor­gang, ist dem Umgang mit Aus­län­dern in der PKS eine wich­ti­ge Bahn eröff­net. Dies wur­de schon früh­zei­tig von kri­ti­schen Sozio­lo­gen erkannt, die ansons­ten der Mathe­ma­tik nicht über den Weg trau­en. Sie bemerk­ten, daß es mög­lich sein soll­te, aus der anfäng­li­chen Lais­ser-fai­re-Not der Migra­ti­on mit Hil­fe des Rechen­schie­bers eine Tugend der Zuwan­de­rung zu machen. Gege­be­nen­falls konn­te durch Ver­un­glimp­fung der Skep­ti­ker die Über­zeu­gungs­kraft der Argu­men­te ver­bes­sert wer­den. So pole­mi­sier­te der Sozio­lo­ge und Migra­ti­ons­exper­te Rai­ner Geiß­ler, Uni­ver­si­tät Sie­gen, in der viel­ge­le­se­nen Zeit­schrift Aus Poli­tik und Zeit­ge­schich­te 1995, daß in Deutsch­land das »Gerücht von der hohen Aus­län­der­kri­mi­na­li­tät« umge­he, des­sen »trü­be Quel­le« die »aus­län­der­feind­lich ver­schmutz­te poli­zei­li­che Kri­mi­nal­sta­tis­tik« sei.

Zum Her­aus­rech­nen bie­ten sich vor­zugs­wei­se alle Delik­te gegen das Auf­ent­halts­ge­setz an, gegen das hier leben­de Deut­sche nur sel­ten ver­sto­ßen kön­nen. Sodann gilt es, nur sol­che Tat­ver­däch­ti­ge zu berück­sich­ti­gen, die auch mel­de­recht­lich in Deutsch­land erfaßt sind. Trans­na­tio­na­le Kri­mi­na­li­tät soll­te schließ­lich nichts mit Migra­ti­on zu tun haben. Das Geflecht von lega­ler Ein­wan­de­rung, Nach­zug, Schleu­sung, grenz­über­schrei­ten­dem Ver­kehr und ähn­li­chem gilt nicht als dis­ku­ta­bel. Außer­dem muß man das weib­li­che Geschlecht weg­las­sen – es wirkt sonst arg dämp­fend auf die deut­sche TVBZ – und sich auf die Alters­grup­pen männ­li­cher Tat­ver­däch­ti­ger zwi­schen 14 bis (sagen wir mal) 25 beschrän­ken. Dann kön­ne man – zum Bei­spiel für Baden-Würt­tem­berg im Jahr 2002 – auf eine TVBZ-Rela­ti­on Deut­sche vs. Nicht­deut­sche von 1 zu 1,7 kom­men (Berech­nun­gen des Insti­tuts für Recht­s­tat­sa­chen­for­schung der Uni­ver­si­tät Kon­stanz nach Wolf­gang Heinz). Das Baye­ri­sche Lan­des­kri­mi­nal­amt kommt nach einer Son­der­aus­wer­tung der mit die­ser Metho­de redu­zier­ten TVBZ für 1999 auf eine Höher­be­las­tung um das 1,9fache (14–21jährige) bzw. das 2,1fache (21–24jährige) der nicht wei­ter dif­fe­ren­zier­ten männ­li­chen Aus­län­der (zit. nach Ers­ter Peri­odi­scher Sicher­heits­be­richt [PSB] 2001). Das ist alle­mal schön, zumal das Her­aus­rech­nen von Öster­rei­chern, Schwei­zern, Dänen und ande­ren unauf­fäl­li­gen Natio­na­li­tä­ten, die Iso­lie­rung ein­zel­ner Natio­na­li­tä­ten, eine Dif­fe­ren­zie­rung wei­te­rer Alters­grup­pen oder ein fort­ge­setz­tes Eli­mi­nie­ren wahr­schein­lich­keits­sta­tis­tisch her­aus­ge­rech­ne­ter Tat­ge­le­gen­heits­merk­ma­le, wie es eher sar­kas­tisch von kri­mi­no­lo­gi­schen Skep­ti­kern ange­mahnt wur­de, das Bild noch trü­ben könnten.

Dem Her­aus­rech­nen mit den Mit­teln der PKS sind natur­ge­mäß Gren­zen gesetzt. Das Bun­des­kri­mi­nal­amt ver­zich­tet daher dar­auf, TVBZ für die aus­län­di­sche Wohn­be­völ­ke­rung zu berech­nen. In einer aus­führ­li­chen Erklä­rung wird begrün­det, war­um sol­che TVBZ ver­zerrt und damit vor­ge­nom­me­ne Ver­glei­che all­ge­mein unzu­läs­sig sei­en. Die meis­ten der gän­gi­gen Anti-TVBZ-Argu­men­te gel­ten zwar auch für Deut­sche, sobald man sie im Bin­nen­ver­gleich benutzt: Nord-Süd, Ost-West, Stadt-Land, arm-reich, katho­lisch-evan­ge­lisch; anschei­nend fühlt sich dabei aber (noch) nie­mand dis­kri­mi­niert. Jeden­falls gibt es bis­lang kei­ne Exper­ten (wie Geiß­ler), die dies mit dem Ges­tus mora­li­scher Empö­rung behaupten.

Anzei­ge­ver­hal­ten

Die Erhe­bung von Sozi­al­va­ria­blen, mit denen das Her­aus­rech­nen ger­ne fort­ge­setzt wird, ist schwie­rig. Zudem könn­ten sich uner­wünsch­te Resul­ta­te erge­ben, ins­be­son­de­re wenn man (unab­sicht­lich) Natio­na­li­tä­ten­grup­pen mit­ein­an­der ver­glei­che. Irri­tie­ren­des läßt sich gele­gent­lich durch Dun­kel­feld­stu­di­en und Befra­gun­gen von Schü­lern im Alter von 15 Jah­ren und jün­ger ver­mei­den. Bekannt­lich bestä­tigt sich hier, jeden­falls in Deutsch­land, eine schon älte­re kri­mi­no­lo­gi­sche Erkennt­nis, daß das Anzei­ge­ver­hal­ten inner­halb und zwi­schen eth­ni­schen Grup­pen dif­fe­riert. Für Zwi­schen­fäl­le etwa, bei denen nach den Schü­ler­be­fra­gun­gen des Kri­mi­no­lo­gi­schen For­schungs­in­sti­tuts Nie­der­sach­sen (KFN) der 15jährige Moritz den 15jährigen Max angreift, betra­ge die »Anzei­ge­quo­te« (durch Max und Co.) 19,5 Pro­zent. Wenn jedoch Meh­met der Angrei­fer ist, sol­len er und sei­ne eth­nisch zuge­hö­ri­gen Kum­pa­ne in 29,3 Pro­zent der Fäl­le (von Max und Co.) der Poli­zei zur Kennt­nis gebracht wer­den. Das ist zwei­fel­los eine inter­es­san­te Dif­fe­renz, von der wir aller­dings nicht wis­sen, ob sie auch nur ein Gran zur Höher­be­las­tung etwa tür­ki­scher Jugend­li­cher bei­trägt. Denn wir wis­sen nicht, ob der 15jährige Max den 15jährigen Meh­met wirk­lich ange­zeigt hat – dies kann die anony­me Befra­gung nicht kon­trol­lie­ren –, ob die Poli­zei die Anzei­ge ange­nom­men hat und ob der Ange­zeig­te von der Poli­zei auch als Tat­ver­däch­ti­ger fest­ge­stellt wor­den ist.

Wie es sich in ande­ren Alters­grup­pen ver­hält, wis­sen wir schon gar nicht. Aber man muß auch nicht alles wis­sen. Die vom KFN selbst ange­führ­te Berech­nung, wonach in ihrem gesam­ten Befra­gungs­ge­biet die auto­chtho­ne Täter-Opfer-Bezie­hung (deut­scher Schü­ler vs. deut­scher Schü­ler) über­haupt nur noch in 36,2 Pro­zent aller Fäl­le gege­ben sei, stellt für den kri­ti­schen Intel­lek­tu­el­len bereits eine über­flüs­si­ge Rela­ti­vie­rung dar. Man könn­te glau­ben, es käme heut­zu­ta­ge zumeist zu Kon­fron­ta­tio­nen zwi­schen deut­schen und nicht­deut­schen Schü­lern. Für Jugend­li­che all­ge­mein behaup­tet das jeden­falls der Mit­ver­fas­ser der bei­den Sicher­heits­be­rich­te der Bun­des­re­gie­rung, der Trie­rer Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Roland Eckert, in einer Stel­lung­nah­me für die Enquete-Kom­mis­si­on des rhein­land-pfäl­zi­schen Land­tags am 1. Sep­tem­ber 2009.

Auch das Ergeb­nis des schwei­ze­ri­schen Crime Sur­vey, wonach im Fal­le von Gewalt und Dro­hun­gen »aus­län­di­sche Tat­ver­däch­ti­ge kei­nes­wegs häu­fi­ger ange­zeigt wer­den und daß auch Opfer aus­län­di­scher Her­kunft sich nicht sel­te­ner an die Poli­zei wen­den«, darf man getrost bei­sei­te las­sen. Denn mit dem Kon­strukt »Anzei­ge­ver­hal­ten« läßt sich die kri­mi­nal­sta­tis­ti­sche Höher­be­las­tung von Migran­ten im all­ge­mei­nen und Tür­ken im beson­de­ren blau­pau­sen­ar­tig erklä­ren. Es bedarf im Grun­de nicht mehr des schwie­ri­gen und gefahr­vol­len Her­aus­rech­nens durch Sozi­al- und Män­gel­la­gen. Wem das noch nicht genügt, der sei dar­an erin­nert, daß nicht nur der Bür­ger am liebs­ten Aus­län­der anzeigt, son­dern auch die Poli­zei vor­zugs­wei­se Aus­län­der unter Beob­ach­tung nimmt.

Sehr anschau­lich hat das der kri­ti­sche fran­zö­si­sche Kri­mi­nal­so­zio­lo­ge Lau­rent Muc­chiel­li auf dem Wege teil­neh­men­der Beob­ach­tung dem Publi­kum erläu­tert. Dem Innen­mi­nis­ter Gué­ant, der im Fern­se­hen von einer zwei- bis drei­mal höhe­ren Kri­mi­na­li­täts­quo­te bei Aus­län­dern sprach – es war wie­der ein­mal Wahl­kampf und Le Pen dem Amts­in­ha­ber Sar­ko­zy nach Umfra­gen dicht auf den Fer­sen –, hielt der ehe­ma­li­ge Direk­tor des »Cent­re de recher­che socio­lo­gi­que sur le droit et les insti­tu­ti­ons péna­les«, einer inter­dis­zi­pli­nä­ren For­schungs­ein­rich­tung des fran­zö­si­schen Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums, eine Stu­die ent­ge­gen, die er am Gare du Nord und eini­gen ande­ren mar­kan­ten Stel­len in Paris durch­ge­führt habe, um das selek­ti­ve Kon­troll­ver­hal­ten der Poli­zei zu ent­lar­ven. Die Poli­zei­be­am­ten dif­fe­ren­zier­ten immer nur nach männ­lich, jung, irgend­wie flip­pig (»hip hop« oder »gothi­que«) und Haut­far­be. Erschre­ckend erschien ihm vor allem: »on con­trô­le davan­ta­ge les Noirs et les Maghré­bins«. Und was soll schon bei so einem Vor­ge­hen her­aus­kom­men als jede Men­ge schwarz­afri­ka­ni­scher und maghre­bi­ni­scher Dro­gen­händ­ler und sons­ti­ger Krimineller?

Viel­leicht ist die deut­sche Poli­zei ähn­lich gestrickt wie die Flics vom Gare du Nord? Erfah­re­ne Prak­ti­ker kom­men meist auf ähn­li­che Pro­blem­lö­sun­gen. Vor Jah­ren hieß es dort in Fach­krei­sen, es sei ein­fach eine »Bank«, wenn man mor­gens um drei Uhr vier »Süd­län­der« in einem lang­sam fah­ren­den Auto ent­de­cke. Man war noch ohne Schutz­wes­te unter­wegs, und die Kon­trol­le lohn­te sich. Heu­te droht der mah­nen­de Zei­ge­fin­ger des miß­traui­schen Kri­mi­nal­so­zio­lo­gen (»eth­nic pro­fil­ing«). Auch soll­te man ein sol­ches Fahr­zeug viel­leicht bes­ser unbe­hel­ligt durch Neu­kölln oder Duis­burg rol­len las­sen. Über­dies – vier Süd­län­der sit­zen ein­fach viel sel­te­ner in einem Auto.

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