Rußland und die »westlichen Werte«

Nicht erst seit dem Beginn der Krise in der Ukraine dreschen die westlichen, auch die deutschen Systemmedien im Gleichlaut auf Rußland und seinen Präsidenten Wladimir Putin ein. Russische kulturelle Eigenart und die Wahrnehmung russischer Interessen durch Putin werden als Provokation empfunden. Der Westen ist heute intoleranter gegenüber kultureller Vielfalt und nationalen Eigeninteressen als zu Zeiten des Kalten Krieges, trotz anderslautender und bis zum Überdruß vorgetragener gegenteiliger Bekenntnisse zu Vielfalt und Multikulturalität. Der Anschluß der Krim an Rußland dient Politikern, sicherheitspolitischen Leyendarstellerinnen und den Scharfmachern aus der Welt der Medien als offenbar herbeigesehnter Grund, sich in diesen Tagen endlich keine Zurückhaltung mehr auferlegen zu müssen. Dem vom Westen an die Macht geputschten Regime der Ukraine wird militärischer Schutz signalisiert, obwohl das Land noch nicht einmal NATO-Mitglied ist.

Nicht erst seit dem Beginn der Kri­se in der Ukrai­ne dre­schen die west­li­chen, auch die deut­schen Sys­tem­me­di­en im Gleich­laut auf Ruß­land und sei­nen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin ein. Rus­si­sche kul­tu­rel­le Eigen­art und die Wahr­neh­mung rus­si­scher Inter­es­sen durch Putin wer­den als Pro­vo­ka­ti­on emp­fun­den. Der Wes­ten ist heu­te into­le­ran­ter gegen­über kul­tu­rel­ler Viel­falt und natio­na­len Eigen­in­ter­es­sen als zu Zei­ten des Kal­ten Krie­ges, trotz anders­lau­ten­der und bis zum Über­druß vor­ge­tra­ge­ner gegen­tei­li­ger Bekennt­nis­se zu Viel­falt und Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät. Der Anschluß der Krim an Ruß­land dient Poli­ti­kern, sicher­heits­po­li­ti­schen Ley­en­dar­stel­le­rin­nen und den Scharf­ma­chern aus der Welt der Medi­en als offen­bar her­bei­ge­sehn­ter Grund, sich in die­sen Tagen end­lich kei­ne Zurück­hal­tung mehr auf­er­le­gen zu müs­sen. Dem vom Wes­ten an die Macht geputsch­ten Regime der Ukrai­ne wird mili­tä­ri­scher Schutz signa­li­siert, obwohl das Land noch nicht ein­mal NATO-Mit­glied ist.

Nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on und dem Ende des Kal­ten Krie­ges hät­te man die NATO auf­lö­sen kön­nen – »mis­si­on accom­plished«. Statt des­sen wur­de sie in ein Instru­ment der welt­wei­ten Macht­pro­jek­ti­on der USA umge­wan­delt. Der gehei­me Leit­fa­den für die Ver­tei­di­gungs­pla­nung, unter der Feder­füh­rung von Paul Wol­fo­witz (»Defen­se Plan­ning Gui­dance«) ent­stan­den und 1992 von der New York Times publik gemacht, sieht vor, daß kei­ne ande­re Macht mehr in die Lage ver­setzt wer­den dür­fe, die abso­lu­te Vor­macht­stel­lung der USA in Fra­ge zu stel­len. Seit­her hat die NATO – ent­ge­gen den offen­bar sei­ner­zeit dem dama­li­gen sowje­ti­schen Prä­si­den­ten Gor­bat­schow gegen­über gemach­ten Zusa­gen – immer mehr Staa­ten aus dem ehe­ma­li­gen Ein­fluß­be­reich des War­schau­er Pak­tes und dem Ter­ri­to­ri­um der vor­ma­li­gen Sowjet­uni­on als neue Mit­glie­der auf­ge­nom­men und sich gleich­sam bis an die Tür­schwel­le Ruß­lands aus­ge­dehnt. Die Ukrai­ne nimmt in den Vor­stel­lun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Hege­mo­nis­ten eine beson­de­re Rol­le ein, die der nach wie vor ein­fluß­rei­che ehe­ma­li­ge Sicher­heits­be­ra­ter und Ruß­land-Has­ser Zbi­gniew Brze­zinski in sei­nem Buch The Grand Chess­board 1997 mit fol­gen­den Wor­ten beschrie­ben hat: »Die Ukrai­ne, ein neu­er und wich­ti­ger Raum auf dem euro­päi­schen Schach­brett, ist ein geo­po­li­ti­scher Dreh- und Angel­punkt, weil ihre blo­ße Exis­tenz als unab­hän­gi­ger Staat zur Umwand­lung Ruß­lands bei­trägt. Ohne die Ukrai­ne ist Ruß­land kein eura­si­sches Reich mehr … Wenn Mos­kau aller­dings die Herr­schaft über die Ukrai­ne mit ihren 52 Mil­lio­nen Men­schen, bedeu­ten­den Boden­schät­zen und dem Zugang zum Schwar­zen Meer wie­der­ge­win­nen soll­te, erlang­te Ruß­land auto­ma­tisch die Mit­tel, ein mäch­ti­ges, Euro­pa und Asi­en umspan­nen­des Reich zu wer­den«. Um dies zu ver­hin­dern, haben die USA seit dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on bis heu­te fünf Mil­li­ar­den Dol­lar in die »demo­kra­ti­sche Ent­wick­lung« der Ukrai­ne inves­tiert, wie die US-ame­ri­ka­ni­sche Diplo­ma­tin Vic­to­ria Nuland in einer Rede im Dezem­ber 2013 bekanntgab.

Prä­si­dent Putin hat mit der Auf­nah­me der Krim in den rus­si­schen Staats­ver­band schließ­lich die Reiß­lei­ne gezo­gen und der sich als glo­ba­ler Robo­cop gerie­ren­den NATO signa­li­siert: »Nicht wei­ter«, so wie es sei­ner­zeit Prä­si­dent Ken­ne­dy als Hüter der Mon­roe-Dok­trin tat wäh­rend der Kuba-Kri­se 1962.

So weit, so gut – der Robo­cop hat eine »batail­le« auf dem glo­ba­len Schach­brett gegen den meis­ter­li­chen Schach­spie­ler Putin ver­lo­ren, so wie auch schon im Fal­le Syri­ens, als Putin Oba­ma davor bewahr­te, Syri­en zu bom­bar­die­ren und die USA in einen neu­en Krieg im Mitt­le­ren Osten hin­ein­zu­zie­hen. Die­se diplo­ma­ti­schen und stra­te­gi­schen Nie­der­la­gen allei­ne erklä­ren aber das Aus­maß an anti­rus­si­scher Stim­mungs­ma­che und die hem­mungs­lo­se Dämo­ni­sie­rung Putins in den west­li­chen Sys­tem­me­di­en nicht. Die Grün­de für die maß­lo­se Wut der Glo­ba­li­sie­rer auf bei­den Sei­ten des Atlan­tiks sind in tie­fe­ren see­li­schen Schich­ten zu suchen.

Ein grund­le­gen­des tra­di­tio­na­les, insti­tu­tio­nel­les oder »kon­ser­va­ti­ves« Welt­bild erkennt zwi­schen dem Indi­vi­du­um und der Mensch­heit Zwi­schen­in­sti­tu­tio­nen an: Fami­lie, Ver­wandt­schafts­grup­pe, Polis, Regi­on, Nati­on, Staat. Die­ses Welt­bild ist auch poli­tisch: Nur ver­mit­tels der Zuge­hö­rig­keit zu einer Fami­lie, Polis oder Nati­on ist man Teil eines grö­ße­ren Gan­zen. Auch das tra­di­tio­na­le Ver­hält­nis der Euro­pä­er zu Euro­pa läßt sich auf die­se Wei­se kenn­zeich­nen: Euro­pa als Abs­trak­ti­on gibt es nicht – außer in den Köp­fen Brüs­se­ler Euro­kra­ten. Man kann nicht »unmit­tel­bar« Euro­pä­er sein, son­dern nur durch die Zuge­hö­rig­keit zu einer Regi­on, einem Eth­nos, einer Nati­on. Unter die­ser Per­spek­ti­ve zeigt sich die wah­re kul­tu­rel­le Viel­falt Euro­pas als die Viel­falt der Kul­tu­ren sei­ner Völ­ker, Regio­nen, Nationen.

 

Im Welt­bild der Moder­ne wer­den die­se Zwi­schen­in­stan­zen zwi­schen Indi­vi­du­um und Mensch­heit auf­ge­löst und alle Unter­schie­de nivel­liert, sogar jene zwi­schen den Geschlech­tern. In der Rhe­to­rik des west­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus wird die­ses Welt­bild durch den Rekurs auf »unse­re Wer­te« instru­men­ta­li­siert: Frei­heit, Gleich­heit, Selbst­be­stim­mung und ‑ver­wirk­li­chung, Demo­kra­tie, Men­schen­rech­te. Das jüngs­te Bei­spiel bie­tet die Ukrai­ne. »Unse­re Wer­te« sind uni­ver­sell, in ihnen mani­fes­tiert sich der all­ge­mei­ne Fort­schritt des Men­schen­ge­schlechts. Die Pos­tu­la­te des Uni­ver­sa­lis­mus sol­len aus­nahms­los für die gan­ze Mensch­heit gel­ten. »No nati­on, no bor­der«: Die­se Paro­le der Anti­fa könn­te auch als Mot­to der trans­na­tio­na­len Kon­zer­ne und Ban­ken die­nen. Die Anti­fa und Gold­man Sachs in einem Boot!

Bereits Arnold Geh­len blick­te mit Sor­ge auf den dro­hen­den Ver­lust der Zwi­schen­in­stan­zen zwi­schen Ich und Mensch­heit. Zu Recht: Der »Fort­schritt« hat nicht halt­ge­macht, die Natio­nen fast schon auf­ge­löst und die Völ­ker ihrer Eigen­tüm­lich­keit beraubt. Nun rückt er der Fami­lie auf den Pelz: Zwi­schen dem Indi­vi­du­um und der Mensch­heit soll es nichts mehr geben. Nur noch indi­vi­du­el­le Netz­wer­ke sol­len das Ich mit der Welt außer­halb der eige­nen Haut verbinden.

Selbst­ver­ständ­lich ist die­se neue glo­bal-uni­ver­sa­lis­ti­sche Heils­leh­re nicht all­ge­mein »ver­mit­tel­bar«. Nicht den Mus­li­men oder den kon­fu­zia­nisch gepräg­ten Kul­tu­ren Asi­ens – und einer nicht unbe­trächt­li­chen Anzahl der Bür­ger Ruß­lands offen­bar auch nicht. Prä­si­dent Putins Ver­tei­di­gung tra­di­tio­nel­ler Wer­te gegen­über den Apo­lo­ge­ten einer Moder­ne, die die Her­aus­lö­sung des Indi­vi­du­ums aus allen Bin­dun­gen und den Selbst­genuß als Ziel von »Frei­heit« und »Demo­kra­tie« prei­sen, muß den west­li­chen Uni­ver­sa­lis­ten als Ata­vis­mus erschei­nen. »Ist Putin einer von uns?« fragt daher der kon­ser­va­ti­ve Publi­zist Patrick Buchanan auf sei­ner Netz­sei­te. Putins Hal­tung tra­ge ihm zwar den Spott der west­li­chen Medi­en und der kul­tu­rel­len Eli­ten ein, aber, so Buchanan, der rus­si­sche Prä­si­dent habe viel­leicht eine viel kla­re­re Vor­stel­lung­von der Zukunft als jene Ame­ri­ka­ner, die sich noch immer nicht von den Vor­stel­lun­gen aus der Zeit des Kal­ten Krie­ges befreit hät­ten und denen Ruß­land immer noch, wie sei­ner­zeit die Sowjet­uni­on, als »Reich des Bösen« erschei­ne. Viel­leicht ver­die­ne im 21. Jahr­hun­dert Barack Oba­mas Ame­ri­ka die­sen Titel viel eher?

Wie äußern sich nun unse­re viel­be­ru­fe­nen »west­li­chen Wer­te«? Ein Leser hat sich die­ser Tage in der FAZ in die Debat­te um die Kri­se in der Ukrai­ne ein­ge­schal­tet und auf die­se Fra­ge eine pro­vo­zie­ren­de Ant­wort gege­ben: »Kin­der- und Alten­eu­tha­na­sie, Gen­der­wahn, Homo­ter­ror, Abtrei­bung von Men­schen, Weg­werf­ge­sell­schaft, Nah­rungs­fa­bri­ken, Über­wa­chungs­mons­tro­si­tät, poli­ti­cal cor­rect­ness, Mar­gi­na­li­sie­rung reli­giö­sen ver­nünf­ti­gen Lebens, ›Demo­kra­tie‹ einer ideo­lo­gi­sier­ten Cli­que?«. Ein ande­rer Leser stimmt ihm zu: »Die seit 1968 zur Herr­schaft gekom­me­nen (Un)Werte haben sich de fac­to inzwi­schen selbst ad absur­dum geführt … die für eine funk­tio­nie­ren­de Gesell­schaft nöti­ge Wer­te-Basis ist ganz offen­sicht­lich nicht mehr gege­ben«. Dem wür­de Dinesh D’Souza zustim­men, der indisch­stäm­mi­ge kon­ser­va­ti­ve ame­ri­ka­ni­sche Publi­zist, der die ame­ri­ka­ni­schen kul­tu­rel­len Eli­ten sogar für die Atta­cken vom 11. Sep­tem­ber auf das World Trade Cen­ter und das Pen­ta­gon ver­ant­wort­lich macht: Die uner­träg­li­che kul­tu­rel­le Arro­ganz der »Kul­tur­lin­ken« in Ver­bin­dung mit der Macht­pro­jek­ti­on der USA durch ame­ri­ka­ni­sche Kul­tur und ver­mit­tels des ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ap­pa­ra­tes in der isla­mi­schen Welt habe letzt­lich das Fun­da­ment gelegt, auf dem sich die Plä­ne zur Durch­füh­rung die­ser unge­heu­er­li­chen Taten hät­ten ent­wi­ckeln können.

Der Haß, der Putin in den west­li­chen Sys­tem­me­di­en ent­ge­gen­schlägt, ist Zei­chen einer tie­fen Krän­kung des glo­bal-uni­ver­sa­lis­ti­schen Selbst­be­wußt­seins. Hier ist einer, der dem Sie­ges­zug der von den west­li­chen Eli­ten getra­ge­nen Moder­ne nicht nur Paro­li bie­tet, son­dern auch die Mit­tel dazu hat. Der »Kampf gegen Ruß­land« – so hieß ein Brett­spiel für Kin­der in der Zeit des Ers­ten Welt­krie­ges – ist noch nicht vor­über. Euro­pa, schreibt der ame­ri­ka­ni­sche Blog­ger »The Saker«, sei ein US-Pro­tek­to­rat auf einem sozi­al bank­rot­ten Kon­ti­nent mit einer dar­nie­der­lie­gen­den Wirt­schaft. Ob Euro­pa den Kul­tur­krieg gegen Ruß­land gewin­nen kann?

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