Große Schwester, Augen zum Himmel hebend, sich etwas theatralisch die Haare raufend: „Oooh… – Das ist so… so Sachsen-Anhalt!“
Andere Schwester, trocken: „Nee. Das ist BRD-Subventionstheater.“
Man könnte nun noch länger erzählen, wie die Großen der Kleinen Details über die Inszenierung entlocken wollten: „Haben die denn da auch immer so Sachen wie cool oder geil gesagt? Was haben die denn getragen? Ich mein: Sah der König wie ein König aus oder trug der Jogginghosen?“ Stellte sich aber heraus, daß die Erstkläßlerin über keine sicheren Kriterien (modern/überliefert) verfügte: „Also,das war schon in echt der gestiefelte Kater. Den haben die nur umbenannt.“
22. März 2017 – Eine entfernte Bekannte „hat Burnout“. Kein Wunder, als Sonderpädagogin erledigt sie eine Knochenarbeit. Glaube, mich verhört zu haben: Sie spricht, wenn sie von den Rangen erzählt, die sie an den Rand der Erschöpfung getrieben haben, von „verhaltensoriginellen Kindern“. Wie bitte?! Gequältes Lächeln: „Ja, sagen wir so. Ist natürlich albern. Die Terminologie wird immer toller. Vor zwanzig Jahren kamen die Begriffe schwererziehbar und verhaltensgestört aus der Mode. Kommt heute in meinem Berufsfeld längst keinem mehr über die Lippen. Dann hat man eine Weile von Problemverhalten gesprochen, aber das gilt auch als zu sehr normorientiert. Es sollte dann herausforderndes Verhalten heißen. Naja… Jetzt heißt es schon lange verhaltensoriginell. Und es werden immer mehr… Originale.“ Ich will’s nicht glauben, gucke ins Netz. Ist wahr: Von verhaltensoriginellen Kindern ist schon seit anderthalb Jahrzehnten die Rede, ganz unironisch, und gemeint sind genau die, die man früher schwererziehbar geheißen hat. Es gibt noch viel blumigere Namen: Sturmkinder, Sucherseelenkinder, Poetenseelen.
Erzähle das einer Freundin, sie: „Ach, das. Weiß, was du meinst. Kristallkinder heißt das bei uns. Kenne eine Menge davon. Alle schwerstgestört mit neurotischen Müttern, die ihre Kinder aber für Highpotentials halten und sich von denen wirklich alles bieten lassen. Die armen Kinder sind übrigens wirklich nicht schwererziehbar. Sondern einfach unerzogen.“
24. März 2017 – Im nordhessischen Wald ist noch keine Bärlauchsaison. Dort, wo man ihn erwarten könnte, kniet eine fremdländische Sippe und rupft. Nicht tüten- , sondern müllsackweise! Was eigentlich? Dachte, das wär Aronstab?
Kein schlechtes Bild, wie die so gemeinsam schufteln. Gehe durch das Laub und frage die beiden Jungs im Schulkindalter. Die wissen’s nicht, folgen dem Pflückbefehl nur als Subalterne.
Kommt der Vater, lacht freundlich, weil ich auch freundlich lache. Was das eigentlich für ein Kraut sei? Ja, sagt der in sehr gebrochenem Deutsch, das wüßte ich wohl gerne! Und läßt mich im Wald stehen.
Außer Sichtweise hockt da noch jemand pflückend, ein zahnloses Mütterchen, in Tücher gehüllt, ein Mutter-Teresa-Lookalike. Ich wage die Frage erneut. Sie spricht kein Wort deutsch, hält mir ein Krautbündel entgegen und macht diese doch wohl gastronomisch zu deutende Geste: den zusammengeführte Daumen und Zeigefinger einer Hand an die Lippen nehmen, küssen und die Finger dann leicht euphorisch gen Himmel werfen.
Berichte den Kindern von der Begegnung. Tochter: „Oh, und wenn die wirklich was Giftiges gesammelt haben? Und heute Abend sind die alle tot?“
Sohn: “Oder das sind Terroristen, das das auf dem Markt an unschuldige Bürger verkaufen.” Sah nicht danach aus, wirklich nicht. Wir sollten die Compact nicht vor den Kindern lesen.
26. März 2017 – Tochter führt auf dem Trampolin ihre neuste Choreographie vor. Häufige Wiederkehr einer besonders markanten Bewegung. Sieht elegant aus: Sie wirft, führt halb beide fast gestreckten Arme in eine Richtung, am Kopf vorbei, Nase knapp an der Ellbeuge des einen Arms. Wir loben sie. Schön hat sie sich das ausgedacht!
„Von wegen ausgedacht“, unkt der Sohn. Das sei ein Depp. „Den machen doch alle.“ Wie, alle machen den Depp? – Hm, das sei halt eine Modebewegung. Wir lachen ein bißchen. Wann hatte es je Modebewegungen gegeben, die mit einem Arm ausgeführt wurden?
Gehen der Sache zunächst nicht weiter nach. Dann aber das: Auf einem Spaziergang treffen vor unseren Augen die heißesten Typen des Städtchens zusammen, sie sind auf unterschiedlichen Bewegungsmitteln unterwegs, Boards und Bikes, deren spezielle Namen ich nicht kenne. Man trägt pomadierte Haare und Ringerhemden (heißt heute auch sicher anders) und läßt die jungen Muskeln spielen. Sie rufen sich sehr coole Begrüßungsformeln zu, klatschen sich ab – und, ich fasse es nicht: machen den Depp!
Triumphierend wenden sich die Gesichter unserer Kinder uns zu. Seht ihr! Jetzt seht ihr’s mal! Sogar die Profis!
Im Internet lese ich nach, daß diese Modebewegung namens Dab ein bereits bejahrtes Internetphänomen ist. Tolle Leute machen halt so was mit den Armen! Bedeutet nichts außer ein bißchen Zugehörigkeit.
Kubitschek ist euphorisiert. Im Laufe des Tages schlenkern seine Arme immer wieder mal so jäh wie ausgelassen nach links. Er will sich das angewöhnen, als Ausdruck seiner Weltzugewandtheit und um die emotionale Barriere abzutragen, die zwischen uns und Volker Weiß aufgerichtet ist.
Den Größeren ist es ein bißchen peinlich.
Sarotti-Mohr
How white people "dab"!