Autorenporträt Alexander Dugin

Es hat lange gedauert, bis der deutsche Medien-Hauptstrom den russischen Philosophen und politischen Denker Alexander Dugin... 

als idea­le Pro­jek­ti­ons­flä­che und Inkar­na­ti­on all jener bösen Geis­ter ent­deckt hat, die man gemein­hin mit dem Ruß­land Wla­di­mir Putins ver­bun­den sehen möch­te. Durch die Leit­me­di­en geis­tert seit­her das Bild vom »Neo­fa­schis­ten« und »rechts­ra­di­ka­len Polit-Guru« Dugin, der zugleich Vor­den­ker von Prä­si­dent Putin und des­sen Außen­po­li­tik sei.

Die meis­ten die­ser Eti­ket­tie­run­gen gehen auf die Arbei­ten des Ost­eu­ro­pa-His­to­ri­kers Andre­as Umland zurück, der in deut­schen, eng­lisch- und rus­sisch­spra­chi­gen Publi­ka­tio­nen schon seit Mit­te des ver­gan­ge­nen Jahr­zehnts vor dem Auf­kom­men eines »inte­gra­len Anti­ame­ri­ka­nis­mus« in Ruß­land warnt und in Dugin eine Schlüs­self­gur eines neu­en rus­si­schen »Faschis­mus« sieht. Als Beleg die­nen zumeist pro­vo­kan­te Zita­te aus des­sen »natio­nal­bol­sche­wis­ti­scher« Pha­se in den neun­zi­ger Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts. In einem 2007 in den Blät­tern für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik erschie­ne­nen Auf­satz unter­stellt Umland Dugin wegen der geo­po­li­ti­schen Fun­die­rung sei­nes »Neo-Eura­sis­mus« eine »Affi­ni­tät zum deut­schen Nazis­mus«. Die tat­säch­li­che Rele­vanz des schil­lern­den und bis­wei­len irr­lich­tern­den Geis­tes Dugin ist in sol­chen Schub­la­den aller­dings kaum zu erfassen.

»Natio­nal­bol­sche­wist« und »Kon­ser­va­ti­ver Revolutionär«

Deut­schen Kon­ser­va­ti­ven und Rechts­in­tel­lek­tu­el­len ist Dugin schon weit län­ger ein Begriff. Wolf­gang Strauss, der in Hans-Diet­rich San­ders Staats­brie­fen regel­mä­ßig und aus­führ­lich über die viel­fäl­ti­gen Strö­mun­gen des rus­si­schen natio­na­len Wie­der­erwa­chens in der Jel­zin-Zeit nach dem August­putsch 1991 berich­te­te, beur­teil­te Dugin skep­tisch. Von 1994 an cha­rak­te­ri­sier­te er den zu jener Zeit eng mit dem fran­zö­si­schen Nou­vel­le-Droi­te-Theo­re­ti­ker Alain de Benoist ver­bun­de­nen »Natio­nal­bol­sche­wis­ten« Alex­an­der Dugin, der in Mos­kau in Anleh­nung an Benoists Élé­ments die Vier­tel­jah­res­zeit­schrift Ele­men­tij her­aus­gab, als Wort­füh­rer einer »neo­n­a­po­leo­ni­schen Nou­vel­le-droi­te-Entente«, als »ger­ma­no­pho­ben« und fran­ko­phi­len Kon­ter­part einer deutsch­freund­li­chen rus­si­schen Rech­ten in der sla­wo­phi­len Tra­di­ti­on Alex­an­der Solschenizyns.

Doch das war nur eine von vie­len Etap­pen auf dem geis­ti­gen und poli­ti­schen Weg Alex­an­der Gel­je­witsch Dug­ins. Gebo­ren am 7. Janu­ar 1962 als Sohn eines Gene­ral­obers­ten des sowje­ti­schen Mili­tär­ge­heim­diens­tes und einer Ärz­tin, beweg­te sich der jugend­li­che Dugin nach sei­ner Auf­nah­me in das Mos­kau­er Staat­li­che Luft­fahrt­in­sti­tut zunächst in eso­te­risch-okkul­ten Krei­sen. 1980 soll er einem NS-mys­ti­schen Geheim­zir­kel bei­getre­ten sein. Auf jene Jah­re datiert auch sei­ne Freund­schaft mit Gai­dar Dje­mal, heu­te ein einfluß­rei­cher Isla­mist. Bei­de schlos­sen sich 1988 der tra­di­tio­na­lis­tisch-mon­ar­chis­ti­schen »Natio­nal­pa­trio­ti­schen Front – Pamet« an, wur­den aber nach kur­zer Zeit wie­der aus­ge­schlos­sen. Im Umbruch­jahr 1990 wird Dugin Pro­du­zent einer Fern­seh­se­rie, »Taj­ni Veka« (Geheim­nis­se des Jahr­hun­derts), in der er – dank des Zugangs zu den KGB-Archi­ven, den ihm sein Vater ermög­licht hat – magisch-mys­tisch-wun­der­li­che Phä­no­me­ne und »Geheim­wis­sen« über Wun­der­waf­fen, Frei­mau­rer und der­glei­chen auf­ar­bei­tet. Eine Nei­gung zum Eso­te­ri­schen durch­zieht Dug­ins Äuße­run­gen bis zum heu­ti­gen Tag.

Schrift­stel­le­risch und jour­na­lis­tisch ist Dugin seit 1982 tätig. Als frü­he Quel­len der Inspi­ra­ti­on nennt er den fran­zö­si­schen Tra­di­tio­na­lis­ten René Guenon, aber auch Juli­us Evo­la, des­sen Heid­ni­schen Impe­ria­lis­mus er ins Rus­si­sche über­setzt. Zu Sowjet­zei­ten anti­kom­mu­nis­tisch, beginnt mit dem »libe­ra­len« Umsturz und dem Ende der Sowjet­uni­on Dug­ins »natio­nal­bol­sche­wis­ti­sche« Pha­se, die von 1991 bis 1998 währt. Er sei auf der Suche nach einer »anti­li­be­ra­len Syn­the­se von links und rechts« gewe­sen, bekennt er rück­schau­end in einem Inter­view. Dugin unter­stützt den lang­jäh­ri­gen Füh­rer der wie­der­ge­grün­de­ten kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Ruß­lands, Gen­na­dij Sju­ga­now, bei der Abfas­sung eines Par­tei­pro­gramms; 1993 wird er Mit­grün­der der Natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Par­tei und einfluß­rei­cher Kopf hin­ter deren Anfüh­rer Edu­ard Limo­now, der 1994 die poli­ti­sche Büh­ne betritt. Spä­ter unter­stützt Dugin die radi­ka­le Abspal­tung Natio­nal­bol­sche­wis­ti­sche Front und bricht mit Limonow.

Dug­ins Lek­tür­epen­sum in die­sen Jah­ren scheint immens. Als Her­aus­ge­ber der Ele­men­tij und Kolum­nist der anti­li­be­ra­len Wochen­zei­tung Den (Tag) rezi­piert er, zwei­fel­los unter dem Einfluß Alain de Benoists, deut­sche und euro­päi­sche Autoren und macht das rus­si­sche Publi­kum mit ihnen bekannt – von Carl Schmitt bis Karl Haus­ho­fer, von Ernst Jün­ger bis Ernst Nie­kisch. Beson­ders häu­fig rekur­riert Dugin auf den Wal­lo­nen Jean-Fran­çois Thi­ri­art und des­sen Bewe­gung Jeu­ne Euro­pe. Thi­ri­arts 1964 erschie­ne­nes Haupt­werk, das ein Euro­pa jen­seits der Blö­cke und des Kal­ten Krie­ges als »Reich der 400 Mil­lio­nen« zeich­net, hat Dug­ins eura­si­sche Theo­rie maß­geb­lich beeinflußt.

Bereits in der ers­ten Aus­ga­be der Ele­men­tij von 1992 ist ein aus­führ­li­cher Auf­satz Dug­ins der »Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on« als »Drit­tem Weg« jen­seits von Libe­ra­lis­mus und Mar­xis­mus gewid­met. Dugin stellt dar­in unter­schied­li­che euro­päi­sche Strö­mun­gen der Gegen­mo­der­ne – den ita­lie­ni­schen Faschis­mus, die spa­ni­sche Falan­ge, die rumä­ni­sche Eiser­ne Gar­de, die »Eura­si­er« der sla­wo­phi­len rus­si­schen Emi­gra­ti­on der zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­re – vor und gibt einen Über­blick über die deut­sche Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on, von den »Völ­ki­schen« bis zu den ihn beson­ders anspre­chen­den Natio­nal­bol­sche­wis­ten. Sei­ne Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on sind unter die­sem Titel – Kon­ser­va­tiv­na­ja revo­lu­ci­ja – 1994 im Ver­lag des von ihm gegrün­de­ten »Arktogaea«-Zentrums in Buch­form erschie­nen und auf des­sen Netz­platt­form (www.arcto.ru) auch heu­te noch, eben­so wie zahl­rei­che wei­te­re sei­ner seit 1989 erschie­ne­nen Bücher, in rus­si­scher Spra­che abrufbar.

Die Unbe­fan­gen­heit in der Aneig­nung vor­dem ver­pön­ter Ideen und Sym­bo­le, aber auch die Radi­ka­li­tät und pole­mi­sche Här­te der Aus­ein­an­der­set­zung spie­geln die geis­ti­ge Frei­heit, ja Frei­zü­gig­keit im Ruß­land der Ära Jel­zin, in der prak­tisch alles gedacht, gesagt und gedruckt wer­den konn­te. Das pro­vo­ka­ti­ve Signet der – 2005 ver­bo­te­nen – Natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Par­tei stellt ein rotes Ban­ner mit wei­ßem Mit­tel­kreis dar, in dem statt der Swas­tika Ham­mer und Sichel pran­gen. Auf­sät­ze wie Dug­ins 1997 ver­öf­fent­lich­te und unver­kenn­bar von Armin Moh­lers Begeis­te­rung für den »faschis­ti­schen Stil« inspi­rier­te Skiz­ze eines »genu­in rus­si­schen Faschis­mus«, auch wenn er ihn von den »ras­sis­ti­schen und chau­vi­nis­ti­schen« Aspek­ten des deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus abzu­gren­zen
ver­sucht, lie­fert bis heu­te die Stich­wor­te für die ein­schlä­gi­ge Schub­la­di­sie­rung des beken­nen­den Anti­li­be­ra­len Alex­an­der Dugin, der sei­ne frü­hen Schrif­ten nicht ver­steckt. Daß er auch den deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus dif­fe­ren­ziert betrach­tet und bei­spiels­wei­se in der euro­päi­schen Ori­en­tie­rung der Waf­fen-SS Ansät­ze für die von ihm gesuch­te »Drit­te Posi­ti­on« sieht, macht sei­ne Sache vor dem Urteil der ideo­lo­gi­schen Scharf­rich­ter unse­rer Tage kaum bes­ser. Für einen poli­tisch kor­rek­ten Ent­lar­ver wie Andre­as Umland sind frei­lich schon die von Dugin zitier­ten Autoren ein hin­rei­chen­der Beleg für sei­ne »faschis­ti­sche« Grundeinstellung.

Heid­eg­ge­ria­ner und Geopolitiker

Die Lin­ke habe weder geo­po­li­tisch noch ideo­lo­gisch eine Gegen­po­si­ti­on zum libe­ra­len Uni­ver­sa­lis­mus nach dem Zusam­men­bruch der Ord­nung von Jal­ta zu bie­ten, kon­sta­tiert Dugin in sei­ner »Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on«. Unab­hän­gig von den Um- und Irr­we­gen sei­ner Ver­su­che auf dem Gebiet der Poli­tik – neben der geschei­ter­ten Grün­dungs­in­itia­ti­ve zu einer Par­tei »Pro­le­ta­ri­sche Temp­ler« grün­de­te er 2001 die Eura­si­sche Par­tei, die spä­ter als Eura­si­sche Bewe­gung fir­mie­ren soll­te – ver­folgt Dugin die Suche nach einer sol­chen Gegen­po­si­ti­on in sei­nem Den­ken und Schrei­ben mit bemer­kens­wer­ter Beständigkeit.

Einen Ansatz­punkt hat Alex­an­der Dugin, der sich nach sei­ner Abkehr vom Natio­nal­bol­sche­wis­mus zuneh­mend sla­wo­phi­len und ortho­do­xen Tra­di­tio­nen zuwen­det, früh in der Erneue­rung des »Eura­sis­mus« ent­deckt. Geo­po­li­ti­sches Den­ken ist die eine ori­gi­nä­re Zutat Dug­ins zum Neo-Eura­sis­mus, dem er die Theo­rie des bri­ti­schen Geo­gra­phen und Geo­po­li­ti­kers Hal­ford Mack­in­der vom glo­ba­len Ant­ago­nis­mus der Land- und See­mäch­te und des Kamp­fes um die Kon­trol­le des eura­si­schen »Herz­lan­des« – Ost­eu­ro­pa, Ruß­land, West­si­bi­ri­en – hin­zu­füg­te. So wie das 19. Jahr­hun­dert in Ruß­land vom Gegen­satz zwi­schen euro­pä­isch ori­en­tier­ten »West­lern« und die rus­si­sche Eigen­art beto­nen­den »Sla­wo­phi­len« und das 20. vom Kampf »roter« Bol­sche­wis­ten und ihrer »wei­ßen« Gegen­spie­ler geprägt gewe­sen sei, ste­he das 21. im Zei­chen des Gegen­sat­zes von »Eura­sis­ten« und »Atlan­tis­ten«, heißt es im Mani­fest sei­ner »Eurasia«-Bewegung. Eura­si­en und Ruß­land sei­en Schau­platz »einer neu­en anti-ame­ri­ka­ni­schen Revo­lu­ti­on«, schreibt er bereits 1997 in sei­nen Grund­la­gen der Geo­po­li­tik. Das »eura­si­sche Impe­ri­um« sol­le auf der Basis der »Ableh­nung des Atlan­tis­mus und der stra­te­gi­schen Kon­trol­le der USA« ent­ste­hen. Im poli­ti­schen Kern greift Dug­ins Eura­si­en-Den­ken Carl Schmitts Kon­zep­ti­on einer »völ­ker­recht­li­chen Groß­raum­ord­nung mit Inter­ven­ti­ons­ver­bot für raum­frem­de Mäch­te« auf.

Dug­ins zwei­te, noch bedeu­ten­de­re Leis­tung ist die Erschlie­ßung Mar­tin Heid­eg­gers für das rus­si­sche Den­ken. In sei­nem von der Fach­welt mit Respekt und gro­ßer Beach­tung auf­ge­nom­me­nen Werk Chajd­eg­ger: Voz­mosh­nost russ­koj filoso­fi (Heid­eg­ger: Die Mög­lich­keit einer rus­si­schen Phi­lo­so­phie, 2011, nicht über­setzt) kri­ti­siert Dugin, 2008 zum Pro­fes­sor an der sozio­lo­gi­schen Fakul­tät der Mos­kau­er Lomo­nossow-Uni­ver­si­tät und Lei­ter des Zen­trums für kon­ser­va­ti­ve Stu­di­en beru­fen, die bis­he­ri­ge rus­si­sche Phi­lo­so­phie als im wesent­li­chen nicht­ei­gen­stän­di­gen, inkon­sis­ten­ten, »un-eigent­li­chen« Able­ger west­li­cher Schul­phi­lo­so­phie, deren Drang zur Sys­te­ma­ti­sie­rung und Ver­ein­fa­chung dem rus­si­schen Wesen im inners­ten wider­spre­che. So wie Heid­eg­ger die vor­an­ge­gan­ge­ne abend­län­di­sche Phi­lo­so­phie abge­schlos­sen und zu einem neu­en Anfang geführt habe, kön­ne sei­ne Daseins-Phi­lo­so­phie bes­ser als jedes ande­re Modell zum Aus­gangs­punkt eines neu­en rus­si­schen Den­kens wer­den. Die­ses sol­le das »Da-Sein« in den Mit­tel­punkt stel­len, nicht nur in sei­ner zeit­li­chen, son­dern vor allem in sei­ner räum­li­chen Gebun­den­heit an das spe­zi­fisch rus­si­sche »In-der-Welt-Sein«. Das »rus­si­sche Design«, spielt Dugin, der hier grund­sätz­lich die deut­schen Ter­mi­ni benutzt, mit den Wor­ten, sei »prin­zi­pi­ell und wesent­lich chao­tisch, steht also auch in einem prin­zi­pi­ell andern Ver­hält­nis zum Sein als das euro­päi­sche Dasein«. Das rus­si­sche »Da-Design« ist für Dugin »das Sein der Erde, ist eine Erde für alle, ist die Rus­si­sche Erde, und wir sind die Trä­ger der Phi­lo­so­phie die­ser Erde«.

Eine »Vier­te Poli­ti­sche Theorie«

Heid­eg­gers »Ereig­nis«, die Rück­kehr des Seins, lie­fert Dugin die phi­lo­so­phi­sche Fun­da­men­tie­rung dafür, daß die Welt mul­ti­po­lar und in Groß­räu­men geord­net und die uni­po­la­re Hege­mo­nie des Ame­ri­ka­nis­mus ab geschüt­telt wer­den müs­se, um die libe­ra­lis­ti­sche Fremd­be­stim­mung des Daseins zu über­win­den. Sei­ne Heid­eg­ger-Rezep­ti­on läßt sich daher nicht, wie von Gün­ter Zehm in des­sen »Pankraz«-Kolumne ver­sucht, von sei­nem Neo-Eura­sis­mus tren­nen. Zusam­men­ge­führt hat Dugin die­se Gedan­ken­strän­ge in sei­ner kürz­lich auch in deut­scher Spra­che erschie­ne­nen Vier­ten Poli­ti­schen Theo­rie. Nach dem Schei­tern von Mar­xis­mus und »Faschis­mus« (im Nol­te­schen Sin­ne) und dem vor­läuf­gen Sieg des Libe­ra­lis­mus in der Form von Glo­ba­lis­mus und Ame­ri­ka­nis­mus müß­ten die­se drei poli­ti­schen Theo­rien in einer vier­ten über­wun­den wer­den, um die Fremd­be­stim­mung des Daseins zu beenden.

Die­se vier­te Theo­rie soll kei­ne Syn­the­se der vor­an­ge­gan­ge­nen sein, auch wenn sie deren posi­ti­ve Aspek­te – die Idee der Frei­heit von Tyran­nei, die sozia­le Soli­da­ri­tät und die von Natio­na­lis­mus und Frem­den­haß geläu­ter­te Idee der natio­na­len Iden­ti­tät – zu inte­grie­ren suche. Auch geht es nicht um Fort­set­zung ver­gan­ge­ner ideo­lo­gi­scher Bür­ger­krie­ge; »anti­fa­schis­ti­sche« und »anti­kom­mu­nis­ti­sche« Res­sen­ti­ments sind für Dugin ein eben­falls zu über­win­den­des Herr­schafts­in­stru­ment des Liberalismus.

Die­ser sei der gemein­sa­me Feind, der authen­ti­scher Exis­tenz und selbst­be­stimm­tem Dasein im Wege ste­he. Auch den Reli­gio­nen, die er in »inne­rer Ein­heit« ver­bun­den sieht, kommt hier eine wich­ti­ge Rol­le zu. Dugin lehnt Feind­schaft zu Juden und Mus­li­men ab; er plä­diert für eine Inter­es­sen­ge­mein­schaft mit dem tür­kisch gepräg­ten und ara­bi­schen Raum und betont die »Offen­heit« der ortho­do­xen Kul­tur, die Ruß­land von den euro­päi­schen und asia­ti­schen Zivi­li­sa­tio­nen unter­schei­de und der »Natio­na­lis­mus« aus dem Reichs­ver­ständ­nis her­aus fremd sei.

Dugin und die rus­si­sche Politik

Nicht zuletzt um Wider­sprü­che zu umge­hen, dekla­riert Alex­an­der Dugin sei­ne Theo­rie als Denk­im­puls und nicht als abge­schlos­se­nes Sys­tem. Als Ideen­ge­ber und poli­ti­scher Den­ker ist er zwei­fel­los erfolg- und einfluß­rei­cher denn als Poli­ti­ker. Nach sei­nem Bruch mit den Natio­nal­bol­sche­wis­ten wird er von 1998 bis 2004 Bera­ter des Duma-Abge­ord­ne­ten und Par­la­ments­prä­si­den­ten Gen­na­dij Selez­niov und Lei­ter eines geo­po­li­ti­schen Exper­ten­gre­mi­ums des rus­si­schen Par­la­ments. Dug­ins Grund­la­gen der Geo­po­li­tik die­nen als Unter­richts­werk an Mili­tär­aka­de­mien. In den Medi­en sind Dugin und Mit­glie­der sei­ner Eura­si­schen Bewe­gung, von denen vie­le hohe Rän­ge in Poli­tik und Admi­nis­tra­ti­on beklei­den, regel­mä­ßig und aus­gie­big präsent.

Sei­ne fre­ne­ti­sche Unter­stüt­zung für den rus­si­schen Prä­si­den­ten Putin begrün­det Alex­an­der Dugin damit, daß die­ser sei­ne Ideen auf­grei­fe und umset­ze. Daß er sich als »inoff­zi­el­ler Ideo­lo­ge« Putins und sei­ner Regie­rungs­par­tei bezeich­net, ist eine Selbst­über­hö­hung; off­zi­ell demen­tiert der Kreml ein Bera­ter­ver­hält­nis, Fakt ist aber, daß Wla­di­mir Putin Ideen und Begrifflich­kei­ten Dug­ins durch­aus ver­wen­det, von der kürz­lich gegrün­de­ten Eura­si­schen Uni­on mit Weiß­ruß­land und Kasach­stan bis zum Ter­mi­nus »Neu­ruß­land«, mit dem Dugin die Krim und den Osten und Süden der Ukrai­ne bezeich­net, die er dem rus­si­schen Groß­raum zurech­net. Dugin sti­li­siert sich gern zum Visio­när, der Kon­flik­te wie die Inter­ven­tio­nen Ruß­lands in Geor­gi­en oder in der Ukrai­ne lan­ge vor­her­ge­se­hen haben will. Wenn aller­dings der prag­ma­ti­sche Macht­stra­te­ge Putin nicht so will wie der radi­ka­le Den­ker und »spi­ri­tu­el­le Aben­teu­rer« (Kers­tin Holm) Dugin, wird letz­te­rer unduld­sam. Weil Putin nach dem Anschluß der Krim nicht auch umge­hend »Neu­ruß­land« heim­ge­holt hat – eine For­de­rung, die sich durch­aus nicht zwin­gend aus Dug­ins Groß­raum­kon­zept und Ableh­nung von Natio­na­lis­mus ergibt –, unter­schei­det er in okkul­ter Spra­che zwi­schen dem »sola­ren« und dem »luna­ren« Putin, wobei letz­te­rer in sol­chen Pha­sen von sei­nen west­lich-libe­ra­len Bera­tern domi­niert werde.

Impo­san­te Bele­sen­heit und Elo­quenz beschei­ni­gen Dugin auch sei­ne Kri­ti­ker. Bei Ver­su­chen, vom poli­ti­schen Ideen­ge­ber zum Agi­ta­tor zu wer­den, ver­läßt ihn frei­lich die For­mu­lie­rungs­kunst des öfte­ren. Als er in einem Auf­ruf dafür ein­trat, bei Zusam­men­stö­ßen in der Ukrai­ne getö­te­te Rus­sen »mit dem Blut der Kie­wer Jun­ta« zu süh­nen, for­der­te eine von mehr als zehn­tau­send Unter­zeich­nern getra­ge­ne Peti­ti­on sei­ne Ent­las­sung als Lomo­nossow-Pro­fes­sor. Tat­säch­lich wur­de sein Ver­trag im Juni 2014 nicht mehr ver­län­gert. Dar­aus, wie man­che Beob­ach­ter, ein Schwin­den sei­nes Einflus­ses abzu­lei­ten ist gleich­wohl ein ver­früh­ter Abgesang.

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