1914: Kunst im Kampf

Wann ist der Künstler am besten? Immer, wenn es ans Eingemachte geht. Wenn es in der Hirnschale schmirgelt,... 

die Schmer­zen über­wie­gen – kurz, wenn der Kampf als inne­res Erleb­nis bild­ne­risch zuta­ge tritt. Kunst ent­steht zwi­schen den Rei­bungs­flä­chen der See­le. Max Beck­mann (1884–1950) und Otto Dix (1891–1969) ste­hen, so unter­schied­lich sie waren, exem­pla­risch für die­se exis­ten­ti­el­le Kunst­auf­fas­sung. Bei­der Wesen und Werk wur­den wesent­lich vom Ers­ten Welt­krieg bestimmt. Ab 1914 ent­lu­den sich in Euro­pa über Jah­re auf­ge­stau­te Ener­gien. Ein alles erfas­sen­der Sturm trieb dem Abend­land das 19. Jahr­hun­dert aus.

Beck­mann und Dix ent­stam­men mit ihrem gan­zen Wesen und Den­ken dem bür­ger­li­chen Zeit­al­ter: Beck­mann erblickt am 12. Febru­ar 1884 als Sohn eines Grund­stücks­mak­lers in Leip­zig das Licht der Welt. Sein künst­le­ri­sches Talent wird früh erkannt, zwi­schen 1900 und 1903 stu­diert er an der Groß­her­zog­lich Säch­si­schen Kunst­schu­le und malt in die­ser Zeit zeit­ge­nös­si­sche Bil­der. Dix wird am 2. Dezem­ber 1891 in Gera als Arbei­ter­sohn gebo­ren, malt frü­he Wer­ke im Stil des aus­ge­hen­den Jahr­hun­derts, als er zwi­schen 1905 und 1909 eine Leh­re zum Deko­ra­ti­ons­ma­ler absol­viert. Zwi­schen 1909 und 1914 folgt ein Stu­di­um an der Kunst­ge­wer­be­schu­le Dresden.

In Beck­mann und Dix gärt der Durst nach Leben, nach Erfah­rungs­zu­wachs, Grenz­gang, Kon­fron­ta­ti­on und ech­tem Schmerz­er­leb­nis. Bei­de gehen inner­lich auf Distanz zur bür­ger­lich-künst­le­ri­schen Deka­denz und spal­ten sich ab: Beck­mann wird 1905 Mit­glied der Ber­li­ner Seces­si­on. Seit 1910 deren Vor­stand, tritt er 1913 aus ihr aus und schließt sich der Frei­en Seces­si­on an. Dix steht den auf­kom­men­den Kunst­strö­mun­gen der Moder­ne – allen vor­an Kubis­mus und Expres­sio­nis­mus – auf­ge­schlos­sen gegen­über und über­nimmt den auf Zer­glie­de­rung des Bild­ge­gen­stan­des und star­ker Farb­wir­kung und ‑ver­ein­fa­chung beru­hen­den Habi­tus die­ser Stile.

Nach dem Krieg wird er zusam­men mit Con­rad Felix­mül­ler die Dresd­ner Seces­si­on grün­den. Es gärt und bro­delt, nicht nur im poli­ti­schen, auch im künst­le­ri­schen Deutsch­land. Heer­scha­ren von Künst­lern, Lite­ra­ten, Kom­po­nis­ten und Intel­lek­tu­el­len seh­nen den gro­ßen Waf­fen­gang her­bei, die Erneue­rung Euro­pas. Beck­mann schreibt 1909 in sein Tage­buch, daß der Krieg »für unse­re heu­ti­ge ziem­lich demo­ra­li­sier­te Kul­tur gar nicht schlecht« wäre. 1914 wer­den besag­te Eli­ten dem Ruf zu den Waf­fen enga­giert und meist frei­wil­lig Fol­ge leis­ten, man­cher jun­ge Meis­ter bezahlt das mit dem Leben. Auch Max Beck­mann und Otto Dix mel­den sich frei­wil­lig: Dix wird sei­nen Dienst bei der Feld­ar­til­le­rie und als MG-Schüt­ze an bei­den Fron­ten leis­ten. Kurz vor Ende des Krie­ges mel­det sich der Unter­off­zier noch frei­wil­lig zu einer Flie­ger­aus­bil­dung. Beck­mann ist zwei Mona­te als Kran­ken­pfle­ger an der Ost­front ein­ge­setzt und dann in Flan­dern, zuerst in einem Typhus­la­za­rett und spä­ter in einem Ope­ra­ti­ons­saal nahe der Front.

Spä­te­re Gene­sungs­auf­ent­hal­te und die 1915 erfolg­te Beur­lau­bung vom Front­dienst las­sen einen dau­ern­den nerv­li­chen Zer­rüt­tungs­zu­stand ver­mu­ten, der jedoch nie bewie­sen wird. In einem Begleit­text zur bis Febru­ar die­ses Jah­res in der Bun­des­kunst­hal­le gezeig­ten Aus­stel­lung »1914 – Die Avant­gar­den im Kampf« (Aus­stel­lungs­ka­ta­log: Snoeck Ver­lags­ge­sell­schaft, Köln 2013. 352 S., zahl­rei­che Abb., 78 €) schreibt Uwe M. Schnee­de zu Beck­manns Beweg­grün­den, in den Krieg zu zie­hen: »Max Beck­mann ging es um die Kunst, um jene Erfah­rungs­an­rei­che­rung, die ihm für sei­ne Zie­le unab­ding­bar schien. Er hat­te die­se Zie­le bereits 1909 in strik­ter Abgren­zung von den Avant­gar­dis­ten, beson­ders dem Blau­en Rei­ter, klar for­mu­liert: Sein Herz schla­ge ›nach einer rohe­ren gewöhn­li­che­ren vul­gä­ren Kunst‹, die nicht ›ver­träum­te Mär­chen­stim­mun­gen lebt zwi­schen Poe­si­en‹, son­dern ›dem Furcht­ba­ren, Gemei­nen, Groß­ar­ti­gen, Gewöhn­li­chen, Gro­tesk-Bana­len im Leben direk­ten Ein­gang‹ gewäh­re. … Er dach­te, wenn er die Lei­den sah, an sei­ne Kunst.« Beck­mann woll­te aufs Schlacht­feld, woll­te sei­nen Erfah­rungs­ho­ri­zont anrei­chern, ver­dich­ten. Vom 2. März 1915 stammt sei­ne Notiz: »Ach, das ist wie­der ein­mal Leben!« Wenig spä­ter bringt er sein Wol­len auf den Punkt: »Mei­ne Kunst kriegt hier zu fressen.«

Sehr ähn­lich klingt das rück­bli­ckend bei Dix: Als »Wirk­lich­keits­mensch«, sagt er, sei es not­wen­dig gewe­sen, »den gan­zen Schmerz und das Lei­den, … das ganz stin­kig Dre­cki­ge« in sich auf­zu­neh­men, um es spä­ter künst­le­risch trans­for­miert wie­der­ge­ben zu kön­nen. Hier nähert man sich der Künst­ler­na­tur, denn plump und vul­gär wäre es, anzu­neh­men, daß Beck­mann und Dix Freu­de am Völ­ker­mor­den emp­fan­den. Viel­mehr wur­den sie als hoch­gra­dig sen­si­ti­ve, auf­neh­men­de Wesen intui­tiv in das Kraft­feld die­ses Krie­ges gezo­gen, um ihre exis­ten­ti­el­le Schlacht mit den Extre­men des Lebens zu schla­gen. Sie taten es mit Ehr­furcht vor den gro­ßen for­men­den Kräf­ten des Lebens, denen sie an der Front in unmit­tel­bars­ter Form aus­ge­lie­fert waren; mit einer bestän­di­gen Gän­se­haut, die den Künst­ler vom tum­ben Schläch­ter unter­schei­det. In Beck­manns Fron­tim­pres­si­on vom 11. Okto­ber 1914 klingt das nach: »Drau­ßen, das wun­der­bar groß­ar­ti­ge Geräusch der Schlacht …, die­se eigen­ar­ti­ge schau­rig groß­ar­ti­ge Musik. Wie wenn die Tore der Ewig­keit auf­ge­ris­sen wer­den, ist es, wenn so eine gro­ße Sal­ve her­über­klingt. … Ich möch­te, ich könn­te die­se Geräusch malen.« Max Beck­mann wird 1917 – unfä­hig, sei­nen Dienst wei­ter­zu­ver­se­hen – off­zi­ell aus dem Mili­tär ent­las­sen. Dix hält bis zum Ende durch. Bei­de sind gezeich­net, fast am Ende ihrer Kräfte.

Auch in der Her­an­ge­hens­wei­se an ihr künst­le­ri­sches Schaf­fen ähneln sich Beck­mann und Dix, sie ste­hen stell­ver­tre­tend für vie­le ihrer Zeit­ge­nos­sen. Ent­ste­hen wäh­rend ihrer Dienst­zeit vor­nehm­lich klei­ne­re, skiz­zen­haf­te Arbei­ten (was auch den schlech­ten Mal­be­din­gun­gen an der Front geschul­det ist), ent­lädt sich die gan­ze Wucht der gesam­mel­ten Ein­drü­cke in der Ruhe der Hei­mat. 1917 ent­steht Beck­manns »Selbst­bild­nis mit rotem Schal«, der kras­se Unter­schied zum nur zwei Jah­re älte­ren »Selbst­bild­nis als Kran­ken­pfle­ger« ist offen­kun­dig: Der aus­ge­mer­gel­te Beck­mann klemmt zwi­schen den Pfos­ten des Bil­des, mit einer Hand­be­we­gung, als male er. Kör­per und Augen schau­en indes­sen zurück auf die grau­si­gen Sze­nen des Krie­ges. Ähn­li­ches bei Dix: Im Ver­gleich der 1915 ent­stan­de­nen Gemäl­de »Selbst­bild­nis als Ziel­schei­be« und »Selbst­bild­nis als Mars« sind die inne­ren Kämp­fe bereits im Titel ablesbar.

Wäh­rend ers­te­res den Beschuß nur anti­zi­piert, ist das »Selbst­bild­nis als Mars« über­sät von auf­ge­mal­ten Ein­schuß­lö­chern. Das unzwei­fel­haft bedeu­tends­te Werk die­ser Jah­re – man muß von einem Schlüs­sel­werk spre­chen – ist Max Beck­manns unvoll­ende­te »Auf­er­ste­hung« von 1915/16. Die Dimen­si­on der künst­le­ri­schen Ent­wick­lung Beck­manns (vgl. etwa Car­la Schulz-Hoff­man­n/­Ju­dith C. Weiss: Max Beck­mann – Retro­spek­ti­ve, Mün­chen 1984) wird beson­ders deut­lich im Ver­gleich mit sei­nem eben­falls »Auf­er­ste­hung« beti­tel­ten Werk von 1909: Das eben­so rie­si­ge, zuerst ent­stan­de­ne Werk ist im Hoch­for­mat ange­legt und zeigt typi­sche Men­schen des 19. Jahr­hun­derts, die, reli­gi­ös kon­no­tiert, in die Ewig­keit auf­stei­gen. Die wäh­rend des Krie­ges ent­stan­de­ne »Auf­er­ste­hung« gibt den Blick frei auf eine zer­glie­der­te Welt, über­sät von men­schen­ähn­li­chen Wuche­run­gen und sprö­den Prot­ago­nis­ten, die im schmerz­haf­ten Empfnden ihres irdi­schen  Gewich­tes wie Blei am Boden kle­ben. Nichts ver­bin­det die gezeig­ten Grüpp­chen, außer die über allem hän­gen­de Schwer­mut. Figu­ren erschei­nen oder sind noch nicht ganz ver­schwun­den und im Zen­trum thront eine schwar­ze Sonne.

Für die einen sind Max Beck­mann und Otto Dix Pro­phe­ten einer neu­en Zeit, wel­che die künst­le­ri­schen Ent­wick­lun­gen des 20. Jahr­hun­derts gestal­tend beglei­te­ten und über wei­te Stre­cken vor­weg­nah­men. Für ande­re wie­der­um bedeu­ten sie den Anfang des künst­le­ri­schen Nie­der­gangs mit der Moder­ne, ein Vor­wurf, der auch ande­re Zeit­ge­nos­sen traf: Ernst Lud­wig Kirch­ner, Karl Schmidt-Rottluff, Geor­ge Grosz, Paul Klee oder Egon Schie­le. Ihre Namen wer­den fälsch­li­cher­wei­se mit einer Ent­wick­lung der bil­den­den Kunst in Ver­bin­dung gebracht, die heu­te bei der viel­zi­tier­ten »zer­knüll­ten Plas­tik­fo­lie« (Neo Rauch) ange­langt ist. Doch zwi­schen dem Ende der Kunst des 19. Jahr­hun­derts und einer sinn­lee­ren und hand­werk­lich unbe­deu­ten­den Asso­zia­tiv­kunst unse­rer Tage lie­gen Welten.

Die oben­ge­nann­ten Künst­ler ver­bild­lich­ten die per­sön­li­che Aus­ein­an­der­set­zung des Indi­vi­du­ums mit der Grö­ße und Macht der epo­cha­len Umbruchs­zeit 1914–1918: Sie fan­den eine Bild­spra­che, die das Unaus­sprech­li­che sag­bar mach­te. Anders als Gene­ra­tio­nen vor und nach ihnen, die in rela­tiv fried­li­cher Bestän­dig­keit leb­ten und leben, wur­den sie mit einem unaus­weich­li­chen Phä­no­men kon­fron­tiert, des­sen Wucht und Bru­ta­li­tät zuvor nie beschrie­ben wur­de. Und so ist es ver­ständ­lich, daß dies nicht in blu­mig-deko­ra­ti­ver, ja harm­lo­ser Wei­se gesche­hen konn­te, wie es zur Zeit ihrer Jugend an den Uni­ver­si­tä­ten ver­mit­telt wur­de. Die Maß­stä­be hat­ten sich fun­da­men­tal ver­än­dert. Was zu sagen war, bedurf­te einer neu­en, her­ben Sprache.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.