»Wir sind also Kulturpessimisten, ja?«

Vor einigen Monaten versammelten sich auf dem Rittergut Schnellroda sechs Autoren der Sezession und ein Gast zu einem ausufernden Gespräch.

Thors­ten Hinz, Nils Weg­ner, Erik Leh­nert, Mar­tin Licht­mesz, Ellen Kositza, Götz Kubit­schek und Ras­kol­ni­kow füll­ten acht Stun­den Ton­band, und bald wird dar­aus ein Buch ent­ste­hen. Der fol­gen­de Gesprächs­aus­schnitt ist eine ers­te Kostprobe.

kositza: Du hät­test im Prin­zip ger­ne gedient. Dar­auf willst du doch hinaus.
kubit­schek: Genau. Ich wür­de eigent­lich sehr ger­ne die­nen, einem guten Staat, sehr gerne.
lehneRt: Dann wür­de man sich ja aus­su­chen, wem man die­nen möch­te, was der Sache eigent­lich so ein biß­chen widerspricht.
kubit­schek: Nein, nein. Die Ent­täu­schung – also vie­les, was wir tun, ist gespeist davon, daß wir ent­täuscht vom Dienst sind.
lehneRt: Das ver­steh’ ich schon. Trotz­dem ist der Anspruch immer – das mein’ ich gar nicht böse –, wir könnten’s bes­ser, wir verstehen’s bes­ser, wir wol­len uns bit­te aus­su­chen, wofür wir die­nen. Aber das ist nicht die Idee des Die­nens. Der Dienst ist: Wir stel­len dich dahin, wo man dich braucht.
hinz: Dienst muß doch ethisch…
kubit­schek: Aber meinst du nicht, daß wir wis­sen, wel­cher Dienst nach oben führt, gera­de wenn’s ein bit­te­rer Dienst ist? Für mich ist das ganz klar, ich idea­li­sie­re das auch nicht. Aber ich hät­te unter dem Sol­da­ten­kö­nig ger­ne gedient. Also ich lese ja den Vater von Jochen Klep­per alle zwei Jah­re wie­der. Ein unglaub­li­ches Buch. Ich lese das immer wie­der, um zu wis­sen, was Dienst eigent­lich ist. Und man hät­te das erkannt, damals, das hof­fe ich wenigs­tens: Die­ser Mann wird schließ­lich aus einem voll­kom­men ver­rot­te­ten Staat, aus die­sem Drecks­hau­fen etwas for­men, er wird die­sem voll­kom­men ver­rot­te­ten Bran­den­burg und Ost­preu­ßen wie­der eine Struk­tur ein­zie­hen, er wird das Land ent­schul­den, und er ist der Flei­ßigs­te von allen. Also er ist der­je­ni­ge, in des­sen Zim­mer das Licht noch brennt. Die Lan­ge-Kerls-Marot­te kann er haben, er ist ansons­ten vor­bild­lich. Und bezo­gen auf heu­te, also auf Anfang der 90er, beim Mili­tär: Wir hät­ten ger­ne gedient und hät­ten uns den Dienst nicht aus­ge­sucht, son­dern auch auf einem sub­al­ter­nen Pos­ten aus­ge­hal­ten, wenn klar gewe­sen wäre, daß die Ent­wick­lung nach oben geht. Aber sie ging eben nicht nach oben, son­dern nur nach unten, und wir waren Erfül­lungs­ge­hil­fen der Zer­set­zung. Also das, was dann her­ein­brach über uns – unglaub­lich. Ich weiß nicht, Ras­kol­ni­kow, wann bist du rein?
Raskol­ni­kow: 95.
kubit­schek: Da bist du in eine Expe­ri­men­tier­pha­se hin­ein­ge­ra­ten, oder? Plötz­lich brauch­te man die­se Män­ner in den neu­en Kom­man­do-Ein­hei­ten, die man eigent­lich gar nicht woll­te. Man brauch­te sie eben, weil irgend jemand die Drecks­ar­beit erle­di­gen muß.
Raskol­ni­kow: Es war ja immer die Kunst der Her­ren, die­se Kraft im jun­gen Mann, der die Kind­heit abstreift, zu bin­den. Die­se Kraft zu lei­ten und sinn­voll zu nut­zen. Die Kom­man­dos nutz­ten der Bun­des­re­pu­blik außen­po­li­tisch sehr. Nicht unbe­dingt durch Sturm­an­grif­fe und Kes­sel­schlach­ten, aber durch eine Aus­wei­tung geo­stra­te­gi­scher Hand­lungs­mög­lich­kei­ten. Man braucht doch ein paar Rauf­bol­de, des­halb läßt man sie etwas gewäh­ren. Dann der aus­ge­wach­se­ne Mann: Der will ja Gutes tun, gestal­te­risch tätig sein, irgend­wann sei­ne Fami­lie grün­den und so wei­ter. Das fällt wei­test­ge­hend aus seit eini­ger Zeit für jeman­den, der einen über den eige­nen Dunst­kreis hin­aus­ge­hen­den Anspruch hat. Eine Ant­wort dar­auf, wie man da raus­kommt… die kann ich nicht geben. Ich will mir nicht anma­ßen, zu sagen, in die­sen oder jenen Zei­ten wür­de ich ger­ne gelebt haben. Marc Aurel als Neger aus der Ecke Luft zufä­cheln und ein­fach lau­schen, was der so erzählt. Vielleicht.
licht­mesz: Es geht immer wei­ter run­ter. Ich habe es schon in der Volks­schu­le gemerkt, die­ses lang­sa­me Nach­las­sen. Ich hab das wohl zum ersten­mal mit acht oder neun Jah­ren gemerkt, in der Kir­che, bei der Mes­se, daß das nie­mand mehr so rich­tig ernst nimmt. Und das hat mich als Kind geär­gert, weil ich mich anstren­gen woll­te. Ich woll­te, daß das ernst ist, daß alle dabei sind und nicht nur so tun als. Und spä­ter dann auch. In mei­ner Gym­na­si­al­zeit habe ich gemerkt, wie das nach und nach auf­ge­weicht
wur­de, wie die Stan­dards gesenkt wor­den sind, die Umgangs­for­men mit den Leh­rern, die Leis­tungs­an­sprü­che. Und das Gan­ze ist immer ver­kauft wor­den als eine Art von Fort­schritt, Libe­ra­li­sie­rung, »wir kom­men euch ent­ge­gen« und so wei­ter. Mich hat das total geär­gert. Ich woll­te nicht, daß mir die Leh­rer ent­ge­gen­kom­men. Ich woll­te nicht, daß ich die Leh­rer duzen darf.
kositza: Aber es wird ja als Bes­se­rung der Ver­hält­nis­se ver­kauft. Und es wird eben von vie­len, viel­leicht von einer Mehr­heit sogar, auch so ange­nom­men. Daß der Leh­rer zum Lern­part­ner gewor­den ist, daß es in der Kir­che locke­rer zugeht, und bestimmt gibt es vie­le in der Bun­des­wehr, die es super fin­den, daß alles trans­pa­ren­ter gewor­den ist, daß man sich ein­fa­cher beschwe­ren kann. Du sagst, das ist eine Auf­wei­chung, ein Nie­der­gang. Wir sagen das. Die meis­ten fin­den das alles wun­der­bar. Das sind ja nicht nur die Medi­en­leu­te, son­dern auch Lies­chen Mül­ler und Otto Nor­mal, die sagen: Wie gut, daß es kein Natio­nal­staats­den­ken mehr gibt, nicht mehr die­se schreck­li­chen Ängs­te vorm Leh­rer, vor den Eltern, vorm Pfar­rer. — Wir sind also Kul­tur­pes­si­mis­ten, ja? Sind wir, oder? Vor­hin ging doch die Rede davon, daß die Wahr­heit sie­gen wird. Scheint sich aber auf allen Gebie­ten genau das durch­zu­set­zen, was wir nicht als Wahr­heit empfinden.
licht­mesz: Die Leu­te haben ein­fach nicht recht. Ich habe recht, wenn ich sage, daß das ein Abstieg ist, schon des­we­gen, weil ich von einer höhe­ren Ebe­ne aus­ge­he. Von einer Ebe­ne der Intensität.
kositza: Wo sind dann noch Anknüp­fungs­punk­te, wo noch Hoffnung?
licht­mesz: Es gibt kei­ne irdi­sche Hoff­nung mehr.
lehneRt: Irdi­sche oder jüdische?
licht­mesz: Irdi­sche.
lehneRt: Hab jüdisch ver­stan­den.
kubit­schek: Ich auch, hehe!
licht­mesz: Ihr seid ja lus­tig… Also Hoff­nung: Wir leben in Zei­ten, die kein Bei­spiel haben. Es ist tat­säch­lich so. Die gesagt haben, die Zeit sei eine Linie, kein Kreis­lauf, eine Frist, die abläuft – das ist viel­leicht nicht so schön opti­mis­tisch und fort­schritts­gläu­big gemeint, wie die »Zykli­ker« immer behaup­ten. Daß es etwa immer berg­auf gehe und irgend­wann bist du am Gip­fel und alles ist gut… je län­ger du berg­auf gehst, irgend­wann geht’s wie­der berg­ab. À la Karl Valen­tin: End­lich sind wir überm Berg – jetzt geht’s berg­ab. Und dann bist du unten, fer­tig. Alles vorbei.
lehneRt: Viel­leicht ist es so, wie es Speng­ler wei­se vor­aus­ge­se­hen hat, daß unse­re Kul­tur zu Ende geht, aber das heißt eben nicht, daß es über­haupt zu Ende geht. Wäre schon tra­gisch, wenn wir noch 2000 Jah­re als Fel­la­chen vor uns hin leben und woan­ders geht die ach­te oder neun­te Welt­kul­tur auf. Das wäre schon schlecht. Aber gut, viel­leicht gehen die gan­zen Flücht­lin­ge dort­hin, wenn hier alles verarmt.
licht­mesz: Schon allein die­ses Moment, das Heid­eg­ger so ent­schei­dend fand, die Ent­wick­lung der Tech­nik. Daß also der neu­zeit­li­che Mensch die Tech­nik nicht in den Griff kriegt, sie ihm über den Kopf wächst, ihn beherrscht. Und wie die Tech­nik die Welt umspannt und sie in einer Art und Wei­se ver­än­dert hat, wie es das in der Geschich­te noch nie gege­ben hat. Das ist mit dem Aus­zug der Göt­ter ver­bun­den, mit dem Aus­zug des Sakra­len, ohne daß weit und breit ein neu­er Gott zu sehen wäre. Das ist anders als am Ende der Anti­ke, als das Chris­ten­tum die Fackel übernahm.
lehneRt: Laßt mich mal einen Punkt nen­nen: Also unse­re Kul­tur ist welt­um­span­nend, daher mag das so sein, daß es kei­ne Alter­na­ti­ve gibt, aber natür­lich gibt’s noch Refugien.
wegneR: Dürf­te man erfah­ren, wo ungefähr?
kubit­schek: Im Turm.

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