Über den Verlust der Mitte

In der Einleitung zu seinem Werk Verlust der Mitte, das 1948 erstmals erschien,... 

schreibt der Autor Hans Sedl­mayr: »In den Jah­ren und Jahr­zehn­ten vor 1789 hat in Euro­pa eine inne­re Revo­lu­ti­on von unvor­stell­ba­ren Aus­ma­ßen ein­ge­setzt: die Ereig­nis­se, die man als ›Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on‹ zusam­men­faßt, sind selbst nur ein sicht­ba­rer Teil­vor­gang die­ser unge­heu­ren inne­ren Kata­stro­phe. Es ist bis heu­te nicht gelun­gen, die dadurch geschaf­fe­ne Lage zu bewäl­ti­gen, weder im Geis­ti­gen, noch im Praktischen.«

Die Kata­stro­phe, auf die Sedl­mayr hier anspielt, über­steigt his­to­ri­sche Dimen­sio­nen. Es han­delt sich viel­mehr um ein mythi­sches Ereig­nis, indem jene Kräf­te zum Durch­bruch gelan­gen, die den Men­schen nicht mehr als Eben­bild Got­tes aner­ken­nen und somit all jene Struk­tu­ren in Fra­ge stel­len, die auf der Eben­bild­lich­keit beru­hen. Dem vor­aus ging der Uni­ver­sa­li­en­streit, des­sen Anfän­ge in die Scho­las­tik des spä­ten Mit­tel­al­ters zurück­rei­chen. Die Fra­ge, die Theo­lo­gen und Phi­lo­so­phen beschäf­tig­te, war, ob die All­ge­mein­be­grif­fe (Uni­ver­sa­li­en) nur in Gedan­ken exis­tier­ten oder ob sie sub­stan­ti­el­le Enti­tä­ten dar­stell­ten, oder anders aus­ge­drückt: ob den Erschei­nung gewor­de­nen Din­gen eine Idee vor­her­ge­he, oder ob sie allein vom Men­schen gemacht oder erfun­den sei­en. Die Nomi­na­lis­ten waren der Mei­nung, daß die Uni­ver­sa­li­en nur abs­trak­te, aus dem Bemü­hen um die Sys­te­ma­ti­sie­rung der Lebens­welt gewon­ne­ne gedank­li­che Kon­struk­te sei­en. Die Rea­lis­ten oder Uni­ver­sa­lis­ten – unter ihnen Tho­mas von Aquin – ver­tra­ten hin­ge­gen die Posi­ti­on Pla­tons, daß den Uni­ver­sa­li­en ein sub­stan­ti­el­les Dasein zuzu­spre­chen sei. Sie wür­den unab­hän­gig von den erschei­nen­den Ein­zel­din­gen exis­tie­ren. Der Streit wur­de letzt­lich zuguns­ten der Nomi­na­lis­ten ent­schie­den. Das war inso­fern fol­ge­rich­tig, als die auf­kei­men­den moder­nen Natur­wis­sen­schaf­ten, die sich als »neu­tral« bezeich­nen, sich von einem über­ge­ord­ne­ten Moment los­sa­gen muß­ten. Die Natur­wis­sen­schaft, vor allem aber die damit ver­bun­de­ne Denk­hal­tung, sieht nur die Erschei­nun­gen; die Gestalt der Din­ge und der dahin­ter ste­hen­de Schöp­fungs­akt wer­den aus­ge­klam­mert oder in perf­der Art in die Erschei­nun­gen mit­ein­be­zo­gen, indem sie auf Ener­gie­for­men redu­ziert werden.

Daß die Idee der Erschei­nung vor­aus­ge­he, war seit jeher unbe­strit­ten. So wird im Johan­nes­evan­ge­li­um (mit Bezug auf die Gene­sis) davon gespro­chen, daß am Anfang das Wort gewe­sen sei, und alles sei durch das Wort gewor­den. Im Gebet wer­den nicht die Erschei­nun­gen, son­dern es wird das Wort, das hin­ter den Erschei­nun­gen steht, ange­spro­chen; der König beklei­det sein Amt durch Got­tes Gna­den (Dei gra­tia), und auch das Sprich­wort »Wenn man vom Teu­fel spricht, kommt er« weist dar­auf hin, daß durch die Spra­che – durch Benen­nung – die Din­ge in die Gegen­wart geholt wer­den kön­nen. Die von einer Gestalt oder einer Idee getrenn­ten Erschei­nun­gen tre­ten zwangs­läufg iso­liert auf. Sie sind rein mecha­ni­scher Natur, und sie unter lie­gen den tita­ni­schen Geset­zen der Wie­der­ho­lung. Die Kopie ist eben­so ein Zei­chen die­ser Ent­wick­lung wie die unab­läs­si­ge Ergrei­fung des Rau­mes. Wachs­tum, das immer auch see­lisch zu ver­ste­hen ist, ist unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen aus­ge­schlos­sen. Kom­pen­sa­to­risch und ver­schlei­ernd tritt die Expan­si­on – die maß­lo­se, auf dem Schnee­ball­prin­zip basie­ren­de Aus­wei­tung – an des­sen Stel­le. Zu erken­nen sind die­se Phä­no­me­ne vor allem dar­an, daß sie, obwohl das For­ma­le heu­te über­all im Vor­der­grund steht, form­los sind und kei­ne Mit­te besit­zen: Sie wuchern wie ein Geschwür.

Die Son­ne als Vor-Bild
Von Goe­the stammt das Zitat: »Wär nicht das Auge son­nen­haft / Die Son­ne könn­te es nie erbli­cken.« Wir haben es hier mit Eben­bild­lich­keit respek­ti­ve mit einem Ver­gleich zu tun, der dem Auge son­nen­haf­te Qua­li­tä­ten bei­mißt. Und tat­säch­lich ist das Auge eine klei­ne Son­ne. Was bei die­ser Kern und Koro­na, sind beim Auge Seh­loch und Iris. Und so erblickt das Auge alles, was die­sem Prin­zip ent­spricht – dem Prin­zip von Mit­te und der sie umge­be­nen Tei­le –, und es ver­mag die ent­spre­chen­den Erschei­nun­gen ein­zu­ord­nen – sie als schön zu empfnden, wenn sie die­ser Regel ent­spre­chen, oder als häß­lich zu erken­nen, wenn sie davon abfal­len. Natür­lich läßt sich der Mensch auch täu­schen. Vor­stel­lun­gen oder auch Ideo­lo­gien erset­zen das Emp­fin­den, und so man­ches, was im Grun­de häß­lich wäre, wird als schön oder, wo es die Kunst betrifft, als ästhe­tisch bezeichnet.

Son­nen­haft oder eben­bild­lich ist die gesam­te Erschei­nungs­welt. Alles Gewach­se­ne besitzt einen Kern und Tei­le, die die­sen Kern umge­ben. Das Atom hat einen Kern und eine Elek­tro­nen­hül­le; Zel­len wei­sen, ver­ein­facht gesagt, einen Zell­kern, ein Zell­ske­lett und eine Zell­mem­bran auf, die der Abgren­zung dient; eine Blü­te weist in ihrer Mit­te den Frucht­kno­ten und die Staub­blät­ter auf, umge­ben wer­den sie von den Kelch­blät­tern. Und der Mensch besitzt einen Rumpf, von dem die Glie­der aus­ge­hen, mit denen er sich bewegt. Aber auch das, was der Mensch erschafft, ent­spricht die­sem Grund­satz. Beim her­kömm­li­chen Haus etwa grup­pie­ren sich um die Küche die ver­schie­de­nen Kam­mern, das Haus selbst ist von Neben­ge­bäu­den oder vom Gar­ten umge­ben; die Mit­te des Dor­fes stellt das Rat­haus dar, der Platz davor und die Kir­che. Und der Stadt, die einst geschlos­sen in Erschei­nung trat und somit als Kern ange­se­hen wer­den kann, sind Dör­fer und land­wirt­schaft­li­ches Land vor­ge­la­gert. Näm­li­ches gilt für die Poli­tik. Der König oder sei­nes­glei­chen ver­kör­per­te seit jeher die Mit­te eines Vol­kes, wäh­rend die Fürs­ten bis hin zu den ein­zel­nen Bür­gern die­se Mit­te umga­ben. Daß eine Mit­te in sich ruht, wäh­rend das sie Umge­ben­de in Bewe­gung ist, wird beim Schach beson­ders deut­lich: Der König darf pro Zug nur ein Feld fah­ren, wäh­rend Dame, Sprin­ger, Pferd und Turm einen fast unbe­grenz­ten Akti­ons­ra­di­us besitzen.

Das Gefü­ge an sich, bestehend aus Kern und Hül­le, ist mit dem Leben, sei­nen Erschei­nungs­for­men und sei­nen Vor­aus­set­zun­gen auf Gedeih und Ver­derb ver­bun­den. Alle Hoch­kul­tu­ren, die Gro­ßes schu­fen, alle den­ke­ri­schen und künst­le­ri­schen Leis­tun­gen, die als wesent­lich bezeich­net wer­den kön­nen, sind die­sem Prin­zip unter­ge­ord­net, mehr noch, sie erhö­hen die­ses Prin­zip, indem sie es prei­sen und verehren.

Abwei­chun­gen
Doch seit dem Beginn der Neu­zeit, deut­lich erkenn­bar jedoch seit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und dem Ein­set­zen der Indus­tria­li­sie­rung, wird von die­sem Grund­satz abge­wi­chen: Die Idee, die den Din­gen einst vor­her­ging – man könn­te sie auch eine Gott­heit nen­nen –, ist ver­lo­ren. Dadurch kann in die Struk­tur der Din­ge ein­ge­grif­fen wer­den. Was hier vor sich ging und unauf­halt­sam wei­ter geschieht, kann exem­pla­risch an einer mit­tel­al­ter­li­chen Burg ver­deut­licht wer­den. Sie stellt eine Mit­te dar, weil sie als Wohn­ort des Rit­ters der stan­des­ge­mä­ße Wohn­sitz eines Ade­li­gen ist. Bau­lich wird sie zur Mit­te, weil sich am Fuß der Burg Hand­wer­ker und Bau­ern ansie­deln und Märk­te bil­den. Das Beweg­te umgibt nun das In-sich-Ruhen­de – der Kern hat die sich um ihn bewe­gen­den Tei­le erhal­ten. Sobald jedoch die Mit­te auf­ge­ho­ben wird, indem etwa der Adel, der auf Abstam­mung, Leis­tung und gött­li­che Fügung grün­det, dem »pro­fa­nen« Bür­ger­tum zu wei­chen hat, steht der Markt am Fuß der Burg ohne Aus­gangs­punkt und Ziel da. Es ent­steht der »tota­le Markt«,
der eigen­ge­setz­lich und maß­los ist. Es ist dies unter ande­rem die Geburts­stun­de des Liberalismus.

Im beson­de­ren die Maxi­men der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on – Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit – sind Zei­chen einer maß­los gewor­de­nen, einer ent­mit­te­ten und nicht mehr auf einer Eben­bild­lich­keit beru­hen­den Welt. Nicht umsonst sieht Sedl­mayr in ihr den Keim der unge­heu­ren Kata­stro­phe. Frei­heit bedeu­tet hier die Igno­rie­rung aller Gren­zen, Gleich­heit führt zur Unter­schieds­lo­sig­keit, und die Brü­der­lich­keit führt zwangs­läu­fig in den tota­len Kol­lek­ti­vis­mus. Prä­gnan­tes Bild für die­se Ent­wick­lung ist der Sturz des Königs. Die­ser wur­de nicht ein­fach abge­setzt, son­dern enthauptet.

Fort­schritt und Wachstum
Als wäre eine Ket­ten­re­ak­ti­on in Gang gesetzt wor­den, wer­den nun Mit­ten eli­mi­niert, wodurch das, was die Mit­ten einst umgab, zu wuchern beginnt. Die Städ­te deh­nen sich aus, sie wer­den zu Geflecht­s­tep­pi­chen, wäh­rend die eins­ti­gen ört­li­chen Mit­ten zu ort­lo­sen Zen­tren die­ser Gebil­de wer­den. Ohne ruhen­de Mit­te wird das Beweg­te domi­nant, und so wird die Mobi­li­tät zum eigent­li­chen Wahr­zei­chen die­ser Ent­wick­lung. Man ist mobil, ist unent­wegt unter­wegs, aber wohin man auch kommt, es sieht über­all gleich aus. Regio­na­le Eigen­stän­dig­kei­ten lösen sich auf, und die Fami­lie, ursprüng­lich eine sou­ve­rä­ne, gewach­se­ne Gemein­schaft, wird rich­tig­ge­hend zer­schla­gen. Weil durch den Ver­lust der Mit­te auch jedes Maß ver­lo­ren­geht, steigt die Bevöl­ke­rungs­zahl welt­weit fast expo­nen­ti­ell an. Und der Markt, der nun alles beherrscht, gene­riert zwei Begrif­fe, die syn­onym für die­se Ent­wick­lung ste­hen: Fort­schritt und Wachs­tum. Dabei hat der Fort­schritt im heu­ti­gen Sinn, obwohl das Gegen­teil behaup­tet wird, nur sel­ten etwas mit einem qua­li­ta­ti­ven Gewinn zu tun. Es ist nicht die Neue­rung, die der Fort­schritt anstrebt, son­dern die Nivellierung.

So kann es kein Gewinn sein, daß die Haus­mu­sik dem Recor­der wich; daß das Geschich­ten­er­zäh­len, das Gespräch und das Brie­fe­schrei­ben von Fern­se­her, E‑Mail und Mobil­te­le­phon ver­drängt wur­den. Und genau­so­we­nig ist es ein Gewinn, wenn in der Lite­ra­tur nicht mehr erzählt, son­dern nur noch Vor­gän­ge beschrie­ben wer­den, wenn in der Musik das Ato­na­le zele­briert und in der Male­rei das Unge­gen­ständ­li­che, Geo­me­tri­sche und Kon­zep­tio­nel­le jeden Aus­druck ver­hin­dern. Alle die­se Neue­run­gen, die tech­ni­scher Art sind oder rein auf Tech­ni­ken grün­den, machen den Men­schen geflechts- oder netz­fä­hig, und damit dies geschieht, muß er sei­ne Iden­ti­tät ver­lie­ren, er muß aus­drucks­los, urteils­los und iso­liert sein. Dazu kommt das Wachs­tum, das ein Geflecht braucht, um nicht in sich zusam­men­zu­fal­len. Wäh­rend in einem gesun­den Sys­tem das Umfeld zur Mit­te immer in einem adäqua­ten Ver­hält­nis steht, gleicht das mit­ten­lo­se Umfeld einem Tumor, der erst dann zum Still­stand kommt, wenn ihm kei­ne Ener­gie oder kein Leben mehr zur Ver­fü­gung steht.

Ein wei­te­res Merk­mal des ver­hin­der­ten Schöp­fungs­ak­tes ist die Repro­duk­ti­on. Wäh­rend sich Eben­bild­li­ches in die Zeit ver­viel­fäl­tigt, wobei Ori­gi­na­les ent­steht, wird bei der Repro­duk­ti­on das immer Glei­che in Mas­sen her­vor­ge­bracht. Die Quan­ti­tät erhebt sich über die Qua­li­tät. Daß in einem sol­chen Sys­tem auch der Mensch repro­du­ziert, das heißt geklont, wer­den soll, ist naheliegend.

Ana­log oder digital
In einer Welt, in der die Erschei­nun­gen Mit­ten auf­wei­sen, wird ent­spre­chend gedacht und gehan­delt. Der Ver­gleich – Ver­glei­chen setzt Gemein­sa­mes vor­aus, bedingt jedoch eine Unter­scheid­bar­keit der Din­ge – wird zur Erkun­dung des Wesens und der Beschaf­fen­heit eines jewei­li­gen Objek­tes her­an­ge­zo­gen. Das ist ana­lo­ges Den­ken. Wer ana­log denkt, steht immer mit den Din­gen in Bezie­hung, ver­liert die Welt nie aus den Augen. In der hei­li­gen Schrift etwa wird von Gleich­nis­sen gespro­chen, simi­lia simi­li­bus curen­tur ist eine Ana­lo­gie, und noch bei Ernst Jün­ger sind der Ver­gleich oder die Annä­he­rung emi­nent – sie neh­men eine zen­tra­le Stel­lung in des­sen Werk ein.

Ohne bezug­schaf­fen­de Mit­te steht eines iso­liert neben dem ande­ren. Mono­kul­tu­ren, Geflech­te und auch Net­ze, ins­be­son­de­re sozia­le Net­ze, ent­ste­hen. Der Ver­gleich im Goe­the­schen Sinn wird dabei hin­fäl­lig – das ana­lo­ge Den­ken wird durch das digi­ta­le ersetzt. Nicht nur die Tech­nik setzt auf digi­ta­le Sys­te­me, wie etwa in der Musik­auf­nah­me und ‑wie­der­ga­be oder der Pho­to­gra­phie, nein, auch die Poli­tik han­delt nach dem digi­ta­len, von allen Wirk­lich­kei­ten iso­lier­ten Prin­zip und schafft dadurch immer neue Pro­ble­me, ohne je eines lösen zu kön­nen. Selbst­re­dend wird auch die Bil­dung ver­di­gi­ta­li­siert. Es ent­steht der digi­ta­le Typus. Die­ser hat eine unend­li­che gespei­cher­te Daten­men­ge zur Ver­fü­gung, aber es feh­len ihm die Bil­der. Er ist nicht mehr fähig, zu den­ken, denn das Den­ken ist ein ana­lo­ger Vor­gang. Selbst­re­dend eta­bliert sich die Wis­sens­ge­sell­schaft, und Maxi­men wie jene des lebens­lan­gen Ler­nens wer­den zur Tugend erklärt, obwohl es sich dabei doch nur um eine lebens­lan­ge Wis­sens­an­samm­lung handelt.

Zyklen
»Der Mensch, der kein Maß hat«, sagt Fried­rich Georg Jün­ger, »behält etwas Unfer­ti­ges. Es haf­tet ihm an, weil das Wol­len den ihm zuge­ord­ne­ten Bereich des Erreich­ba­ren über­schrei­tet. Sol­che Men­schen schei­nen, wenn sie ihren Anlauf neh­men, am stärks­ten und ganz unüber­wind­lich zu sein. Dann aber ver­feh­len sie ihr Ziel und stür­zen ins Lee­re; sie fal­len in die unter­ir­di­schen Räu­me hin­ab.« Es han­delt sich hier um den tita­ni­schen Men­schen, der sich der Göt­ter und des Schick­sals ent­le­digt hat. Die­ser Mensch sucht die »schran­ken­lo­se Frei­heit und Unab­hän­gig­keit«. Aber ohne Maß kann es kei­ne Grö­ße geben. »Maß ist etwas Eben­bild­li­ches, das heißt, nie­mand kann sich selbst Maß sein und blei­ben. Im Begriff des Maßes steckt das Ver­hält­nis von Urbild und Eben­bild, und dar­aus ergibt sich Gültigkeit.«

Seit dem Sieg der Nomi­na­lis­ten, im beson­de­ren aber seit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on sind die Din­ge nicht mehr auf ein Urbild bezo­gen, womit sie ihre Eben­bild­lich­keit ein­bü­ßen. Das wird beson­ders dar­an deut­lich, daß Mit­ten auf­ge­ho­ben oder gar zer­schla­gen wer­den. »Was aber die Kunst betrifft (im Grun­de betrifft dies jedoch alles, was der Mensch her­vor­bringt)«, resü­miert Hans Sedl­mayr, »so wird es zunächst viel­leicht noch nicht mög­lich sein, viel­leicht noch lan­ge nicht, etwas in die lee­re Mit­te zu set­zen. Dann aber muß wenigs­tens das Bewußt­sein davon leben­dig blei­ben, daß in der ver­lo­re­nen Mit­te der leer gelas­se­ne Thron … steht. Die­je­ni­gen, denen die­ses Bewußt­sein gege­ben ist und die es bewah­ren, wer­den die ›Neue Zeit‹ sehen, auch wenn sie sie noch nicht betre­ten dür­fen.« Die­se neue Zeit kün­digt sich an, wenn die Zeit der Tita­nen abge­lau­fen ist. Zeus, der im ver­bor­ge­nen her­an­wuchs, been­det ihre Herrschaft.

Sei­ne Macht ist unge­heu­er, doch sie hat, wie Fried­rich Georg Jün­ger wei­ter aus­führt, nichts Drü­cken­des, Ein­engen­des und das Leben Ver­küm­mern­des an sich, »und sie muß, wie das höchs­te Erha­be­ne über­haupt, als Ruhen­de gedacht wer­den.« Zeus wird dem­nach zum Stif­ter neu­er Gefü­ge und Mit­ten.

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