Du bist wohl nicht… Kulturpessimist?

PDF der Druckfassung aus Sezession 62 / Oktober 2014

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ich erin­ne­re mich an ein Büh­nen­pro­gramm im Rah­men der Frank­fur­ter Buch­mes­se, Jah­re her. Es war am Stand der Zeit. Zwei Frau­en – wenn nicht klug, so doch schlau genug, Best­sel­ler der Spar­te Sach­buch zu pro­du­zie­ren – stan­den an ihren Mikro­pho­nen. Die eine Redak­teu­rin stell­te das aktu­el­le Werk der ande­ren vor. Es war ein gutes Buch, ein sehr gutes. Die Autorin war (und ist) SPD-Mit­glied. Sie hat zahl­rei­che Bücher ver­faßt, die man mit Fug und Recht »kul­tur­kri­tisch« nen­nen darf – über Früh­sexua­li­sie­rung, über die »Eman­zi­pa­ti­ons­fal­le«, über den ado­les­zen­ten Umgang mit neu­en Medien.

Weil das öffent­li­che Mes­se­ge­spräch kein lang­wei­li­ges Ping­pong wer­den soll­te, hak­te die Kol­le­gin kri­tisch nach: Was die ande­re zu dem even­tu­ell denk­ba­ren Vor­wurf sagen wür­de, sie ver­fal­le in ihrem Buch in … Kul­tur­pes­si­mis­mus? Da wur­de es kurz ruhig. Es wur­de ein- und aus­ge­at­met: »Nein. Das nicht. Das nie.« – »Ja, das darf nicht sein.« – »Stimmt. Dem müs­sen wir alle ent­ge­gen­wir­ken. Kul­tur­pes­si­mis­mus, das wäre defi­ni­tiv die schie­fe Ebe­ne.« – »Genau. Wir Jour­na­lis­ten haben gelernt, daß Kul­tur­pes­si­mis­mus in die ver­kehr­te Rich­tung führt. Fritz Stern…« – »Genau, Fritz Stern. Pflicht­lek­tü­re. Kul­tur­pes­si­mis­mus geht gar nicht. So darf man mein Buch kei­nes­falls lesen. Nicht mit kul­tur­pes­si­mis­ti­scher Bril­le.« – »Eben. Und das ist wich­tig, das zu beto­nen. Es geht in Ihrem Buch nicht um Kul­tur­pes­si­mis­mus.« – »Nein, ganz defi­ni­tiv nicht.«

Zu ler­nen war: Kul­tur­kri­tik geht immer, sie ist not­wen­dig! Gan­ze Scha­ren von Feuil­le­to­nis­ten wären arbeits­los ohne Kul­tur­kri­tik. Kul­tur­kri­tik darf sich punk­tu­ell äußern, in der Kla­ge über eine dum­me Insze­nie­rung, über laue Wein­jahr­gän­ge, über eine miß­ra­te­ne Musik­auf­nah­me. Sie darf auch Stim­mung machen gegen Ten­den­zen, gegen gestri­che­ne Bud­gets, gegen Lese­faul­heit, gegen Anspruchs­hal­tun­gen und neue Moden – aber sie muß im Rah­men blei­ben. Das heißt, sie darf nicht davon aus­ge­hen, daß der Fort­schritt an sich nicht für eine Bes­se­rung der Zustän­de sor­gen wird. Kul­tur­kri­tik hat inhä­rent pro­gres­siv zu sein, sonst ist sie reak­tio­när. Und die seman­ti­schen Nach­barn des reak­tio­nä­ren Denk­mus­ters sind so bekannt wie verfemt.

Sach­buch­au­to­ren stöh­nen unter der noto­ri­schen Ver­lags­vor­ga­be: »Die von ihnen beschrie­be­ne Lage ist, wenn auch rea­lis­tisch, so doch denk­bar düs­ter! Not­wen­dig wäre noch, als Appen­dix qua­si, eine Art Zehn-Punk­te-Pro­gramm, wie wir mit vor­han­de­nen Mit­teln zu einer Bes­se­rung des Zustands kom­men könn­ten.« Schwarz­ma­le­rei ist nur in eng­ge­bahn­ten Berei­chen erlaubt: in öko­lo­gi­schen Fra­gen, in punc­to Daten­si­cher­heit viel­leicht und in bezug auf »grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit«, aber nie in kul­tu­rel­len Fra­gen, schon gar nicht in natio­na­lem Rah­men. Kri­ti­siert einer zu vehe­ment, zu grund­sätz­lich das Regie­thea­ter, eine Bil­dungs­re­form oder eine neue Geschlech­ter­dok­trin, naht zwangs­läufg der spöt­ti­sche Unken­ruf: Ah, hier beschwört wie­der einer den Unter­gang des Abend­lan­des! Gewünscht sind kri­ti­sche Kul­tur­op­ti­mis­ten. Leu­te, die sagen: Schau, es ist natür­lich nicht gut, wie es ist. Es ist eine schwie­ri­ge Sach­la­ge, klar. Aber es ist doch nur ein Seg­ment­chen fal­sches Leben im Wah­ren! Fünf, sechs, zur Not ein Dut­zend Hand­grif­fe, und schon geht’s wei­ter bergauf!

Es darf kei­ne tro­cke­nen Äste geben, schon gar kei­nen mor­schen Stamm, die Rede soll allen­falls von Zweig­lein sein, die hie und da der Beschnei­dung bedür­fen. Die Sibyl­le unse­res Jahr­hun­derts, nach­na­mens Berg, faß­te das gül­ti­ge Ver­dikt in ihrer Spie­gel-Online-Glos­se ein­mal so zusammen:»Kulturpessimismus ist kei­ne Ant­wort auf die Ver­än­de­rung der Welt, son­dern das Jam­mern Ster­ben­der.« Der Kul­tur­pes­si­mist sit­ze laut Berg in »kei­fen­der Ver­bit­te­rung« wie jene Leu­te im Café, die über den Teen­ager, blö­de über sein Gerät gebeugt, her­zie­hen. Dabei, so Berg, gebe es »kein Bes­ser-oder-schlech­ter, es gibt eine Ent­wick­lung. Und die kann gut wer­den. Viel­leicht for­mie­ren sich die ›Pira­ten‹ neu und sind die ers­te Par­tei, die wirk­li­che Demo­kra­tie bewir­ken kann. Was gera­de pas­siert, ist Evo­lu­ti­on, sage ich dem älte­ren Paar an mei­nem Tisch, das immer noch über die Ver­blö­dung der Jugend redet, man kann sie nicht auf­hal­ten, ohne sich lächer­lich und unglück­lich zu machen. Tre­tet den Pira­ten bei, die brau­chen ein paar Erwach­se­ne, macht mit, solan­ge es noch geht. Und ver­dammt noch mal, hört auf, euch zu empören.«

So soll man es sehen! Auf Twit­ter führt man sogar einen soge­nann­ten Hash­tag »#Kul­tur­pes­si­mis­mus«. Die Iro­nie der Geschich­te will es, daß hier aus­ge­rech­net Gun­nar Sohn sei­nen Senf abgibt, jener Mensch, der 1998 Cri­ticón, das alt­ge­dien­te Organ des Kul­tur­pes­si­mis­mus, über­nahm und abwirt­schaf­te­te. Sohn: »Statt mit kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Digi­tal-Debat­ten wert­vol­le Zeit zu ver­plem­pern, soll­ten wir unser Hirn etwas mehr anstren­gen, um Sinn­vol­les auf die Bei­ne zu stel­len. Bei­spiels­wei­se in der Bil­dungs­po­li­tik, wo wir uns nicht mit den Poten­tia­len des ver­netz­ten Ler­nens beschäf­ti­gen, son­dern sinn­lo­se Struk­tur­de­bat­ten füh­ren. Dabei wäre es wich­tig, sich beson­ders in der Bil­dungs­po­li­tik mit den Vor­zü­gen des ver­netz­ten Ler­nens auseinanderzusetzen.«

Mit der Figur des Kul­tur­pes­si­mis­ten ist heu­te kein Blu­men­topf zu gewin­nen. Peter Rich­ter, Ame­ri­ka-Kor­re­spon­dent der Süd­deut­schen, sieht ihn so: Der Kul­tur­pes­si­mist sei »ein ver­schro­be­ner Mensch, der mor­gens sor­gen­voll sein Haupt über die­ses ›Inter­net‹ wiegt und nach­mit­tags 118 Euro für einen hand­ge­schmie­de­ten Spa­ten bei Manu­fac­tum hin­le­gen geht, denn dort gibt es sie noch, die guten Din­ge, ansons­ten geht alles grund­sätz­lich abwärts, wie auf einer Trep­pe von M. C. Escher. Man hat Kerl­chen mit spit­zem Bäuch­lein unterm Pul­lun­der vor Augen, geis­ti­ge Cord­ho­sen, die gern wie Tho­mas Mann schrie­ben, zunächst ein­mal aber nur des­sen Figu­ren ähneln, viel jün­ger, als man mei­nen würde.«

Und von sol­chem Typen soll eine Gefahr aus­ge­hen? Wel­che denn? Fritz Sterns Buch Kul­tur­pes­si­mis­mus als poli­ti­sche Gefahr. Eine Ana­ly­se natio­na­ler Ideo­lo­gie in Deutsch­land ist ein Dau­er­bren­ner. Stern, gebür­ti­ger Bres­lau­er, 1938 mit sei­ner Fami­lie in die USA emi­griert, wur­de 1953 mit die­ser Arbeit pro­mo­viert. 2005 wur­de das Buch zuletzt auf­ge­legt. Ralf Dah­ren­dorf schrieb in sei­nem Vor­wort zu deut­schen Aus­ga­be von 1963, daß cul­tu­ral des­pair einen »Kom­pa­ra­tiv der Kul­tur­kri­tik« mei­ne, und daß es hier­bei um eine Kri­tik an der moder­nen Gesell­schaft als sol­cher gehe. Jener Kul­tur­pes­si­mis­mus fin­de sich dort, wo »Wis­sen­schafts­feind­schaft, Haß auf die Tech­nik, Dif­fa­mie­rung der gro­ßen Zahl, empha­ti­scher Natur­lie­be, völ­ki­scher Vor­ur­tei­le« das Wort gere­det werde.

Stern selbst sah in sei­nem Vor­wort zur Aus­ga­be von 1974 eine »ver­schwom­men links­ge­rich­te­te Auf­fas­sung« sich auf gefähr­li­che Wei­se mit dem genu­in rech­ten Pro­test gegen die – aus sei­ner Sicht unter allen Umstän­den zu ver­tei­di­gen­de – Moder­ne ver­bin­den. Kul­tur­pes­si­mis­mus war für ihn ein »patho­lo­gi­sches« Phä­no­men. Er sah in die­ser Hal­tung eine Krank­heit, die im per­sön­li­chen (psy­chi­schen) Lei­den ihrer Trä­ger wur­zel­te. Als Krank­heits­trä­ger mach­te er die soge­nann­te Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on (KR) der zwan­zi­ger Jah­re des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts aus, und hier nament­lich drei Keim­schleu­dern: Paul de Lag­ar­de, Juli­us Lang­behn und Arthur Moel­ler van den Bruck. Stern sieht sie in der Tra­di­ti­on des (bereits als gefähr­lich erach­te­ten) deut­schen Idea­lis­mus ste­hen: »Die geis­tig Unzu­frie­de­nen waren es, die sich oft der Ideo­lo­gie der kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on zuwand­ten.« Die drei wer­den pro­to­ty­pisch als »neue Art des ent­frem­de­ten Intel­lek­tu­el­len in der moder­nen Welt« betrach­tet: »Kon­ser­va­tiv waren sie aus Sehn­sucht, revo­lu­tio­när aus Verzweiflung.«

Fritz Sterns Buch, kei­nes­wegs wis­sen­schaft­lich unred­lich, ist eigent­lich eine kom­pak­te Drei­fach­bio­gra­phie mit bün­di­gen Vor- und Schluß­wor­ten. Sie hat die his­to­ri­sche KR als einen ideel­len Weg­be­rei­ter des Natio­nal­so­zia­lis­mus zum The­ma und war kaum als Mahn­ruf für alle Zei­ten gedacht. Die deutsch­spra­chi­ge Wiki­pe­dia erwähnt unter der Rubrik »Kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Wer­ke« weder Lang­behn noch de Lag­ar­de oder Moel­ler van den Bruck, son­dern (neben ein­schlä­gig Ver­däch­ti­gen wie Speng­ler und Evo­la) Hork­hei­mer und Ador­no sowie weit­hin unbe­kann­te Autoren wie Peter Kaf­ka und Robert Heil­bro­ner. Das hilft wenig. Sobald ein Den­ker, Autor oder Poli­ti­ker sei­ne Zustands­kri­tik zu grund­sätz­lich faßt, dräut die Fra­ge, ob da nicht Rechts­po­pu­lis­mus oder gar Kul­tur­pes­si­mis­mus anklin­ge. Und das ist spä­tes­tens in unse­ren Tagen als Gret­chen­fra­ge zu ver­ste­hen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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