Permanente Emanzipation

Das Schreiben von Vizepräsidentin Kerry Compton kam am 22. Dezember 2007. Den Studentinnen Kandy Kyriacou und Ojoma Omaga wurde für den Fall der Wiederholung ihres »störenden und beleidigenden« Verhaltens die Exmatrikulation vom College of Alameda in Kalifornien angedroht. Was war das Vergehen der jungen Frauen? Hatten sie jemanden attackiert? Unflätig beschimpft? Eigentum der Universität zerstört? Nichts dergleichen. Eine Professorin war während der Weihnachtszeit erkrankt. Die beiden Studentinnen beteten für sie auf dem Campus. Ein Dozent war außer sich und alarmierte die Hochschulleitung, die sich aufgerufen sah, gegen derlei Umtriebe ein Zeichen zu setzen, da sie gegen den Verfassungsgrundsatz der Trennung von Kirche und Staat verstießen.

Das Schrei­ben von Vize­prä­si­den­tin Ker­ry Comp­ton kam am 22. Dezem­ber 2007. Den Stu­den­tin­nen Kan­dy Kyria­cou und Ojo­ma Oma­ga wur­de für den Fall der Wie­der­ho­lung ihres »stö­ren­den und belei­di­gen­den« Ver­hal­tens die Exma­tri­ku­la­ti­on vom Col­lege of Ala­me­da in Kali­for­ni­en ange­droht. Was war das Ver­ge­hen der jun­gen Frau­en? Hat­ten sie jeman­den atta­ckiert? Unflä­tig beschimpft? Eigen­tum der Uni­ver­si­tät zer­stört? Nichts der­glei­chen. Eine Pro­fes­so­rin war wäh­rend der Weih­nachts­zeit erkrankt. Die bei­den Stu­den­tin­nen bete­ten für sie auf dem Cam­pus. Ein Dozent war außer sich und alar­mier­te die Hoch­schul­lei­tung, die sich auf­ge­ru­fen sah, gegen der­lei Umtrie­be ein Zei­chen zu set­zen, da sie gegen den Ver­fas­sungs­grund­satz der Tren­nung von Kir­che und Staat verstießen.

Sol­che Geschich­ten sind kein Ein­zel­fall mehr im euro-ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur­kampf der Eli­ten. Gari­lyn Bru­ne malt ein Bild, auf dem dar­ge­stellt wird, wie ein Pries­ter an Jesus Fel­la­tio betreibt. Mit die­ser Arbeit gewinnt der Künst­ler 1995 den »Emer­ging Ero­tic Artist Con­test« der »Tom of Fin­land Foun­da­ti­on«. – Eine obsku­re Grup­pe jun­ger Frau­en in Ruß­land, die sich den Namen »Fot­zen-Auf­stand« (Pus­sy Riot) zuge­legt hat, dringt in Mos­kaus Christ-Erlö­ser-Kathe­dra­le ein und schreit Paro­len wie »Die Kir­che ist die Schei­ße Got­tes«. West­li­che Jour­na­lis­ten machen aus der Got­tes­läs­te­rung und der Belei­di­gung der Gläu­bi­gen ein »Punk-Gebet« oder ein »Pro­test­lied«, und die Luther­stadt Wit­ten­berg schlägt vor, den Frau­en den Luther­preis zu ver­lei­hen. – Ein evan­ge­li­scher Pfar­rer in Mainz lädt zum »ero­ti­schen Abend­mahls­got­tes­dienst« ein. Der Süd­deut­schen Zei­tung teilt er vor­ab mit, er wer­de dabei auch die Wor­te »ficken« und »pop­pen« verwenden.

Patrick Buchanan sieht in der­glei­chen ein Zei­chen für den »Tod des Wes­tens«, des­sen wirt­schaft­li­che und mili­tä­ri­sche Vor­macht­stel­lung der­zeit noch sei­ne inne­re Schwä­che über­spie­le. In der Tat: Wir wer­den zu Zeu­gen eines welt­his­to­risch ein­zig­ar­ti­gen Kampfs der Eli­ten einer gan­zen Zivi­li­sa­ti­on gegen die eige­nen kul­tu­rel­len, sozia­len, his­to­ri­schen, insti­tu­tio­nel­len und mora­li­schen Grund­la­gen. Er ist das Resul­tat von drei gro­ßen Eman­zi­pa­tio­nen im Ver­lauf der ver­gan­ge­nen 1600jährigen abend­län­di­schen Geschich­te, in denen men­ta­le und sozia­le Ver­hält­nis­se untrenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben sind: die car­te­sia­ni­sche Eman­zi­pa­ti­on des Erken­nens von den sozia­len Ver­hält­nis­sen um 1600, die Eman­zi­pa­ti­on von der alten poli­ti­schen Ord­nung mit Auf­klä­rung und bür­ger­li­cher Gesell­schaft als men­ta­lem und sozia­lem Kom­ple­ment im 18. Jahr­hun­dert, und zuletzt die Radi­k­alem­an­zi­pa­ti­on im Gefol­ge der kul­tu­rel­len Revo­lu­ti­on und des Kamp­fes um die kul­tu­rel­le Hege­mo­nie, der nach dem Ende des Ers­ten Welt­krie­ges ein­setz­te und bis heu­te andauert.

Betrach­ten wir zunächst den äußer­li­chen Ver­lauf der abend­län­di­schen Geschich­te als Grund­ge­rüst, auf das anschlie­ßend die drei gro­ßen Eman­zi­pa­tio­nen gleich­sam auf­ge­tra­gen wer­den: Am 25. August 410 wur­de Rom von den Goten unter Ala­rich erobert, geplün­dert und in Brand gesetzt, die Stadt, die seit der Zeit des Augus­tus »ewi­ge Stadt« war und auch nach der Grün­dung Kon­stan­ti­no­pels noch das Sinn­bild des Impe­ri­ums blieb. Als reli­giö­ses und poli­ti­sches Zen­trum des Rei­ches galt Rom als unbe­sieg­bar. Nach­dem das Chris­ten­tum im Jah­re 380 zur off­zi­el­len Leh­re Roms gewor­den war, hat­ten die Chris­ten sich die­se Rom-Idee zu eigen gemacht. Die Ver­tre­ter der soge­nann­ten »Reichs­theo­lo­gie« ver­stan­den Rom als Werk­zeug des gött­li­chen Heils­plans. Im christ­li­chen Rom sah man die Got­tes­herr­schaft ver­wirk­licht, von der Jesus gespro­chen hat­te. Die Erobe­rung und Brand­schat­zung Roms zer­stör­te daher nicht nur den Glau­ben an die Unbe­sieg­bar­keit Roms, son­dern auch die Idee der Heils­trä­ger­schaft der nun nicht mehr »ewi­gen Stadt«. Es war nun nicht mehr mög­lich, in mensch­li­chen Insti­tu­tio­nen und geschicht­li­chen Ereig­nis­sen Got­tes Heils­plan nachzuspüren.

Die tie­fe Ver­stö­rung jener Zeit wur­de durch den Kir­chen­leh­rer Aure­li­us Augus­ti­nus über­wun­den. Er stell­te der Reichs­theo­lo­gie sei­ne Leh­re von den zwei Rei­chen ent­ge­gen: civi­tas dei und civi­tas ter­re­na. Als wah­re Kir­che und wah­res irdi­sches Reich sind die­se Ide­al­bil­der mit kei­ner kon­kre­ten Gesell­schafts­form iden­tisch. Im Mit­tel­al­ter wur­de das phi­lo­so­phisch-theo­lo­gi­sche Kon­zept der bei­den Rei­che jedoch auf die his­to­ri­sche Rea­li­tät von Papst­kir­che und Kai­ser­reich über­tra­gen. Der Inves­ti­tur­streit (1075–1122) ende­te zwar mit dem Sieg des Papst­tums, der frei­lich ein Schein­sieg war. Schon im soge­nann­ten »Weis­tum von Rhen­se« (1338) erklär­ten die Kur­fürs­ten, daß die Zustim­mung des Paps­tes zur Kai­ser­wahl nicht mehr nötig sei. So begann im Jah­re 410 der für Euro­pa so cha­rak­te­ris­ti­sche Son­der­weg der fort­schrei­ten­den Eman­zi­pa­ti­on der welt­li­chen Macht von der geist­li­chen Auto­ri­tät, der immer stär­ker wer­den­den Tren­nung von Kir­che und Staat. Staat und Reich erho­ben erfolg­reich den Anspruch auf eige­ne Wür­de und gött­li­che Legi­ti­ma­ti­on. Die kon­ti­nu­ier­li­che Aus­ein­an­der­ent­wick­lung von Kir­che und welt­li­cher Macht drückt sich in den drei gro­ßen Eman­zi­pa­tio­nen aus, die schließ­lich in die Auto­no­mie des Indi­vi­du­ums und die Säku­la­ri­sie­rung einmündeten.

Euro­pa wur­de ursprüng­lich durch zwei gro­ße phi­lo­so­phi­sche Rich­tun­gen geprägt: Pla­to­nis­mus und Car­te­sia­nis­mus. Der Pla­to­nis­mus geht von einer fest­ste­hen­den, sta­bi­len, nor­ma­ti­ven Rea­li­tät aus, aus der sich Wis­sen und Moral legi­ti­mie­ren las­sen. Er ist der höchs­te Aus­druck der in Kas­ten oder Stän­de geglie­der­ten Agrar­ge­sell­schaft, die auf Sta­bi­li­tät und Kon­ti­nui­tät Wert legt. Das Wis­sen der Ken­ner, Wis­sen­den und Wei­sen ent­springt dem inners­ten Wesen der Welt, das als sta­bil und end­gül­tig vor­aus­ge­setzt wird. Das Zusam­men­wir­ken der geist­li­chen und welt­li­chen Macht bei der Auf­recht­erhal­tung der gesell­schaft­li­chen Sta­bi­li­tät wird bejaht. All dies läßt den Pla­to­nis­mus, gleich dem Kon­fu­zia­nis­mus, als eine hoch­kul­tur­li­che Wei­ter­ent­wick­lung der im Ursprung tri­ba­len Ethik der kon­zen­tri­schen Ord­nung erscheinen.

Im Rah­men des christ­li­chen Mono­the­is­mus behielt das Erken­nen bis zum Anbruch der Neu­zeit noch ein pla­to­ni­sches Geprä­ge, inso­fern die Welt als Werk des tran­szen­den­ten Got­tes das Wesen ihres Schöp­fers reflek­tier­te. Das Chris­ten­tum dach­te sich Gott als ratio­nal, ansprech­bar und ver­läß­lich. Die Welt besitzt dem­ge­mäß eine sta­bi­le Struk­tur, folg­te ihren von Gott ver­lie­he­nen Gesetz­mä­ßig­kei­ten, die dem mensch­li­chen Ver­stand zugäng­lich sind. Sie lädt den Men­schen gera­de­zu ein, ihrer Struk­tur erken­nend nach­zu­spü­ren. Aus die­sem Grun­de war die mit­tel­al­ter­li­che Kir­che – bestän­di­gen Vor­ur­tei­len zum Trotz – jahr­hun­der­te­lang die größ­te För­de­rin der Wissenschaften.

Der indi­vi­dua­lis­tisch und ega­li­tär gepräg­te Car­te­sia­nis­mus, die ers­te gro­ße Eman­zi­pa­ti­on, trat beim Über­gang von der agra­risch gepräg­ten Gesell­schafts­ord­nung zur Neu­zeit in Erschei­nung. Die moder­ne Gesell­schaft, die sich damals for­mier­te, war eine Gesell­schaft der Kon­kur­renz im Zei­chen der post­agra­ri­schen Ent­fal­tung der Pro­duk­tiv­kräf­te und der Ent­wick­lung der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se. Sie exis­tier­te »durch und durch für einen anhal­ten­den und fort­lau­fen­den Zuwachs an Erkennt­nis und Wirt­schafts­kraft«. Es paß­te zur inne­ren Ver­fas­sung die­ser Epo­che, daß der Zugang zum Wis­sen nicht mehr einer bestimm­ten Klas­se oder Kas­te vor­be­hal­ten war. Es ist daher nur fol­ge­rich­tig, daß René Des­car­tes sei­ner­zeit die Eman­zi­pa­ti­on der Erkennt­nis von den gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen pro­pa­gier­te. Das Erken­nen soll­te kei­ner bestimm­ten Kul­tur, kei­ner poli­ti­schen Macht, kei­nem bestimm­ten Stand mehr vor­be­hal­ten blei­ben, son­dern sei­nen eige­nen Geset­zen fol­gen. Die Erkennt­nis­prin­zi­pi­en sind Sache des ein­zel­nen, nicht des Kol­lek­tivs. Die neue Zeit benö­tig­te gleich­sam jeden Kopf. Der Car­te­sia­nis­mus ver­tritt auf dem Feld der Erkennt­nis gleich­sam einen Robin­son-Cru­soe-Stand­punkt, wie Gell­ner tref­fend formuliert.

Das unter­schei­det ihn auf das schärfs­te vom Pla­to­nis­mus, der im Men­schen ein sozia­les Wesen sieht, das beim Erken­nen, wie bei allen ande­ren Din­gen des Lebens, nur im Ver­ein mit ande­ren tätig sein kann. Bei Des­car­tes hin­ge­gen sind die Kri­te­ri­en soli­den Wis­sens unab­hän­gig von der Struk­tur der Welt, auch der sozia­len, sie gehen ihr vor­aus. Er setzt damit den ent­bun­de­nen Intel­lekt einer Welt des Wachs­tums der Inno­va­ti­on und des per­ma­nen­ten all­sei­ti­gen Fort­schritts aus, der in Auf­klä­rung und Säku­la­ri­sie­rung ein­mün­det. Dem sozi­al ent­bun­de­nen Erken­nen des moder­nen Men­schen ent­spricht die Ent­bin­dung von Kapi­tal und Arbeit, als »Reli­gi­on des All­tags­le­bens« (Karl Marx), aus den sozia­len Ver­hält­nis­sen, in die sie noch im mit­tel­al­ter­li­chen Zunft­we­sen ein­ge­bun­den waren. Das eman­zi­pier­te euro­päi­sche Indi­vi­du­um kann­te auch räum­lich kei­ne Gren­zen mehr – vom 16. bis zum 19. Jahr­hun­dert hat Euro­pa den größ­ten Teil des Erd­balls kolo­ni­siert.  Die zwei­te gro­ße Eman­zi­pa­ti­on galt nicht allein dem Erken­nen, son­dern lös­te das Indi­vi­du­um aus sei­nen über­kom­me­nen sozia­len Bin­dun­gen und Tra­di­tio­nen. Mit der ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keit, der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und der Auflö­sung des Hei­li­gen Römi­schen Rei­ches ver­lor fer­ner die Reli­gi­on ihre Rol­le als herr­schafts­le­gi­ti­mie­ren­de Instanz.

Staat, Nati­on und Herr­schaft legi­ti­mier­ten sich nicht mehr durch die Rück­bin­dung an Gott, Kir­che und Reli­gi­on, son­dern durch die Leit­idee der Volks­sou­ve­rä­ni­tät, auch wenn im pro­tes­tan­tisch gepräg­ten Euro­pa noch eini­ge Zeit die Vor­stel­lung vom Got­tes­gna­den­tum des Herr­schers wei­ter­be­stand. Der moder­ne Natio­nal­staat, der sich nach dem Ende des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges her­aus­bil­de­te, war das kol­lek­ti­ve Sicher­heits­netz, das den ein­zel­nen vor dem Sturz in Nihi­lis­mus und Hedo­nis­mus, Ver­ein­ze­lung und sozia­le Ano­mie bewahr­te. Er ist zwar auf den indi­vi­du­el­len Frei­heits­rech­ten gegrün­det, nicht auf Grup­pen­rech­ten, aber die Ein­bin­dung des Indi­vi­du­ums in die Fami­lie war immer noch eine Leit­idee, und die Tren­nung von Reli­gi­on und Staat stell­te nicht die Reli­gi­on als Garan­ten der Moral in Fra­ge. Das christ­li­che Erbe ver­lor sei­ne Rol­le als Wer­te­ver­mitt­ler und Lebens­ge­stal­ter nicht, Reli­gi­on und Kon­fes­si­on wur­den zwar zur Pri­vat­sa­che, waren aber nach wie vor für die mora­li­sche Grun­die­rung von Staat und Gesell­schaft unersetzlich.

In der sich im 18. Jahr­hun­dert her­aus­bil­den­den bür­ger­li­chen Gesell­schaft war nicht mehr das Gemein­we­sen, son­dern die See­le die Are­na reli­giö­ser Bewäh­rung. Die Reli­gi­on wur­de im Gefol­ge der Auf­klä­rung zur Pri­vat­sa­che, einer Ange­le­gen­heit des Gefühls, der Ver­nunft und des inne­ren Rin­gens um indi­vi­du­el­le Erlö­sung. Aber auch die­se Mün­ze hat zwei Sei­ten: Was geschieht, wenn der inne­re Ruf nach dem gött­li­chen Du ungehört bleibt, wenn das Erken­nen nicht mehr am inners­ten Wesen der Rea­li­tät fest­ma­chen kann? Dann ver­fällt der ver­ein­zel­te ein­zel­ne der »Melan­cho­lie« und zieht sich in das Bie­der­mei­er sei­nes »Welt­in­nen­raums« zurück, er sucht die Erlö­sung in der Exo­tik des ande­ren oder stürzt sich in den Akti­vis­mus der gro­ßen Ideo­lo­gien. Die teleo­lo­gi­schen Vor­stel­lun­gen vom Reich Got­tes am Ende der Zei­ten und dem end­gül­ti­gen Sieg über das Böse wur­den, säku­lar-mate­ria­lis­tisch umge­deu­tet, zum Glau­ben an ein mit natur­ge­setz­li­cher Not­wen­dig­keit her­auf­zie­hen­des dies­sei­ti­ges Para­dies als Ziel der Geschich­te, von der Ras­se oder, wie im Sowjet­kom­mu­nis­mus, von der Klas­se getragen.

Die drit­te gro­ße Eman­zi­pa­ti­on ist eine Fol­ge des Ers­ten Welt­kriegs. Die Erwar­tun­gen der sozia­lis­ti­schen und kom­mu­nis­ti­schen Revo­lu­tio­nä­re wur­den bekannt­lich bit­ter ent­täuscht, da sich die Arbei­ter mit ihrer Nati­on iden­ti­f­zier­ten und sich nicht mit ihren aus­län­di­schen Genos­sen im Klas­sen­kampf ver­ei­nig­ten. Wäh­rend der Sowjet­kom­mu­nis­mus auf die Ent­wick­lung des Natio­nal­staa­tes als not­wen­di­gen Schritt auf dem Weg zur klas­sen­lo­sen Gesell­schaft setz­te, rie­fen im Wes­ten Intel­lek­tu­el­le wie Anto­nio Gramsci, Georg Lukács und die Mit­glie­der der »Frank­fur­ter Schu­le« den Kampf um die kul­tu­rel­le Hege­mo­nie aus. Chris­ten­tum und abend­län­di­sche Kul­tur mach­ten die Arbei­ter­schaft gegen revo­lu­tio­nä­res Gedan­ken­gut immun, also muß­te man sie besei­ti­gen. Die »coun­ter­cul­tu­re« in den USA der 1960er Jah­re – gegen Reli­gi­on, Kir­che, Fami­lie, bür­ger­li­che Gesell­schaft und Kul­tur, Nati­on und Staat – ist ein Resul­tat des Kul­tur­kamp­fes, der sich über die gesam­te west­li­che Welt verbreitete.

Sie ist ein spä­ter Reflex der radi­k­alem­an­zi­pa­to­ri­schen Rhe­to­rik des jun­gen Marx, der 1843 in sei­ner Schrift Zur Juden­fra­ge gegen die bür­ger­li­che Gesell­schaft pole­mi­sier­te: »Der Mensch wur­de … nicht von der Reli­gi­on befreit, er erhielt die Reli­gi­ons­frei­heit. Er wur­de nicht vom Eigen­tum befreit. Er erhielt die Frei­heit des Eigen­tums. Er wur­de nicht von dem Ego­is­mus des Gewer­bes befreit, er erhielt die Gewer­be­frei­heit«. Das Indi­vi­du­um wird sich selbst Mensch­heit, und da »die Mensch­heit nichts Grö­ße­res mehr außer sich sieht, muß sie sich selbst umar­men und ihr immer schon wahn­haf­tes Glücks­ver­lan­gen von sich selbst erwar­ten« (Arnold Geh­len). Aus allem, was die­sem Selbst­genuß im Wege steht, wird das Indi­vi­du­um her­auseman­zi­piert, der Mensch wird Gat­tungs­we­sen. Die per­ma­nen­te Eman­zi­pa­ti­on war ein Fak­tor des Auf­stiegs des Wes­tens zur Welt­macht, sie ist aber auch einer der Grün­de sei­nes unauf­halt­sa­men Nie­der­gangs, da sie, als Radi­k­alem­an­zi­pa­ti­on, vor nichts mehr halt­macht. Ein­mal in Gang gesetzt, war der Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zeß nicht mehr zu stop­pen. Er hat die Frei­heit erlangt, sich durch säku­la­re Sabo­ta­ge gegen die Grund­la­gen jener Zivi­li­sa­ti­on zu rich­ten, der er die­se Frei­heit ver­dankt. Wer sind jedoch die Nutz­nie­ßer des Kulturkampfes?

Wel­che Iro­nie: Seit dem Ende des Kal­ten Krie­ges ver­sucht die west­li­che Füh­rungs­macht USA, ihren Anspruch der Schaf­fung einer Welt nach dem Vor­bild Ame­ri­kas durch Dol­lar-Hege­mo­nie, »Far­ben-Revo­lu­tio­nen« (Geor­gi­en, Ukrai­ne) und mili­tä­ri­sche Macht­pro­jek­ti­on durch­zu­set­zen. Der Kul­tur­kampf wur­de gleich­sam von der Wall Street geka­pert, nur haben Anti­fa und Kul­tur­lin­ke das noch nicht begrif­fen. Die Destruk­ti­on der mora­li­schen, spi­ri­tu­el­len und sozia­len Grund­la­gen der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on führt näm­lich nicht in ein Arbei­ter-und-Bau­ern-Para­dies, son­dern in den sozia­len Wär­me­tod der von Wall Street kon­trol­lier­ten »One World«. Der Wes­ten, der die Reich­tü­mer der Welt in den Hän­den hält, sich aber nicht mehr repro­du­ziert und sei­ne geis­ti­gen und mora­li­schen Grund­la­gen zer­stört, hat wohl lang­fris­tig kei­ne Über­le­bens­chan­ce. Durch den Tra­di­ti­ons­bruch in der Lit­ur­gie der nach­kon­zi­lia­ren Ära und die Aus­trock­nung der got­tes­dienst­li­chen For­men geschwächt, fehlt auch der katho­li­schen Kir­che die Kraft, der säku­la­ren Sabo­ta­ge ent­ge­gen­zu­tre­ten. In die räum­li­che und geis­ti­ge Lee­re, die die­se Sabo­ta­ge schafft, tre­ten ande­re Völ­ker ein. Und ande­re Reli­gio­nen. Und alles, weil eine durch die Medi­en­macht der Eli­ten ein­ge­schüch­ter­te Mehr­heit es nicht wagt, sich zu wehren.

Zurück zum Anfang: Die Stu­den­tin­nen Kan­dy Kyria­cou und Ojo­ma Oma­ga zogen vor Gericht – mit Erfolg. Das von der Lei­tung des Col­lege of Ala­me­da aus­ge­spro­che­ne Gebets­ver­bot und die Andro­hung der Exma­tri­ku­la­ti­on wur­den zurück­ge­wie­sen. Die Hoch­schu­le lenk­te ein und über­nahm die Gerichts­kos­ten in Höhe von 90.000 Dol­lar für die bei­den Stu­den­tin­nen. Es lohnt sich, auch ein­mal zu kämpfen.

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