AfD – Zustandsbeschreibung 2014

PDF der Druckfassung aus Sezession 63 / Dezember 2014

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Die Ansa­ge hät­te deut­li­cher nicht sein kön­nen: Man müs­se »die Rech­ten« aus der AfD »wie­der aus­schwit­zen«, um »mit­tel­fris­tig erfolg­reich zu blei­ben«, äußer­te Hein­rich Weiss, Auf­sichts­rats­chef eines Maschi­nen­bau­un­ter­neh­mens mit Mil­li­ar­den­um­satz, der vor kur­zem sei­ne Lie­be zur Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) ent­deckt hat­te. An Bord hol­te ihn Hans-Olaf Hen­kel, der mitt­ler­wei­le für die AfD in Brüs­sel ein Man­dat hält und wie Weiss zuvor Chef des Bun­des­ver­bands der Deut­schen Indus­trie (BDI) gewe­sen war. Auch Hen­kels Enga­ge­ment in der Par­tei­po­li­tik ist noch jung – und wird von ihm selbst bereits wie­der in Fra­ge gestellt: Nach anfäng­li­cher Begeis­te­rung für die Mit­glie­der der Par­tei (»Ich habe kei­nen ein­zi­gen Neo­na­zi, Ver­rück­ten oder Spin­ner getrof­fen«), denen er ein Bil­dungs­ni­veau, »das sich mei­len­weit über dem Durch­schnitt der Bevöl­ke­rung befin­det«, beschei­nig­te, frem­delt er mit dem eige­nen Anhang: »Da sitzt man auf einem Par­tei­tag und hört irgend­wel­che wil­den Ver­schwö­rungs­theo­rien. Ich wer­de dann ganz klein und schä­me mich in Grund und Boden.« Grund genug für Hen­kel, sich mit einem offe­nen Brief an die AfD-Mit­glie­der zu wen­den und die­sen Vor­stoß mit Inter­views in Zeit, Spie­gel und n‑tv zu flan­kie­ren, in denen viel von eige­nen Ver­diens­ten um die Wähl­bar­keit der AfD, der Angst vor einem Rechts­schwenk und den unap­pe­tit­li­chen Erfah­run­gen in der Par­tei­po­li­tik die Rede ist.

Nun ist es eini­ger­ma­ßen ver­wun­der­lich, daß sich jemand im fort­ge­schrit­te­nen Alter eines Hans-Olaf Hen­kel über den Cha­rak­ter einer Par­tei­ba­sis offen­bar die größ­ten Illu­sio­nen gemacht hat. Selbst­ver­ständ­lich ver­sprach ihm die AfD, um ihn zum Mit­tun zu bewe­gen, das Blaue vom Him­mel. Sie hat ihn gleich ganz oben ein­stei­gen las­sen und ihm die Mühen der Ebe­ne erspart. Das hat ihm wohl den Blick dafür ver­stellt, daß er es in der AfD nicht nur mit sei­nes­glei­chen zu tun zu haben wür­de. Etwas mit­lei­dig über soviel Nai­vi­tät for­der­te die Par­tei­spre­che­rin Frau­ke Petry dann auch Nach­sicht für Hen­kel. Die­ser müs­se sich erst an die Rea­li­tät gewöh­nen: »Wir haben zwar vie­le Aka­de­mi­ker in der Par­tei, aber sie in ihrer Gesamt­heit ist ein Abbild der Gesell­schaft in ihrer gan­zen Breite.«

Ein Blick auf den poli­ti­schen All­tag hät­te genügt, um Hen­kel eines Bes­se­ren zu beleh­ren und sei­ne roman­ti­schen Vor­stel­lun­gen von Demo­kra­tie zu kor­ri­gie­ren. Erklär­bar ist sei­ne Unkennt­nis nur durch die Tat­sa­che, daß Hen­kel in sei­nem Leben immer mit einem Resul­tat von Poli­tik zu tun hat­te, dem Poli­ti­ker. Und die­se waren natür­lich bemüht, dem BDI-Chef den Ein­druck zu ver­mit­teln, daß sie eine ganz selbst­be­stimm­te Posi­ti­on ver­tre­ten. Denk­bar ist aber auch, daß Hen­kel sich kei­ne Illu­sio­nen gemacht, son­dern eine nüch­ter­ne Kos­ten-Nut­zen-Rech­nung ange­stellt hat. Für gerings­ten Ein­satz viel bekom­men (immer­hin kann ein Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ter in Brüs­sel mit allen Diä­ten, Spe­sen und Ent­schä­di­gun­gen auf rund 200000 Euro im Jahr kom­men), klang viel­leicht doch zu ver­lo­ckend. Und selbst Hen­kel konn­te die­ser Ver­lo­ckung nicht wider­ste­hen. Naiv waren die, die dach­ten, daß Hen­kel sei­ne libe­ra­le Agen­da in der Eupho­rie ver­ges­sen wür­de. Was die AfD nicht nur für Hen­kel so inter­es­sant macht, ist die unanzwei­fel­ba­re Tat­sa­che, daß es sel­ten eine so erfolg­rei­che Neu­grün­dung mit ech­ten Chan­cen auf Eta­blie­rung gege­ben hat. Auf der Rech­ten fal­len einem dabei nur die Repu­bli­ka­ner ein, die aller­dings mitt­ler­wei­le ihrem Siech­tum erle­gen sind, und auf der Lin­ken die Grü­nen, die es geschafft haben, zu einem Bestand­teil der Par­tei­en­olig­ar­chie zu wer­den. Aller­dings sind mit den Chan­cen auch ent­spre­chen­de Hoff­nun­gen in die Par­tei ver­bun­den, die fast zwangs­läufg ent­täuscht wer­den müs­sen. Laut einer Ana­ly­se des Insti­tuts für Demo­sko­pie Allens­bach steht die AfD bei ihren Anhän­gern vor allem für eine Begren­zung der Zuwan­de­rung, für stren­ge­re Asyl­ge­set­ze und die Abschaf­fung des Euro. Jeder zwei­te Anhän­ger sieht die AfD dem­nach als Anwalt natio­na­ler Inter­es­sen gegen­über der EU.

Des­halb war es aus der Logik der Abhän­gig­keit der Par­tei vom Wäh­ler und von den Mit­glie­dern klug, daß Alex­an­der Gau­land als eher kon­ser­va­ti­ver bran­den­bur­gi­scher Frak­ti­ons­chef der Mit­glie­der­be­schimp­fung durch Hen­kel ent­ge­gen­ge­tre­ten ist: »Herr Hen­kel muß sich fra­gen, ob er noch zur AfD gehö­ren will, denn er will im Grun­de genom­men eine libe­ra­le Par­tei.« Aber die Tat­sa­che, daß Hen­kel nicht wegen par­tei­schä­di­gen­den Ver­hal­tens mit Aus­schluß gedroht wird (wie Mit­glie­dern, die Sym­pa­thie und Ver­ständ­nis für die Demons­tra­ti­on der »Hoo­li­gans gegen Sala­fis­ten« in Köln geäu­ßert haben), macht auch deut­lich, daß es ein grund­sätz­li­ches Pro­blem gibt, das mit Hen­kels Abgang nicht gelöst wäre: Nicht die Ent­täu­schung der Wäh­ler, son­dern die der Par­tei­mit­glie­der dürf­te die grö­ße­re Gefahr in der struk­tu­rell noch arg wack­li­gen Auf­bau­pha­se der Par­tei sein. Die Lücke, die sich da bereits auf­ge­tan hat zwi­schen dem, was die AfD-Abge­ord­ne­ten in Brüs­sel ver­tre­ten, und dem, was die Par­tei­ba­sis will, ist bereits jetzt bedenk­lich groß. In der Fra­ge der Ruß­land­sank­tio­nen ist das öffent­lich aus­ge­tra­gen wor­den, und die Zer­reiß­pro­be steht mit dem Frei­han­dels­ab­kom­men TTIP unmit­tel­bar vor der Tür. Die Par­tei­ba­sis ist im Gegen­satz zur Füh­rung grund­sätz­lich wenig bis gar nicht libe­ral gestimmt, denn sie ahnt, daß der Libe­ra­lis­mus die Lebens­grund­la­ge des deut­schen Vol­kes zer­stört, weil er in jede Rich­tung über­trie­ben wor­den ist. In die­ser Ein­stel­lung liegt die ein­zig denk­ba­re Alter­na­ti­ve zur der­zei­ti­gen Poli­tik. Die Par­tei­füh­rung ist in wei­ten Tei­len offen­sicht­lich ande­ren Wer­ten ver­pflich­tet. Es genügt, daß Tei­le der Basis eine Ver­an­stal­tung mit Jür­gen Elsäs­ser durch­füh­ren wol­len, um der Füh­rungs­rie­ge eine Mischung aus Zor­nes- und Scham­rö­te ins Gesicht zu treiben.

Die Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten der Par­tei lie­gen daher zwi­schen zwei extre­men Szenarien:

  1. Es sie­gen par­tei­in­tern die Ent­täusch­ten der Alt­par­tei­en: natio­nal­li­be­ra­le FDPler, christ­lich-kon­ser­va­ti­ve CDUler und Markt­li­be­ra­le aller Art. Ihr Bestre­ben lag immer dar­in, ein mode­ra­tes Kor­rek­tiv zur herr­schen­den CDU zu bil­den. Die Mer­kel-CDU soll mit­tels Mobi­li­sie­rung die­ses ent­täusch­ten Teils der Wäh­ler­schaft an die eigent­li­chen Wer­te erin­nert wer­den. Wenn die AfD die Rech­ten dann erfolg­reich aus­ge­schwitzt hat, kann nach einen Zeit­raum des Wohl­ver­hal­tens mit der Koali­ti­ons­fä­hig­keit gelieb­äu­gelt wer­den. Die Chan­cen ste­hen nicht schlecht, da der CDU, zuletzt in Thü­rin­gen, aber auch in Baden-Würt­tem­berg, der Koali­ti­ons­part­ner FDP weg­ge­bro­chen ist und die SPD jeweils eine ande­re Juni­or­part­ner­schaft bevor­zug­te. Die Vor­tei­le eines sol­chen Sze­na­ri­os lie­gen für die AfD auf der Hand: Es gibt Aus­sicht auf Macht­teil­ha­be und Mit­ge­stal­tung. Die AfD-Poli­ti­ker wür­den wei­ter­hin zu Talk­shows ein­ge­la­den und die Aner­ken­nung erlan­gen, die ihnen ihrem Selbst­ver­ständ­nis nach zusteht. Der ein­zi­ge, aber ent­schei­den­de Unsi­cher­heits­fak­tor in die­sem Sze­na­rio bleibt der Wäh­ler, der sich womög­lich fra­gen könn­te, war­um er die klei­ne CDU wäh­len soll, wenn er doch die gro­ße haben kann.
  2. Es sie­gen die radi­ka­le­ren Kräf­te in der AfD und ver­su­chen, aus der Par­tei eine Sys­te­mal­ter­na­ti­ve zu for­men. Ihr Ziel ist die Umset­zung einer anti­li­be­ra­len Agen­da. Im Gegen­satz zur gemä­ßig­ten Vari­an­te übt sich die AfD nicht in Wohl­ver­hal­ten, hofft dabei aber, dem Schick­sal der Repu­bli­ka­ner zu ent­kom­men, indem pein­lich genau dar­auf geach­tet wird, daß der Ver­fas­sungs­schutz kein Ein­falls­tor fin­det. Auch wenn die­se Hoff­nung naiv ist, so stellt die­ses Vor­ge­hen inner­halb des Par­tei­en­den­kens die ein­zi­ge ehr­li­che Ant­wort auf die poli­ti­sche Fra­ge in Deutsch­land dar. Doch der Preis könn­te hoch sein: Ein­la­dun­gen in Talk­shows gäbe es nicht mehr, Geld­ge­ber wür­den sich zurück­zie­hen, und die ban­ge Fra­ge wäre, ob das Wäh­ler­po­ten­ti­al für eine bun­des­wei­te Rechts­par­tei vor­han­den ist (und mobi­li­siert wer­den kann). Unter nor­ma­len Umstän­den ist die­se Fra­ge zu beja­hen. Aller­dings sind die gegen­wär­ti­gen Umstän­de alles ande­re als nor­mal, wenn man dar­un­ter die Mög­lich­keit einer halb­wegs fai­ren poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung ver­steht. Die­se Sze­na­ri­en wer­den durch einen ande­ren Zwie­spalt ver­stärkt und über­la­gert. Wäh­rend die AfD in den alten Bun­des­län­dern mit dem Ver­spre­chen erfolg­reich war, die BRD der acht­zi­ger Jah­re wie­der zum Leben zu erwe­cken (und damit eben vor allem bei den Alt­par­tei­en wil­der­te), ist die­ser Weg in den neu­en Bun­des­län­dern nicht gang­bar. Hier gibt es weder die Sehn­sucht nach den acht­zi­ger Jah­ren noch ver­gleich­ba­re Struk­tu­ren der Alt­par­tei­en. Des­halb sticht hier auch ein­zig die natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Kar­te, mit der im Wes­ten nach vier­zig­jäh­ri­ger Umer­zie­hung deut­lich weni­ger zu holen ist. Für die wei­te­re Ent­wick­lung der Par­tei ist das nicht uner­heb­lich. Soll­te die AfD in der Alt-BRD kei­ne oder nur klei­ne Erfol­ge vor­wei­sen kön­nen, spricht alles dafür, daß die Par­tei­chefs im Osten die Marsch­rich­tung vor­ge­ben und die Abge­ord­ne­ten in Brüs­sel zum untä­ti­gen Zuschau­en ver­dammt sind.

Die stil­le Hoff­nung, die vie­le AfD-Anhän­ger hegen, ist die, daß eine neue poli­ti­sche Kraft am Hori­zont auf­tre­ten möge, die das unsäg­li­che Gescha­cher um Pos­ten been­det, den Staat aus der Gefan­gen­schaft der Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen befreit und dem Beruf zur Poli­tik wie­der eine Form gibt. Der Gedan­ke geht dabei mitt­ler­wei­le weni­ger in der Rich­tung eines star­ken Man­nes (die­se Lek­ti­on der Demo­kra­ti­sie­rung haben alle gelernt), son­dern in Rich­tung einer Par­tei neu­en Typs, die selbst­los, unideo­lo­gisch und erfolg­reich alles für das Wohl des deut­schen Vol­kes tut. Doch eben­so­we­nig wie der star­ke Mann kann eine Par­tei, so guten Wil­lens die Mit­glie­der auch immer sein mögen, die Geset­ze außer Kraft set­zen, unter denen sie agie­ren muß.

Die Hoff­nung auf Erlö­sung ist trü­ge­risch. Nicht zuletzt weil sie ein­her geht mit dem Traum vom Befrei­ungs­schlag. Aber es gibt kei­nen gor­di­schen Kno­ten, der ledig­lich zer­schla­gen wer­den muß. Das ist poli­ti­schen Genies vor­be­hal­ten. Alle ande­ren müs­sen müh­sam knüp­fen und wer­den nicht zum Ende gelan­gen. Die Abhän­gig­kei­ten, die es zu berück­sich­ti­gen gilt, lie­gen ja nicht nur beim Wäh­ler, son­dern in den man­nig­fal­ti­gen Ver­flech­tun­gen, denen auch eine abso­lu­te Mehr­heit aus­ge­lie­fert ist. Zur Demo­kra­tie gehört eben nicht nur das Gefühl mit­be­stim­men zu kön­nen, son­dern auch die Erfah­rung, daß die­ser Mit­be­stim­mung Gren­zen gesetzt sind: »Die poli­ti­sche Klas­se ver­fügt zwei­fel­los über ein über­aus fei­nes Gefühl für Mög­lich­kei­ten und Wege der Selbst­ver­tei­di­gung. Sie ent­wi­ckelt eine gewal­ti­ge Anzie­hungs­kraft und Fähig­keit der Absorp­ti­on, die auch ihren erbit­terts­ten und kon­se­quen­tes­ten Geg­nern gegen­über auf die Dau­er nur sel­ten ver­sagt.« (Robert Michels)

Wenn nicht alles täuscht, bahnt sich die­ser Pro­zeß in den Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der AfD gera­de an. Den Rea­los ist klar, daß der Weg zur Macht über die Mit­te führt und die Fun­dis dazu in die Schran­ken ver­wie­sen wer­den müs­sen. Die Fun­dis müs­sen sich erman­nen, um nicht gleich an der ers­ten Hür­de zu schei­tern, son­dern die Chan­ce, die ihnen die Wahl­er­geb­nis­se in Sach­sen, Bran­den­burg und Thü­rin­gen an die Hand gege­ben haben, inner­par­tei­lich nut­zen. Ob die AfD so vir­tu­os mit bei­den Flü­geln schlägt wie sei­ner­zeit die Grü­nen oder ob sie sich spal­ten muß, ist für das Ergeb­nis ziem­lich gleich­gül­tig. Wich­tig wäre vor allem, daß dem Libe­ra­lis­mus eine Gegen­macht erwächst, die ihm Kopf­zer­bre­chen berei­tet. Inso­fern ist Poli­tik dann doch eine Cha­rak­ter­fra­ge, weil ent­schei­dend ist, wie der ein­zel­ne dem Sog der Mit­te (und damit dem libe­ra­len Estab­lish­ment) gegenübertritt.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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