Gegenaufklärung – Botho Strauß ist 70

PDF der Druckfassung aus Sezession 63 / Dezember 2014

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Es gibt Schrift­stel­ler, deren gesam­tes Werk von einem ein­zi­gen Text eine star­ke Fär­bung erfährt. In der Deu­tung der Geg­ner ist sie eine Kon­ta­mi­na­ti­on, die nach hin­ten das bereits Geschrie­be­ne und nach vorn das noch zu Sagen­de beschmutzt; Ver­tei­di­ger hin­ge­gen (und lei­der nicht nur die Lese- und Urteils­fä­hi­gen) nut­zen die­sen Bruch­teil eines Werks als Lese­hil­fe für jeden wei­te­ren Text aus der Feder des ein­mal Ver­ein­nahm­ten. Botho Strauß – am 2. Dezem­ber sieb­zig Jah­re alt gewor­den – hat die­se Fest­le­gung auf sei­nen Essay »Anschwel­len­der Bocks­ge­sang« erlebt, der Anfang 1993 im Spie­gel erschien. Strauß gab mit die­sem Fan­fa­ren­stoß dem Reiz einer Gegen-Auf­klä­rung von rechts einen hal­len­den Ton und rück­te schlag­ar­tig ins Zen­trum der poli­ti­schen Wahr­neh­mung, und die Auf­nah­me sei­nes Tex­tes in den Sam­mel­band Die selbst­be­wuß­te Nati­on (1994) räum­te letz­te Zwei­fel an einem Miß­ver­ständ­nis aus.

Sei­ne alten Weg­ge­fähr­ten von links stan­den fas­sungs­los vor die­ser Weg­mar­ke. Auf der Rech­ten gab es nur weni­ge, die das Werk von Strauß bereits als lite­ra­ri­sches Ereig­nis ver­folgt hat­ten. Wer kann­te vor dem »Bocks­ge­sang« den Roman Der jun­ge Mann, wer den Auf­stand gegen die sekun­dä­re Welt oder auch nur eines der Thea­ter­stü­cke? Vie­les jeden­falls, was nun nach­ho­lend gele­sen und dis­ku­tiert wur­de, nahm den Cha­rak­ter eines Bra­tens an, von dem man mit einem am »Bocks­ge­sang« geschlif­fe­nen Mes­ser die pas­sen­den Stü­cke her­un­ter­sä­bel­te. Der­lei wird einem Botho Strauß nicht gerecht, und selbst­ver­ständ­lich kön­nen die Sezes­si­on und der Ver­lag Antai­os auf eine gründ­li­che Beschäf­ti­gung mit dem Werk ver­wei­sen. Das hebt an mit der längst ver­grif­fe­nen Mono­gra­phie Dich­ter der Gegen-Auf­klä­rung, die Micha­el Wies­berg 2002 bei Antai­os vor­leg­te, führt über das Autoren­por­trät von Thors­ten Hinz (Sezes­si­on 33/2009) und der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Bewußt­seins­no­vel­le Die Unbe­hol­fe­nen aus mei­ner Feder (Sezes­si­on 46/2012) bis zur Ein­ord­nung des »Bocks­ge­sangs« als eines Hebel­tex­tes durch Karl­heinz Weiß­mann (Sezes­si­on 52/2013) und die Inan­spruch­nah­me eini­ger Gedan­ken aus Die Lich­ter des Toren in mei­nem Plä­doy­er für den »Roman­ti­schen Dün­ger« (Sezes­si­on 59/2014). Rezen­sio­nen und etli­che Zita­te aus dem Werk durch­zie­hen die Jahr­gän­ge wie Fäden: Wir schöp­fen aus dem gedan­ken­tie­fen Pro­sa­werk eines Intel­lek­tu­el­len, der sich auf der Höhe der Zeit bewegt und sich doch von ihr abkehrt.

Der Han­ser-Ver­lag hat nun anläß­lich des 70. Geburts­tags von Strauß unter dem Titel Allein mit allen ein »Gedan­ken­buch« zusam­men­stel­len las­sen (350 S., 19.90 €) und damit die Mög­lich­keit des Her­aus­grei­fens beson­ders hand­fer­ti­ger Stü­cke aus dem Gesamt­werk erleich­tert. Her­aus­ge­ber die­ser in sieb­zehn Kapi­tel geglie­der­ten Samm­lung ist Sebas­ti­an Klein­schmidt (ehe­mals Her­aus­ge­ber der Zeit­schrift Sinn und Form), er hat ein Nach­wort bei­gesteu­ert und bezeich­net dar­in den Titel Allein mit allen als »For­mel des Lesens, des Für­sich­seins von Mensch und Schrift«, und natür­lich auch »eine For­mel des Rück­zugs, der Abson­de­rung, der klaus­ne­ri­schen Exis­tenz.« Abson­de­rung? Sezes­si­on! – Auch Mar­tin Licht­mesz hat in sei­nem gran­dio­sen Kurz­flm zum 50. Heft unse­rer Zeit­schrift (sie­he youtube.de) auf Strauß­zi­ta­te zurück­ge­grif­fen: »Was sich stär­ken muß, ist das Geson­der­te.« oder: »So viel Stoff, um ein Ein­zel­gän­ger zu wer­den!« und zuletzt: »Dabei: Das ein­zi­ge, was man braucht, ist Mut zur Sezession!«

Woher kommt bei Botho Strauß die­ser Mut? Aus sei­ner Kind­heit und Jugend in Bad Ems? Aus ihr erzählt er – der Inter­view­scheue und Untrans­pa­ren­te – in dem eben­falls bei Han­ser erschie­ne­nen Buch Her­kunft (96 S., 14.90 €) end­lich ein­mal aus­führ­li­cher, vor allem von sei­nem Vater, der in Naum­burg alles zurück­ließ, um sei­ne Frei­heit zu behal­ten und im Wes­ten weit unter Niveau sich ver­ding­te. Auch hier­aus ein Wink: »Immer formt Schick­sal eine tie­fe­re Ein­sicht, als die Intel­li­gen­ten, die sei­ne Macht nie zu spü­ren beka­men, sie für sich in Anspruch neh­men dür­fen.« Dies könn­te bereits wie­der als Mah­nung über jeder Sezes­si­on ste­hen, die ja bei aller Intel­lek­tua­li­tät eines nie tut: die Wirk­lich­keit links lie­gen­las­sen. Strauß ist auch dar­in ein sel­te­ner Lehrer.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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