Vor dem Bücherschrank (VII): Peter Handke, Thomas Bernhard

Die verarmte Gegenwart mit ihrem »schändlich leblosen Alltag«, voller Menschen, die sich aufführen, »als hätten wir schon alles verloren gegeben«,... 

sich auf­füh­ren wie »die Hun­de, bei deren Anblick sofort die Phan­ta­sie erstirbt« – die­ser moder­ne Welt­zu­stand ist Peter Hand­ke (*1942) ein Graus. Ent­spre­chend zer­pflück­te er bereits in den frü­hen Sprech­stü­cken um 1966 geist­lo­se, nichts­sa­gen­de Flos­keln und Kli­schees, etwa in der Weis­sa­gung: »Gott wird in Frank­reich leben wie Gott in Frank­reich. Die Nadel im Heu wird unauf­find­bar wie eine Nadel im Heu sein. Die Nacht wird laut­los wie die Nacht sein.« Aggres­si­ver die Lita­nei belie­big aus­tausch­ba­rer Zuschrei­bun­gen in der Publi­kums­be­schimp­fung: »Ihr KZ-Ban­di­ten, ihr Strol­che, ihr Stier­na­cken, ihr Kriegs­trei­ber, ihr Unter­men­schen, ihr roten Hor­den, ihr Bes­ti­en in Men­schen­ge­stalt, ihr Nazi­schwei­ne. … ihr Schläch­ter, ihr Toll­häus­ler, ihr Mit­läu­fer, ihr ewig Gest­ri­gen, ihr Her­den­tie­re, ihr Laf­fen, ihr Mist­stü­cke, ihr Volks­frem­den, ihr Gesin­nungs­lum­pen«. Der Zeit ihren kol­lek­ti­vis­ti­schen und denun­zie­ren­den Zerr­spie­gel vor­hal­tend, emp­fahl sich Hand­ke kei­nem Lager, sei­ne Dekon­struk­ti­on von Sprech­bla­sen und Sprach­re­ge­lun­gen erwies sich als Gene­ral­kri­tik einer ins­ge­samt her­un­ter­ge­kom­me­nen Gegen­wart. Das galt in den 1968er-Tagen, und es gilt bis heute.

Als Autoren­kol­le­gen, Lek­to­ren, Pro­fes­so­ren und Jour­na­lis­ten in Öster­reich wie in Deutsch­land der Poli­ti­sie­rung der Lite­ra­tur das Wort rede­ten, bestand Hand­ke auf ihrem roman­ti­schen Cha­rak­ter und wider­sprach der um sich grei­fen­den ideo­lo­gi­schen Pro­fa­nie­rung. Mar­xens 1968 ent­staub­tem Pro­gramm setz­te der Autor sein ästhe­ti­sches Cre­do ent­ge­gen: »Ihr habt die Welt immer nur inter­pre­tiert und ver­än­dert; aber es kommt dar­auf an, sie zu beschrei­ben«, und zwar nicht mit Schlag­wor­ten, son­dern ange­mes­sen, vor­sich­tig, ein­hal­tend, zurück­hal­tend, immer wie­der neu beden­kend, neu anset­zend, denn nur so kann man der han­dels­üb­li­chen Redu­zie­rung und Bana­li­sie­rung ent­kom­men und zu einer empfnd­sa­men Wahr­neh­mung gelan­gen. Die längst fer­tig dalie­gen­den »Kom­mu­ni­qués« eines Mar­cel Reich-Rani­cki – »Es ist schwie­rig, über sei­ne Arbei­ten kei­ne Sati­re zu schrei­ben« (Hand­ke) – waren Hand­ke eben­so zuwi­der wie der unap­pe­tit­li­che Brei poli­ti­scher Bekennt­nis­se. Als Reak­ti­on auf den schlei­chen­den Mei­nungs­ter­ror heißt es 1973: »Vor ein paar Tagen hat jemand mich ange­ru­fen und gefragt: ›Was sagst du zu dem Waf­fen­still­stand in Viet­nam?‹ Ich habe nichts geant­wor­tet, nur irgend­wie geflucht und von etwas ande­rem gere­det. Was zu sagen war, wäre nicht von mir gewe­sen, und ich bin mir immer dann beson­ders fremd vor­ge­kom­men, wenn von mir ver­langt wur­de, etwas zu sagen, was gera­de so gut auch eine Maschi­ne hät­te aus­spu­cken kön­nen.« Hin­ter der poli­ti­sier­ten Fas­sa­de wird schnell das Kli­ma der Über­spannt­heit und Igno­ranz sicht­bar: »Heu­te bin ich wie­der ange­ru­fen wor­den. Eine frem­de Frau woll­te wis­sen, was ich von Hit­ler hiel­te und ob ich es rich­tig fän­de, daß Rudolf Heß immer noch ein­ge­sperrt sei? Als ich nichts, gar nichts ant­wor­ten konn­te, sag­te sie mir ihre eige­ne Mei­nung. Sie rede­te sehr lan­ge, ohne auf mich zu ach­ten. Als sie fer­tig war, bedank­te sie sich, daß ich ihr zuge­hört hat­te, und leg­te wie­der auf.«

Und um die »Leu­te von jetzt« steht es nicht bes­ser. Im Gespräch mit Peter Hamm (2002) bedau­er­te Hand­ke das Aus­ster­ben jener Gene­ra­ti­on von Emi­gran­ten, die sich auf der Flucht vor Lenin und Sta­lin, vor Mus­so­li­ni und Fran­co in und um Paris ange­sie­delt hat­ten: »In zehn Jah­ren wird von denen nie­mand mehr da sein, da gibt’s dann nur noch die­se neu­en Leu­te, die über­haupt nicht mehr wis­sen, was Natur ist, die alles, was Obst­baum ist, sofort aus­rei­ßen und dane­ben so ein Zier­zeug hinz­au­sen und für jedes kleins­te Ding eine Maschi­ne haben, und die über­haupt nicht mehr wis­sen, was Hand­ar­beit ist, die dann als Aus­gleich für ihr Com­pu­ter-Leben Rol­ler Ska­ter oder Moun­tain­bike machen … so durch die Wäl­der brau­sen und alle Wege zer­stö­ren, alle Pilz­kul­tu­ren ver­nich­ten … Sicher ist das auch über­trie­ben, was ich sag­te, unter denen ist einer, der auf­merk­sam ist – und sofort denkt man, ach, was bin ich für ein Arsch, was sind das für Vor­ur­tei­le, die ich habe, und dann ist man eine Stun­de ganz erleich­tert, ohne Vor­ur­tei­le gegen die gegen­wär­ti­ge Mensch­heit zu sein.«

Wäh­rend »über­all die glei­che Sta­tis­te­rie im kläg­li­chen Welt­thea­ter« lau­ert, ist Hand­ke der Sehn­sucht nach dem offe­nen, noch nicht ver­stell­ten Raum gefolgt und hat sich auf den Weg gemacht. Wie er die Vor­or­te durch­streift hat und drei Jah­re durch die Welt gereist ist, so ziehen die Cha­rak­te­re sei­ner Tex­te los in die Stil­le, in die Ber­ge, über Neben­we­ge, durch die Wäl­der, in den Harz, in die Land­schaft, gehen sie »über die Dör­fer«. Die bunt zusam­men­ge­wür­fel­ten und doch ver­schwo­re­nen Gemein­den set­zen sich ab von »die­ser über­füll­ten Welt« und erwan­dern sie wie in Fal­sche Bewe­gung (1975), Die Wie­der­ho­lung (1986), Die Abwe­sen­heit (1987), Das Spiel vom Fra­gen (1989), In einer dunk­len Nacht ging ich aus mei­nem stil­len Haus (1997), Der Bild­ver­lust (2002), Kali (2007) oder Die mora­wi­sche Nacht (2008). Durch die­se Wort­wel­ten gehen sei­ne Figu­ren hin­aus in das, was noch von der Natur übrig ist, ahnend, fra­gend sind sie auf dem Weg zu den ora­kel­glei­chen Ant­wor­ten der Natur, für die man frei­lich offe­ne Augen und offe­ne Ohren haben muß. Es gibt sie, die Land­schaft, »wo ihr euch im Kreis dre­hen könnt«, wo man die »zie­hen­de Luft« an den Schlä­fen spürt. Abseits von den Haupt­stra­ßen, abseits von aus­ge­tre­te­nen Denk-Wegen tut sich ein unge­heu­rer Raum auf, der soviel mehr Geschich­te und Geschich­ten von der Welt und den Men­schen bereit­hält, als die umstell­te, ein­ge­zäun­te Gegen­wart es zuläßt.

Auf sei­nen Wegen schloß sich Hand­ke Klas­si­kern wie Thuky­di­des und Ver­gil an, er fand treue Gefähr­ten in Chré­ti­en de Troyes und Wolf­ram von Eschen­bach und in den gro­ßen Kon­ser­va­ti­ven Goe­the und Stif­ter, mit ihnen übte er das Sehen, das Fra­gen, das Acht­ge­ben, nicht als unbe­tei­lig­ter Beob­ach­ter, er sei »kein völ­ki­scher oder unvöl­ki­scher Beob­ach­ter«, son­dern als einer, der »dabei­sein«, »mit­sein« kann und will, auf daß das »elen­de Gere­de« auf­hö­re und das Erzäh­len, das Epos (wie­der) anfan­ge, auf »daß all jene Wör­ter, mit denen die gro­ßen alten Geschich­ten erzählt wur­den, und ohne die es kei­ne Geschich­ten gibt, ›Segen‹, ›Fluch‹, ›Lie­be‹, ›Zorn‹, ›Meer‹, ›Traum‹, ›Wahn­sinn‹, ›Wüs­te‹, ›Jam­mer‹, ›Salz‹, ›Elend‹, ›Frie­den‹, ›Krieg‹«, die »für uns Heu­ti­ge Fremd­wör­ter gewor­den sind«, wie­der ihren Sinn erhal­ten. So ver­sucht Hand­ke, sich in sei­nem Schrei­ben »durch­zu­mä­an­dern«, wie er zu Peter Hamm sagt, »zwi­schen dem, was schon besetzt ist von Mei­nung, von Poli­tik, von Par­tei­po­li­tik, von Zer­stö­rung, irgend­wie noch Zwi­schen­räu­me zu fnden, wie ich da über­haupt noch durch­kom­men kann. Es ist ein Akt, auf jeden Fall, das Schrei­ben … viel­leicht ein zur Gel­tung­brin­gen des Über­se­he­nen. Und aus dem Über­se­he­nen eigent­lich die Zen­tral­or­te des Welt­ge­sche­hens und der Welt zu machen oder zumin­dest ver­su­chen, Fin­ger­zei­ge zu geben, daß es ein ande­res Welt­ge­sche­hen gibt, ein ent­schie­den ande­res, ein wirk­lich ermu­ti­gen­des Welt­ge­sche­hen gibt, jen­seits oder neben­an, wie sagt Her­mann Lenz? – neben­drau­ßen, von dem, was sozu­sa­gen einem jeden Tag in die Augen sticht und um die Ohren geschla­gen wird und in die Nase fährt. An die­se ande­re Welt, ja, wenn man vom Glau­ben spre­chen kann, glau­be ich seit jeher.«

Der Glau­be an eine ande­re Welt ver­weist auf ein Leben jen­seits der inne­ren wie äußeren Gleich­för­mig­keit, wie etwa der Neu­bau­ten rund um Paris, alle »gleich gemacht, glei­chen Grund­riß, glei­ches Mate­ri­al, glei­che Far­be, glei­che Fens­ter«, auf ein Leben fern von den »Geschwätz­exis­ten­zen« und der auf uns »ein­drin­gen­den Leib­ei­ge­nen-Spra­che« – die­ser Glau­be an eine ande­re Welt ruft die Tra­di­ti­on auf, die in Euro­pa nur christ­lich geprägt sein kann. 1990 hat­te Hand­ke Nor­bert Beil­harz noch schroff zurecht­ge­wie­sen: es sei ein »Blöd­sinn«, in sei­nen Tex­ten etwas Reli­giö­ses lesen zu wol­len. Aber je älter er wur­de, um so tie­fe­re Spu­ren hat die Bil­der­welt des Chris­ten­tums in sei­nem Werk hin­ter­las­sen, die roma­ni­schen Kathe­dra­len, die »unge­zwun­ge­ne Spra­che« der Mys­ti­ker, das Neue Tes­ta­ment. Das Johan­nes­evan­ge­li­um sei »die gewal­tigs­te Erzäh­lung der Mensch­heit« und »die Geschich­te von Jesus unser aller Geschich­te«. Schon in der Lang­sa­men Heim­kehr (1979) spürt die Hauptfgur Sor­ger ein »Bedürf­nis nach Heil«, was ein Heil-Wer­den durch die Poe­sie meint, eine »Beru­hi­gung«, »Rei­ni­gung«, ein »Rein­wer­den« und »Ganz-Sein«, gemäß dem von Hand­ke zitier­ten Bibel­wort »Sprich nur ein Wort, so wird mei­ne See­le gesund«. Die­sen Anspruch ernst neh­mend, darf­die Lite­ra­tur »im Grund nicht pro­fan sein«.

Der Autor kann sich also empö­ren über das Pro­fa­ne, über den Natio­na­lis­mus, die »Kel­ler­as­sel der Mensch­heit«, über die Stich­wör­ter der poli­ti­schen Kor­rekt­heit, wie etwa die Phra­se »mul­ti­kul­tu­rell«, das für ihn »einen der größ­ten Schwin­del der Mensch­heits­ge­schich­te« bezeich­net; und er kann bis­wei­len auch eine Spra­che trau­rig-ohn­mäch­ti­gen Furors wäh­len, wenn Hand­ke das »gro­ße Gesin­del« wegen des völ­ker­rechts­wid­ri­gen Kriegs gegen Jugo­sla­wi­en anklagt: »Die Welt wird das nicht hin­neh­men. Nicht die Welt, die sich heu­te als die Welt bezeich­net die gan­ze Zeit, ange­be­risch, prah­le­risch, ›wir sind die Welt‹ – wer ist die Welt? Nicht jeden­falls der soge­nann­te Wes­ten, das ist nicht die Welt. Die Welt ist ganz woan­ders. Eher auf dem Mond als hier auf die­ser Scheiß-Erde.« All das zusam­men­ge­se­hen, wird man Claus Pey­mann recht geben, der Hand­ke attes­tier­te, er den­ke »auf gera­de­zu rüh­ren­de Wei­se reak­tio­när«. In der Tat hat Hand­ke einen so lebens­not­wen­di­gen wie zutiefst reak­tio­nä­ren Gedan­ken for­mu­liert, wenn uns Nova in Über die Dör­fer zuruft: »Übt die Kraft der schö­nen Über­lie­fe­rung – damit das Schö­ne nicht jedes­mal wie­der nichts war.« Die­se Kraft der schö­nen Über­lie­fe­rung ist es, mit der Hand­ke Anspruch und Wür­de des schau­en­den, hören­den, emp­fin­den­den, selbst den­ken­den Men­schen, »durch­drungen« von einer rei­chen, viel­fäl­ti­gen Welt, gegen die all­ge­mei­ne Dege­ne­riert­heit verteidigt.

Nie­der­gang, Unter­gang, Aus­lö­schung waren für den ande­ren, den älte­ren Öster­rei­cher Tho­mas Bern­hard (1931–1989) hin­ge­gen eine aus­ge­mach­te Sache. »Es schei­tert letz­ten Endes alles, alles endet am Fried­hof. Da kön­nen S’ machen, was S’ wol­len.« Früh durch Krank­heit und Todes­nä­he erschüt­tert, schrieb Bern­hard eben gegen die­se dro­hen­de Ver­nich­tung an, gegen sei­ne Erkran­kung und den eige­nen Tod. Er haß­te und ver­lach­te ihn, beschwor ihn, bann­te ihn, wehr­te ihn ab und form­te dazu ein ein­zig­ar­ti­ges Sprach­ge­bir­ge aus end­lo­sen Mono­lo­gen, Ver­schach­te­lun­gen und Per­spek­tiv­ver­schie­bun­gen, um das Lei­den, das Ver­däm­mern zur Spra­che zu brin­gen, um zu zei­gen, wie ein­sam der Mensch, wie aus­weg­los sei­ne Lage ist, wie der Fürst Saurau in Ver­stö­rung »von innen her­aus erfror« (Hand­ke), wie Men­schen in Geis­tes­krank­hei­ten abrut­schen oder ein­fach von der Bil­dflä­che ver­schwin­den kön­nen – doch letzt­lich wer­de auch all die­se Kunst nichts aus­rich­ten, sei nur der Laut »eines klei­nen, auf­muck­sen­den Vogerls« im gro­ßen Wald, der Tod wer­de alles zude­cken, aus­lö­schen, aus­nahms­los. Für Bern­hard war daher grund­sätz­lich alles ein »voll­kom­me­ner Blöd­sinn«, alles war ihm irgend­wie »schau­er­lich«, eine »Infa­mie«, das »Aller­ärgs­te«, »unver­schämt«, »uner­träg­lich«, »fad«, »furcht­bar« und das Leben selbst, mit Kier­ke­gaard, eine Krank­heit zum Tode hin, alles fault vor sich hin, ver­west, »natur­ge­mäß«, ganz abge­se­hen von den Leu­ten, die »nur den Mund, aber nicht das Hirn gebrau­chen«, von »Leu­ten, die nur zum Weg­schie­ßen sind«.

Aus die­ser radi­ka­len Hal­tung her­aus bekommt jeder sein Fett weg, zuvör­derst der gesam­te Kom­plex Öster­reich, Hit­ler, Hel­den­platz, Alt­na­zis, Wald­heim, Hai­der ff.: »Die Rück­kehr nach Öster­reich bewirkt jedes­mal einen tota­len Beschmut­zungs­ef­fekt«, heißt es in Aus­lö­schung. »Die Blut­or­dens­trä­ger, die SS-Ober­sturm­bann­füh­rer an ihren Krü­cken und auf ihre Stö­cke gestützt, die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Hel­den, wür­dig­ten mich ihrer­seits … kei­nes Bli­ckes.« Doch singt Bern­hard auch kein Hohe­lied auf die Links­li­be­ra­len, »der Pey­mann ist halt auch umge­ben von lau­ter Idio­ten«, und geläs­tert wird eben­so über die Spie­gel-Leu­te, »die in Mil­li­ar­den schwim­men und gar nicht wis­sen, wohin damit. Da sind Chef­re­dak­teu­re, die Jah­res­ein­kom­men haben wie fünf­mal der Bun­des­prä­si­dent bei uns, aber die Armen auf­put­schen, das Volk auf­put­schen, immer gegen die Obe­ren sind. Und sel­ber haben sie ihre abge­leg­ten Wei­ber und ihre Reet­dach-Vil­len, ange­stopft mit Cézan­nes und Mirós«. Daß die Medi­en in Deutsch­land und Öster­reich nicht viel tau­gen – nun ja, aber es ist über­all das glei­che Trau­er­spiel: »Schau­en Sie, zum Bei­spiel Le Mon­de, da glaubt man, das ist was. Und was ist’s: nur blöd! Da sit­zen genau­so dum­me Leu­te dort. Nur weil es fran­zö­sisch ist, ist es des­halb ja nicht bes­ser.« Denn es geht alles den Bach run­ter, wie der »Ame­ri­ka­nis­mus alles rui­niert hat in Euro­pa, so macht die EG auch alles gleich. Und der Brief­trä­ger schaut dann genau­so aus in Ohls­dorf wie in Esto­ril. Es krie­gen dann alle die glei­chen Uniformen.«

Der hohe Unter­hal­tungs­wert die­ser Schimpf­re­den liegt auf der Hand und oft genug trifft Bern­hard ins Schwar­ze. Doch bleibt der Ein­druck des Ein­sei­ti­gen, der ein­mal ein­ge­nom­me­nen Atti­tü­de einer Kunst­fi­gur. Peter Hand­ke, der Bern­hard anfangs als »Her­aus­for­de­rung« begrif­fen und bewun­dert hat­te, stell­te schließ­lich fest: »Im letz­ten Jahr­zehnt hat ihm das Dahin­wit­zeln schon sehr gefal­len. Er kam ja damit sehr gut an.« Bern­hards pau­schal alles nie­der­ma­chen­den Rund­um­schlä­ge waren ein lite­ra­ri­sches Rol­len­spiel gewor­den, »so wie der redet, könn­te er am Tag drei Stü­cke aufs Ton­band reden.« Trotz die­ser zutref­fen­den Kri­tik liegt aber die anhal­ten­de Pro­vo­ka­ti­on Tho­mas Bern­hards eben nicht im end­lo­sen Strom von Belei­di­gun­gen, nicht im Kal­kül ver­schro­be­ner, über­stei­ger­ter Atta­cken, nicht dar­in, die öster­rei­chi­sche See­le oder ein paar alte Nazis mal­trä­tiert zu haben. Eine wesent­lich fun­da­men­ta­le­re Ebe­ne ist berührt, indem Tho­mas Bern­hards Tex­te als Absa­ge an eine zen­tra­le Lebens­lü­ge gegen­wär­ti­ger Kul­tur gele­sen wer­den kön­nen. In schrof­fem Gegen­satz zu den ton­an­ge­ben­den Instan­zen blen­det der Autor den Tod nicht aus, huscht nicht dar­über hin­weg, er ist ihm viel­mehr zum Zen­trum sei­nes Den­kens gewor­den und so haben wir es mit einer tod­erns­ten Lite­ra­tur zu tun, die sich nicht gut ver­trägt mit einer Kul­tur, die kei­ne Gren­zen mehr kennt und aner­kennt. Im Ange­sicht des Todes gibt es wahr­lich kein selbst­ver­lieb­tes, beque­mes any­thing goes mehr und kei­nen Grund für unan­ge­krän­kel­te Selbst­zu­frie­den­heit – was zu ler­nen wäre von einer Lite­ra­tur sehr unbe­que­mer exis­ten­ti­el­ler Ver­zweiflung, die mit der Absur­di­tät, mit dem Leben als dem »Unver­ständ­li­chen« gerun­gen hat, »das manch­mal in Men­schen Gestalt annimmt, wie Vogel­schwär­me in die Luft geht, um alles zu verfinstern«.

Wäh­rend Bern­hard aber die Facet­ten der Ver­fins­te­rung zeigt, sucht Hand­ke auf sei­nen Wegen stets die poe­ti­sche »Lich­tung«. Die Ent­frem­dung der bei­den Autoren ver­wun­dert daher nicht. »Irgend­wann«, so Hand­ke, »haben wir gespürt, daß wir nichts mehr mit­ein­an­der zu schaf­fen haben.«

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