Abwendung

PDF der Druckfassung aus Sezession 68 / Oktober 2015

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Der Schrift­stel­ler Botho Strauß hat im Spie­gel (41/2015) unter der Über­schrift »Der letz­te Deut­sche« einen kur­zen Text zur geis­ti­gen Situa­ti­on unse­rer Zeit ver­faßt. Das Maga­zin selbst hat ver­sucht, die Bedeu­tung die­ser Äuße­run­gen dadurch zu ver­grö­ßern, daß es sie als eine Art Anschluß­den­ken an den berühm­ten »Anschwel­len­den Bocks­ge­sang« von Strauß ver­kauft. Die­ser Essay erschien 1993 im Spie­gel und gilt als eine der wirk­mäch­tigs­ten Ein­las­sun­gen zur deut­schen Lage nach der Wende.

Strauß for­mu­lier­te dar­in eine ästhe­ti­sche Oppo­si­ti­on zu einem auf­ge­klär­ten, den Mas­sen­wohl­stand vor­aus­set­zen­den Staats­bür­ger, »der ohne kul­tu­rel­le und reli­giö­se Fer­n­erin­ne­rung dahin­däm­me­re«. Der Essay wies als einen der Aus­we­ge aus der eige­nen Ver­fla­chung durch »kom­mu­ni­ka­ti­ve Ver­flüs­si­gung« aller Unter­schie­de und Hier­ar­chien auf die »Abkehr« als Hal­tungs- und Denk­form hin und gab zu beden­ken, daß »die magi­schen Orte der Abson­de­rung, daß ein ver­spreng­tes Häuf­lein von inspi­rier­ten Nicht­ein­ver­stan­de­nen für den Erhalt des all­ge­mei­nen Ver­stän­di­gungs­sys­tems uner­läß­lich ist.«

Es war die­se Pas­sa­ge in dem für die Neue Rech­te Deutsch­lands so wich­ti­gen Text, die zehn Jah­re spä­ter den Namen »Sezes­si­on« für unser Zeit­schrif­ten­pro­jekt stif­te­te. Daß es uns dabei weni­ger um den »Erhalt des all­ge­mei­nen Ver­stän­di­gungs­sys­tems« ging und mehr um die Urbar­ma­chung meta­po­li­ti­schen Neu­lands, ist seit 68 Aus­ga­ben unver­kenn­bar. Die­se Ein­pas­sung der eige­nen Abson­de­rung in den dadurch geschmier­te­ren Ablauf der gesell­schaft­li­chen Ver­fla­chung konn­te weder der Anspruch von Strauß sein, noch war und ist es der unse­re, und wir lasen der­lei bei Strauß stets als Absi­che­rungs­schlei­fe gegen ein Zuviel an eli­tä­rer Selbstzuschreibung.

Wo steht die­ser Den­ker nun, wohin hat er mit sei­nem neu­en Text und der Selbst­be­zeich­nung eines »letz­ten Deut­schen« sei­ne Koor­di­na­ten ver­scho­ben? Man kann die Lage – deren Fest­stel­lung von Bedeu­tung ist – als Dilem­ma beschrei­ben: Zu leben haben wir alle mit einem denk­bar kul­tur­fer­nen, sei­ner kul­tu­rel­len Iden­ti­tät ent­frem­de­ten, an den Äuße­rungs­blü­ten sei­ner Kul­tur­trä­ger nur­mehr mäßig inter­es­sier­ten Volk, und die Fra­ge ist, ob man in der eige­nen Abson­de­rung die­ses Volk auf­gibt oder ob man ihm zuge­neigt bleibt, auch heu­te, auch ange­sichts sei­ner rasant ablau­fen­den Ver­fla­chung, Redu­zie­rung und Verrottung.

Strauß urteilt gründ­lich und hart: »Der Irr­tum der Rech­ten: als gäbe es noch Deut­sche und Deut­sches außer­halb der ober­fläch­lichs­ten sozia­len Bestim­mun­gen. Jenen Raum der Über­lie­fe­rung von Her­der bis Musil woll­te noch nie­mand ret­ten«. Bei­des stimmt nicht: Natür­lich gibt es noch Deut­sche und Deut­sches, das weit in die Tie­fe reicht und dort wurzelt.

Und natür­lich gibt es Leser, Autoren, Maler, Kom­po­nis­ten, Pro­du­zen­ten, Ver­le­ger, Diri­gen­ten, Mäze­ne, die das gan­ze, wun­der­ba­re deut­sche Erbe nicht nur ver­wal­ten und in Erin­ne­rung behal­ten, son­dern in sei­nem exis­ten­ti­el­len Anspruch zu einer oft nicht nur rand­stän­di­gen Gel­tung brin­gen: War­um ist denn stets im Novem­ber die Kreuz­kir­che in Dres­den bis auf den letz­ten Platz gefüllt, wenn das Deut­sche Requi­em von Brahms gege­ben wird, und zwar fast aus­schließ­lich vor Deut­schen, obwohl die Kar­ten nicht teu­er sind und für jeder­mann ver­füg­bar? Kein Mensch applau­diert übri­gens, wenn der Kreuz­chor dann geen­det hat, der­lei gibt es noch in Deutsch­land. Und sogar in der Pro­vinz, in einer klei­nen, aus­ge­laug­ten, total­zer­stör­ten und häß­lich wie­der­auf­ge­bau­ten Stadt wie Bran­den­burg, kann man an einem Sonn­tag­nach­mit­tag hun­der­te Deut­sche in ein Kon­zert pil­gern sehen, mit Wer­ken von Wag­ner und Bruck­ner, und es war just dort, daß der Diri­gent sich den Applaus eben­falls ver­bat, weil die­se immer zur Hälf­te eit­le Bekun­dung weder in die Kir­che, noch zu den sakra­len Kom­po­si­tio­nen und eigent­lich gar nicht zum Aus­klin­gen und Nach­hal­len der Musik gehöre.

Botho Strauß wählt in sei­nem Spie­gel-Text als »letz­ter Deut­scher« den Weg des­sen, der sei­nen »kul­tu­rel­len Schmerz« pflegt und als einen beson­de­ren Dienst an jenem (sei­ner selbst fremd­ge­wor­de­nen) Volk emp­fin­det, das die kul­tu­rel­le Blü­te erst her­vor­brach­te. Es lei­det da jemand stell­ver­tre­tend, aber tut er es noch zugeneigt?

Wenn nicht, dann pflegt er eine eli­tä­re Form der Ver­ach­tung, und die­se ist zwei­fel­los eine Ver­su­chung für jeden Intel­lek­tu­el­len. Aber die Zunei­gung gehört auf die­se Wei­se nur dem Gewe­se­nen des Vol­kes, und die Fra­ge ist, ob man sich auf die­se Wei­se abwen­den darf von dem über­bor­den­den Häß­li­chen im Eigenen.

Ich mei­ne: Man darf es nicht, nicht jetzt, nicht in die­ser Zeit.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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