»Ohne beantwortete Fragen, aber ratlos auf einem höheren Niveau« – so umschrieb Martin Sellner knapp und augenzwinkernd die durchschnittliche Gemütslage nach der Lektüre Martin Heideggers. Der Philosophiestudent ist Wiener Obmann der Identitären Bewegung Österreichs, Denker und Aktivist zugleich. Er widmete seinen Vortrag zur 16. Sommerakademie des Instituts für Staatspolitik (28. bis 30. August) der Heideggerschen Technikkritik, mithin der »Krone seines Denkens«, und wie die ganze Arbeit der Identitären zielte auch dieses Referat darauf ab, den 110 Zuhörern ein Weiser auf dem Weg zu sich selbst zurück zu sein.
Wie bereits der IfS-Geschäftsführer Dr. Erik Lehnert in seiner Einleitung am Vortag das Leitthema »Machbarkeit« in seiner engen Rückbindung an die Durchführbarkeit klar vom progressivistischen Glauben an die Form- und Manipulierbarkeit der ganzen Welt getrennt hatte, umriß Sellner am Samstagvormittag in konziser Form die umfassende Ablehnung Heideggers gegenüber der Technik als Grundcharakteristikum der Moderne und ihres atomisierten Menschen als quantifizierbarer »Biomaschine«. Als wesentlicher Motor des »Werden-Wollens« liberalistischen Fortschrittsglaubens im Gegensatz zum urtümlichen »Sein-Wollen« stellten Technik und technische Betätigung für Heidegger eine »Machenschaft« dar, die den Menschen von sich selbst entzweie. Seine Formulierung von einer ahistorischen »Seinsvergessenheit der Technik« und des daraus folgenden »Verlusts der Bodenständigkeit« spitzte Sellner auf den Satz zu: »Seinsvergessenheit führt zu Volksvergessenheit!« In letzter Konsequenz stelle ein vollkommen in technisierte Monaden aufgelöstes deutsches Volk nichts weiter als beliebig austauschbare »Biomasse mit deutschem Etikett« dar.
Daß der im virtuellen Raum wohl präsenteste Protagonist der Identitären Bewegung (IB) im Rahmen der Akademie auch öffentlich mit seinem profunden theoretischen Wissen in Erscheinung trat und sich einer angeregten anschließenden Diskussion stellte, spricht Bände über die erreichte Breitenwirkung des IfS. Das gilt für das von politischer Sozialisation, Alter und Geschlecht her stark gemischte, große Publikum ebenso wie für die Bandbreite der Referenten und ihrer Themen. Das zur Eröffnung der Fragerunde nach dem Vortrag entstandene Bild von jungem Aktivisten und promoviertem Philosophen auf einer Bühne symbolisiert die ertragreiche Synthese von theoretischer Grundlagenarbeit und politischer Aktion: Martin Sellner wie auch sein Landsmann, der wortgewaltige Polemiker Martin Lichtmesz (»Sind Religionen machbar?« – Sie sind es natürlich nicht!), sprachen neben prolierten Wissenschaftlern wie dem emeritierten Ordinarius für Öffentliches Recht Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, der insbesondere durch seine Verfassungsbeschwerden gegen die Delegierung nationalstaatlicher Kompetenzen an die EU Bekanntheit erlangte, oder dem Literaturwissenschaftler und Betreuer des »Reinhold Schneider Literaturforums« Dr. Michael Rieger mit ihren jeweiligen Grundlagenbeiträgen über den »gesellschaftlichen Umbau Deutschlands und das Grundgesetz« und den »Geist der Utopie in der Literatur«.
Unmittelbar vor dem jungen IB-Vertreter hatte der PR-Fachmann Lutz Meyer angesichts der derzeitigen Angewiesenheit auch dissidenter Bewegungen auf technische Hilfsmittel die Möglichkeiten der Werbung zur Mobilisierung bislang Unerreichter analysiert. Harsche Kritik ernteten von einem markentechnischen Standpunkt unter dezidierter Berufung auf Hans Domizlaff und die neuere Werbepsychologie aus sowohl das Logo der Alternative für Deutschland (»im Vergleich etwa mit dem Front National lächerlich«) als auch jene der Identitären Bewegung (da das Lambda-Emblem aus dem Hollywoodfilm 300 entnommen wurde: »Was hat die Konsum- und Medienwelt mit europäischer Identität zu tun?«) und von PEGIDA (»schlecht gestaltete Wandzeitung«). Rechte Organisationen mit Wirkungsabsicht müßten sich kritisch über ihren eigenen Willen zum Massenappell befragen, auch wenn wichtige Vordenker wie Gustave Le Bon mit seiner Psychologie der Massen stets vor diesem gewarnt oder ihn aus elitärer Distanz heraus verachtet hätten. Ebenso stelle sich die Frage nach dem Charakter der Zielgruppe, die einerseits konservativ und traditional, gleichzeitig aber »expeditiv« und auf der Suche nach neuen Wegen sei. Als einen positiven Ansatz führte Meyer ein Musikvideo der französischen Mädelgruppe »Les Brigandes« vor: Eine erfolgreiche Synthese und Werbewirksamkeit könne nur durch die Abkehr vom rechten »Sektierismus« gelingen; weit wichtiger als das Bewahren einer reinen Lehre sei die Frage nach Kreativität: »Wie denkt man gegen den Strich?«
Bereits am Freitagabend hatte der liberale Islamkritiker Dr. Michael Ley mit seinen Thesen zur »Machbarkeit der Deislamisierung« für eine kontroverse Diskussion gesorgt. Noch allgemeiner Konsens waren Leys Postulate, eine »offene Gesellschaft« ohne Beschränkungen müsse an sich selbst zugrunde gehen und die politisch korrekte Trennung Islam/Islamismus sei eine unlogische, »dümmliche Unterscheidung«. Die konkreten Forderungen zur Deislamisierung der Bundesrepublik, die vor allem auf eine radikale Umerziehung hin zur Grundgesetztreue der hier lebenden Moslems hinausliefen, stießen in der Folge allerdings auf teils geharnischte Kritik: Eine ganze Volksgruppe durch administrativen Zwang zur Aufgabe ihrer kulturellen Gepflogenheiten bewegen zu wollen, sei gegenüber einer großangelegten Rückführung der Menschen in ihre angestammten Kulturräume eine inhumane und mit freiheitlichen Weltbildern unvereinbare Maßnahme. Auch in dieser offenen Auseinandersetzung zeigte sich, daß längst sowohl der »Sturm und Drang« jugendlicher Unbedingtheit als auch die Abgeklärtheit erfahrener Wissenschaftler auf IfS-Veranstaltungen einen Ort freier Rede und des Austauschs auf Augenhöhe gefunden haben.
Der Abschlußvortrag Götz Kubitscheks am Sonntagmittag faßte dann alle gesammelten Eindrücke – auch die eines freitagabendlichen Gesprächs im ausgewählten, kleinen Kreise – zur klaren Handlungsanweisung zusammen: Eine politische Mobilisierung tue dringend not in Zeiten, in denen es für Kinder »keinen gefährlicheren Ort als den Mutterleib« gebe und düstere Szenarien wie das globale Ölfördermaximum (peak oil) den »typisch konservativen Topos« der Endzeit wiederbelebten. Gleichwohl müsse dabei stets reflektiert werden, ob die (Post-)Moderne mit ihren eigenen Mitteln zu bezwingen sei; daraus wiederum folge die Frage: »Wozu leisten wir Widerstand?« Die Arbeit des IfS und besonders der freie Austausch zwischen den vielen verschiedenen Charakteren auf seinen Akademien diene dabei vor allem einer »Freilegung der Widerstandskraft« auf dem Wege des »Suchen und Handeln, Lauschen und Tun«. Die Akademieteilnehmer, so viele wie noch nie, fuhren einmal mehr mit reichlich Stoff zum Nachdenken und Diskutieren in ihre Heimatstädte zurück – und diesmal zusätzlich mit einem Eindruck von der »Machbarkeit« des widerständigen Tuns.