Ruhe und Aufbruch

PDF der Druckfassung aus Sezession 68 / Oktober 2015

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

»Ohne beant­wor­te­te Fra­gen, aber rat­los auf einem höhe­ren Niveau« – so umschrieb Mar­tin Sell­ner knapp und augen­zwin­kernd die durch­schnitt­li­che Gemüts­la­ge nach der Lek­tü­re Mar­tin Heid­eg­gers. Der Phi­lo­so­phie­stu­dent ist Wie­ner Obmann der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung Öster­reichs, Den­ker und Akti­vist zugleich. Er wid­me­te sei­nen Vor­trag zur 16. Som­mer­aka­de­mie des Insti­tuts für Staats­po­li­tik (28. bis 30. August) der Heid­eg­ger­schen Tech­nik­kri­tik, mit­hin der »Kro­ne sei­nes Den­kens«, und wie die gan­ze Arbeit der Iden­ti­tä­ren ziel­te auch die­ses Refe­rat dar­auf ab, den 110 Zuhö­rern ein Wei­ser auf dem Weg zu sich selbst zurück zu sein.

Wie bereits der IfS-Geschäfts­füh­rer Dr. Erik Leh­nert in sei­ner Ein­lei­tung am Vor­tag das Leit­the­ma »Mach­bar­keit« in sei­ner engen Rück­bin­dung an die Durch­führ­bar­keit klar vom pro­gres­si­vis­ti­schen Glau­ben an die Form- und Mani­pu­lier­bar­keit der gan­zen Welt getrennt hat­te, umriß Sell­ner am Sams­tag­vor­mit­tag in kon­zi­ser Form die umfas­sen­de Ableh­nung Heid­eg­gers gegen­über der Tech­nik als Grund­cha­rak­te­ris­ti­kum der Moder­ne und ihres ato­mi­sier­ten Men­schen als quan­ti­fi­zier­ba­rer »Bio­ma­schi­ne«. Als wesent­li­cher Motor des »Wer­den-Wol­lens« libe­ra­lis­ti­schen Fort­schritts­glau­bens im Gegen­satz zum urtüm­li­chen »Sein-Wol­len« stell­ten Tech­nik und tech­ni­sche Betä­ti­gung für Heid­eg­ger eine »Machen­schaft« dar, die den Men­schen von sich selbst ent­zweie. Sei­ne For­mu­lie­rung von einer ahis­to­ri­schen »Seins­ver­ges­sen­heit der Tech­nik« und des dar­aus fol­gen­den »Ver­lusts der Boden­stän­dig­keit« spitz­te Sell­ner auf den Satz zu: »Seins­ver­ges­sen­heit führt zu Volks­ver­ges­sen­heit!« In letz­ter Kon­se­quenz stel­le ein voll­kom­men in tech­ni­sier­te Mona­den auf­ge­lös­tes deut­sches Volk nichts wei­ter als belie­big aus­tausch­ba­re »Bio­mas­se mit deut­schem Eti­kett« dar.

Daß der im vir­tu­el­len Raum wohl prä­sen­tes­te Prot­ago­nist der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung (IB) im Rah­men der Aka­de­mie auch öffent­lich mit sei­nem pro­fun­den theo­re­ti­schen Wis­sen in Erschei­nung trat und sich einer ange­reg­ten anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on stell­te, spricht Bän­de über die erreich­te Brei­ten­wir­kung des IfS. Das gilt für das von poli­ti­scher Sozia­li­sa­ti­on, Alter und Geschlecht her stark gemisch­te, gro­ße Publi­kum eben­so wie für die Band­brei­te der Refe­ren­ten und ihrer The­men. Das zur Eröff­nung der Fra­ge­run­de nach dem Vor­trag ent­stan­de­ne Bild von jun­gem Akti­vis­ten und pro­mo­vier­tem Phi­lo­so­phen auf einer Büh­ne sym­bo­li­siert die ertrag­rei­che Syn­the­se von theo­re­ti­scher Grund­la­gen­ar­beit und poli­ti­scher Akti­on: Mar­tin Sell­ner wie auch sein Lands­mann, der wort­ge­wal­ti­ge Pole­mi­ker Mar­tin Licht­mesz (»Sind Reli­gio­nen mach­bar?« – Sie sind es natür­lich nicht!), spra­chen neben pro­lier­ten Wis­sen­schaft­lern wie dem eme­ri­tier­ten Ordi­na­ri­us für Öffent­li­ches Recht Dr. Karl Albrecht Schacht­schnei­der, der ins­be­son­de­re durch sei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­den gegen die Dele­gie­rung natio­nal­staat­li­cher Kom­pe­ten­zen an die EU Bekannt­heit erlang­te, oder dem Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler und Betreu­er des »Rein­hold Schnei­der Lite­ra­tur­fo­rums« Dr. Micha­el Rie­ger mit ihren jewei­li­gen Grund­la­gen­bei­trä­gen über den »gesell­schaft­li­chen Umbau Deutsch­lands und das Grund­ge­setz« und den »Geist der Uto­pie in der Literatur«.

Unmit­tel­bar vor dem jun­gen IB-Ver­tre­ter hat­te der PR-Fach­mann Lutz Mey­er ange­sichts der der­zei­ti­gen Ange­wie­sen­heit auch dis­si­den­ter Bewe­gun­gen auf tech­ni­sche Hilfs­mit­tel die Mög­lich­kei­ten der Wer­bung zur Mobi­li­sie­rung bis­lang Uner­reich­ter ana­ly­siert. Har­sche Kri­tik ern­te­ten von einem mar­ken­tech­ni­schen Stand­punkt unter dezi­dier­ter Beru­fung auf Hans Domizlaff und die neue­re Wer­be­psy­cho­lo­gie aus sowohl das Logo der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (»im Ver­gleich etwa mit dem Front Natio­nal lächer­lich«) als auch jene der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung (da das Lamb­da-Emblem aus dem Hol­ly­wood­film 300 ent­nom­men wur­de: »Was hat die Kon­sum- und Medi­en­welt mit euro­päi­scher Iden­ti­tät zu tun?«) und von PEGIDA (»schlecht gestal­te­te Wand­zei­tung«). Rech­te Orga­ni­sa­tio­nen mit Wir­kungs­ab­sicht müß­ten sich kri­tisch über ihren eige­nen Wil­len zum Mas­sen­ap­pell befra­gen, auch wenn wich­ti­ge Vor­den­ker wie Gust­ave Le Bon mit sei­ner Psy­cho­lo­gie der Mas­sen stets vor die­sem gewarnt oder ihn aus eli­tä­rer Distanz her­aus ver­ach­tet hät­ten. Eben­so stel­le sich die Fra­ge nach dem Cha­rak­ter der Ziel­grup­pe, die einer­seits kon­ser­va­tiv und tra­di­tio­nal, gleich­zei­tig aber »expe­di­tiv« und auf der Suche nach neu­en Wegen sei. Als einen posi­ti­ven Ansatz führ­te Mey­er ein Musik­vi­deo der fran­zö­si­schen Mädel­grup­pe »Les Bri­gan­des« vor: Eine erfolg­rei­che Syn­the­se und Wer­be­wirk­sam­keit kön­ne nur durch die Abkehr vom rech­ten »Sek­tie­ris­mus« gelin­gen; weit wich­ti­ger als das Bewah­ren einer rei­nen Leh­re sei die Fra­ge nach Krea­ti­vi­tät: »Wie denkt man gegen den Strich?«

Bereits am Frei­tag­abend hat­te der libe­ra­le Islam­kri­ti­ker Dr. Micha­el Ley mit sei­nen The­sen zur »Mach­bar­keit der Deis­la­mi­sie­rung« für eine kon­tro­ver­se Dis­kus­si­on gesorgt. Noch all­ge­mei­ner Kon­sens waren Leys Pos­tu­la­te, eine »offe­ne Gesell­schaft« ohne Beschrän­kun­gen müs­se an sich selbst zugrun­de gehen und die poli­tisch kor­rek­te Tren­nung Islam/Islamismus sei eine unlo­gi­sche, »dümm­li­che Unter­schei­dung«. Die kon­kre­ten For­de­run­gen zur Deis­la­mi­sie­rung der Bun­des­re­pu­blik, die vor allem auf eine radi­ka­le Umer­zie­hung hin zur Grund­ge­setz­treue der hier leben­den Mos­lems hin­aus­lie­fen, stie­ßen in der Fol­ge aller­dings auf teils gehar­nisch­te Kri­tik: Eine gan­ze Volks­grup­pe durch admi­nis­tra­ti­ven Zwang zur Auf­ga­be ihrer kul­tu­rel­len Gepflo­gen­hei­ten bewe­gen zu wol­len, sei gegen­über einer groß­an­ge­leg­ten Rück­füh­rung der Men­schen in ihre ange­stamm­ten Kul­tur­räu­me eine inhu­ma­ne und mit frei­heit­li­chen Welt­bil­dern unver­ein­ba­re Maß­nah­me. Auch in die­ser offe­nen Aus­ein­an­der­set­zung zeig­te sich, daß längst sowohl der »Sturm und Drang« jugend­li­cher Unbe­dingt­heit als auch die Abge­klärt­heit erfah­re­ner Wis­sen­schaft­ler auf IfS-Ver­an­stal­tun­gen einen Ort frei­er Rede und des Aus­tauschs auf Augen­hö­he gefun­den haben.

Der Abschluß­vor­trag Götz Kubit­scheks am Sonn­tag­mit­tag faß­te dann alle gesam­mel­ten Ein­drü­cke – auch die eines frei­tag­abend­li­chen Gesprächs im aus­ge­wähl­ten, klei­nen Krei­se – zur kla­ren Hand­lungs­an­wei­sung zusam­men: Eine poli­ti­sche Mobi­li­sie­rung tue drin­gend not in Zei­ten, in denen es für Kin­der »kei­nen gefähr­li­che­ren Ort als den Mut­ter­leib« gebe und düs­te­re Sze­na­ri­en wie das glo­ba­le Ölför­der­ma­xi­mum (peak oil) den »typisch kon­ser­va­ti­ven Topos« der End­zeit wie­der­be­leb­ten. Gleich­wohl müs­se dabei stets reflek­tiert wer­den, ob die (Post-)Moderne mit ihren eige­nen Mit­teln zu bezwin­gen sei; dar­aus wie­der­um fol­ge die Fra­ge: »Wozu leis­ten wir Wider­stand?« Die Arbeit des IfS und beson­ders der freie Aus­tausch zwi­schen den vie­len ver­schie­de­nen Cha­rak­te­ren auf sei­nen Aka­de­mien die­ne dabei vor allem einer »Frei­le­gung der Wider­stands­kraft« auf dem Wege des »Suchen und Han­deln, Lau­schen und Tun«. Die Aka­de­mie­teil­neh­mer, so vie­le wie noch nie, fuh­ren ein­mal mehr mit reich­lich Stoff zum Nach­den­ken und Dis­ku­tie­ren in ihre Hei­mat­städ­te zurück – und dies­mal zusätz­lich mit einem Ein­druck von der »Mach­bar­keit« des wider­stän­di­gen Tuns.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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