Heideggers Technikkritik, die an Ausmaß und Tiefe alles Vergleichbare in den Schatten stellt, ist kein Randgebiet seines Denkens. Sie ist sozusagen dessen »Krone«, die sich erst im Zuge seines Spätwerks zeigt. Die Technik wird nach der sogenannten »Kehre« sein Hauptthema. Dem Vortrag »Die Frage nach der Technik« aus dem Jahre 1953, der vielen bekannt sein wird, gingen jedoch viele Jahre der Überlegung voraus. Bereits in den Marburger Vorlesungen zur griechischen Philosophie, in der Nietzsche-Kritik der dreißiger Jahre, finden sich Vorzeichen. Als Wegmarke des Übergangs kann die Rede vom 9. Juni 1938: »Die Begründung des neuzeitlichen Weltbildes durch die Metaphysik« gelten.
Genau dieser Titel beschreibt programmatisch die Stoßrichtung der Kritik. Heidegger predigt keinen Rousseauismus, er ist auch nicht der Meinung, daß der Mensch im Maschinenzeitalter die »Herrschaft« über die als Werkzeug verstandene Technik verloren habe. Er fragt nach dem geistigen Möglichkeitsraum und dem »Wesen der Technik«, das nach ihm selbst »ganz und gar nichts Technisches« ist.« Er grenzt seine Betrachtung daher gegen eine alltägliche »instrumentale und anthropologische Bestimmung« der Technik ab, nach der die Technik immer »ein Mittel für Zwecke«, oder »ein Tun des Menschen« sei. Die Technik ist nach ihm kein neutrales Werkzeug, das in den Gesichtskreis des Menschen eintritt und irgendwann seiner Verfügung entwächst. Sie ist Ausdruck eines größeren Prozesses, der das gesamte menschliche Selbst- und Weltbild betrifft und sich epochenartig in Kultur und Geistesgeschichte, Politik, Wissenschaft und Forschung niederschlägt. »Neuzeitliche Wissenschaft, neuzeitliche Technik, Subjektivierung der Ästhetik, Kulturbetrieb und Entmythisierung«, sind Marksteine des technischen Weltbildes. Der gemeinsame Grund für alle ist die »Vergegenständlichung der Gesamtheit des Seienden« durch das »neuzeitliche Erkenntnis-Subjekt«.
Das cartesianische Subjekt wird zur einzigen Auslegungsschablone für das, was Heidegger mit »Dasein« beschreibt. Alles, was dieses Dasein bedingt und bindet, seine ethnokulturelle Herkunft, seine Körperlichkeit, aber auch seine Transzendenz, die Frage nach dem Sinn und dem Sakralen, wird vom cartesianischen Standpunkt aus radikal in Zweifel gezogen und nebensächlich. Ja, es erscheint als Fessel, als Gefängnis für die »Emanzipation« des Einzelnen. Individualismus und Egalitarismus sind die politischen Konsequenzen des neuzeitlichen Subjektivismus. Das moderne moralische Credo gegen Staatsgrenzen, Geschlechtsgrenzen, Grenzen des Sakralen und des Geschmacks baut auf diesem Menschen- und Weltbild auf. Von Genderwahn bis »no border« – alles atmet den Geist der Machbarkeit der »Befreiung« des Subjekts von seinen »Bindungen«. Die »künstliche Welt«, welche die Moderne technisch und juristisch erschafft, ist dadurch gekennzeichnet, daß in ihr das »Unverfügbare«, für das schon in Heideggers Kunstwerkaufsatz die »Erde« steht, fügsam gemacht werden soll. Es ist die »Entmachtung der physis«. Die Natur wird ein »Bestand«, eine »einzige riesige Tankstelle«, wie Heidegger sagt. Diese Entmachtung des Unverfügbaren richtet sich im Grunde gegen die Zeit und die Geschichtlichkeit. Nicht nur die Bindungen des Daseins an die Welt und die physis, sondern auch die Grenze seines Wissenshorizonts und seine Geschichtlichkeit werden nicht mehr akzeptiert. Die Endgültigkeit und Totalität, mit der das neuzeitliche Denken sich über und an das Ende aller bis- herigen Interpretationen von Mensch und Welt stellt, ist nach Heidegger die »Seinsvergessenheit«. Eine universalistische, konvergente Fortschrittsgeschichte der Menschheit will alles in sich einverleiben. Sie verstellt jede andere mögliche Wahrnehmung von Mensch und Welt, und am Ende sogar diese Möglichkeit selbst. Diese Endgültigkeit und das Vergessen der Vergessenheit ist für Heidegger die »höchste Gefahr«. Am Ende dieses Vernichtungsfeldzuges steht die Zeit- und Ortlosigkeit, das »Ende der Geschichte«. Es ist das Zugleich von totaler Betriebsamkeit, rasender Tätigkeit und Reizüberflutung mit völliger Entschleunigung und innerer Leere.
Im globalen Takt der Warengesellschaft gleichen sich mit jedem Schlag jede Sekunde, jeder Ort und jeder Mensch immer mehr an, während gleichzeitig das »bunte« Gewucher der subkulturellen Masken immer wildere Blüten treibt. Die totale Homogenisierung des Raumes und der Zeit wirken auf den Menschen wie eine weiße Gummizelle, in der langsam die Illusion von Unendlichkeit und Losgelöstheit entsteht. Das Einzige, das alle immer noch unverfügbar an die Erde bindet – der Tod –, wird konsequent ausgeblendet. Was stattfindet, ist eigentlich eine »Verweigerung von Welt«, eine »Verzauberung«, eine »Behexung« im Gewand höchster Aufklärung, die sich als profane Auslegungsmaske, als Individualismus, Egalitarismus, Universalismus und Progressismus zwischen uns und die Phänomene, die Dinge und Mitmenschen schiebt.
Das Zusammenwirken zwischen der modernen Waren- und Konsumgesellschaft, der Säkularisierung, der Vermassung, dem modernen Staatswesen, der modernen Wissenschaft und Technik und dem modernen Menschenbild bringt Heidegger mit dem Begriff der »Machenschaft« auf den Punkt. Sie ist jene Auslegung alles Seienden, in der es nur in seiner Machbarkeit zum Vorschein kommt. Machenschaft ist die Herangehensweise und die Herausforderung der Welt im Sinne der technischen Umsetzung. Heidegger verfolgt sie bis zu ihren griechischen Ursprüngen zurück. Die Erfahrung des Seins als dynamisches Anwesen, das nie voll erfaßbar ist, verschiebt sich zu einer Fixierung auf die Anwesenheit, auf das Festgestellte und den Effekt. Wirklich wird, was wirklich wirkt. Das Denken wird zum Rechnen. Die Wahrheit verschiebt sich von der ursprünglichen Offenbarkeit der Welt zur totalen Forderung nach Gewißheit, die empirisch sichergestellt werden muß.
Die Machenschaft offenbart sich letztlich als eine verzweifelte Gegenbewegung zur wachsenden Unbehaustheit des Menschen in seiner Welt. Eine schleichende Unsicherheit und ein Sinnverlust, die nach Heidegger bereits lange vor der eigentlichen Moderne ansetzten, treiben ihn in die Suche nach totaler Gewißheit und Sicherheit. Die totale Erkenntnis, der Empirismus und Positivismus, die vollkommene Prognose, die Ideologie von Big Data und Weltfrieden sind Zeugen einer epochalen Fluchtbewegung des Menschen vor der entscheidenden Frage seines Daseins: der Frage »Wozu?«.
Die unbeantwortete Sinnfrage (und Seinsfrage) äußert sich als Nihilismus (der »Grundbewegung der Geschichte des Abendlandes«). Es folgt eine Flucht in die Erforschung und Sicherung des Raums. Ohne ein »Wozu« wird das »Wie« immer unerträglicher. Die Schmerzempfindlichkeit, die Sehnsucht nach Lebensabsicherung, nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung, nach dem »Sabbat aller Sabbate« (Nietzsche) steigen. Der letzte Mensch sehnt sich nach der Beseitigung aller Konfliktquellen, das heißt: aller Verschiedenheiten. Die Erde muß von der Nahrungsmittelproduktion bis zur Rentenversorgung ein einziges zentrales, vernetztes, tickendes Triebwerk werden, in dem das größte Glück der größten Zahl sicher und nachhaltig produziert wird. Es gibt keine Freiheit und keine Pflicht mehr, keine Wahrheit und kein Geheimnis. Die Machbarkeit strebt in ein bis ins Letzte verwaltetes System, in dem Arbeit und Kulturindustrie wie Zahnräder ineinander greifen, in dem künstliche Identitäten und eine gigantische »Zerstreuungsindustrie« die »Deterritorialisierung und Reterritorialisierung« des Kapitals (Deleuze) ermöglichen. Das ist nicht 1984, das ist Brave New World. Es gibt keine offene Diktatur und keinen geheimen Herrscher. Es ist der von allen verinnerlichte Rahmen des neuzeitlichen Menschen‑, Welt und Wahrheitsbildes, der die hirtenlose Herde in der Koppel hält. Das ist mehr als eine kurzfristige Verirrung, die sich auf Daten wie 1789, 1933 oder 1968 festlegen ließe. Die geheimnisvolle Folgerichtigkeit und orchestrierte Einstimmigkeit, mit der sich diese Entwicklung im Westen durchsetzte und sich in der Folge globalisierte, verweist auf tiefere Triebfedern – die gar keine »Verschwörung« benötigen und ihre hochrangigen Nutznießer und Akteure beliebig wechseln können. Auch die größten Friktionen der westlichen Fortschrittsideologie mit der Realität sind verwaltbar. Multikulti muß nicht scheitern. Auch ethnokulturelle Identität und Tribalismus können »eingemeindet« werden. Ein gemäßigter, neokonservativer Weg in diese totale Verwaltung ist denkbar. Ebenso eine Bewältigung des Energie- und Überbevölkerungsproblems, eine sozialtechnische Einhegung der vielen Identitätskrisen, eine hedonistische Sedierung der allgemeinen Sinnkrise. Alle Krisen können gemeistert, jeder Kollaps kann theoretisch verschleppt und umschifft werden. Heidegger sagt in seiner Rede über »Gelassenheit«: »Denn gerade wenn die Wasserstoffbomben nicht explodieren und das Leben des Menschen auf der Erde erhalten bleibt, zieht mit dem Atomzeitalter eine unheimliche Veränderung der Welt herauf.«
Gibt es gegen diese Gefahr eine Möglichkeit der Tat? Die Machenschaft ist selbst keine Machenschaft, keine Tat des Menschen. Das zu glauben wäre selbst »machenschaftlich« gedacht. Heideggers provokante These besagt: Dies ist nicht nur unsere Interpretation, vielmehr zeigten sich uns die Natur, die Dinge und die Mitmenschen heute von ihrem Aspekt der Machbarkeit her! In ihr zeigt sich eine mögliche Offenbarung des Seins, eine mögliche Zukunft und Lebenswelt des Menschen. Die Gewißheit, daß »das System«, die neuzeitlich-subjektivistisch geprägte Politik, daß die Wirtschaft und die Moral an »natürlichen Grenzen« zusammenbrechen müßten, gibt es für Heidegger nicht. Die verwaltete »Weltennacht« könnte, auch wenn ihr ideengeschichtlicher Wert eine Sekunde beträgt, jahrtausendelang hinausgezögert werden. Ja, sie ist potentiell endlos. Am Ende stünde die Überwindung der letzten Grenze, des Todes, also die Abschaffung des Menschen, stünde der »Transhumanismus«.
All das ist möglich. Für denkende und fühlende Menschen sind es freilich Horrorvisionen, und sie werden Heidegger darin zustimmen, daß es die größte Katastrophe wäre, wenn eine »erlösende Krise« ausbliebe. Doch was brächte eine »materielle Krise«, wenn in ihr das neuzeitliche Denken, wenn Individualismus, Egalitarismus, Progressismus und Universalismus bestehen blieben? Es wäre nichts als ein »Strudel im Aquarium«. Nachher senkt sich der aufgewirbelte Dreck wieder langsam auf denselben Grund.
Die Krise der Moderne hat längst stattgefunden: Es waren die ideologischen Schlachthöfe des 20. Jahrhunderts. Was war ihr Effekt? Unser unwürdiges Vegetieren im nihilistischen Kompromiß der Postmoderne, das »Als-ob«-Denken, mit dem die universalistischen Ideologieleichen wiederbelebt werden, zeigt eines klar: Erst eine geistige Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Weltbild und seinen Symptomen kann die Krise zu einer echten Wende steigern. Die größte materielle Not kann die Notlosigkeit des Denkens, nach Heidegger die »eigentliche Not«, unberührt lassen. Hier taucht ein weiterer Begriff aus Heideggers Technikkritik auf: das Gestell. Im Gestell stellt der Mensch die Welt hinsichtlich ihrer Verwertung und Berechenbarkeit als Reservoir und Bestand. Gleichzeitig stellt ihn die technische Welt und zwingt ihn, sich einzufügen, selbst berechenbar und verwertbar zu werden. Das Gestell stellt den Menschen ständig vor Entscheidungen und fordert ihn heraus. Wir können den fortschreitenden globalistischen Wahnsinn, von Asyl- bis Genderwahn, als seine zersetzenden Zumutungen betrachten. Sofern wir uns »als der vom Gestell Herausgeforderte« erfahren und nach dem Gestell, der Seinsvergessenheit, nach Sinn und Wahrheit fragen, bergen diese Zumutungen allerdings auch ein Chance in sich.
Betrachten wir die Sache, Deutschlands und Europas, einmal aus einem anderen Blickwinkel. Wohin wäre es mit uns weitergegangen, hätte etwa der Weltkrieg einen anderen Verlauf genommen? War nicht all das, was heute geschieht, längst angelegt, hat es nicht bereits Nietzsche vorhergesehen? Waren der »unheimlichste Gast« – der Nihilismus – und das neuzeitliche Weltbild nicht schon bis ins Mark verinnerlicht? Waren nicht auch NS und Faschismus keine Wenden, sondern eine »politische Erscheinungsform« des »Nihilismus«, hinaufgeschraubter Subjektivismus und Teil der Machenschaft? Waren sie nicht ein Strudel im »neuzeitlichen Aquarium«?
Die Ideengeschichte kennt ein grausames Prinzip, das dem darwinistischen nicht nachsteht. Ein Mensch, oder eine Kultur, die in ihrem Dasein keinen Sinn sieht und keine geschichtliche Aufgabe kennt, gibt sich unweigerlich auf. Die 68er-Revolte gegen die innerlich hohle Wirtschaftswunderwelt, die Auflösung brüchiger Traditionen im Gestell, das Einfluten Fremder ins Vakuum Europas, das indifferente Diffundieren seiner »Völker-Biomassen« – das alles sind möglicherweise »materielle« Hinweise auf die Seinsvergessenheit, den Verlust von Sinn und Wahrheit. Sie fordern eine Auseinandersetzung gegen die »geistige Überfremdung«.
Der Entzug von Sinn und Wahrheit im neuzeitlichen Weltbild, dem wie auf einen geheimen Wink weltweit der Tod der Götter, Völker und Kulturen folgte, kann nach Heidegger auch als »Wegbergen« und »Verwahren« gesehen werden. »Der Sinn der technischen Welt verbirgt sich«. Das Sein schützt sich vor dem Zugriff durch die Machenschaft. Wahrheit, Werte und Religion verwahren sich vor dem technisch-funktionalistischen Zugriff durch ihren Entzug. Im Wesen der Technik und der Machenschaft glänzt das Sein in der Abwesenheit. Das Gestell und sein verwaltetes Chaos fordern uns immer intensiver zur »geistigen Revolte« heraus. Aus Heideggers Werk kann ein rechtes Lager die Lehre ziehen, daß diese Revolte aus dem Kreis der »Machenschaft« austreten muß. Sie muß rückgebunden sein. Das heißt für mich: sie muß den technisch-herrischen Zugriff auf Welt, Wahrheit und Mensch aufgeben und sich für ein Ereignis öffnen. Die geschichtliche Aufgabe unseres Volkes, deren Fehlen das Pfand des materiellen Niedergangs ist, kann uns nur als »Gabe« gegeben werden. Die Losung ist jetzt die Wachsamkeit im Kampf gegen das Gestell. Der geforderte »Einsprung in die konkrete geschichtliche Lage« meint keine Donquichotterie gegen Einzelaspekte der Moderne, sondern eine »Gelassenheit« gegenüber unvermeidlichen taktischen Zugeständnissen. Die »Offenheit für das Geheimnis«, zu der uns Heidegger rät, bedeutet, in der Auseinandersetzung auf das Wesen der Technik und die darin verborgene Sinn- und Seinsfrage zu hören.