Machbarkeit und Machenschaft

PDF der Druckfassung aus Sezession 68 / Oktober 2015

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Heid­eg­gers Tech­nik­kri­tik, die an Aus­maß und Tie­fe alles Ver­gleich­ba­re in den Schat­ten stellt, ist kein Rand­ge­biet sei­nes Den­kens. Sie ist sozu­sa­gen des­sen »Kro­ne«, die sich erst im Zuge sei­nes Spät­werks zeigt. Die Tech­nik wird nach der soge­nann­ten »Keh­re« sein Haupt­the­ma. Dem Vor­trag »Die Fra­ge nach der Tech­nik« aus dem Jah­re 1953, der vie­len bekannt sein wird, gin­gen jedoch vie­le Jah­re der Über­le­gung vor­aus. Bereits in den Mar­bur­ger Vor­le­sun­gen zur grie­chi­schen Phi­lo­so­phie, in der Nietz­sche-Kri­tik der drei­ßi­ger Jah­re, fin­den sich Vor­zei­chen. Als Weg­mar­ke des Über­gangs kann die Rede vom 9. Juni 1938: »Die Begrün­dung des neu­zeit­li­chen Welt­bil­des durch die Meta­phy­sik« gelten.

Genau die­ser Titel beschreibt pro­gram­ma­tisch die Stoß­rich­tung der Kri­tik. Heid­eg­ger pre­digt kei­nen Rous­se­au­is­mus, er ist auch nicht der Mei­nung, daß der Mensch im Maschi­nen­zeit­al­ter die »Herr­schaft« über die als Werk­zeug ver­stan­de­ne Tech­nik ver­lo­ren habe. Er fragt nach dem geis­ti­gen Mög­lich­keits­raum und dem »Wesen der Tech­nik«, das nach ihm selbst »ganz und gar nichts Tech­ni­sches« ist.« Er grenzt sei­ne Betrach­tung daher gegen eine all­täg­li­che »instru­men­ta­le und anthro­po­lo­gi­sche Bestim­mung« der Tech­nik ab, nach der die Tech­nik immer »ein Mit­tel für Zwe­cke«, oder »ein Tun des Men­schen« sei. Die Tech­nik ist nach ihm kein neu­tra­les Werk­zeug, das in den Gesichts­kreis des Men­schen ein­tritt und irgend­wann sei­ner Ver­fü­gung ent­wächst. Sie ist Aus­druck eines grö­ße­ren Pro­zes­ses, der das gesam­te mensch­li­che Selbst- und Welt­bild betrifft und sich epo­chen­ar­tig in Kul­tur und Geis­tes­ge­schich­te, Poli­tik, Wis­sen­schaft und For­schung nie­der­schlägt. »Neu­zeit­li­che Wis­sen­schaft, neu­zeit­li­che Tech­nik, Sub­jek­ti­vie­rung der Ästhe­tik, Kul­tur­be­trieb und Ent­my­thi­sie­rung«, sind Mark­stei­ne des tech­ni­schen Welt­bil­des. Der gemein­sa­me Grund für alle ist die »Ver­ge­gen­ständ­li­chung der Gesamt­heit des Sei­en­den« durch das »neu­zeit­li­che Erkenntnis-Subjekt«.

Das car­te­sia­ni­sche Sub­jekt wird zur ein­zi­gen Aus­le­gungs­scha­blo­ne für das, was Heid­eg­ger mit »Dasein« beschreibt. Alles, was die­ses Dasein bedingt und bin­det, sei­ne eth­no­kul­tu­rel­le Her­kunft, sei­ne Kör­per­lich­keit, aber auch sei­ne Tran­szen­denz, die Fra­ge nach dem Sinn und dem Sakra­len, wird vom car­te­sia­ni­schen Stand­punkt aus radi­kal in Zwei­fel gezo­gen und neben­säch­lich. Ja, es erscheint als Fes­sel, als Gefäng­nis für die »Eman­zi­pa­ti­on« des Ein­zel­nen. Indi­vi­dua­lis­mus und Ega­li­ta­ris­mus sind die poli­ti­schen Kon­se­quen­zen des neu­zeit­li­chen Sub­jek­ti­vis­mus. Das moder­ne mora­li­sche Cre­do gegen Staats­gren­zen, Geschlechts­gren­zen, Gren­zen des Sakra­len und des Geschmacks baut auf die­sem Men­schen- und Welt­bild auf. Von Gen­der­wahn bis »no bor­der« – alles atmet den Geist der Mach­bar­keit der »Befrei­ung« des Sub­jekts von sei­nen »Bin­dun­gen«. Die »künst­li­che Welt«, wel­che die Moder­ne tech­nisch und juris­tisch erschafft, ist dadurch gekenn­zeich­net, daß in ihr das »Unver­füg­ba­re«, für das schon in Heid­eg­gers Kunst­werk­auf­satz die »Erde« steht, füg­sam gemacht wer­den soll. Es ist die »Ent­mach­tung der phy­sis«. Die Natur wird ein »Bestand«, eine »ein­zi­ge rie­si­ge Tank­stel­le«, wie Heid­eg­ger sagt. Die­se Ent­mach­tung des Unver­füg­ba­ren rich­tet sich im Grun­de gegen die Zeit und die Geschicht­lich­keit. Nicht nur die Bin­dun­gen des Daseins an die Welt und die phy­sis, son­dern auch die Gren­ze sei­nes Wis­sens­ho­ri­zonts und sei­ne Geschicht­lich­keit wer­den nicht mehr akzep­tiert. Die End­gül­tig­keit und Tota­li­tät, mit der das neu­zeit­li­che Den­ken sich über und an das Ende aller bis- heri­gen Inter­pre­ta­tio­nen von Mensch und Welt stellt, ist nach Heid­eg­ger die »Seins­ver­ges­sen­heit«. Eine uni­ver­sa­lis­ti­sche, kon­ver­gen­te Fort­schritts­ge­schich­te der Mensch­heit will alles in sich ein­ver­lei­ben. Sie ver­stellt jede ande­re mög­li­che Wahr­neh­mung von Mensch und Welt, und am Ende sogar die­se Mög­lich­keit selbst. Die­se End­gül­tig­keit und das Ver­ges­sen der Ver­ges­sen­heit ist für Heid­eg­ger die »höchs­te Gefahr«. Am Ende die­ses Ver­nich­tungs­feld­zu­ges steht die Zeit- und Ort­lo­sig­keit, das »Ende der Geschich­te«. Es ist das Zugleich von tota­ler Betrieb­sam­keit, rasen­der Tätig­keit und Reiz­über­flu­tung mit völ­li­ger Ent­schleu­ni­gung und inne­rer Leere.

Im glo­ba­len Takt der Waren­ge­sell­schaft glei­chen sich mit jedem Schlag jede Sekun­de, jeder Ort und jeder Mensch immer mehr an, wäh­rend gleich­zei­tig das »bun­te« Gewu­cher der sub­kul­tu­rel­len Mas­ken immer wil­de­re Blü­ten treibt. Die tota­le Homo­ge­ni­sie­rung des Rau­mes und der Zeit wir­ken auf den Men­schen wie eine wei­ße Gum­mi­zel­le, in der lang­sam die Illu­si­on von Unend­lich­keit und Los­ge­löst­heit ent­steht. Das Ein­zi­ge, das alle immer noch unver­füg­bar an die Erde bin­det – der Tod –, wird kon­se­quent aus­ge­blen­det. Was statt­fin­det, ist eigent­lich eine »Ver­wei­ge­rung von Welt«, eine »Ver­zau­be­rung«, eine »Behe­xung« im Gewand höchs­ter Auf­klä­rung, die sich als pro­fa­ne Aus­le­gungs­mas­ke, als Indi­vi­dua­lis­mus, Ega­li­ta­ris­mus, Uni­ver­sa­lis­mus und Pro­gres­sis­mus zwi­schen uns und die Phä­no­me­ne, die Din­ge und Mit­men­schen schiebt.

Das Zusam­men­wir­ken zwi­schen der moder­nen Waren- und Kon­sum­ge­sell­schaft, der Säku­la­ri­sie­rung, der Ver­mas­sung, dem moder­nen Staats­we­sen, der moder­nen Wis­sen­schaft und Tech­nik und dem moder­nen Men­schen­bild bringt Heid­eg­ger mit dem Begriff der »Machen­schaft« auf den Punkt. Sie ist jene Aus­le­gung alles Sei­en­den, in der es nur in sei­ner Mach­bar­keit zum Vor­schein kommt. Machen­schaft ist die Her­an­ge­hens­wei­se und die Her­aus­for­de­rung der Welt im Sin­ne der tech­ni­schen Umset­zung. Heid­eg­ger ver­folgt sie bis zu ihren grie­chi­schen Ursprün­gen zurück. Die Erfah­rung des Seins als dyna­mi­sches Anwe­sen, das nie voll erfaß­bar ist, ver­schiebt sich zu einer Fixie­rung auf die Anwe­sen­heit, auf das Fest­ge­stell­te und den Effekt. Wirk­lich wird, was wirk­lich wirkt. Das Den­ken wird zum Rech­nen. Die Wahr­heit ver­schiebt sich von der ursprüng­li­chen Offen­bar­keit der Welt zur tota­len For­de­rung nach Gewiß­heit, die empi­risch sicher­ge­stellt wer­den muß.

Die Machen­schaft offen­bart sich letzt­lich als eine ver­zwei­fel­te Gegen­be­we­gung zur wach­sen­den Unbe­haust­heit des Men­schen in sei­ner Welt. Eine schlei­chen­de Unsi­cher­heit und ein Sinn­ver­lust, die nach Heid­eg­ger bereits lan­ge vor der eigent­li­chen Moder­ne ansetz­ten, trei­ben ihn in die Suche nach tota­ler Gewiß­heit und Sicher­heit. Die tota­le Erkennt­nis, der Empi­ris­mus und Posi­ti­vis­mus, die voll­kom­me­ne Pro­gno­se, die Ideo­lo­gie von Big Data und Welt­frie­den sind Zeu­gen einer epo­cha­len Flucht­be­we­gung des Men­schen vor der ent­schei­den­den Fra­ge sei­nes Daseins: der Fra­ge »Wozu?«.

Die unbe­ant­wor­te­te Sinn­fra­ge (und Seins­fra­ge) äußert sich als Nihi­lis­mus (der »Grund­be­we­gung der Geschich­te des Abend­lan­des«). Es folgt eine Flucht in die Erfor­schung und Siche­rung des Raums. Ohne ein »Wozu« wird das »Wie« immer uner­träg­li­cher. Die Schmerz­emp­find­lich­keit, die Sehn­sucht nach Lebens­ab­si­che­rung, nach sofor­ti­ger Bedürf­nis­be­frie­di­gung, nach dem »Sab­bat aller Sab­ba­te« (Nietz­sche) stei­gen. Der letz­te Mensch sehnt sich nach der Besei­ti­gung aller Kon­flikt­quel­len, das heißt: aller Ver­schie­den­hei­ten. Die Erde muß von der Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on bis zur Ren­ten­ver­sor­gung ein ein­zi­ges zen­tra­les, ver­netz­tes, ticken­des Trieb­werk wer­den, in dem das größ­te Glück der größ­ten Zahl sicher und nach­hal­tig pro­du­ziert wird. Es gibt kei­ne Frei­heit und kei­ne Pflicht mehr, kei­ne Wahr­heit und kein Geheim­nis. Die Mach­bar­keit strebt in ein bis ins Letz­te ver­wal­te­tes Sys­tem, in dem Arbeit und Kul­tur­in­dus­trie wie Zahn­rä­der inein­an­der grei­fen, in dem künst­li­che Iden­ti­tä­ten und eine gigan­ti­sche »Zer­streu­ungs­in­dus­trie« die »Deter­ri­to­ri­a­li­sie­rung und Reter­ri­to­ri­a­li­sie­rung« des Kapi­tals (Deleu­ze) ermög­li­chen. Das ist nicht 1984, das ist Bra­ve New World. Es gibt kei­ne offe­ne Dik­ta­tur und kei­nen gehei­men Herr­scher. Es ist der von allen ver­in­ner­lich­te Rah­men des neu­zeit­li­chen Menschen‑, Welt und Wahr­heits­bil­des, der die hir­ten­lo­se Her­de in der Kop­pel hält. Das ist mehr als eine kurz­fris­ti­ge Ver­ir­rung, die sich auf Daten wie 1789, 1933 oder 1968 fest­le­gen lie­ße. Die geheim­nis­vol­le Fol­ge­rich­tig­keit und orches­trier­te Ein­stim­mig­keit, mit der sich die­se Ent­wick­lung im Wes­ten durch­setz­te und sich in der Fol­ge glo­ba­li­sier­te, ver­weist auf tie­fe­re Trieb­fe­dern – die gar kei­ne »Ver­schwö­rung« benö­ti­gen und ihre hoch­ran­gi­gen Nutz­nie­ßer und Akteu­re belie­big wech­seln kön­nen. Auch die größ­ten Frik­tio­nen der west­li­chen Fort­schritts­ideo­lo­gie mit der Rea­li­tät sind ver­walt­bar. Mul­ti­kul­ti muß nicht schei­tern. Auch eth­no­kul­tu­rel­le Iden­ti­tät und Tri­ba­lis­mus kön­nen »ein­ge­mein­det« wer­den. Ein gemä­ßig­ter, neo­kon­ser­va­ti­ver Weg in die­se tota­le Ver­wal­tung ist denk­bar. Eben­so eine Bewäl­ti­gung des Ener­gie- und Über­be­völ­ke­rungs­pro­blems, eine sozi­al­tech­ni­sche Ein­he­gung der vie­len Iden­ti­täts­kri­sen, eine hedo­nis­ti­sche Sedie­rung der all­ge­mei­nen Sinn­kri­se. Alle Kri­sen kön­nen gemeis­tert, jeder Kol­laps kann theo­re­tisch ver­schleppt und umschifft wer­den. Heid­eg­ger sagt in sei­ner Rede über »Gelas­sen­heit«: »Denn gera­de wenn die Was­ser­stoff­bom­ben nicht explo­die­ren und das Leben des Men­schen auf der Erde erhal­ten bleibt, zieht mit dem Atom­zeit­al­ter eine unheim­li­che Ver­än­de­rung der Welt herauf.«

Gibt es gegen die­se Gefahr eine Mög­lich­keit der Tat? Die Machen­schaft ist selbst kei­ne Machen­schaft, kei­ne Tat des Men­schen. Das zu glau­ben wäre selbst »machen­schaft­lich« gedacht. Heid­eg­gers pro­vo­kan­te The­se besagt: Dies ist nicht nur unse­re Inter­pre­ta­ti­on, viel­mehr zeig­ten sich uns die Natur, die Din­ge und die Mit­men­schen heu­te von ihrem Aspekt der Mach­bar­keit her! In ihr zeigt sich eine mög­li­che Offen­ba­rung des Seins, eine mög­li­che Zukunft und Lebens­welt des Men­schen. Die Gewiß­heit, daß »das Sys­tem«, die neu­zeit­lich-sub­jek­ti­vis­tisch gepräg­te Poli­tik, daß die Wirt­schaft und die Moral an »natür­li­chen Gren­zen« zusam­men­bre­chen müß­ten, gibt es für Heid­eg­ger nicht. Die ver­wal­te­te »Wel­ten­nacht« könn­te, auch wenn ihr ideen­ge­schicht­li­cher Wert eine Sekun­de beträgt, jahr­tau­sen­de­lang hin­aus­ge­zö­gert wer­den. Ja, sie ist poten­ti­ell end­los. Am Ende stün­de die Über­win­dung der letz­ten Gren­ze, des Todes, also die Abschaf­fung des Men­schen, stün­de der »Trans­hu­ma­nis­mus«.

All das ist mög­lich. Für den­ken­de und füh­len­de Men­schen sind es frei­lich Hor­ror­vi­sio­nen, und sie wer­den Heid­eg­ger dar­in zustim­men, daß es die größ­te Kata­stro­phe wäre, wenn eine »erlö­sen­de Kri­se« aus­blie­be. Doch was bräch­te eine »mate­ri­el­le Kri­se«, wenn in ihr das neu­zeit­li­che Den­ken, wenn Indi­vi­dua­lis­mus, Ega­li­ta­ris­mus, Pro­gres­sis­mus und Uni­ver­sa­lis­mus bestehen blie­ben? Es wäre nichts als ein »Stru­del im Aqua­ri­um«. Nach­her senkt sich der auf­ge­wir­bel­te Dreck wie­der lang­sam auf den­sel­ben Grund.

Die Kri­se der Moder­ne hat längst statt­ge­fun­den: Es waren die ideo­lo­gi­schen Schlacht­hö­fe des 20. Jahr­hun­derts. Was war ihr Effekt? Unser unwür­di­ges Vege­tie­ren im nihi­lis­ti­schen Kom­pro­miß der Post­mo­der­ne, das »Als-ob«-Denken, mit dem die uni­ver­sa­lis­ti­schen Ideo­lo­giel­ei­chen wie­der­be­lebt wer­den, zeigt eines klar: Erst eine geis­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit dem neu­zeit­li­chen Welt­bild und sei­nen Sym­pto­men kann die Kri­se zu einer ech­ten Wen­de stei­gern. Die größ­te mate­ri­el­le Not kann die Not­lo­sig­keit des Den­kens, nach Heid­eg­ger die »eigent­li­che Not«, unbe­rührt las­sen. Hier taucht ein wei­te­rer Begriff aus Heid­eg­gers Tech­nik­kri­tik auf: das Gestell. Im Gestell stellt der Mensch die Welt hin­sicht­lich ihrer Ver­wer­tung und Bere­chen­bar­keit als Reser­voir und Bestand. Gleich­zei­tig stellt ihn die tech­ni­sche Welt und zwingt ihn, sich ein­zu­fü­gen, selbst bere­chen­bar und ver­wert­bar zu wer­den. Das Gestell stellt den Men­schen stän­dig vor Ent­schei­dun­gen und for­dert ihn her­aus. Wir kön­nen den fort­schrei­ten­den glo­ba­lis­ti­schen Wahn­sinn, von Asyl- bis Gen­der­wahn, als sei­ne zer­set­zen­den Zumu­tun­gen betrach­ten. Sofern wir uns »als der vom Gestell Her­aus­ge­for­der­te« erfah­ren und nach dem Gestell, der Seins­ver­ges­sen­heit, nach Sinn und Wahr­heit fra­gen, ber­gen die­se Zumu­tun­gen aller­dings auch ein Chan­ce in sich.

Betrach­ten wir die Sache, Deutsch­lands und Euro­pas, ein­mal aus einem ande­ren Blick­win­kel. Wohin wäre es mit uns wei­ter­ge­gan­gen, hät­te etwa der Welt­krieg einen ande­ren Ver­lauf genom­men? War nicht all das, was heu­te geschieht, längst ange­legt, hat es nicht bereits Nietz­sche vor­her­ge­se­hen? Waren der »unheim­lichs­te Gast« – der Nihi­lis­mus – und das neu­zeit­li­che Welt­bild nicht schon bis ins Mark ver­in­ner­licht? Waren nicht auch NS und Faschis­mus kei­ne Wen­den, son­dern eine »poli­ti­sche Erschei­nungs­form« des »Nihi­lis­mus«, hin­auf­ge­schraub­ter Sub­jek­ti­vis­mus und Teil der Machen­schaft? Waren sie nicht ein Stru­del im »neu­zeit­li­chen Aquarium«?

Die Ideen­ge­schich­te kennt ein grau­sa­mes Prin­zip, das dem dar­wi­nis­ti­schen nicht nach­steht. Ein Mensch, oder eine Kul­tur, die in ihrem Dasein kei­nen Sinn sieht und kei­ne geschicht­li­che Auf­ga­be kennt, gibt sich unwei­ger­lich auf. Die 68er-Revol­te gegen die inner­lich hoh­le Wirt­schafts­wun­der­welt, die Auf­lö­sung brü­chi­ger Tra­di­tio­nen im Gestell, das Ein­flu­ten Frem­der ins Vaku­um Euro­pas, das indif­fe­ren­te Dif­fun­die­ren sei­ner »Völ­ker-Bio­mas­sen« – das alles sind mög­li­cher­wei­se »mate­ri­el­le« Hin­wei­se auf die Seins­ver­ges­sen­heit, den Ver­lust von Sinn und Wahr­heit. Sie for­dern eine Aus­ein­an­der­set­zung gegen die »geis­ti­ge Überfremdung«.

Der Ent­zug von Sinn und Wahr­heit im neu­zeit­li­chen Welt­bild, dem wie auf einen gehei­men Wink welt­weit der Tod der Göt­ter, Völ­ker und Kul­tu­ren folg­te, kann nach Heid­eg­ger auch als »Weg­ber­gen« und »Ver­wah­ren« gese­hen wer­den. »Der Sinn der tech­ni­schen Welt ver­birgt sich«. Das Sein schützt sich vor dem Zugriff durch die Machen­schaft. Wahr­heit, Wer­te und Reli­gi­on ver­wah­ren sich vor dem tech­nisch-funk­tio­na­lis­ti­schen Zugriff durch ihren Ent­zug. Im Wesen der Tech­nik und der Machen­schaft glänzt das Sein in der Abwe­sen­heit. Das Gestell und sein ver­wal­te­tes Cha­os for­dern uns immer inten­si­ver zur »geis­ti­gen Revol­te« her­aus. Aus Heid­eg­gers Werk kann ein rech­tes Lager die Leh­re zie­hen, daß die­se Revol­te aus dem Kreis der »Machen­schaft« aus­tre­ten muß. Sie muß rück­ge­bun­den sein. Das heißt für mich: sie muß den tech­nisch-her­ri­schen Zugriff auf Welt, Wahr­heit und Mensch auf­ge­ben und sich für ein Ereig­nis öff­nen. Die geschicht­li­che Auf­ga­be unse­res Vol­kes, deren Feh­len das Pfand des mate­ri­el­len Nie­der­gangs ist, kann uns nur als »Gabe« gege­ben wer­den. Die Losung ist jetzt die Wach­sam­keit im Kampf gegen das Gestell. Der gefor­der­te »Ein­sprung in die kon­kre­te geschicht­li­che Lage« meint kei­ne Don­qui­chot­te­rie gegen Ein­zel­aspek­te der Moder­ne, son­dern eine »Gelas­sen­heit« gegen­über unver­meid­li­chen tak­ti­schen Zuge­ständ­nis­sen. Die »Offen­heit für das Geheim­nis«, zu der uns Heid­eg­ger rät, bedeu­tet, in der Aus­ein­an­der­set­zung auf das Wesen der Tech­nik und die dar­in ver­bor­ge­ne Sinn- und Seins­fra­ge zu hören.

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

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