Am 31. Oktober 2015, während der Durchschnittsamerikaner über Wochen hinweg vorbereitete Halloweenfeiern besuchte, veranstaltete das in Arlington (Virginia) ansässige National Policy Institute (NPI) seine jährliche Konferenz. Man tagte diesmal im repräsentativen National Press Club in Washington, D.C. – nur knapp vierhundert Meter vom Weißen Haus entfernt. Das von Richard B. Spencer geleitete und hierzulande wohl am ehesten dem Institut für Staatspolitik vergleichbare NPI – Leitsatz: »Für unser Volk, unsere Kultur, unsere Zukunft« – versammelte seine 270 Teilnehmer in diesem Jahr unter dem identitär inspirierten Motto »Become Who We Are«, entlehnt von Pindar und vom darauf fußenden »Werde, der du bist!« des nietzscheanischen Zarathustra.
Diese Invasion bedroht uns auf der fundamentalsten biologischen Ebene. Aber sie enthält in sich ihre eigene Umkehr, das Potential, Rassenbewußtsein zu stärken und zu intensivieren. Denn wer sind wir in Achmeds, Yusefs und Haleems Augen? Wir sind keine Italiener, Ungarn, Polen, oder Liberale, Konservative, Marxisten. Die Invasoren unterscheiden nicht zwischen denen, die ihnen bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen applaudierten, und denen, die schwiegen. Für unsere Gegner sind wir Weiße, ganz egal, wie wir uns selbst sehen mögen.
(Richard Spencer in seinem Grundsatzvortrag)
Nicht nur gelang es dem NPI, nach einigen Jahren der Flaute eine sehr gut besuchte Konferenz abzuhalten; »Spencer, selbst ein verhältnismäßig junger rassistischer Aktivist, hat etwas geschafft, an dem viele ähnliche Gruppen gescheitert sind – viele junge Leute für seine Veranstaltung zu interessieren«, wie das sich antifaschistisch gerierende Southern Poverty Law Center alarmiert feststellte. Auch die Rednerliste konnte sich sehen lassen, versammelte sie doch eine Auswahl von Protagonisten dessen, was sich in den USA und darüber hinaus als »Alt(ernative) Right« bezeichnet: neben dem studierten Historiker Spencer selbst etwa der emeritierte Psychologieprofessor und Evolutionswissenschaftler Kevin B. MacDonald (vgl. Andreas Vonderach: »Kevin MacDonald und die jüdische Gruppenstrategie«, Sezession 55), der Schriftsteller und Philosoph des Maskulinismus Jack Donovan, der Musiker und Veteran der antikommunistischen »Minutemen«-Untergrundbewegung der 1960er Jahre Robert N. Taylor sowie das Urgestein der französischen Nouvelle Droite Guillaume Faye.
»Alternativ« ist an der Neuen Rechten, die sich seit den frühen 1990er Jahren jenseits des Großen Teichs gebildet hat, vor allen Dingen ihre Parteiferne. Diese – sowie die von den europäischen sehr verschiedenen Begrifflichkeiten in den USA – erklärt auch das scheinbare Oxymoron in ihrem Namen: »the right«, also die politische Rechte, sind im derzeitigen politischen Sprachgebrauch automatisch (und übrigens historisch inkorrekt) die Anhänger der Republikaner, während deren interne Rechte noch zusätzlich als »right-wingers« – ungefähr äquivalent zum bundesrepublikanischen »Rechtsradikalen« – abgegrenzt werden, wobei letzterer Terminus nicht auf Parteimitglieder beschränkt ist. Mit umgekehrten Vorzeichen gilt das Gleiche für die Linke vom Zuschnitt der hiesigen Grünen, die in Nordamerika als »Liberals« oder »Progressives« firmiert.
Intern ist das unter dem Oberbegriff der »AltRight« versammelte politische Spektrum weit aufgespreizt. Die zeitlich ältesten Vertreter, darunter das Council of Conservative Citizens und das von ihrem Sprecher Jared Taylor verantwortete Internetmagazin American Renaissance (www.amren.com), reden einer »paläokonservativen« Konterrevolution und der Rückbesinnung auf die Politik vor 1964, als der US-Kongreß mit dem Civil Rights Act die Aufhebung der Rassentrennung beschloß, das Wort. Der Aufschwung der sogenannten Neocons im Fahrwasser der ersten Präsidentschaft George W. Bushs, der von vielen »Paleocons« als radikalliberale Infiltration wahrgenommen wurde, sorgte ab 2000 für eine zweite Welle derartiger Publikationen, unter denen The American Conservative von Patrick Buchanan sowie das seit 2007 bestehende Blog Taki’s Magazine (https://takimag.com) herausstechen; letzteres wird vom griechischstämmigen Privatier und eigentümlich-frei-Stammautor Panagiotis »Taki« Theodoracopulos herausgegeben.
Bemerkenswerterweise war es dieses relativ klare Geäst der paläokonservativen Netzwerkarbeit, das den Boden für die dem »Web 2.0« angemessene und auf den ersten Blick chaotische, rhizomatische Struktur der unzähligen radikaleren Portale und Veröffentlichungsorgane der »AltRight« bereitete. Der bereits erwähnte Richard Spencer, Jahrgang 1978, nimmt hierbei eine Schlüsselposition ein: Er war von 2008 bis 2010 Chefredakteur des Takimag, gab diese Stelle jedoch auf, um sich der Leitung des NPI zu widmen und mit dessen Förderung das wegweisende Netzmagazin Alternative Right (AltRight) aufzubauen, das der »Szene« ihren Namen lieferte und sich insbesondere um jüngere Leser wie Autoren bemühte, darunter etwa Alex Kurtagic ́ (dessen dystopisches Epos Mister bald auf Deutsch vorliegen soll), Derek Turner (der mit Sea Changes eine Art thalassokratisches Komplement zum Heerlager der Heiligen verfaßt hat) und Jack Donovan, dessen maskulinistisches Manifest The Way of Men der Verlag Antaios im kommenden Jahr auf den deutschen Markt bringen wird. Zu Weihnachten 2013 zog sich Spencer von AltRight zurück und schuf das NPI-Publikationsorgan Radix Journal (www.radix-journal.com). Sein ehemaliger Mitherausgeber, der hauptberufliche Journalist Colin Liddell, führt das New Alternative Right (alternative-right.blogspot.com) seither zusammen mit dem Schriftsteller Andy Nowicki weiter.
Ebenso sind aus dem AltRight-Autorenstamm diverse weitere Projekte entstanden, worunter das Blog Counter-Currents (www.counter-currents.com) besondere Beachtung verdient. Dort, im gleichnamigen Verlag und der dazugehörigen Zeitschrift North American New Right –
allesamt verantwortet von Greg Johnson – finden sich zahllose Beiträge, die in ihrem Duktus zwischen radikalem Traditionalismus und Konservativer Revolution kompatibel zur europäischen Neuen Rechten sind und sich oft dezidiert auf diese berufen. Dabei dürfen jedoch nicht die gänzlich anderen Grundvoraussetzungen in den USA vergessen werden: Das Einwanderungsland schlechthin konnte in Ermangelung eines homogenen Staatsvolks nie einen modernen Nationalismus entwickeln, wie ihn die europäischen Völker ausprägten. Vor dem Hintergrund der sich immer schneller drehenden ethnischen Abwärtsspirale – und in Abgrenzung von den sogenannten Rasserealisten, womit Paläokonservative im Stile von AmRen gemeint sind, die Rassenunterschiede anerkennen, aber daraus keine weiteren Konsequenzen ableiten – wurde daher maßgeblich vom Occidental Quarterly, dessen Blog Occidental Observer von Prof. MacDonald geleitet wird, ein genuin neuweltlicher »weißer Nationalismus« der »europäischen Amerikaner« (vor allem gegenüber den »African Americans«) konstruiert und popularisiert:
Zu diesem Zweck müssen wir – wie jene vor uns und in Erwartung derer nach uns – mit dem Schwert in der Hand streiten, um das zu sein, was unsere Mythen uns vorbestimmt haben. Das Schwert ist der weiße Nationalismus.
(Michael O’Meara, »The Sword«, www.toqonline. com, 20. August 2009)
Welche Schlußfolgerungen genau aus der Erkenntnis vom vollständig fehlgeschlagenen »melting pot« zu ziehen seien, ist Gegenstand reger Debatten. Von Visionen eines »erlösenden« Rassenkriegs, wie sie vor allem William Luther Pierces berüchtigte Turner Diaries durchzogen, ist man in der alternativen Rechten längst abgerückt. Beliebt sind stattdessen Sezessionsbestrebungen und die Idee eines strikt isolationistischen »weißen Ethnostaats«, für den insbesondere das pazifische Nordwestterritorium in Frage kommen; der ehemalige NS-Aktivist und Söldner Harold Covington hat mit den Northwest Novels bereits eine (eher groteske) Romantetralogie von insgesamt über 1800 Seiten darüber geschrieben. In allen Veröffentlichungen zur angestrebten »Weißen Republik« bricht sich neben der Berufung auf die berühmte »Rivers- of-Blood«-Rede des Briten Enoch Powell besonders der US-amerikanische Kernmythos vom »manifest destiny« und des Pioniergeistes deutlich Bahn, allerdings im postmodernen Gewand: Nach drei Jahrzehnten Multikulturalismus und zerbröckelnder Einwanderungsschranken sei der völkische Selbsterhalt allenfalls noch in der Abtrennung zu suchen.
Unbeschadet der genannten fundamentalen Unterschiede verdient der weite Kosmos der amerikanischen »AltRight« durchaus die Aufmerksamkeit des sprachlich versierten europäischen Neurechten. Nicht nur ist die US-»Szene« untereinander bestens vernetzt und hat zahlreiche faszinierende Charaktere hervorgebracht: Gerade durch die aufgrund der anderen Rechtslage mögliche, schneidende Schärfe zahlreicher Aufsätze und Gespräche übt die Lektüre in noch ganz anderer Weise für das (meta)politische Denken seitlich der ausgetretenen Pfade. Zu dem Schluß, daß wohlfeile Kompromisse gänzlich untauglich sind, ist man auf der anderen Seite des Atlantiks längst gelangt: Die Wiederherstellung des europäischen Amerika »gelingt nicht durch einen Vorgang, der von all dem abhängt, was die Wurzel unserer jetzigen Erniedrigung ist« (O’Meara).