Deutschland im falschen Film

Zwei Tage, bevor er sich in Dresden als verbaler Suizidbomber betätigte, besuchte ich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse Akif Pirinçci, der am Stand der Jungen Freiheit las. Er gab Passagen aus dem Schlußwort seiner jüngsten Polemik Die große Verschwulung zum besten. Dieses Buch beginnt mit folgenden Worten: »Um das Ende gleich vorwegzunehmen: Deutschland, wie wir es kennen, und das deutsche Volk werden untergehen!« Was nun folgte, war eine atemlose Tour de Force, ebenso komisch wie grausam, mit dem einzigen Ziel, wachzurütteln, zu verletzen und zu schockieren, um mithilfe dieser Roßkur die Augen des deutschen Michels für die Realität seiner Lage zu öffnen, die komisch und grausam zugleich ist.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Zwei Tage, bevor er sich in Dres­den als ver­ba­ler Sui­zid­bom­ber betä­tig­te, besuch­te ich im Rah­men der Frank­fur­ter Buch­mes­se Akif Pirin­çci, der am Stand der Jun­gen Frei­heit las. Er gab Pas­sa­gen aus dem Schluß­wort sei­ner jüngs­ten Pole­mik Die gro­ße Ver­schwu­lung zum bes­ten. Die­ses Buch beginnt mit fol­gen­den Wor­ten: »Um das Ende gleich vor­weg­zu­neh­men: Deutsch­land, wie wir es ken­nen, und das deut­sche Volk wer­den unter­ge­hen!« Was nun folg­te, war eine atem­lo­se Tour de Force, eben­so komisch wie grau­sam, mit dem ein­zi­gen Ziel, wach­zu­rüt­teln, zu ver­let­zen und zu scho­ckie­ren, um mit­hil­fe die­ser Roß­kur die Augen des deut­schen Michels für die Rea­li­tät sei­ner Lage zu öff­nen, die komisch und grau­sam zugleich ist.

Wer Anstoß an der noto­risch def­ti­gen Spra­che des Autors nimmt, über­sieht leicht, daß Pirin­çci, im Grun­de ein Ohn­mäch­ti­ger wie wir alle, mit dem Rücken zur Wand steht und von dort aus manisch fau­le Eier gegen ein über­mäch­ti­ges Unge­tüm wirft, das vor­mals Deutsch­land hieß. Er sieht die­ses Unge­tüm in all sei­nem nack­ten Wahn­sinn deut­li­cher als die bien-pens­ants, die über ihn, den Ver­zwei­fel­ten, nicht mehr bloß die Nase rümp­fen, son­dern mit einer unver­hoh­le­nen Lust sei­ne Exis­tenz zu ver­nich­ten trach­ten. Anders als das Geheul der übli­chen Ver­däch­ti­gen glau­ben machen will, hat Pirin­çcis »homo­pho­bes« Buch mit Homo­se­xua­li­tät nur am Ran­de zu tun, weit­aus mehr aller­dings mit der tota­len Deka­denz einer Gesell­schaft, die sich ange­sichts der irre­füh­ren­der­wei­se »Flücht­lings­kri­se« genann­ten Zuspit­zung der Lage wie eine Schaf­her­de auf dem Weg zur Schlacht­bank aus­nimmt und dabei mit zuneh­men­der Irra­tio­na­li­tät agiert.

Deutsch­land scheint sich im Jah­re 2015 im Griff einer kol­lek­ti­ven sui­zi­da­len Trance zu befin­den, deren Cha­rak­ter man wohl am bes­ten mit Hei­mi­to von Dode­rer als »Pseu­do­lo­gie« beschrei­ben könn­te: Dar­un­ter ver­stand der öster­rei­chi­sche Roman­cier alle Bemü­hun­gen, vor die Wirk­lich­keit ein Spin­nen­netz aus Fik­tio­nen zu span­nen, um sich ihr durch eine Art frei­wil­li­ge Selbst­blen­dung zu ent­zie­hen. Er glaub­te, daß die­ser pseu­do­lo­gi­schen Flucht, die mit der »App­er­zep­ti­ons­ver­wei­ge­rung« iden­tisch ist, ein wil­lent­li­cher Akt, ein »nicht mehr auf­find­ba­rer, böser Ent­schluß des Ein­zel-Indi­vi­du­ums« vor­aus­gin­ge: »Dumm ist, wer dumm sein will«. Die »Matrix der Dumm­heit« ist in die­sem Sin­ne »nichts ande­res als eine oft und geschwind im Halb­schat­ten des Bewußt­seins voll­zo­ge­ne Abwen­dung vom Leben. Die Dumm­heit ist der kal­te Schweiß unse­rer Lebens­schwä­che.« Als Dode­rer die­sen Ent­schluß, den Kopf in den Sand zu ste­cken, »böse« nann­te, mein­te er das durch­aus im ethi­schen Sin­ne: Denn das Indi­vi­du­um ent­schließt sich, in der Lüge und daher bald durch die Lüge und für die Lüge zu leben, auf dem Weg dort­hin ver­ges­send, daß es sich um eine sol­che han­delt. Der­art ein­ge­bun­kert, hat es auch jene Angst aus sei­nem Bewußt­sein ver­bannt, die den Kalt­schweiß aus­ge­löst und sei­nen Rück­zug moti­viert hat­te. Kein Wun­der also, wenn sich der Haß der Dummm­heit, die nach Dode­rer kei­ne »Eigen­schaft«, son­dern eine »Hal­tung« ist, fort­an gegen alles wen­det, das ihren Schutz­wall durch­bre­chen könn­te. »Die Dumm­heit ist heu­te wach, stets im Anschlag, scharf­sin­nig und fein­spü­rig«, schrieb Dode­rer. »Sie wit­tert sofort die Anwe­sen­heit von Intel­li­genz, in den feins­ten Spu­ren sogar, und nimmt eine feind­se­li­ge Hal­tung gegen sie ein (…). Und sie ist der Intel­li­genz tak­tisch inso­fern über­le­gen, als sie selbst sich nie beim Namen nennt.«

Nichts ande­res hat der fran­zö­si­sche Chan­son­nier Geor­ges Bras­sens gemeint, als er sang: »Ent­re nous soit dit, bon­nes gens, pour recon­naît­re que l’on n’est pas intel­li­gent, il fau­drait l’être« – Unter uns gesagt, lie­be Leu­te, um zu erken­nen, daß man nicht intel­li­gent ist, müß­te man es sein.« In dem­sel­ben Lied heißt es auch iro­nisch: »Alle, die nicht so den­ken wie wir, sind Idio­ten!« Wahr­schein­lich ist nie­mand von die­ser von Bras­sens kari­kier­ten Bor­niert­heit gänz­lich frei. Selbst intel­li­gen­te Men­schen beher­ber­gen oft gan­ze Archi­pe­le an Dumm­heits­in­seln in ihrem Kopf, wie umge­kehrt auch die sprich­wört­li­chen blin­den Hüh­ner ab und zu ein Korn fin­den. Manch­mal beob­ach­ten wir an ande­ren den unheim­li­chen Vor­gang der psy­cho­lo­gi­schen Pro­jek­ti­on: Sie wer­fen ihrer Umwelt exakt die­sel­ben Din­ge vor, deren sie sich selbst schul­dig machen, und ein sol­ches Schau­spiel soll­te auch ab und zu unse­re eige­nen Gewiß­hei­ten in Fra­ge stel­len: Wer weiß, wie vie­le blin­de Fle­cken uns wie Schup­pen vor den geis­ti­gen Augen lie­gen? Und dann begeg­nen uns im Leben immer wie­der Zeit­ge­nos­sen, die die Wahr­heit nicht von ihren Pseu­do­lo­gien unter­schei­den kön­nen. Oft­mals sind die­se Men­schen nicht ein­mal bös­ar­tig; es feh­len ihnen womög­lich schlicht­weg die grau­en Zel­len, bestimm­te Din­ge wahr­zu­neh­men, wodurch sie zu einem iso­lier­ten Dasein in einem Par­al­lel­uni­ver­sum ver­bannt sind, des­sen äußers­te Stei­ge­rungs­stu­fe der Wahn ist.

Bei dem ame­ri­ka­ni­schen Blog­ger »Anony­mous Con­ser­va­ti­ve« fand ich eine Theo­rie, zu der ich als Nicht-Wis­sen­schaft­ler kei­ne kom­pe­ten­te Mei­nung habe und die ich nur stark ver­kürzt wie­der­ge­be. Dem­nach hät­ten neu­ro­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen erge­ben, daß die poli­ti­sche Ein­stel­lung eines Men­schen häu­fig mit der Ent­wick­lung sei­ner Amyg­da­la kor­re­liert, einem Teil des Gehirns, der unter ande­rem für das Ent­ste­hen von Angst ver­ant­wort­lich ist. Oder, prä­zi­ser aus­ge­drückt: »Die Amyg­da­la ist in ers­ter Linie dafür zustän­dig, einer Wahr­neh­mung eine emo­tio­na­le Signi­fi­kanz zuzu­schrei­ben.« Das bedeu­tet, daß die Fähig­keit, eine Gefahr als eine sol­che wahr­zu­neh­men, hier ihren Sitz inner­halb der Gehirn­ana­to­mie hat. Der von »Anony­mous Con­ser­va­ti­ve« zitier­ten Stu­die zufol­ge ist die­ser Teil des Gehirns bei Kon­ser­va­ti­ven in der Regel stär­ker aus­ge­prägt als bei »libe­rals«, also bei »Lin­ken« und wohl durch­aus auch »Libe­ra­len« in unse­rem Sin­ne. Man erkennt hier sofort ein Mus­ter der zeit­ge­nös­si­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen wie­der: Im extre­men Fall hat man hier die Kari­ka­tur des rech­ten Para­noi­kers vor sich, der über­all Fein­de und Ver­rä­ter wit­tert, von »Law and Order« beses­sen ist und sich unter­ir­di­sche Bun­ker und Waf­fen­la­ger ein­rich­tet. Die Lin­ke wirft der Rech­ten (bei­de im wei­tes­ten Sin­ne gefaßt) bekannt­lich ger­ne vor, »Ängs­te«, natür­lich mit Vor­zug »dif­fu­se«, zu hegen und zu schü­ren, und eine belieb­te Tak­tik ist es, den aus der Psych­ia­trie gestoh­le­nen Begriff der »Pho­bie« in eine Kampf­vo­ka­bel umzu­mün­zen, die es erlaubt, den Geg­ner als hys­te­risch, neu­ro­tisch und geis­tes­krank hin­zu­stel­len: »Isla­mo­pho­bie«, »Homo­pho­bie« oder »Xeno­pho­bie« sind sol­che Schlag­wör­ter. Sie wir­ken der­art läh­mend, daß es inzwi­schen eine regel­rech­te Pho­bie davor gibt, als Pho­bi­ker aus der genann­ten Palet­te iden­ti­fi­ziert zu werden.

In Wahr­heit ver­hält es sich frei­lich genau umge­kehrt, ein wenig wie in dem klas­si­schen Thril­ler Gas­light von 1944, in dem ein psy­cho­pa­thi­scher Mör­der sei­ne Frau in den Wahn­sinn zu trei­ben ver­sucht, indem er ihr durch sub­ti­le Mani­pu­la­tio­nen ein­re­det, daß sie an Wahn­vor­stel­lun­gen lei­de – so lan­ge, bis sie tat­säch­lich über­schnappt. Der herr­schen­de poli­tisch-kor­rek­te Dis­kurs ist im Grun­de nichts ande­res als eine gestei­ger­te, nicht mehr ganz so sub­ti­le Form von »Gas­light­ing«.

Es ist Teil die­ses Spiels, daß sich die Lin­ke selbst als angst- und damit haß­frei, als mensch­lich, tole­rant, welt­of­fen, ver­nünf­tig, fried­fer­tig, geis­tig gesund und so wei­ter prä­sen­tiert, wäh­rend sie gleich­zei­tig aggres­siv gegen alle vor­geht, die die­ses Selbst­bild in Fra­ge stel­len. Bes­ten­falls beteu­ert man groß­zü­gig, »die Ängs­te der Men­schen ernst­neh­men« zu wol­len, was meis­tens bedeu­tet, daß man die Ängst­li­chen für the­ra­pie­be­dürf­tig hält, sobald ihre poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen inop­por­tun aus­fal­len. Wäh­rend die Lin­ke die Rech­te für böse hält, hal­ten die Rech­ten die Lin­ke vor allem für dumm. In ihren Augen erscheint die Lin­ke als fahr­läs­sig naiv, welt­fremd, infan­til, »gut­mensch­lich« sen­ti­men­tal, stets bereit, sich in ideo­lo­gi­sche Illu­sio­nen zu üch­ten und die eige­ne Nati­on oder Gemein­schaft zuguns­ten des Frem­den zu ver­ra­ten – ein Bild, das sich recht gut in den Mas­sen von bra­ven Deut­schen ver­sinn­bild­licht, die in der ers­ten Pha­se der Flücht­lings­in­va­si­on mit regen­bo­gen­bun­ten »Refugees-Welcome«-Schildchen auf den Bahn­hö­fen stan­den. Da nun die Amyg­da­la durch Erfah­run­gen wie Angst, Schmerz und Kon­flikt sti­mu­liert wird, die ihre Her­aus­bil­dung för­dern, liegt der Schluß nahe, daß Gesell­schaf­ten, in denen der Ernst des Lebens­kamp­fes durch Wohl­stand, Wohl­fahrts­staat und tech­ni­schen Kom­fort dras­tisch redu­ziert wird, mas­sen­haft Men­schen­ty­pen her­vor­brin­gen, deren ent­spre­chen­de Gehirn­tei­le ver­küm­mert sind: Sie glei­chen immer mehr den »Eloi« aus dem Roman Die Zeit­ma­schi­ne von H.G. Wells, jenen über­züch­te­ten, arg- und wehr­lo­sen Kind­men­schen, die von den bar­ba­ri­schen »Mor­locks« ver­speist werden.

»Anony­mous Con­ser­va­ti­ve« sieht auch eine Kor­re­la­ti­on zwi­schen einer unter­ent­wi­ckel­ten Amyg­da­la und dem »r‑Typus« der Popu­la­ti­ons­öko­lo­gie, der eine Fort­pflan­zungs­stra­te­gie ver­folgt, die auf extre­mer Quan­ti­tät beruht. Dazu gehö­ren Eigen­schaf­ten wie ver­min­der­te Wett­be­werbs­fä­hig­keit (dimi­nis­hed com­pe­ti­ti­ve­ness), frü­he sexu­el­le Rei­fe, Pro­mis­kui­tät und nied­ri­ger Eltern­auf­wand (low inves­tem­ent paren­ting), wor­in man unschwer Ele­men­te der Mise­re erken­nen kann, die eine »befrei­te« Sexua­li­tät in der west­li­chen Welt ange­rich­tet hat. Die mensch­li­che Zivi­li­sa­ti­on beru­he nun aller­dings auf der ent­ge­gen­ge­setz­ten, auf Qua­li­tät aus­ge­rich­te­ten K‑Strategie, deren psy­cho­lo­gi­sche Züge die fol­gen­den wären: Adap­ti­on an eine Umge­bung, in der Res­sour­cen knapp sind, daher Erzie­hung zur Aske­se und zum Trieb­ver­zicht; spä­te sexu­el­le Rei­fe; Mono­ga­mie; För­de­rung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit; star­ke Loya­li­tät gegen­über der eige­nen Grup­pe – also Din­ge, die der »Fit­ness« der Nach­kom­men und der Opti­mie­rung ihres Gen­pools die­nen. Ich zitie­re die­se evo­lu­ti­ons­psy­cho­lo­gi­schen The­sen mit allem Vor­be­halt gegen­über bio­lo­gi­schen Ana­lo­gien zwi­schen Tier- und Men­schen­reich. Als sym­bo­li­sches Bild, um die lau­fen­de Auf­lö­sung Deutsch­lands und West­eu­ro­pas zu erfas­sen, eig­nen sie sich aber ver­blüf­fend gut. Gera­de in den am stärks­ten dege­ne­rier­ten Aus­for­mun­gen der Lin­ken kann man etwa fol­gen­de eigen­tüm­li­che Mischung beob­ach­ten: der Haß auf die Geschlech­ter­un­ter­schie­de und die Femi­ni­sie­rung des Männ­li­chen (Pirin­çci spricht von »Ver­schwu­lung«), die Poli­tik der tota­len sexu­el­len Libe­ra­li­sie­rung und ein aus­ge­prägt infan­ti­ler Habi­tus gehen Hand in Hand mit der Feind­schaft gegen jeg­li­che Form von Gren­zen und Begren­zun­gen, einem Haß auf das Eige­ne und einer über­stei­ger­ten Xeno­phi­lie: Die Nivel­lie­rung der Gesell­schaft und die Selbst­auf­ga­be gegen­über den For­de­run­gen des »Ande­ren« sind eins.

Was sich in den Grü­nen als Speer­spit­ze der Deka­denz mani­fes­tiert, ist nichts ande­res als das Extrem einer quer durch alle Par­tei­en und Schich­ten ver­brei­te­ten Men­ta­li­tät. Die Ent­schei­dung Ange­la Mer­kels, den Ein­wan­de­rer­flu­ten die Schleu­sen zu öff­nen, hat bereits in die­sem frü­hen Sta­di­um der kom­men­den Tra­gö­die Cha­os, Angst, Aggres­si­on und Irri­ta­ti­on aus­ge­löst. Die Posi­tio­nen pola­ri­sie­ren sich, schau­keln sich wech­sel­sei­tig auf. Inmit­ten der Kri­se, die mit den han­dels­üb­li­chen Phra­sen­ka­tas­tern der BRD nicht mehr zu fas­sen ist, wuchern meta­sta­tisch die Pseu­do­lo­gien: 80 Mil­lio­nen deut­sche Staats­bür­ger – und ein jeder hat ein ande­res Wirk­lich­keits­frag­ment im Kopf, nicht immer im Bewußt­sein, daß der Rest viel­leicht in einem völ­lig ande­ren Film lebt…

Nach der ein­gangs erwähn­ten Lesung hat­te ich Gele­gen­heit, mit einer Dame zu spre­chen, die sich in die Höh­le des eher hand­zah­men Löwen gewagt hat­te, einer Zeit­ge­nos­sin, die sich selbst für »libe­ral­kon­ser­va­tiv« hält und der Mei­nung ist, sie wür­de gera­de die Wei­ma­rer Repu­blik vor Pegi­da und ande­ren »gefähr­li­chen« Bür­gern ret­ten, wobei sie in Wahr­heit – hal­lo »Schar­nier­funk­ti­on« – das Geschäft der Anti­fa betreibt und wohl am liebs­ten Schur­ken wie mir das Publi­zie­ren und den Zugang zur Öffent­lich­keit ver­bie­ten wür­de, wenn sie könn­te. »Sie glau­ben also wirk­lich an den ›Gro­ßen Aus­tausch‹? Daß die Deut­schen zur Min­der­heit in ihrem Land wer­den?«, frag­te sie mich, als wür­de ich über UFO-Lan­dun­gen schrei­ben. Da befand sie sich offen­bar noch auf der unters­ten Stu­fe der blo­ßen Leug­nung der Sach­ver­hal­te: Gestal­ten wie etwa Gre­gor Gysi, die über die demo­gra­phi­schen Ent­wick­lun­gen bes­ser infor­miert sind und sich offen dar­über freu­en, daß die Deut­schen »zum Glück« aus­ster­ben, sind hier schon einen affir­ma­ti­ven Schritt wei­ter, und nichts ande­res meint so ziem­lich jeder Poli­ti­ker, der froh­lockt, daß Deutsch­land »bun­ter« wer­de. Ich ant­wor­te­te ihr, daß es kei­nen Dia­log mehr geben kön­ne, wenn die Wahr­neh­mun­gen der­art hef­tig diver­gier­ten. Inso­fern hier jedoch von Fak­ten die Rede ist, man mag sie beur­tei­len, wie man will, muß man zwangs­läu­fig anneh­men, daß einer der bei­den Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer dumm, böse, unin­for­miert, blind, wahn­sin­nig oder alles zusam­men ist, sei es ihm selbst bewußt oder nicht. Nun erschien mir die besag­te Dame weder beson­ders dumm noch bös­ar­tig noch wahn­sin­nig oder auch nur unsym­pa­thisch; sie denkt viel­leicht ähn­lich über mich und hält mich dar­um für beson­ders abge­feimt oder psy­cho­pa­thisch, und liest mei­ne Pole­mi­ken als »Pro­jek­tio­nen«.

Es gibt aller­dings kei­nen Grund, aus lau­ter Fair­neß pari­tä­tisch zu urtei­len. Hier ste­hen sich kei­ne zwei Par­tei­en gegen­über, die sich spie­gel­bild­lich die­sel­ben Din­ge vor­wer­fen, und das gilt über­tra­gen auch für das gan­ze Land und sei­ne Lager, die häu­fig bei­de ihre Sät­ze etwa so begin­nen: »Wenn mich mei­ne Kin­der eines Tages fra­gen, was ich damals getan habe, möch­te ich vor ihnen anstän­dig daste­hen…« Die einen sehen sich in einer Sze­ne aus dem Drit­ten Reich, in dem die »Flücht­lin­ge« die Rol­le der ver­folg­ten Juden spie­len und sie selbst die­je­ni­gen der heroi­schen Ret­ter, büßend für ihre Ahnen, die den ers­ten Durch­lauf der Kata­stro­phe nicht ver­hin­dert oder sich gar dar­an betei­ligt haben. Es ist ins­be­son­de­re die­ser alt­ver­trau­te Film, der die Deut­schen zu fal­schen his­to­ri­schen Ana­lo­gien ver­lei­tet, sie zu Schlaf­wand­lern macht. Dem­entspre­chend zeig­te die im Okto­ber 2015 in den Kinos ange­lau­fe­ne Ver­fil­mung von Timur Ver­mes’ Roman Er ist wie­der da ein eher pseu­do­lo­gisch als sati­risch ver­frem­de­tes Deutsch­land, in dem am Ende Pegi­da, Geert Wil­ders, Heinz-Chris­ti­an Stra­che, die AfD oder Mari­ne Le Pen als ver­meint­li­che Wie­der­gän­ger Hit­lers gezeigt wer­den, die alle­samt grund­los, wie von bösen Geis­tern beses­sen, wüten, zün­deln und natür­lich »het­zen«.

Die ande­ren, die eben­falls eines Tages vor ihren Kin­dern mora­lisch gerecht­fer­tigt daste­hen wol­len, haben nicht nur die Auf­lö­sung Deutsch­lands vor Augen, son­dern wah­re Blut­bä­der und den Ein­fall der Tata­ren­hor­den des Islams. Ihre Angst­vi­sio­nen sind jedoch viel rea­lis­ti­scher: eines Tages wird das Wort »Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus« womög­lich den­sel­ben Schre­cken her­vor­ru­fen wie heu­te das Wort »Holo­caust«. Sie wer­den als »Angst­ma­cher« beschimpft, und wenn sie den Mund auf­tun, dann gel­ten sie auto­ma­tisch als »Het­zer«. Die­je­ni­gen, die heu­te die­se Invek­ti­ve am lau­tes­ten und unbe­dach­tes­ten schrei­en, wer­den mit hoher Wahr­schein­lich­keit die­sel­ben sein, die eines Tages von Panik über­mannt wer­den, weil sie die vor­aus­schau­en­de Angst, also: die Wit­te­rung der Gefahr, nicht zulie­ßen. Die Bil­der von den Men­schen­staus an den Grenz­über­gän­gen Slo­we­ni­ens und Ungarns, von den Grenz­an­la­gen, die unter dem Andrang der Mas­sen und vor den Augen der ohn­mäch­ti­gen Sicher­heits­kräf­te zusam­men­stür­zen, die täg­li­chen Mel­dun­gen, daß immer mehr und mehr Mas­sen gen Deutsch­land nach­rü­cken, die sur­re­al explo­die­ren­den, unbe­greif­li­chen Zah­len­an­ga­ben – wer kann dies ernst­haft und ehr­lich ohne eine tie­fe Beklem­mung in den Ein­ge­wei­den ansehen?

Ab und zu ent­steht ein Riß in der pseu­do­lo­gi­schen Fas­sa­de. Die Welt am Sonn­tag berich­te­te am 25. Okto­ber von einem der Redak­ti­on vor­lie­gen­den »unter­schrifts­lo­sen Papier«, aus dem her­vor­geht, daß die deut­schen Sicher­heits­be­hör­den die inne­re Sicher­heit des Lan­des als äußerst gefähr­det betrach­ten; Bür­ger­krie­ge, extre­mis­ti­sche Radi­ka­li­sie­rung und eth­ni­sche Span­nun­gen stün­den bevor. Vor nichts ande­rem haben Ein­wan­de­rungs- und Islam­kri­ti­ker schon seit Jah­ren gewarnt. Die­se Gefah­ren bestehen nicht erst seit die­sem Som­mer, son­dern sind über Jahr­zehn­te hin­weg ste­tig ange­wach­sen. Sobald man dies erkannt hat, gibt es in Deutsch­land nichts mehr, das nicht unter ande­ren Vor­zei­chen gese­hen wer­den müß­te als unter den­je­ni­gen, die die Mas­sen­me­di­en zur Zeit vor­ge­ben. In wel­chem Lich­te stün­de nun etwa die von Poli­ti­kern und Medi­en­ma­chern so geh­aß­te und ver­leum­de­te Pegi­da da? Wie muß man im Nach­hin­ein die Will­kom­mens­par­tys bewer­ten? Wie den Umgang mit Kri­ti­kern und Wider­sas­sen, die ihre War­nun­gen und ihren Wider­stand teu­er bezah­len muß­ten? Wie das Ver­hal­ten der deut­schen Regierung?

Zeit­gleich mit der Welt brach­te der Spie­gel (44/2015) einen lan­gen Arti­kel gegen die »Rechts­po­pu­lis­ten«, die angeb­lich »Wut und Haß« und sogar »Gewalt« schü­ren, Titel: »Die ent­hemm­te Repu­blik«, inklu­si­ve einer Schur­ken­ga­le­rie mit Götz Kubit­schek, Jür­gen Elsäs­ser und Björn Höcke. Dar­in ist von einer »vir­tu­el­len Welt der Rech­ten« die Rede, womit mehr oder weni­ger behaup­tet wird, daß der gan­ze unter­stell­te »Haß« und die »Wut« offen­bar kei­ner­lei Ursa­chen hät­ten als einen patho­lo­gi­schen »Haß«- und »Wut«-Virus, der sich aus irgend­ei­nem mys­te­riö­sen Grund in den Köp­fen die­ser »Rechts­po­pu­lis­ten« aus­ge­brei­tet hat.

Unun­ter­bro­chen ist in dem Arti­kel von »Haß« und »Het­ze«, »Haß« und »Het­ze« und aber­mals »Haß« und »Het­ze« die Rede, wie ein zischen­des, damp­fen­des Man­tra, als schrie­ben hier Exor­zis­ten über Teu­fel – nicht ein­mal mehr über Beses­se­ne, die man immer­hin noch hei­len und befrei­en kann. Wer aber den vom Spie­gel aus­ge­blen­de­ten Teil der Wirk­lich­keit sieht, muß zu dem Schluß kom­men, daß es gera­de die­ses Blatt und sei­ne Kol­le­gen sind, die »Wut« und »Haß« schü­ren: wer der­art »unge­hemmt« lügt, hetzt, ver­dreht, schwin­delt, ver­schlei­ert, ver­zerrt, und dabei noch in der Mas­ke des Frie­dens­en­gels und des mora­lisch Über­le­ge­nen auf­tritt, darf nicht erwar­ten, daß ihm dafür auch noch freund­lich begeg­net wird. Wer Men­schen, die sich ihre All­tags­er­fah­run­gen und ihre Wahr­neh­mun­gen nicht aus­re­den las­sen wol­len, unun­ter­bro­chen als Ver­bre­cher, ethisch Defek­te, patho­lo­gi­sche Haß­kran­ke beschimpft, und sich unter­des­sen nach Kräf­ten mit­schul­dig an den Zustän­den macht, gegen die die Ver­leum­de­ten pro­tes­tie­ren – der wird auf die Dau­er genau das erzeu­gen, was er haben will. Die Pro­jek­ti­on ist also voll­kom­men: nicht nur der »Haß« und die »Het­ze«, auch die Hem­mungs­lo­sig­keit steht über­wie­gend auf der Sei­te des poli­tisch-media­len Estab­lish­ments. »Es gibt kei­ne Ver­mitt­lung mehr«, schrieb Götz Kubit­schek im Netz­ta­ge­buch der Sezes­si­on am 10. Novem­ber, »es gibt nur­mehr Stei­ge­rungs­for­men der Ent­hem­mung«. So dreht sich die Teu­fels­spi­ra­le wei­ter und wei­ter. Wann wird sie ihren Eska­la­ti­ons­punkt erreicht haben?

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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